VwGH Ra 2015/01/0134

VwGHRa 2015/01/013423.2.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek und die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Fasching als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag.a Schweda, über die Revision des A K in B, vertreten durch Fatma Özdemir-Bagatar, Rechtsanwältin in 5020 Salzburg, Alpenstr. 10, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Mai 2015, Zl. W220 1429755-1/15E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den:

Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §75 Abs20;
AsylG 2005 §8;
MRK Art3;
AsylG 2005 §75 Abs20;
AsylG 2005 §8;
MRK Art3;

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1. Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde die Beschwerde des Revisionswerbers, eines afghanischen Staatsangehörigen, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 19. März 2015, gemäß §§ 3 und 8 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) als unbegründet abgewiesen. Bezogen auf die Ausweisung nach Afghanistan wurde das Verfahren gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen. Weiters wurde ausgesprochen, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

Begründend ging das Bundesverwaltungsgericht von der Unglaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens aus.

2. Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber Beschwerde gemäß Art. 144 B-VG beim Verfassungsgerichtshof (VfGH), deren Behandlung dieser mit Beschluss vom 19. November 2015,

E 1372/2015-12, ablehnte.

3. Weiters wurde die gegenständliche außerordentliche Revision erhoben, die sich gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten bzw. des subsidiär Schutzberechtigen wendet.

Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Nur im Rahmen dieses Vorbringens hat die Beurteilung der Zulässigkeit der Revision durch den Verwaltungsgerichtshof zu erfolgen (vgl. etwa den hg. Beschluss vom 23. September 2014, Zl. Ra 2014/01/0060, mwN).

Die Revision bringt als Zulässigkeitsgrund vor, es entspreche der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass in einem Fall, in dem das fluchtauslösende Ereignis in einem jungen Alter erlebt worden sei, eine besonders sorgfältige Beurteilung der Art und Weise des erstatteten Vorbringens zu den Fluchtgründen erforderlich und die Dichte des Vorbringens nicht mit normalen Maßstäben zu messen sei (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 24. September 2014, Zl. Ra 2014/19/0020). Der Revisionswerber habe mit 14 Jahren seinen Herkunftsstaat verlassen. Zum Zeitpunkt der Einvernahme vor dem Bundesasylamt (BAA) sei er erst 15 Jahre alt gewesen. Insofern sich das Gericht auf Widersprüche zwischen der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht und der Einvernahme vor dem BAA beziehe, habe das Bundesverwaltungsgericht in seiner Beweiswürdigung nicht berücksichtigt, dass der Revisionswerber damals noch minderjährig gewesen sei. Das BVwG sei insofern von der hg. Rechtsprechung abgewichen.

4. Zur Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten:

Entgegen der Ansicht des Revisionswerbers hängt die außerordentliche Revision schon deshalb nicht von der Lösung der geltend gemachten Rechtsfrage ab, weil die in Revision gezogene Entscheidung das Vorliegen wohlbegründeter Furcht des Revisionswerbers vor asylrelevanter Verfolgung (auch) unter Hinweis auf den mangelnden zeitlichen Zusammenhang zwischen den fluchtauslösenden Ereignissen und dem Zeitpunkt der Ausreise aus dem Herkunftsstaat verneint hat. Hinsichtlich dieser Alternativbegründung wurde aber im Sinne des § 28 Abs. 3 VwGG in der Revision nichts vorgebracht (vgl. zuletzt etwa die hg. Beschlüsse vom 8. September 2015, Zl. Ra 2015/01/0043, und vom 17. November 2015, Zl. Ra 2015/01/0127).

5. Zur Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten:

5.1. Das BVwG traf die Feststellungen, dass der Revisionswerber gesund und im erwerbsfähigen Alter sei sowie über eine Schulbildung und mehrjährige Berufserfahrung als Straßenverkäufer verfüge. Zudem sei davon auszugehen, dass der Revisionswerber in Kabul über familiäre Bindungen und aufgrund seines mehrjährigen Aufenthalts auch über soziale Kontakte verfüge. Unabhängig von dessen individuellem Vorbringen seien daher keine außergewöhnlichen, der Abschiebung entgegen stehenden Umstände hervorgekommen. Der Revisionswerber habe keine individuellen Umstände glaubhaft gemacht, die im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan eine reale Gefahr der Verletzung des Art. 3 EMRK für maßgeblich wahrscheinlich erscheinen lassen.

Die Revision tritt lediglich der Annahme, dass der Revisionswerber in Kabul über familiäre und soziale Anknüpfungspunkte verfüge, entgegen; das BVwG habe dazu beweiswürdigend die (im Zeitpunkt der Einvernahme vor dem BAA gegebene) Minderjährigkeit des Revisionswerbers, bzw. den Umstand, dass dieser bei seiner Einvernahme vor dem BAA nervös und unkonzentriert gewesen sei, nicht berücksichtigt.

Mit diesem Vorbringen wird ein relevanter Begründungsmangel nicht aufgezeigt, weil das BVwG die Feststellung, dass der Revisionswerber in Kabul über ein familiäres bzw. soziales Netzwerk verfüge, tragend auf die Ergebnisse der mit dem - bereits volljährigen - Revisionswerber durchgeführten mündlichen Verhandlung gestützt hat.

Die Annahme des BVwG, dass der Revisionswerber daher - insgesamt - keine der Rückführung nach Afghanistan entgegen stehenden individuellen Umstände glaubhaft gemacht habe, ist somit nicht zu beanstanden.

In diesem Zusammenhang wird auf die ständige Judikatur des EGMR verwiesen, wonach es - abgesehen von Abschiebungen in Staaten, in denen die allgemeine Situation so schwerwiegend ist, dass die Rückführung eines abgelehnten Asylwerbers dorthin eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde - grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person obliegt, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (vgl. etwa das Urteil des EGMR vom 5. September 2013, I. gg. Schweden, Nr. 61204/09). Einen derartigen Nachweis hat der Revisionswerber im vorliegenden Fall nicht erbracht.

5.2. Zur Frage, ob die Zuerkennung subsidiären Schutzes an den Revsionswerber schon im Hinblick auf die allgemeine Situation in Afghanistan geboten wäre, ist auf Folgendes zu verweisen:

Das BVwG hat im angefochtenen Erkenntnis - gestützt auf aktuelle Länderberichte - ausgeführt, dass es für die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan nicht ausreiche, sich bloß auf eine allgemein schlechte Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan zu berufen. Trotz der weiterhin als instabil zu bezeichnenden Sicherheitslage erscheine eine Rückkehr nach Afghanistan im Hinblick auf die regional - sogar innerhalb der Provinzen von Distrikt zu Distrikt - unterschiedliche Sicherheitslage nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Auch nach Ansicht des EGMR sei die allgemeine Situation in Afghanistan nicht dergestalt, dass schon alleine die Rückkehr eines Antragstellers eine ernsthafte Bedrohung für die durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte bedeuten würde.

Die Revision tritt diesen Ausführungen nicht entgegen.

Diese Einschätzung des BVwG deckt sich im Ergebnis mit der Auffassung des EGMR. Bereits in seinem Urteil vom 9. April 2013, H. und. B. gg. Vereinigtes Königreich, Nr. 70073/10 und 44539/11, hat der EGMR ausgesprochen, dass die allgemeine Situation in Afghanistan nicht so gelagert sei, dass die Ausweisung dorthin automatisch gegen Art. 3 EMRK verstoßen würde ("... the Court does not consider that there is currently in Afghanistan a general situation of violence such that there would be a real risk of illtreatment simply by virtue of an individual being returned there."

Rn 93).

Der EGMR hat diese Rechtsprechung in jüngst ergangenen Urteilen im Hinblick auf die aktuelle Lage in Afghanistan ausdrücklich bestätigt (vgl. die Urteile jeweils vom 12. Jänner 2016, jeweils gegen Niederlande: S.D.M., Nr. 8161/07;

A.G.R., Nr. 13442/08; A.W.Q. und D.H., Nr. 25077/06;

S.S., Nr. 39575/06; M.R.A. ua., Nr. 46856/07).

Davon ausgehend ist die Einschätzung des BVwG, dass die allgemeine Situation in Afghanistan als solche einer Rückführung eines abgelehnten Asylwerbers dorthin im Hinblick auf Art. 3 EMRK nicht entgegen steht, nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes nicht zu beanstanden.

6. In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 23. Februar 2016

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