VwGH Ra 2014/22/0106

VwGHRa 2014/22/010616.12.2014

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger und den Hofrat Dr. Robl, die Hofrätin Mag. Merl sowie die Hofräte Dr. Mayr und Dr. Schwarz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Lechner, über die Revision der Bundesministerin für Inneres gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark vom 26. Juni 2014, Zl. LVwG 94.9-3044/2014-4, betreffend Aufenthaltstitel (mitbeteiligte Partei: S, vertreten durch Dr. Wolfgang Vacarescu, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Jakominiplatz 16/II; die belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Steiermark), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §73 Abs1;
B-VG Art130 Abs1 Z3;
MRK Art8;
NAG 2005 §11 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGVG 2014 §28 Abs7;
VwGVG 2014 §8;
VwRallg;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Im gegenständlichen Verfahren stellte die Mitbeteiligte, eine Staatsangehörige des Kosovo, einen am 9. August 2011 beim Landeshauptmann von Steiermark eingelangten Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot - Karte Plus". Mit Schriftsatz vom 21. März 2014 brachte sie eine Säumnisbeschwerde beim Landesverwaltungsgericht Steiermark (im Folgenden kurz: LVwG) ein, weil der Landeshauptmann von Steiermark bis dahin nicht über ihren Antrag entschieden hatte.

Mit dem angefochtenen Erkenntnis trug das LVwG dem Landeshauptmann von Steiermark gemäß § 28 Abs. 7 VwGVG auf, zu prüfen, ob ein absoluter Versagungsgrund im Sinn des § 11 Abs. 1 NAG vorliegt sowie die aktuelle Situation der Mitbeteiligten im Hinblick auf eine allfällige finanzielle Belastung einer Gebietskörperschaft und die näheren Gründe im Hinblick auf die Erteilung eines Aufenthaltstitels zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK zu überprüfen, und den versäumten Bescheid unter Zugrundelegung der "genannten Rechtsanschauung" binnen acht Wochen zu erlassen.

Der Landeshauptmann von Steiermark wies sodann mit Bescheid vom 5. August 2014 den Antrag der Mitbeteiligten auf Erteilung einer "Rot-Weiss-Rot - Karte Plus" ab. Dieser Bescheid wurde u. a. der Mitbeteiligten am 7. August 2014 zugestellt.

Gegen das angeführte Erkenntnis des LVwG richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision der Bundesministerin für Inneres, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch das LVwG und Erstattung einer Revisionsbeantwortung durch die Mitbeteiligte erwogen hat:

Die Revision ist zulässig und auch berechtigt.

Im gegenständlichen Verfahren sind die Bestimmungen des

Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes - VwGVG,

BGBl. I Nr. 33/2013, idF BGBl. I Nr. 122/2013, maßgebend. Dessen

§ 28 lautet auszugsweise:

"Erkenntnisse

§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das

Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) ...

(7) Im Verfahren über Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG kann das Verwaltungsgericht sein Erkenntnis vorerst auf die Entscheidung einzelner maßgeblicher Rechtsfragen beschränken und der Behörde auftragen, den versäumten Bescheid unter Zugrundelegung der hiermit festgelegten Rechtsanschauung binnen bestimmter, acht Wochen nicht übersteigender Frist zu erlassen. Kommt die Behörde dem Auftrag nicht nach, so entscheidet das Verwaltungsgericht über die Beschwerde durch Erkenntnis in der Sache selbst, wobei es auch das sonst der Behörde zustehende Ermessen handhabt.

(8) ..."

Zunächst ist festzustellen, dass eine zulässige Säumnisbeschwerde gemäß § 8 VwGVG vorliegt. Der verfahrensgegenständliche Antrag unterlag und unterliegt der Entscheidungspflicht gemäß § 73 Abs. 1 AVG und es hat die Behörde nicht binnen sechs Monaten nach Einlangen des Antrages über diesen entschieden. Der Umstand, dass das VwGVG erst mit 1. Jänner 2014 in Kraft getreten ist, ändert daran nichts.

Die Revisionswerberin bringt vor, das LVwG habe die Zurückverweisungsentscheidung auf § 28 Abs. 7 VwGVG gestützt, ohne jedoch in einer "Rahmenentscheidung" die von der Behörde zu treffende Entscheidung in den wesentlichen rechtlichen Parametern zu präformieren. Die bloße Zitierung von unstrittig anzuwendenden Bestimmungen zu allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen könne § 28 Abs. 7 VwGVG nicht genügen. Die genannte Bestimmung könne nicht dahingehend verstanden werden, dass dem LVwG die Möglichkeit der Einräumung einer bloßen "Nachfrist" eröffnet werde.

Dieses Vorbringen ist berechtigt. § 28 Abs. 7 VwGVG sieht im Säumnisbeschwerdeverfahren vor dem Verwaltungsgericht die Möglichkeit vor, dass sich das Verwaltungsgericht auf die Entscheidung einzelner maßgeblicher Rechtsfragen beschränken und das Verfahren an die Behörde mit dem Auftrag zurückverweisen kann, den ausstehenden Bescheid unter Bindung an die Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtes innerhalb einer Frist von maximal acht Wochen nachzuholen (siehe dazu Eder/Martschin/Schmid,

Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte, S. 89, K 29 zu § 28 VwGVG). Damit kann das Verwaltungsgericht im Falle einer zulässigen Säumnisbeschwerde die Zuständigkeit in der Angelegenheit unter den näher bestimmten Voraussetzungen wieder auf die Behörde übertragen. Eine maßgebliche Voraussetzung für eine solche Entscheidung ist, dass das Verwaltungsgericht darin über einzelne maßgebliche Rechtsfragen der Angelegenheit entscheidet. Mit den im vorliegenden Fall an die Behörde ergangenen Aufträgen, nämlich dem Auftrag an den Landeshauptmann von Steiermark, zu prüfen, ob ein absoluter Versagungsgrund im Sinn des § 11 Abs. 1 NAG vorliegt, weiters die aktuelle Situation der Mitbeteiligten im Hinblick auf eine allfällige finanzielle Belastung einer Gebietskörperschaft und die näheren Gründe im Hinblick auf die Erteilung eines Aufenthaltstitels zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK zu überprüfen und den versäumten Bescheid unter Zugrundelegung der genannten Rechtsanschauung zu erlassen, erfolgte keine Entscheidung einzelner maßgeblicher Rechtsfragen im Sinn des § 28 Abs. 7 VwGVG. Es wurde damit keine Rechtsanschauung zu maßgeblichen Rechtsfragen dargelegt, unter deren Zugrundelegung die Behörde einen Bescheid zu erlassen gehabt hätte. Damit wird dem klaren Wortlaut des § 28 Abs. 7 VwGVG, nämlich der Behörde eine Entscheidung in den maßgeblichen Rechtsfragen vorzugeben, nicht entsprochen (vgl. die Ausführungen bei Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte, K 31 zu § 28 VwGVG).

Da das LVwG dies verkannte, war das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 16. Dezember 2014

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