VwGH Ra 2014/21/0019

VwGHRa 2014/21/001922.1.2015

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Revision der P G, vertreten durch Mag. Banu Kurtulan, Rechtsanwältin in 1020 Wien, Praterstraße 66/4/41, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 27. März 2014, Zl. LVwG-AB-12-0196, betreffend Rückkehrentscheidung und Einreiseverbot (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Normen

31972R2760 ZusProt FinanzProt AssAbk Türkei Art41 Abs1;
ARB1/80 Art13;
FrG 1993 §29;
FrPolG 2005 §52 Abs1 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §53 Abs1 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §53 Abs2 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §61 Abs1 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §61 Abs2 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §61 Abs3 idF 2011/I/038;
EMRK Art8 Abs2;
EMRK Art8;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGVG 2014 §24 Abs1;
VwGVG 2014 §24 Abs4;
31972R2760 ZusProt FinanzProt AssAbk Türkei Art41 Abs1;
ARB1/80 Art13;
FrG 1993 §29;
FrPolG 2005 §52 Abs1 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §53 Abs1 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §53 Abs2 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §61 Abs1 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §61 Abs2 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §61 Abs3 idF 2011/I/038;
EMRK Art8 Abs2;
EMRK Art8;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGVG 2014 §24 Abs1;
VwGVG 2014 §24 Abs4;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Revisionswerberin, eine türkische Staatsangehörige, reiste am 12. April 2012 mit einem bis 6. Juli 2012 gültigen Visum C in Österreich ein, um ihren auf Grund eines Aufenthaltstitels "Daueraufenthalt Familienangehöriger" in Österreich lebenden Sohn, ebenfalls einen türkischen Staatsangehörigen, zu besuchen. Nach Ablauf des Visums blieb die Revisionswerberin in Österreich. Die Bezirkshauptmannschaft Wiener Neustadt (im Folgenden: BH) erließ daraufhin mit Bescheid vom 3. August 2012 gemäß § 52 Abs. 1 und § 53 Abs. 1 und 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG idF des Fremdenrechtsänderungsgesetzes 2011 - FrÄG 2011 eine Rückkehrentscheidung und ein mit 18 Monaten befristetes Einreiseverbot.

Die BH stellte fest, dass die Revisionswerberin bereits kurz nach ihrer Einreise bei der Aufenthaltsbehörde vorstellig geworden sei und angekündigt habe, Österreich nach Ablauf des Visums C nicht verlassen zu wollen, weil sie auf die vierjährige Tochter ihres Sohnes aufpassen solle. Sie habe sich nach den Modalitäten und Möglichkeiten für die Beantragung und Erteilung eines Aufenthaltstitels erkundigt. In mehreren Gesprächen sei ihr sowie den jeweils anwesenden Begleitpersonen die Sach- und Rechtslage erklärt und auf die Bestimmungen des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes - NAG hingewiesen worden, wonach ein derartiger Aufenthaltstitel (Familiengemeinschaft mit einem Drittstaatsangehörigen, wobei der Antragsteller in aufsteigender Linie mit dem Zusammenführenden verwandt sei) nicht vorgesehen sei. Die Revisionswerberin sei bei jeder Vorsprache darauf hingewiesen worden, welche Folgen mit einer eventuellen Nichtausreise und dem weiteren nicht rechtmäßigen Aufenthalt verbunden seien. Eine Erhebung durch die Polizeiinspektion E. am 10. Juli 2012 an der Meldeadresse der Revisionswerberin habe dann ergeben, dass sie nach wie vor im Bundesgebiet aufhältig und nicht ausgereist sei.

Zur persönlichen Situation der Revisionswerberin hielt die BH fest, dass ein gemeinsames Familienleben mit ihrem Sohn bzw. Enkelkind vor der Einreise nach Österreich nicht bestanden habe. Auf Grund der Kürze ihres Aufenthalts sei sie nicht als integriert zu bezeichnen und finde ein Eingriff in ihr Privatleben im Sinn des Art. 8 EMRK nicht statt. Die Bindung zum Heimatstaat sei als aufrecht zu bezeichnen. Es müsse ihr bei der Beantragung des Visums bewusst gewesen sein, dass ihr Aufenthalt in Österreich nur temporärer Natur sein könne. Ihre Absichten seien jedoch von vornherein dahingehend gewesen, dass sie nicht wieder ausreisen wolle; sie habe daher schon bei der österreichischen Vertretungsbehörde falsche Angaben getätigt.

Als Ergebnis der Interessenabwägung nach § 61 FPG erklärte die BH, dass die Auswirkungen einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbotes auf die Lebenssituation der Revisionswerberin nicht schwerwiegender zu beurteilen seien als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Maßnahme.

Die aufschiebende Wirkung einer allfälligen Berufung wurde aberkannt.

Am 9. August 2012 stellte die anwaltlich vertretene Revisionswerberin einen "Antrag auf Gewährung der aufschiebenden Wirkung" an den Unabhängigen Verwaltungssenat im Land Niederösterreich (im Folgenden: UVS). Sie brachte unter anderem vor, dass sie nach dem plötzlichen Tod ihrer Schwiegertochter nach Österreich gekommen sei, um ihrem Sohn und ihrer vierjährigen Enkeltochter beizustehen. Die Enkeltochter, die durch den plötzlichen Tod ihrer Mutter traumatisiert gewesen sei, habe sich rasch an die Revisionswerberin gewöhnt, und diese sei für sie zu einer Ersatzmutter geworden.

Auf Nachfrage des zuständigen Mitglieds des UVS teilte die Vertreterin der Revisionswerberin mit, dass es sich beim "Antrag auf Gewährung der aufschiebenden Wirkung" um eine Berufung gegen den Bescheid der BH vom 3. August 2012 handle, wobei eine Teilentscheidung bezüglich der aufschiebenden Wirkung begehrt werde.

Mit in Rechtskraft erwachsenem Bescheid vom 10. August 2012 gab der UVS der Berufung gegen den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung Folge.

Mit 1. Jänner 2014 ging die Zuständigkeit zur Entscheidung über den noch nicht erledigten Teil der Berufung gemäß § 125 Abs. 22 FPG auf das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich über.

Dieses gab der nunmehr als Beschwerde geltenden Berufung mit dem vorliegend angefochtenen Erkenntnis vom 27. März 2014 gemäß § 28 VwGVG keine Folge und bestätigte den Bescheid der BH.

Begründend stellte das Verwaltungsgericht nach der Darstellung des Verfahrensgangs fest, dass die Revisionswerberin nach Ablauf ihres Visums über keinen Aufenthaltstitel verfügt habe. Sie habe Österreich seit ihrer Einreise am 12. April 2012 nicht verlassen. Sie sei auf Grund des plötzlichen Todes ihrer Schwiegertochter nach Österreich gekommen. Sie wohne bei ihrem Sohn und unterstütze ihn in Bezug auf seine Tochter. Sie gehe keiner Beschäftigung nach. Bis auf den Sohn und das Enkelkind habe sie keine Familienangehörigen in Österreich. Eine Integration in kultureller und sozialer Hinsicht habe jedenfalls bis zum Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides nicht stattgefunden. Sie verfüge nach wie vor über keinen Aufenthaltstitel und sei auch nach Aberkennung der aufschiebenden Wirkung in Österreich verblieben.

Das Vorbringen der Revisionswerberin bezüglich der Nichtentgegennahme eines Antrages zwecks Erhalts eines Aufenthaltstitels sei in diesem Verfahren irrelevant, weil die Fremdenpolizeibehörde nur zu erheben habe, ob der Aufenthalt der Revisionswerberin rechtmäßig sei oder nicht. Welche Umstände schlussendlich nicht zum Erhalt eines Aufenthaltstitels geführt hätten, sei ohne Relevanz, weshalb auf dieses Vorbringen nicht näher einzugehen gewesen sei.

Die Revisionswerberin sei als türkische Staatsangehörige Fremde im Sinn des § 2 Abs. 4 Z 1 FPG. Da sie nicht in den Anwendungsbereich des Art. 6 oder 7 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 (ARB) falle, seien die Bestimmungen des FPG hinsichtlich Drittstaatsangehöriger anzuwenden.

Gemäß § 52 Abs. 1 FPG sei gegen einen Drittstaatsangehörigen, sofern nicht anderes bestimmt sei, mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte. Da die Revisionswerberin nicht rechtmäßig in Österreich aufhältig gewesen sei, habe die BH rechtsrichtig eine Rückkehrentscheidung nach dieser Bestimmung erlassen.

Gemäß § 53 Abs. 1 FPG sei mit einer Rückkehrentscheidung ein Einreiseverbot unter Einem zu erlassen. Dieses sei vorbehaltlich des Abs. 3 für die Dauer von 18 Monaten, höchstens jedoch für fünf Jahre zu erlassen. Bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes habe die Behörde das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen miteinzubeziehen und zu berücksichtigen, ob der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährde oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderlaufe.

Es sei evident, dass ein großes öffentliches Interesse an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens bestehe. Der Umstand, dass die Revisionswerberin aus "problematischen familiären Umständen" nach Österreich gekommen sei und ein weiterer Verbleib im Bundesgebiet für sie wünschenswert wäre, rechtfertige nicht die eigenmächtige Umgehung der österreichischen Rechtsordnung. Die Berechtigung zum Aufenthalt in Österreich sei an bestimmte Voraussetzungen geknüpft, die bei der Revisionswerberin jedenfalls ab dem 7. Juli 2012 nicht vorgelegen seien. Sie hätte daher jedenfalls nach Ablauf der Gültigkeitsdauer des Visums das Bundesgebiet verlassen bzw. einen weiteren Aufenthaltstitel erwirken müssen. Beides habe die Revisionswerberin unterlassen, weshalb ihr Aufenthalt jedenfalls unrechtmäßig gewesen sei. Auch auf Grund des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung einer Berufung durch die BH hätte sie unverzüglich aus Österreich ausreisen müssen.

Die Revisionswerberin habe über einen längeren Zeitraum maßgebliche Rechtsvorschriften und die Entscheidung der BH missachtet und aus privaten Interessen ihren unrechtmäßigen Aufenthalt fortgesetzt. Im Verhalten der Revisionswerberin sei somit klar erkennbar, dass sie durch ihr eigenmächtiges und rechtswidriges Verhalten nicht gewillt sei, sich an Rechtsvorschriften zu halten, was der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung im Bereich des Fremdenwesens zuwiderlaufe.

Darin sehe das Verwaltungsgericht nicht nur eine generell ablehnende Haltung der Revisionswerberin, sich den Regelungen des Fremdenrechts zu unterwerfen, sondern eine "missachtende und gleichgültige Grundeinstellung" gegenüber verwaltungsbehördlichen Entscheidungen. Durch ihr konstantes rechtswidriges Verhalten habe die Revisionswerberin jedenfalls die Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens gefährdet.

Zu den privaten und familiären Interessen der Revisionswerberin am weiteren Verbleib im Bundesgebiet sei - so das Verwaltungsgericht weiter - Folgendes zu erwägen gewesen:

Die Revisionswerberin sei erstmals im April 2012 nach Österreich gereist, und zwar auf Grund eines Todesfalls in der Familie. Bis auf den Sohn und das Enkelkind lebten keine weiteren Familienangehörigen in Österreich, sodass ein familiäres Interesse am weiteren Verbleib in Österreich von erheblichem Gewicht nicht bejaht werden könne. Dem Vorbringen der Revisionswerberin, dass sie bereits in den drei Monaten ihres rechtmäßigen Aufenthalts zu einer Art Ersatzmutter für ihr Enkelkind geworden sei, habe das Verwaltungsgericht keinen Glauben schenken können, da in einer derart kurzen Zeit wohl kaum eine solche mütterliche Beziehung entstehe. Es möge zwar zutreffen, dass es im Interesse des Sohnes sowie des Enkelkindes und natürlich im Interesse der Revisionswerberin sei, dass sie in Österreich verbleibe. Andere private Interessen der Revisionswerberin im Sinn des § 61 FPG hätten sich jedoch nicht feststellen lassen bzw. seien solche in der Berufung nicht einmal erwähnt worden. Für das Verwaltungsgericht sei somit ein Eingriff in die privaten und familiären Interessen der Revisionswerberin von einigem Gewicht nicht erkennbar gewesen.

Selbst wenn man davon ausginge, dass mittlerweile ein schutzwürdiges privates bzw. familiäres Interesse (auf Grund des Sohnes und des Enkelkindes) am weiteren Verbleib in Österreich bestehe, müsse der Revisionswerberin entgegengehalten werden, dass diese privaten Interessen dadurch gemindert seien, dass sie in einer Zeit entstanden seien, in der sich die Revisionswerberin ihres unsicheren Aufenthalts bewusst gewesen sei. Würden familiäre Bindungen zu einem Zeitpunkt begründet, zu dem der Fremde nicht mit einem weiteren Verbleib im Inland rechnen könne, so erführen die aus dieser Bindung abzuleitenden persönlichen Interessen des Fremden an einem Verbleib im Bundesgebiet eine wesentliche, die Interessenabwägung nachteilig beeinflussende Minderung. Genau dieser Umstand treffe im gegenständlichen Fall zu. Die Revisionswerberin habe ab 7. Juli 2012 keinen Aufenthaltstitel gehabt. Darüber hinaus sei über sie eine Rückkehrentscheidung erlassen und die aufschiebende Wirkung einer allfälligen Berufung vorerst aberkannt worden. Zwar sei dieser Spruchteil vom UVS bereits behoben worden, doch ändere dies nichts am Umstand, dass die Revisionswerberin jedenfalls ab 7. Juli 2012 in Kenntnis ihres unsicheren Aufenthalts gewesen sei. Somit seien allfällige familiäre Interessen, welche nicht einmal in der Berufung konkret dargelegt worden seien und die sich erst nach dem genannten Zeitpunkt manifestiert hätten, bei der Abwägung in vermindertem Maß zu berücksichtigen gewesen.

Das Verwaltungsgericht habe darüber hinaus weder eine kulturelle noch eine soziale Integration feststellen können. Derartiges sei im verwaltungsbehördlichen Verfahren und in der Berufung nicht einmal dargetan bzw. behauptet worden. Überhaupt habe die anwaltlich vertretene Revisionswerberin kein substantiiertes Vorbringen erstattet und/oder Beweise angeboten, die auf integrationsbegründende Umstände hinweisen würden.

Angesichts des Umstands, dass die Revisionswerberin lediglich drei Monate rechtmäßig in Österreich aufhältig gewesen sei und allfällige private Interessen am weiteren Verbleib im Bundesgebiet in einem Zeitraum entstanden wären, in dem sich die Revisionswerberin ihres unsicheren Aufenthalts bewusst gewesen sei, sei die Abwägung der privaten Interessen der Revisionswerberin am weiteren Verbleib im Inland mit den bestehenden öffentlichen Interessen an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens deutlich zum Nachteil der Revisionswerberin ausgefallen. Der Umstand, dass die Revisionswerberin trotz des Hinweises auf ihre Ausreiseverpflichtung unrechtmäßig in Österreich aufhältig gewesen sei, wiege somit weitaus schwerer als die oben dargelegten privaten Interessen der Revisionswerberin.

Der Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot sei daher auch nicht § 61 FPG entgegengestanden.

Von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung habe gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG abgesehen werden können, weil keine Partei die Durchführung einer Verhandlung beantragt habe und die Akten erkennen lassen hätten, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lasse, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 der Grundrechtecharta entgegenstünden.

Die ordentliche Revision sei unzulässig, weil der hier zu lösenden Rechtsfrage gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG keine erhebliche Bedeutung zukomme.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen dieses Erkenntnis erhobene außerordentliche Revision - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - erwogen:

1. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die vorliegende Revision ist entgegen dem - den Verwaltungsgerichtshof nicht bindenden (§ 34 Abs. 1a VwGG) - Ausspruch des Verwaltungsgerichts zulässig, weil das Verwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen ist, was die Revision im Ergebnis zutreffend aufzeigt.

2. Gemäß § 52 Abs. 1 FPG in der - gemäß § 125 Abs. 22 FPG im vorliegenden Fall maßgeblichen - Fassung des FrÄG 2011 ist gegen einen Drittstaatsangehörigen, sofern nichts anderes bestimmt ist, eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Gemäß § 53 Abs. 1 FPG in der genannten Fassung wird mit einer Rückkehrentscheidung ein Einreiseverbot unter Einem erlassen. Dieses ist gemäß § 53 Abs. 2 FPG, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von mindestens 18 Monaten, höchstens jedoch für fünf Jahre zu erlassen; bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbots hat die Behörde das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen mit einzubeziehen und zu berücksichtigen, ob der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft.

Würde durch eine Rückkehrentscheidung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung einer solchen Maßnahme gemäß § 61 Abs. 1 FPG idF des FrÄG 2011 nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei dieser Beurteilung ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der im § 61 Abs. 2 FPG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 61 Abs. 3 FPG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. Punkt 2. des hg. Erkenntnisses vom 16. Mai 2012, Zl. 2011/21/0277, mwN).

3. Es trifft zu, dass sich die drittstaatszugehörige Revisionswerberin seit dem Ablauf ihres Visums nicht rechtmäßig in Österreich aufgehalten hat und demzufolge die im ersten Satz des § 52 Abs. 1 FPG normierte Voraussetzung für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung erfüllt war. Daran konnte weder das behauptete Bemühen um eine Antragstellung auf Erteilung eines Aufenthaltstitels noch die Stillhalteklausel des Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation vom 19. September 1980 oder des Art. 41 Abs. 1 des mit der Verordnung (EWG) Nr. 2760/72 des Rates vom 19. Dezember 1972 im Namen der Gemeinschaft geschlossenen, gebilligten und bestätigten Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen etwas ändern. Der in der Revision insoweit allein ins Treffen geführte § 29 des Fremdengesetzes 1993 galt nur für Angehörige von EWR-Bürgern.

4. Die Revisionswerberin hat aber schon in ihrer Berufung Umstände geltend gemacht, die geeignet waren, ihren Verbleib in Österreich aus Gründen des Art. 8 EMRK zu rechtfertigen, indem sie auf die Einnahme der Mutterrolle gegenüber ihrem damals vierjährigen (österreichischen) Enkelkind nach dem plötzlichen Tod von dessen Mutter hingewiesen hat. Mit diesem Aspekt hat sich das Verwaltungsgericht in Verkennung der Rechtslage nur oberflächlich und in einer der vorliegenden Konstellation nicht gerecht werdenden Weise auseinandergesetzt. Das Verwaltungsgericht hat vor allem vernachlässigt, dass die Interessenabwägung auch mit Blick auf die Situation des Enkelkindes vorzunehmen gewesen wäre. Sollte die Revisionswerberin - sei es noch während der Gültigkeit ihres Visums, sei es nach dessen Ablauf - tatsächlich zu einer Ersatzmutter für ihr durch den Tod der Mutter traumatisiertes Enkelkind geworden sein, so könnten allein aus ihrem unrechtmäßigen Verbleib im Bundesgebiet keine öffentlichen Interessen abgeleitet werden, die die familiären Interessen im Hinblick auf die Beziehung zu ihrem Enkelkind überwiegen würden.

Um die Art und Intensität der Beziehung zwischen der Revisionswerberin und ihrem Enkelkind klären zu können, wäre im Übrigen eine mündliche Verhandlung durchzuführen gewesen. Eine solche wurde zwar von der - anwaltlich vertretenen - Revisionswerberin nicht beantragt, gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht aber von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen, wenn es diese für erforderlich hält; damit steht die Durchführung einer mündlichen Verhandlung ohne Parteiantrag nicht im Belieben, sondern im pflichtgemäßen Ermessen des Verwaltungsgerichts (vgl. zum inhaltlich identen § 67d Abs. 1 AVG das bereits zitierte hg. Erkenntnis vom 16. Mai 2012, Zl. 2011/21/0277). Davon, dass (im Sinn des § 24 Abs. 4 VwGVG) eine weitere Klärung der Rechtssache durch die mündliche Erörterung nicht zu erwarten war, konnte im vorliegenden Fall schon im Hinblick auf den für die Interessenabwägung maßgeblichen persönlichen Eindruck, aber auch angesichts des Zeitablaufs seit Erhebung der Berufung, keine Rede sein.

5. Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen der vorrangig wahrzunehmenden Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.

Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 5 VwGG abgesehen werden.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 22. Jänner 2015

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte