VwGH Ra 2014/18/0140

VwGHRa 2014/18/014013.1.2015

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Nedwed und die Hofrätin Mag. Hainz-Sator als Richterinnen und Richter, unter Beiziehung des Schriftführers Mag. Klammer, über die Revision des M A in I, vertreten durch Dr. Anton Triendl, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Anichstraße 1, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. September 2014, Zl. W192 1434881- 1/12E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), im Umlaufweg den Beschluss gefasst:

Normen

32011L0095 Status-RL Art10;
32011L0095 Status-RL Art2 litd;
32011L0095 Status-RL Art9 Abs3;
AsylG 2005 §3;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

Die außerordentliche Revision macht geltend, das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Zulässigkeit des Unterbleibens einer mündlichen Verhandlung abgewichen, weil "die Tatfrage des Bacha bazi weder durch das Bundesasylamt noch abschließend durch das BVwG geklärt" worden sei. Es habe auch übersehen, dass der Revisionswerber "zur sozialen Gruppe der von massive(m) sexuellen Missbrauch durch Bacha bazi (auch Baccha Baazi) bedrohten afghanischen 'Tanzjungen', sohin männlichen Jugendlichen im Alter von etwa 10 bis 18 Jahren (ohne Bartwuchs)" angehöre.

Mit diesem Vorbringen zeigt die Revision nicht auf, dass ihre Lösung von einer Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG abhängt:

Im vorliegenden Fall hat das BVwG dem Revisionswerber zwar subsidiären Schutz zuerkannt, eine asylrelevante Bedrohung seiner Person im Herkunftsstaat aber mit folgender Begründung verneint:

"(Das Bundesasylamt) hat (...) zu Grunde gelegt, dass der (Revisionswerber) wegen einer unerwünschten Beziehung zu einem Mädchen vom Onkel dieses Mädchens, einem einflussreichen früheren Mujaheddinkommandanten am Leben bedroht worden sei und der (Revisionswerber) hat darüber hinaus vorgebracht, dass er von diesem Kommandanten auch unter Bedrohung seines Lebens aufgefordert worden sei, ihm für die Praxis des Bacha bazi zur Verfügung zu stehen. Die zu Grunde gelegte Bedrohung des Lebens und der behauptete mögliche Eingriff in das Recht des (Revisionswerbers) auf sexuelle Selbstbestimmung stellen eine Verfolgungsgefahr (...) dar. Die Ursache für die (...) Verfolgungsgefahr liegt nach den Angaben des (Revisionswerbers) in der von ihm begonnenen unerwünschten Beziehung zu einem Mädchen und ein dadurch ausgelöstes kriminell motiviertes Verlangen nach Sanktionierung einer dadurch erblickten Verletzung der Ehre der Familie dieses Mädchens. Die Verfolgungsgefahr ist daher nicht auf Gründe der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder die politische Gesinnung des (Revisionswerbers) zurückzuführen. (...) Da ein asylrelevantes Motiv im Sinne der GFK somit nicht vorliegt, kann die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten an den (Revisionswerber) nicht erfolgen."

Unter Bedachtnahme auf diese Erwägungen trifft der Vorwurf der Revision, das BVwG habe die Zugehörigkeit des Revisionswerbers zu einer "bestimmten sozialen Gruppe" im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) übersehen, nicht zu. Das BVwG hat vielmehr die in der Revision angesprochene Frage, ob der Revisionswerber einer asylrechtlich geschützten "sozialen Gruppe" angehört, nicht weiter geprüft, weil es einen kausalen Zusammenhang zwischen der behaupteten Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe und der geltend gemachten Verfolgung verneint hat.

Dass die begründete Furcht einer Person vor Verfolgung in kausalem Zusammenhang mit einem oder mehreren Konventionsgründen stehen muss, ergibt sich schon aus der Definition des Flüchtlingsbegriffs in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, wonach als Flüchtling im Sinne dieses Abkommens anzusehen ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, "aus Gründen" (Englisch: "for reasons of"; Französisch: "du fait de") der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen. Auch Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95/EU (Statusrichtlinie) verlangt eine Verknüpfung zwischen den als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen einerseits und den Verfolgungsgründen andererseits.

Dafür reicht es nach der jüngeren Ansicht des UNHCR aus, dass der Konventionsgrund ein (maßgebender) beitragender Faktor ist, er muss aber nicht als einziger oder überwiegender Grund für die Verfolgung oder das Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen nachgewiesen werden (vgl. dazu etwa die UNHCR-Richtlinien zum Internationalen Schutz Nr. 1 - Geschlechtsspezifische Verfolgung vom 7. Mai 2002, RNr. 20, Nr. 7 - Opfer von Menschenhandel vom 7. April 2006, RNr. 29, und Nr. 9 - Sexual Orientation and/or Gender Identity vom 23. Oktober 2012, RNr. 38; in diesem Sinne etwa auch Hathaway/Foster, The Causal Connection ("Nexus") to a Convention Ground, International Journal of Refugee Law Vol. 15 No. 3 (2003), 476, mwN; siehe aber auch Marx, Handbuch zur Qualifikationsrichtlinie (2009), 248, mit Hinweis auf UNHCR, Auslegung von Artikel 1 des Abkommens von 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom April 2001, RNr. 23, wonach der Konventionsgrund ein "wesentlicher beitragender Faktor" sein müsse).

Ohne auf diese Fragen im Einzelnen näher einzugehen, ist nicht zu erkennen und wird von der Revision auch nicht aufgezeigt, dass der Revisionswerber fallbezogen nach den dargestellten Voraussetzungen "aus Gründen (der) Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe" im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK verfolgt worden ist. Auf die Klärung der von der Revision angesprochenen Rechtsfrage, ob die "von massive(m) sexuellen Missbrauch durch Bacha bazi (auch Baccha Baazi) bedrohten afghanischen 'Tanzjungen', sohin männlichen Jugendlichen im Alter von etwa 10 bis 18 Jahren (ohne Bartwuchs)" eine "bestimmte soziale Gruppe" im Sinne des GFK bilden, kommt es daher im vorliegenden Fall nicht an. Die Revision hängt daher auch nicht von dieser Rechtsfrage ab. Aus diesem Grund gelingt es der Revision auch nicht darzutun, dass die von ihr angesprochene Tatfrage am Maßstab der hg. Rechtsprechung einer Verhandlung vor dem BVwG bedurft hätte.

Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG gemäß § 15 Abs. 4 VwGG im Umlaufweg zurückzuweisen.

Wien, am 13. Jänner 2015

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