VwGH Ra 2014/10/0002

VwGHRa 2014/10/000230.9.2015

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Lukasser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Uhlir, über die Revision des H G in A, vertreten durch Dr. Paul Delazer, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Maximilianstraße 2 (Hauptpostgebäude), gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 22. Jänner 2014, Zl. LVwG-2010/27/2220-28, betreffend Apothekenkonzession (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht:

Bezirkshauptmannschaft Innsbruck; mitbeteiligte Partei: Apotheke Kematen KG, vertreten durch Prof. Dr. Wolfgang Völkl, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Nußdorfer Straße 10-12), den Beschluss gefasst:

Normen

ApG 1907 §10 Abs5;
ApG 1907 §10;
B-VG Art133 Abs4;
VwGG §34 Abs1;
ApG 1907 §10 Abs5;
ApG 1907 §10;
B-VG Art133 Abs4;
VwGG §34 Abs1;

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Der Revisionswerber hat dem Mitbeteiligten Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde der Antrag des Revisionswerbers auf Konzessionserteilung für die Errichtung und den Betrieb einer neuen Apotheke in Oberperfuss gemäß § 10 Abs. 2 Z. 3 Apothekengesetz 1907, RGBl. Nr. 5/1907 (ApG) abgewiesen.

Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht aus, die Zahl der von der Apotheke Kematen der mitbeteiligten Partei weiterhin zu versorgenden Personen werde sich infolge Errichtung der beantragten Apotheke verringern und weniger als 5.500 betragen. Entgegen dem Gutachten der Apothekerkammer seien auch jene Einwohner des Sellraintales als Kundenpotenzial der Apotheke Kematen zu berücksichtigen, die von Kematen aus gesehen weiter taleinwärts wohnten als bis zum Kreuzungspunkt der Sellrainer Landesstraße mit der Oberperfer Straße. Für diese Einwohner sei zwar die Straßenentfernung über die Oberperfer Straße zur neu beantragten Apotheke um 108 m kürzer als über die Sellrainer Landesstraße nach Kematen zur Apotheke des Mitbeteiligten. Jedoch verlaufe die Oberperfer Straße vom erwähnten Kreuzungspunkt, der sich auf 908 m Seehöhe befinde, steil und in Kurven bergauf bis zu einer Seehöhe von 1.109 m und falle in weiterer Folge bis Oberperfuss wieder auf 812 m Seehöhe ab. Nach dem zweispurigen Ausbau eines Teilstückes sei die Oberperfer Straße zwar ganzjährig zweispurig befahrbar, aber immer noch kurvig und im nicht neu ausgebauten Bereich auch wesentlich enger als die Sellrainer Landesstraße. Die Oberperfer Straße führe zudem über weitere Strecken unmittelbar entlang von Häusern, während es sich bei der Sellrainer Landesstraße um eine im Gesamten gesehen gerade geführte, zweispurig ausgebaute und über weite Strecken nicht mit Häusern gesäumte Straße handle, die problemlos ganzjährig befahrbar sei. Es sei daher auf Grund der geografischen Gesichtspunkte nachvollziehbar, dass die Bewohner des hinteren Sellraintales weiterhin die Apotheke in Kematen frequentieren würden. Es sei nicht anzunehmen, dass diese Apothekenkunden die Sellrainer Landesstraße beim genannten Kreuzungspunkt im Ort Sellrain verlassen würden, um über die Oberperfer Straße, welche steiler, höher geführt und gefährlicher sei, die Apotheke in Oberperfuss zu erreichen.

Auf Grund dieser Umstände seien entgegen dem Gutachten der Apothekenkammer auch die Einwohner der Gemeinden Sellrain, Gries im Sellrain und St. Sigmund im Sellrain dem Kundenpotenzial der Apotheke Kematen zuzurechnen. Auf Grund des Umstandes, dass sich in der Gemeinde St. Sigmund im Sellrain eine ärztliche Hausapotheke befinde, seien die 172 Einwohner dieser Gemeinde nur zu 22 %, das sind 38 Einwohner, dem Kundenpotenzial der Apotheke Kematen zuzurechnen.

Selbst unter Berücksichtigung dieses Kundenpotenzials würde sich die Zahl der von der Betriebsstätte der Apotheke Kematen aus weiterhin zu versorgenden Personen infolge der Neuerrichtung verringern und weniger als 5.500, nämlich 5.370, betragen.

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Dies mit der wesentlichen Begründung, dass sich das angefochtene Erkenntnis auf die ständige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes stützen könne.

Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision. Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung, auf die der Revisionswerber replizierte.

Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nicht nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

Der Revisionswerber führt zur Zulässigkeit der außerordentlichen Revision aus, dass die 172 Einwohner der Gemeinde St. Sigmund im Sellrain zur Gänze dem Kundenpotenzial der Apotheke Kematen zuzurechnen seien, weil der Arzt, der in dieser Gemeinde eine Hausapotheke betreibe, über keine Kassenverträge verfüge, sodass eine direkte Verrechnung der Rezepte mit den Krankenkassen nicht möglich sei. Eine derartige Hausapotheke sei nicht geeignet, den Arzneimittelbedarf der Bevölkerung zu sichern. Weiters wird dazu ausgeführt, dass der hausapothekenführende Arzt außerhalb der Wintersaison seine Ordination nur einmal pro Woche für drei Stunden geöffnet habe. Dies sei für die vorliegende Entscheidung relevant, weil bei Berücksichtigung aller 172 Einwohner der Gemeinde St. Sigmund im Sellrain das Kundenpotenzial der Apotheke Kematen - unter Zugrundelegung der Ansicht des Verwaltungsgerichtes - mehr als 5500 ständige Einwohner ausmache.

Dem Revisionswerber ist zuzugestehen, dass keine Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu der Frage besteht, ob die Hausapotheke eines Arztes ohne Kassenverträge im Apothekenkonzessionsverfahren als für die Versorgung der Bevölkerung relevante Arzneimittelabgabestelle zu berücksichtigen ist.

Dieser Frage kommt jedoch aus folgenden Gründen keine Relevanz für das gegenständliche Verfahren zu:

Im Fall einer meritorischen Behandlung der gegenständlichen Revision hätte der Verwaltungsgerichtshof jedenfalls auch die in der Revisionsbeantwortung aufgeworfenen grundsätzlich bedeutsamen Rechtsfragen aufzugreifen. Im vorliegenden Fall bringt der Mitbeteiligte in der Revisionsbeantwortung vor, dass das Verwaltungsgericht insofern von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen sei, als es für die Zuordnung der Bevölkerung des hinteren Sellraintales ab dem Kreuzungspunkt der Sellrainer Landesstraße mit der Oberperfer Straße als Kundenpotenzial einer Apotheke nicht auf die kürzeste Straßenentfernung abgestellt habe.

Damit zeigt der Mitbeteiligte ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auf. Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes hat sich die gemäß § 10 Abs. 2 Z. 3 ApG durchzuführende Bedarfsprüfung auf eine prognostische Zuordnung konkreter Kundenpotenziale zu den beteiligten Apotheken zu gründen. Die Behörde hat daher festzustellen, wie viele der ständigen Einwohner im Umkreis von vier Straßenkilometern um die Betriebsstätte der bestehenden öffentlichen Apotheke nach Errichtung der geplanten Apotheke ihren Arzneimittelbedarf auf Grund der örtlichen Verhältnisse voraussichtlich weiterhin aus der bestehenden öffentlichen Apotheke decken werden. Diese unter den Gesichtspunkten der räumlichen Nähe und leichteren Erreichbarkeit vorzunehmende Zuordnung hat in erster Linie anhand der Straßenentfernung zur bestehenden öffentlichen Apotheke im Vergleich zur beantragten Apotheke zu erfolgen (vgl. etwa die Erkenntnisse vom 26. März 2007, Zl. 2005/10/0049, und vom 31. Juli 2009, Zl. 2007/10/0124). Gemäß § 10 Abs. 5 ApG sind bei der Bedarfsprüfung auch jene Personen außerhalb des Vier-Kilometer-Umkreises zu berücksichtigen, "die auf Grund der Beschäftigung, der Inanspruchnahme von Einrichtungen und des Verkehrs in diesem Gebiet" zu versorgen sind, wobei die Annahme, es würden sich

Personen im Sinn dieser Bestimmung "auf Grund ... des Verkehrs"

der nächstgelegenen Arzneimittelabgabestelle bedienen, dann gerechtfertigt ist, wenn dem nicht besondere Gründe entgegen stehen (vgl. etwa die Erkenntnisse vom 14. März 2008, Zl. 2006/10/0258, und vom 21. Mai 2008, Zl. 2007/10/0029). Zur Ermittlung der somit primär maßgeblichen kürzesten Straßenentfernung zwischen Wohnsitz und Apothekenbetriebsstätte ist auf ganzjährig befahrbare Straßen abzustellen, wobei der ganzjährigen Befahrbarkeit weder der Umstand, dass die Straße steil und gefährlich ist, noch die Notwendigkeit, in den Wintermonaten zeitweise Ketten anzulegen, entgegen steht (vgl. etwa das zu § 29 Abs. 1 ApG ergangene, aber auch hier maßgebliche Erkenntnis vom 3. Juli 2000, Zl. 98/10/0161). Bei der Bedarfsprüfung nach § 10 ApG kommt es auf das nach objektiven Umständen zu erwartende und nicht auf das von subjektiven Gesichtspunkten mitbestimmte tatsächliche Kundenverhalten an (vgl. etwa das bereits zitierte Erkenntnis vom 21. Mai 2008, Zl. 2007/10/0029).

Der für die Zuordnung der Einwohner des hinteren Sellraintales ab dem Kreuzungspunkt der Sellrainer Landesstraße mit der Oberperfer Straße maßgebliche objektive Umstand ist die jeweils kürzeste Straßenentfernung zur Apothekenbetriebsstätte. Nach den unstrittigen Feststellungen des Verwaltungsgerichts ist für diese Einwohner die Straßenentfernung zur Betriebsstätte der neu beantragten Apotheke kürzer als zur Apotheke Kematen. Nach dem Kriterium der kürzesten Straßenentfernung sind die genannten Personen daher dem Kundenpotenzial der neu beantragten Apotheke in Oberperfuss zuzuordnen. Der Umstand, dass für die Anfahrt zu dieser Apotheke eine steilere, kurvenreichere und häufiger von Häusern gesäumte Straße zu befahren ist, mag zwar für Personen subjektiv ausschlaggebend dafür sein, den etwas weiteren Weg zu Apotheke Kematen zu wählen, stellt aber objektiv keinen besonderen Grund dar, der es rechtfertigen könnte, die Einwohner des hinteren Sellraintales der weiter entfernten Apotheke Kematen als Kundenpotenzial zuzuordnen.

Das Verwaltungsgericht hat daher u.a. die Einwohner der Gemeinde St. Sigmund im Sellrain entgegen der hg. Judikatur dem der Apotheke Kematen verbleibenden Kundenpotenzial zugeordnet.

Wie oben dargestellt, wäre bei einem meritorischen Eingehen auf die Revision auch diese Rechtswidrigkeit aufzugreifen. Sind jedoch die Einwohner der Gemeinde St. Sigmund im Sellrain nicht dem der Apotheke Kematen verbleibenden Kundenpotenzial zuzurechnen, so kommt es auf die zur Zulässigkeit der Revision ins Treffen geführte Rechtsfrage, ob ein Teil dieser Einwohner durch die Hausapotheke eines Arztes ohne Kassenverträge mit Medikamenten versorgt wird, nicht an.

Da somit in der vorliegenden außerordentlichen Revision keine für die Lösung des gegenständlichen Falles relevante Rechtsfrage aufgeworfen wird, der im Sinn von Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme, war die Revision durch einen gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat zurückzuweisen.

Wien, am 30. September 2015

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