Normen
ABGB §273;
AVG §11;
AVG §56 impl;
AVG §56;
AVG §9;
VStG §24;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
ZustG §13 Abs1;
ABGB §273;
AVG §11;
AVG §56 impl;
AVG §56;
AVG §9;
VStG §24;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
ZustG §13 Abs1;
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Oberösterreich hat dem Revisionswerber Aufwendungen in Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Schreiben vom 18. Dezember 2013 beantragte die Sachwalterin des Revisionswerbers die "Neuzustellung" eines näher bezeichneten Strafbescheides der Bezirkshauptmannschaft Gmunden an sie als Sachwalterin des Revisionswerbers. In diesem Antrag führte sie aus, dass gegen den Revisionswerber (vor der Sachwalterbestellung) ein Bescheid in einem Verwaltungsstrafverfahren ergangen sein solle. Dieser Bescheid sei an den Revisionswerber persönlich adressiert und zugestellt worden. In einem im Sachwalterschaftsverfahren eingeholten psychiatrischen Sachverständigengutachten seien beim Revisionswerber eine leichte Intelligenzminderung mit Gedächtnis-, Merkfähigkeits- und Konzentrationsstörungen und eine leichtgradige Herabsetzung der intellektuellen Merkfähigkeit und Verhaltensstörungen festgestellt worden. Der Revisionswerber sei im Zeitpunkt der Zustellung des gegenständlichen Strafbescheids nicht prozessfähig gewesen und die Zustellung sei daher rechtsunwirksam. Dem Antrag legte die Sachwalterin die Bestellungsurkunde bei, aus der hervorgeht, dass sie unter anderem die Vertretung vor Gerichten, Behörden und Sozialversicherungsträgern zu besorgen hat.
Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Gmunden vom 11. April 2014 wurde der Antrag auf Neuzustellung des Bescheides abgewiesen.
Gegen diesen Bescheid erhob der von der Sachwalterin vertretene Revisionswerber Beschwerde an das Verwaltungsgericht.
Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis wurde "der Beschwerde insoweit stattgegeben, als der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben" und der Antrag auf Neuzustellung des Straferkenntnisses als unzulässig zurückgewiesen wurde. Ebenso wurde der Antrag, der Behörde die Neuzustellung des Straferkenntnisses aufzutragen, als unzulässig zurückgewiesen.
Das Verwaltungsgericht sprach aus, dass gemäß § 25a VwGG gegen dieses Erkenntnis eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig ist.
Das Verwaltungsgericht führte aus, dass nach der Aktenlage einiges dafür spreche, dass der Revisionswerber zum Zeitpunkt der Verkündung des Strafbescheids nicht prozessfähig gewesen sei, weil die Umstände, die zwischenzeitig zur Besachwalterung des Revisionswerbers geführt haben, seit seiner Geburt vorliegen dürften.
Treffe das Vorbringen des Revisionswerbers in Bezug auf seine Prozessunfähigkeit zu, habe dies zur Folge, dass das Straferkenntnis nie existent geworden sei. Ein Anspruch des Revisionswerbers, dass über ihn ein Straferkenntnis gefällt werde, sei in der Rechtsordnung jedoch nicht vorgesehen. Vielmehr habe der Gesetzgeber verschiedene Verjährungsbestimmungen geschaffen, welche die Dauer eines Verwaltungsstrafverfahrens begrenzten. Ein Antrag auf Zustellung eines Straferkenntnisses sei daher grundsätzlich (im Einparteienverfahren) nicht inhaltlich zu behandeln gewesen, sondern wäre von der belangten Behörde zurückzuweisen gewesen.
Nichts anderes könne für den Fall gelten, dass der Revisionswerber entgegen seinem Vorbringen zum Zeitpunkt der Verkündung des Straferkenntnisses doch prozessfähig gewesen sei. Diesfalls sei das Straferkenntnis durch die Abgabe eines Rechtsmittelverzichts unmittelbar nach Verkündung in Rechtskraft erwachsen. Ein Anspruch auf neuerliche Zustellung des Straferkenntnisses sei jedoch in der Rechtsordnung ebenfalls nicht vorgesehen bzw. würde selbst eine dennoch vorgenommene neuerliche Zustellung keine Rechtswirkungen zeitigen. Egal ob man von der Prozessfähigkeit des Revisionswerbers im Zeitpunkt der Verkündung des diesem Verfahren zugrunde liegenden Straferkenntnisses ausgehe oder diese verneine, sei der Antrag des Revisionswerbers daher von der Bezirkshauptmannschaft Gmunden als unzulässig zurückzuweisen gewesen.
Das Verwaltungsgericht habe vor diesem Hintergrund den angefochtenen Bescheid zu beheben und in der Sache durch Zurückweisung zu entscheiden gehabt. Aufgrund der dargelegten Überlegungen sei zudem der Antrag, der Behörde die Neuzustellung des in Rede stehenden Straferkenntnisses aufzutragen, zurückzuweisen gewesen. Abschließend merkte das Verwaltungsgericht an, dass der Revisionswerber, sollte er weiterhin der Ansicht sein, bereits am 27. November 2012 (der Tag, an dem das Straferkenntnis mündlich verkündet worden sei) nicht prozessfähig gewesen zu sein, in einem allfälligen Exekutionsverfahren einwenden könne, dass ein vollstreckbarer Titel nicht vorliege. Sollte die belangte Behörde jedoch ihre bisherige Rechtsauffassung überdenken, und den Revisionswerber als am 27. November 2012 nicht prozessfähig ansehen, sei eine (nicht neuerliche sondern erstmalige) Zustellung an den Revisionswerber im Wege seines Sachwalters vorzunehmen.
Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber außerordentliche Revision und beantragte, der Verwaltungsgerichtshof möge nach Zulassung der Revision das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, in eventu wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufheben. Das Verwaltungsgericht legte aufgrund der Aufforderung durch den Verwaltungsgerichtshof die Akten des Verfahrens vor, die Bezirkshauptmannschaft Gmunden erstattete keine Revisionsbeantwortung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Der Revisionswerber macht zur Zulässigkeit der Revision geltend, dass das Verwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen sei. Der Verwaltungsgerichtshof habe in einem gleich gelagerten Fall mit Erkenntnis vom 25. Juni 2000, Zl. 97/02/0186, ausgesprochen, dass dem Antrag auf Neuzustellung von Bescheiden an im Zustellungszeitpunkt prozessunfähige Personen stattzugeben sei.
Das Verwaltungsgericht sei auch von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, wonach es bei Auslegung eines Parteienantrages nicht auf die Bezeichnung durch den Einschreiter alleine ankomme, sondern das Anbringen unter Berücksichtigung der konkreten gesetzlichen Regelung, des Verfahrenszweckes und der Aktenlage verstanden werden müsse. Das Verwaltungsgericht habe ausschließlich davon gesprochen, dass die Sachwalterin eine "Neuzustellung" eines noch nicht wirksam zugestellten Bescheides erreichen habe wollen. Richtigerweise hätte das Verwaltungsgericht bei der Auslegung des Parteienantrages nicht auf die Bezeichnung durch den Revisionswerber alleine abstellen dürfen, sondern das Anbringen unter Berücksichtigung der konkreten gesetzlichen Regelungen, des Verfahrenszweckes und der Aktenlage zu beurteilen gehabt oder bei Unklarheiten zumindest eine Klärung des Beantragten herbeiführen müssen. Tatsächlich habe jedoch ohnehin kein Klärungsbedarf vorgelegen, weil das Verfahrensziel des Sachwalters, der eine Überprüfung der Handlungsfähigkeit und Aufhebung des scheinbar rechtskräftigen Straferkenntnisses habe erreichen wollen, außer Zweifel stehe.
2. Die Revision ist aus den dargelegten Gründen zulässig und berechtigt.
Vorweg ist festzuhalten, dass nach dem Spruch des angefochtenen Erkenntnisses der Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Gmunden zwar "ersatzlos behoben" (erster Teil des Spruchpunkts I.), zugleich aber der Antrag des Revisionswerbers zurückgewiesen wurde (zweiter Teil des Spruchpunkts I.), womit das Verwaltungsgericht im Ergebnis in der Sache selbst entschieden hat, wie dies auch in der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses klar zum Ausdruck kommt ("Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hatte vor diesem Hintergrund den angefochtenen Bescheid zu beheben und in der Sache durch Zurückweisung zu entscheiden."). Ungeachtet der Verwendung des Wortes "ersatzlos" im Spruch ist das angefochtene Erkenntnis daher dahin zu verstehen, dass damit auf Grund der Berufung des Revisionswerbers die Entscheidung der Bezirkshauptmannschaft Gmunden dahin abgeändert wurde, dass über den verfahrenseinleitenden Antrag nicht inhaltlich abgesprochen, sondern dieser als unzulässig zurückgewiesen wurde.
Für die prozessuale Handlungsfähigkeit einer Partei ist entscheidend, ob die Partei im Zeitpunkt der betreffenden Verfahrensabschnitte in der Lage war, Bedeutung und Tragweite des Verfahrens und der sich in ihm ereignenden prozessualen Vorgänge zu erkennen, zu verstehen und sich den Anforderungen eines derartigen Verfahrens entsprechend zu verhalten (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 19. September 2000, Zl. 2000/05/0012, mwN). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. zB die hg. Erkenntnisse vom 23. April 1996, Zl. 95/11/0365, und vom 20. Februar 2002, Zl. 2001/08/0192) wirkt eine Sachwalterbestellung insofern konstitutiv, als ab ihrer Wirksamkeit die Prozess- und Handlungsfähigkeit im dort umschriebenen Ausmaß keinesfalls mehr gegeben ist (vgl. das vorzitierte hg. Erkenntnis vom 19. September 2000, Zl. 2000/05/0012). Über den Zeitraum vor der Sachwalterbestellung ist aus dem Umstand einer solchen Bestellung zu gewinnen, dass sich begründete Bedenken gegen die in Rede stehenden Fähigkeiten der betreffenden Person ergeben (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. April 1996, Zl. 95/11/0365). Für die Zeit vor Sachwalterbestellung ist daher zu prüfen, ob der Revisionswerber schon damals nicht mehr prozessfähig gewesen ist. Das Fehlen der Prozessfähigkeit ist in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. September 2000, Zl. 2000/05/0012). In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass eine an einen Handlungsunfähigen vorgenommene Zustellung keine Rechtswirkungen auslöst (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. Juni 1999, Zl. 97/02/0186), wobei es für die Frage der Wirksamkeit einer Zustellung darauf ankommt, ob der Zustellungsempfänger handlungsfähig war, und nicht darauf, ob für ihn bereits ein Sachwalter bestellt worden ist (vgl. erneut das hg. Erkenntnis vom 19. September 2000, Zl. 2000/05/0012).
3. Wie der Revisionswerber zutreffend ausführt, kommt es weiters bei der Ermittlung von Rechtsqualität und Inhalt eines Anbringens nicht auf die Bezeichnung durch den Einschreiter, sondern auf den Inhalt der Eingabe, also auf das daraus erkenn- und erschließbare Ziel des Einschreiters an. Entscheidend ist, wie das Erklärte, also der Wortlaut des Anbringens unter Berücksichtigung der konkreten gesetzlichen Regelung, des Verfahrenszwecks und der Aktenlage objektiv verstanden werden muss. Im Zweifel darf nicht davon ausgegangen werden, dass eine Partei einen von vornherein sinnlosen oder unzulässigen Antrag gestellt hat (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 19. Jänner 2011, Zl. 2009/08/0058, und vom 19. März 2013, Zl. 2012/21/0082).
4. Im gegenständlichen Fall hat der Revisionswerber dargelegt, dass er zum Zeitpunkt der Verkündung des Strafbescheides vom 27. November 2012 nicht durch einen Sachwalter vertreten war und erst in weiterer Folge ein solcher für ihn bestellt wurde. Er hat zudem die diesbezüglichen Beschlüsse des Bezirksgerichts vorgelegt und die Gründe für die Bestellung angegeben. Auch hat der Revisionswerber ausgeführt, dass er der Ansicht sei, der gegenständliche Strafbescheid der Behörde erster Instanz sei ihm gegenüber aufgrund mangelnder Handlungsfähigkeit nicht rechtswirksam zugestellt worden.
Die Bezirkshauptmannschaft Gmunden hat über dieses Anbringen inhaltlich entschieden und den Antrag abgewiesen, weil sie zum Ergebnis gekommen ist, dass der Revisionswerber zum Zeitpunkt der Erlassung des Straferkenntnisses prozessfähig gewesen sei. Sie hat auch festgestellt, dass mit dem Revisionswerber hinsichtlich der Strafe "eine Ratenzahlung vereinbart" worden sei und er in den Monaten Februar 2013 bis September 2013 monatlich 100 Euro entrichtet habe. Dass zur Einbringung des Strafrestes bereits Vollstreckung geführt - und gegebenenfalls Beschwerde gegen die Vollstreckungsverfügung erhoben worden wäre, um auf diesem Wege zu klären, ob der Revisionswerber im Zeitpunkt der Erlassung des Titelbescheides prozessfähig war (vgl. dazu die hg. Erkenntnisse vom 19. September 2000, Zl. 2000/05/0012, und vom 27. Februar 2006, Zl. 2004/05/0326) -, wurde nicht festgestellt.
5. Wie schon die Bewilligung von Teilzahlungen durch die Verwaltungsstrafbehörde zeigte, ging diese von einer wirksamen Zustellung des Strafbescheides aus. Vor diesem Hintergrund kann - in Verbindung mit der nachfolgenden Sachwalterbestellung - ein rechtliches Interesse des Revisionswerbers an der Klärung der Frage, ob der Strafbescheid wirksam zugestellt wurde, nicht verneint werden (vgl. zu einer derartigen Feststellung die hg. Erkenntnisse vom 23. April 1996, Zl. 95/11/0365 und vom 2. August 1996, Zl. 95/02/0508).
In diesem Sinn ist der Verwaltungsgerichtshof daher auch in dem vom Revisionswerber zitierten Erkenntnis vom 25. Juni 2000, Zl. 97/02/0186, zu einem vergleichbaren Sachverhalt (in dem ein Sachwalter die neuerliche Zustellung eines Bescheides beantragt hatte, der vor der Sachwalterbestellung an die davon betroffene Person ergangen war) zum Ergebnis gekommen, dass die dort belangte Behörde nähere Ermittlungen darüber hätte anstellen müssen, ob die Handlungsfähigkeit im Zeitpunkt der Zustellung des Straferkenntnisses gegeben war.
Zwar trifft es zu, dass der Beschuldigte im Verwaltungsstrafverfahren vor der Verwaltungsstrafbehörde keinen Rechtsanspruch hat, dass ihm gegenüber ein Strafbescheid erlassen werde. Dies ändert jedoch nichts daran, dass der Revisionswerber im hier vorliegenden Fall, in dem der Strafbescheid zumindest insofern bereits faktische Wirkungen entfaltet hat, als Teilzahlung bewilligt wurde und der Revisionswerber mehrere Teilzahlungen geleistet hat, und in dem auf Grund der später erfolgten Sachwalterbestellung Bedenken auch gegen die Prozessfähigkeit zum Zeitpunkt der Verkündung bestehen, ein rechtliches Interesse zumindest an der Feststellung hat, ob eine rechtswirksame Zustellung erfolgt ist. Einer dahingehenden Auslegung ist der Antrag des Revisionswerbers auch zugänglich.
6. Das Verwaltungsgericht hätte daher im Sinne des bereits zitierten hg. Erkenntnisses vom 25. Juni 2000, Zl. 97/02/0186, zu prüfen gehabt, ob die Handlungsfähigkeit des Revisionswerbers zum Zeitpunkt der Verkündung des Strafbescheides gegeben war. Indem es dies unterlassen hat, hat es das angefochtene Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet, weshalb dieses gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufzuheben war.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013 in der Fassung BGBl. II Nr. 8/2014.
Wien, am 6. Juli 2015
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