VwGH AW 2011/03/0022

VwGHAW 2011/03/002221.11.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat über den Antrag 1. des Dr. E,

2. des H und 3. des R, alle vertreten durch C H Rechtsanwälte GmbH, der gegen den Bescheid der Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie vom 27. Mai 2011, Zl BMVIT- 820.288/0017-IV/SCH2/2011, betreffend Umweltverträglichkeitsprüfung und teilkonzentriertes Genehmigungsverfahren iA "Semmering-Basistunnel neu", (mitbeteiligte Partei: ÖBB-Infrastruktur AG in Wien, vertreten durch W & Z Rechtsanwälte OG), erhobenen (zur hg Zl 2011/03/0164 protokollierten) Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, den Beschluss gefasst:

Normen

UVPG 2000 §24 Abs1;
VwGG §30 Abs2;
UVPG 2000 §24 Abs1;
VwGG §30 Abs2;

 

Spruch:

Gemäß § 30 Abs 2 VwGG wird dem Antrag nicht stattgegeben.

Begründung

1. Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde der mitbeteiligten Partei gemäß § 24 Abs 1 Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz 2000 (UVP-G 2000) unter Mitanwendung weiterer angeführter gesetzlicher Bestimmungen die Genehmigung nach dem 3. Abschnitt des UVP-G 2000 zur Verwirklichung des Vorhabens "Semmering-Basistunnel neu" von km 75,561 bis km 118,122 der ÖBB-Strecke Wien Süd - Spielfeld/Straß erteilt.

Dies nach Durchführung der Umweltverträglichkeitsprüfung und des teilkonzentrierten Genehmigungsverfahrens, nach Maßgabe der vorgelegten Projektunterlagen und Gutachten, des Umweltverträglichkeitsgutachtens, des unter Spruchpunkt II. angeführten Sachverhalts, der im Spruchpunkt III. angeführten Nebenbestimmungen (Auflagen, Bedingungen und Befristungen) sowie der unter Spruchpunkt V. angeführten mitangewendeten materiellen Genehmigungsbestimmungen (Rechtsgrundlagen) erteilt (Spruchpunkt A, Punkt I.1.; unter Spruchpunkt B wurden der mitbeteiligten Partei Kommissionsgebühren des Bundes vorgeschrieben).

2. Mit der gegen diesen Bescheid gerichteten Beschwerde ist der Antrag verbunden, ihr aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Dieser Antrag wird (zusammengefasst) wie folgt begründet: Die ÖBB-Strecke Wien Süd - Spielfeld/Straß sei nicht als prioritäre Bahnstrecke im transeuropäischen Eisenbahnnetz (TEN) qualifiziert, weshalb auf Grund der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung beispielsweise auch keine TEN-Bauzuschüsse verloren gingen und das öffentliche Interesse an der Verwirklichung des Vorhabens mangels der zentralen europäischen, aber auch nationalen verkehrspolitischen Bedeutung nicht gegeben sei. Angesichts der Weiterbenützung der existierenden Bahnstrecke seien auch keine Einschränkungen im täglichen Bahnverkehr zu erwarten. Die Beschwerdeführer hätten im Genehmigungsverfahren (auch durch Vorlage von gutachterlichen Stellungnahmen) mehrfach vorgebracht, dass der für die Deponie ausgewählte Standort L - auf den sich die Beschwerde maßgeblich bezieht - nicht genehmigungsfähig sei. Dieser Standort verstoße offenkundig gegen deponierechtliche Bestimmungen betreffend die Standsicherheit, sodass er überhaupt nicht sicher und insbesondere nicht umweltverträglich sei. Die Deponie liege unzweifelhaft in einem ausgewiesenen Hochwasserschutzgebiet. Zudem seien die Standsicherheitsnachweise der Deponie (trotz der Tatsache, dass es sich um ein tektonisch geprägtes Gebirge handle) in Bezug auf den Basisdamm lediglich mit einer verringerten Referenzbeschleunigung von 1 m/s2 berechnet worden, obwohl die mitbeteiligte Partei selbst einen Referenzwert von 1,39 m/s2 angenommen habe, weiters seien für den Nachweis der Standortsicherheit nicht alle Lastfälle geprüft worden. Diesbezüglich seien die Bestimmungen des § 21 der Deponieverordnung 2008 von der belangten Behörde mehrfach unrichtig angewendet worden.

Auf diese Fakten sei die belangte Behörde in ihren Bescheidfeststellungen nicht bzw nur oberflächlich eingegangen. Den Beschwerdeführern entstehe durch die Errichtung der Deponie ein unverhältnismäßiger Nachteil. Durch die Errichtung der unsicheren Deponie werde die Liegenschaft der Beschwerdeführer unwiderruflich durch Sickerwässer versetzt, die den Boden und vor allem auch das Grundwasser nachhaltig schädigten. Zudem entstünden bereits durch die Vorbereitungsarbeiten für die Errichtung der Deponie nachteilige und unumkehrbare Veränderungen an der Liegenschaft. Die Liegenschaft müsse zuerst gerodet werden, damit überhaupt weitere Schritte zur Errichtung der Deponie gesetzt werden könnten. Auch wenn das Beschwerdeverfahren mit der Aufhebung des angefochtenen Bescheides enden sollte, sei ein Rückgängigmachen der Rodung des alten Baumbestandes und somit eine ordnungsgemäße Nutzung der Liegenschaft nicht mehr möglich.

Der Standort sei zudem völlig intransparent und auf Grund von nicht mehr nachvollziehbaren Parametern ausgewählt worden, sodass schon an sich nicht nachvollzogen werden könne, worin die umweltrelevanten Vorteile dieses Standortes gegenüber den anderen untersuchten Standorten liege. Auch dadurch erführen die Beschwerdeführer schon per se einen unverhältnismäßigen Nachteil. Durch die Errichtung der Deponie komme es zu einer Grundinanspruchnahme von ca 9 ha, dazu werde den Beschwerdeführern die einzige vorhandene und von ihnen benützte Forststraße (ca 4 km) gänzlich entzogen. Dies alles auf Basis eines absolut nicht nachvollziehbaren und daher nicht UVP-G 2000-konformen Standortauswahlprozesses. Schon aus diesem Grund führe die Errichtung der Deponie zu einem unverhältnismäßigen Nachteil iSd § 30 Abs 2 VwGG, da auf Basis des festgestellten Sachverhalts nicht einmal nachvollzogen werden könne, ob die Genehmigungsvoraussetzungen des § 24 f leg cit überhaupt tatsächlich erfüllt worden seien.

Zudem sei gerade das von den Beschwerdeführern mehrfach angeführte Argument, dass die Errichtung einer Deponie gar nicht notwendig sei, inhaltlich unbeachtet geblieben. Der Tunnelausbruch könne auch zu bereits existierenden Deponien in der Umgebung verfrachtet werden, diese Deponien seien zum Teil sogar für den Tunnelausbruch des Semmering Basistunnels abfallwirtschaftsrechtlich bewilligt worden. Diesen Überlegungen sei die belangte Behörde lediglich mit dem Argument entgegengetreten, dass eine Verfrachtung des Tunnelausbruchs aus dem F-Tal zu bestehenden Deponien zu einer unzumutbaren Belastung für die Bewohner von S führen würde, weil der Transport des Tunnelausbruchs durch diesen Wohnort zu erfolgen hätte. Unerwähnt bleibe aber von der belangten Behörde, dass auch im Fall der Errichtung des Standortes L 1,5 Millionen m3 Tunnelausbruch per LKW durch den Ort S transportiert würden.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes könne im Regelfall davon ausgegangen werden, dass die Beurteilung der Unverhältnismäßigkeit des Eingriffs iSd § 30 Abs 2 VwGG auf Basis der Sachverhaltsannahme und des angefochtenen Bescheides vorzunehmen sei (vgl etwa den Beschluss vom 25. Juni 2010, Zl AW 2010/03/0022). Dies sei im vorliegenden Fall aber gar nicht möglich. Die Bescheidfeststellungen in Bezug auf die Standortauswahl der Deponie und die Umweltverträglichkeit dieses Standortes (also gerade die Aspekte der Standsicherheit der Deponie) seien so mangelhaft, dass derzeit noch in keiner Weise abgesehen werden könne, ob es mit der Verwirklichung des Vorhabens der mitbeteiligten Partei zu nicht mehr leicht zu beseitigenden gravierenden Eingriffen komme (massive Gefährdung der Standsicherheit der Deponie und die damit verbundenen Auswirkungen). Auf Basis der unvollständigen Bescheidfeststellungen sei gar nicht überprüfbar, ob die Möglichkeit nachteiliger Einwirkungen die Schwelle der Unverhältnismäßigkeit überschreite, sodass man schon auf Grund des unvollständig festgestellten Sachverhalts jedenfalls von einem unverhältnismäßigen Nachteil ausgehen müsse.

Der Verwaltungsgerichtshof müsse auf dem Boden der §§ 41 und 42 VwGG im gegenständlichen Verfahren in einer mit einem gerichtlichen Verfahren vergleichbaren und wirksamen Weise die Tatsachengrundlagen erarbeiten. Folglich müsse er das Beschwerdeverfahren auch auf der Tatsachenebene durchführen, um überhaupt zu einem Ergebnis kommen zu können. Solange dies nicht erfolgt sei, müsse davon ausgegangen werden, dass durch die Verwirklichung des Vorhabens der den Beschwerdeführern entstehende Nachteil jedenfalls als unverhältnismäßig im Verhältnis zu den öffentlichen Interessen, die die mitbeteiligte Partei mit ihrem Vorhaben verfolge, erweise, da ja derzeit gar nicht beurteilt sei, inwieweit die Folgen des Eingriffs im Fall der Aufhebung des angefochtenen Bescheides wieder beseitigt werden könnten. Der Verwaltungsgerichtshof habe als Gericht im Sinn des Art 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union im Hinblick auf das Gebot des effektiven Rechtschutzes auch einen ausreichenden vorläufigen Rechtschutz zu gewährleisten, um die volle Wirksamkeit der späteren Gerichtsentscheidung zu gewährleisten. Nach der Judikatur des Gerichtshofes der Europäischen Union könne der Richter vorläufige Maßnahmen treffen, wenn ihre Notwendigkeit in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht glaubhaft gemacht sei und wenn feststehe, dass sie in dem Sinn dringlich seien, dass sie zur Verwirklichung eines schweren und nicht wieder gut zu machenden Schadens für die Interessen des Antragstellers bereits vor der Entscheidung der Hauptsache erlassen werden und ihre Wirkungen entfalten müssen. Im vorliegenden Fall hätten die beschwerdeführenden Parteien sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht glaubhaft gemacht, dass die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung notwendig sei, um einen schweren und nicht wieder gut zu machenden Schaden für sie zu verhindern. Auf Grund der mangelhaften und unvollständigen Bescheidfeststellung sei (wie erwähnt) derzeit nicht absehbar, ob das Vorhaben überhaupt die Voraussetzungen des § 24 f Abs 1 UVP-G 2000 erfülle, sodass in rechtlicher Hinsicht glaubhaft gemacht worden sei, dass nur durch die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung ein schwerer und nicht wieder gut zu machender Schaden zu verhindern sei. Die Beschwerdeführer hätten in tatsächlicher Hinsicht glaubhaft gemacht, dass die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen sei, um einen irreparablen Schaden zu vermeiden. Durch die Verwirklichung des Vorhabens werde auch die den Standsicherheitserfordernissen nicht entsprechende Deponie errichtet, von welcher nicht mehr rückgängig zu machende, erhebliche und nachhaltig Emissionen im Grundwasser zu erwarten seien. Es überwögen unzweifelhaft die Interessen der Beschwerdeführer. Nur durch die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung könnten unumkehrbare Folgen der Verwirklichung des Vorhabens und somit ein schwerer und nicht wieder gut zu machender Schaden verhindert werden.

3. In ihrer Stellungnahme dazu ging die belangte Behörde auf die Argumente der beschwerdeführenden Parteien im Einzelnen ein und beantragte, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung nicht zuzuerkennen. Gleiches gilt für die von der mitbeteiligten Partei erstattete Stellungnahme.

4. Gemäß § 30 Abs 1 VwGG kommt den Beschwerden eine aufschiebende Wirkung kraft Gesetzes nicht zu. Der Verwaltungsgerichtshof hat jedoch gemäß § 30 Abs 2 VwGG dem Antrag des Beschwerdeführers die aufschiebende Wirkung mit Beschluss zuzuerkennen, insoweit dem zwingende öffentliche Interessen nicht entgegenstehen und nach Abwägung aller berührten Interessen mit dem Vollzug des Bescheides für den Beschwerdeführer ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre.

Im Verfahren über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung hat der Verwaltungsgerichtshof die Rechtmäßigkeit des vorliegend angefochtenen Bescheides nicht zu prüfen (vgl uva etwa den hg Beschluss vom 5. Oktober 2011, Zl AW 2011/03/0031). Auch vermag der Gerichtshof im vorliegenden Provisorialverfahren die im angefochtenen Bescheid enthaltenen, bei der Beweiswürdigung durch die belangte Behörde angestellten Erwägungen nicht etwa von Vornherein - auch nicht im Hinblick auf das Antragsvorbringen (insbesondere betreffend unvollständige Ermittlungsergebnisse) - als unschlüssig zu erkennen. Damit kann nicht gesagt werden, dass das diesbezüglich erstattete Beschwerdevorbringen von vornherein als zutreffend zu erkennen wäre. Der Verwaltungsgerichtshof hat im vorliegenden Zusammenhang daher zunächst von den Annahmen der belangten Behörde (vgl dazu etwa den hg Beschluss vom 20. Oktober 2010, Zl AW 2010/07/0037, mwH) und davon auszugehen, dass mit der Ausübung der im Bescheid eingeräumten Berechtigung unter Beachtung der vorgeschriebenen Auflagen durch die mitbeteiligte Partei für die beschwerdeführenden Parteien ein unverhältnismäßiger Nachteil nicht verbunden ist (vgl etwa den hg Beschluss vom 15. April 2011, Zl AW 2010/10/0049). Vor diesem Hintergrund kann auch nicht gesagt werden, dass von den antragstellenden Parteien die Notwendigkeit vorläufiger Maßnahmen - wie von ihnen argumentiert wird - in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht glaubhaft gemacht worden sei. Die Rechtmäßigkeit des bekämpften Bescheides bleibt im ordentlichen Verfahren zu prüfen (vgl auch den schon zitierten Beschluss Zl AW 2010/07/0037, mwH).

5. Dem Antrag musste daher im Grunde des § 30 Abs 2 VwGG ein Erfolg versagt bleiben.

Wien, am 21. November 2011

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