VwGH AW 2010/03/0022

VwGHAW 2010/03/002225.6.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat über den Antrag der Salzburger Landesumweltanwaltschaft, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt, der gegen den Bescheid der Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie vom 2. März 2010, Zl BMVIT-820.295/0002- IV/SCH2/2010, betreffend Umweltverträglichkeitsprüfung und teilkonzentriertes Genehmigungsverfahren (mitbeteiligte Partei:

ÖBB-Infrastruktur AG in Wien, vertreten durch W & Z Rechtsanwälte OG), erhobenen Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, den Beschluss gefasst:

Normen

UmweltschutzG Stmk 1988 §6 Abs2;
UVPG 2000 §23b Abs1 Z2;
UVPG 2000 §24 Abs1;
UVPG 2000 §24f Abs1;
UVPG 2000 §24f Abs1a;
UVPG 2000 §24f Abs2;
UVPG 2000 §24f Abs3;
UVPG 2000 §24f Abs5;
UVPG 2000 §24f Abs8;
UVPG 2000 §46 Abs20 Z1;
VwGG §30 Abs2;
UmweltschutzG Stmk 1988 §6 Abs2;
UVPG 2000 §23b Abs1 Z2;
UVPG 2000 §24 Abs1;
UVPG 2000 §24f Abs1;
UVPG 2000 §24f Abs1a;
UVPG 2000 §24f Abs2;
UVPG 2000 §24f Abs3;
UVPG 2000 §24f Abs5;
UVPG 2000 §24f Abs8;
UVPG 2000 §46 Abs20 Z1;
VwGG §30 Abs2;

 

Spruch:

Gemäß § 30 Abs. 2 VwGG wird dem Antrag stattgegeben.

Begründung

1. Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde der mitbeteiligten Partei gemäß § 23b Abs 1 Z 2 Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz 2000 (UVP-G 2000) iVm § 46 Abs 20 Z 1 und §§ 24 Abs 1, 24f Abs 1, Abs 1a, Abs 2, Abs 3 und Abs 5 UVP-G 2000 die Genehmigung für das Vorhaben "ÖBB-Strecke Schwarzach/St. Veit - Villach Hbf. Steinbach-Angertal Abschnitt Schlossbachgraben - Angertal km 24,602 bis km 26,306" nach Maßgabe von Projektsunterlagen und Gutachten sowie unter Einhaltung näherer "Vorschreibungen" erteilt.

2. Mit der gegen diesen Bescheid gerichteten Beschwerde ist der Antrag verbunden, ihr aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Die beschwerdeführende Partei begründete ihren Antrag zusammengefasst iW damit, dass bereits derzeit die Lärmbelastung im Projektgebiet, insb nachgewiesen für Bad Gastein, über den relevanten Grenzwerten liege. Mit dem Vorhaben gehe eine zusätzliche Lärmbelastung einher, was von der mitbeteiligten Partei zwar eingestanden werde; das tatsächliche Ausmaß liege aber weitaus höher als dargestellt. Dies führe zu einer aus gesundheitlicher Sicht nicht mehr tragbaren erheblichen Belastung, weil nachteilige Gesundheitsauswirkungen schon derzeit nicht ausgeschlossen werden könnten und jede weitere Belastung daher potentiell gesundheitsschädigend sei.

Zudem seien auf Grund der topographischen Situation weitere Bereiche, für die im Projekt kein zusätzlicher Lärmschutz vorgesehen sei, betroffen; es zeige sich, dass die Lärmbelastung in größerer Entfernung höher sei als im Nahbereich. Die beschwerdeführende Partei verweist dazu jeweils im Einzelnen auf im Verfahren eingeholte Gutachten.

Zwingende öffentliche Interessen stünden der Aufschiebung nach Auffassung der beschwerdeführenden Partei nicht entgegen, zumal der Bahnverkehr nach wie vor über die alte Angerschluchtbrücke abgewickelt werde und die mitbeteiligte Partei bereits Vorsorge durch die neue Brücke getroffen habe.

3. Die belangte Behörde trat dem Aufschiebungsantrag entgegen: Festzuhalten sei zunächst, dass die Gemeinde Bad Gastein außerhalb des Projektbereiches liege und vom gegenständlichen Bauvorhaben nicht betroffen sei. Unverhältnismäßige Nachteile würden seitens der beschwerdeführenden Partei nicht konkretisiert. Den im Verfahren eingeholten Gutachten sei zu entnehmen, dass die relevanten Lärmgrenzwerte eingehalten würden. Entgegen der Auffassung der beschwerdeführenden Partei bestehe kein einheitliches, mit einem zweigleisigen Ausbau der Tauernbahn zusammenhängendes Vorhaben. Die eheste Realisierung des Projekts sei schon für eine dem Stand der Technik entsprechende Abwicklung des Bahnverkehrs über die Angerschlucht erforderlich, weshalb zwingende öffentliche Interessen der Aufschiebung entgegen stünden.

4. Auch die mitbeteiligte Partei sprach sich gegen den Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung aus: Die beschwerdeführende Partei habe keinen unverhältnismäßigen Nachteil im Sinne des § 30 Abs 2 VwGG geltend gemacht. Ein solcher liege schon deshalb nicht vor, weil der Begründung des angefochtenen Bescheides zu entnehmen sei, dass aus Bau und Betrieb des gegenständlichen Bauvorhabens keine wesentlichen zusätzlichen Umweltbeeinträchtigungen zu erwarten seien. Werde das Vorhaben bescheidkonform realisiert, werde es zu keinen unzumutbaren Belästigungen und zu keinen Gesundheitsgefährdungen kommen. Auch die mitbeteiligte Partei verweist diesbezüglich auf einzelne Gutachten.

Entgegen der Auffassung der beschwerdeführenden Partei erfolge durch das gegenständliche Vorhaben keine Kapazitätssteigerung auf der Tauernbahn.

Die Gemeinde Bad Gastein sei mangels Kapazitätssteigerung vom gegenständlichen Vorhaben nicht betroffen, die Sanierung der bereits bestehenden Lärmsituation könne allenfalls Gegenstand eines gesonderten Verfahrens im Rahmen der Bestandslärmsanierung sein.

Dem Aufschiebungsantrag stünden aber auch zwingende öffentliche Interessen entgegen: Das bewilligte Bauvorhaben habe den Erfordernissen des transeuropäischen Eisenbahnnetzes (TEN) zu entsprechen. Im angefochtenen Bescheid sei festgestellt worden, dass der durch die Ausführung und die Inbetriebnahme des Bauvorhabens entstehende Vorteil für die Öffentlichkeit größer sei als der Nachteil, der aus der Verletzung gegenteiliger öffentlicher und privater Interessen entstehe. Bei der erfolgten Interessenabwägung nach §§ 31 ff EisbG sei davon auszugehen, dass der durch die eisenbahnrechtliche Baugenehmigung entstehende Vorteil für die Öffentlichkeit größer sei als der Nachteil, der den Parteien durch die Genehmigung des Vorhabens erwachse. Diese öffentlichen Interessen seien insofern zwingend, als durch die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung das Interesse an der erforderlichen Reinvestition der Angerschluchtbrücke verhindert bzw verzögert werde.

5. Gemäß § 30 Abs 2 VwGG hat der Verwaltungsgerichtshof auf Antrag der beschwerdeführenden Partei die aufschiebende Wirkung mit Beschluss zuzuerkennen, insoweit dem zwingende öffentliche Interessen nicht entgegenstehen und nach Abwägung aller berührten Interessen mit dem Vollzug des Bescheides für die beschwerdeführenden Partei ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre.

Unter einem für die beschwerdeführende Partei mit Vollzug oder Ausübung der mit dem Bescheid eingeräumten Berechtigung verbundenen Nachteil im Sinne des § 30 Abs 2 VwGG ist - auch - ein Nachteil für die vom Landesumweltanwalt wahrzunehmenden (§ 24f Abs 8 UVP-G 2000) öffentlichen Interessen nach § 24f Abs 1 UVP-G zu sehen (vgl den hg Beschluss vom 10. Mai 2004, Zl AW 2004/03/0003, mwN).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Beurteilung, ob ein Eingriff in die geschützten Güter (die vom Umweltanwalt zu wahren sind) einen "unverhältnismäßigen Nachteil" im Sinne des § 30 Abs 2 VwGG darstellt, u.a. maßgeblich, inwieweit die Folgen des Eingriffs im Fall der Aufhebung des angefochtenen Bescheides wieder beseitigt werden können. Auf Grund der den Antragsteller treffenden Konkretisierungspflicht hängt die Beurteilung, ob die geltend gemachten Nachteil die Schwelle der Unverhältnismäßigkeit erreichen, entscheidend von den im Aufschiebungsantrag vorgebrachten konkreten Angaben ab (vgl den hg Beschluss vom 11. April 2007, Zl AW 2007/03/0011, mwN).

Ein ins Gewicht fallendes Interesse an der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung wäre im Beschwerdefall insbesondere dann zu bejahen, wenn das Vorhaben als Maßnahme anzusehen wäre, das den Genehmigungsvoraussetzungen nach § 24f Abs 1 UVP-G 2000 nicht entspricht.

Die beschwerdeführende Partei versucht, die in der Bescheidbegründung vertretene Auffassung, dass dies nicht der Fall wäre, unter anderem mit Hilfe von Befund und Gutachten von Sachverständigen zu widerlegen.

Ein unverhältnismäßiger Nachteil im Sinne des § 30 Abs 2 VwGG liegt vor, wenn zumindest die Möglichkeit nachteiliger Einwirkungen durch den Vollzug des angefochtenen Verwaltungsaktes, die die Schwelle der Unverhältnismäßigkeit erreichen, besteht (vgl den hg Beschluss vom 21. Mai 2001, Zl AW 2001/10/0030).

Auch wenn im Regelfall davon ausgegangen werden kann, dass diese Beurteilung auf Basis der Sachverhaltsannahmen des angefochtenen Bescheides vorzunehmen ist, kann im vorliegenden Fall auf Basis der Beschwerdebehauptungen in Verbindung mit den Bescheidfeststellungen ohne Vorgriff auf die Ergebnisse des Beschwerdeverfahrens doch nicht ausgeschlossen werden, dass es mit der Verwirklichung des Vorhabens der mitbeteiligten Partei zu nicht mehr leicht zu beseitigenden gravierenden Eingriffen (gesundheitsgefährdenden Lärmbelastungen) kommt (vgl nur etwa zum strittigen Umstand der Kapazitätssteigerung und daraus resultierendem Lärmanstieg die Frage, ob als Ausgangsbasis die "Konsensgeschwindigkeit" von maximal 70/80 km/h zu Grunde zu legen ist (Bescheid Seite 47) oder doch die maximal 30 km/h im Bereich der gegenständlichen "Langsamfahrstelle" (Bescheid Seite 46)).

Entgegen der Auffassung der belangten Behörde und der mitbeteiligten Partei kann nicht davon ausgegangen werden, dass zwingende öffentliche Interessen im Sinne des § 30 Abs 2 VwGG der Bewilligung der aufschiebenden Wirkung entgegen stünden: Auch wenn man vom Bestand eines öffentlichen Interesses an der Verwirklichung des strittigen Projekts ausgeht, ist im Lichte des Vorbringens der Parteien des Beschwerdeverfahrens nicht zu sehen, dass dieses öffentliche Interesse auch zwingend in dem Sinn wäre, dass es die sofortige Umsetzung des angefochtenen Bescheides erfordert und damit ohne Interessenabwägung der Zuerkennung aufschiebender Wirkung entgegen stünde.

Bei dieser Beurteilung ist nicht nur davon auszugehen, dass die derzeitige Angerschluchttalbrücke weiterhin benützbar ist, ohne dass etwa die Notwendigkeit einer Sperre konkret absehbar wäre. Es fällt auch entscheidend ins Gewicht, dass die bisherigen Baumaßnahmen in wesentlichen Bereichen ohne die nach dem Gesetz erforderlichen Genehmigungen durchgeführt worden sind (vgl die hg Erkenntnisse vom 12. September 2006, Zl 2005/03/0131, und vom 3. September 2008, Zl 2007/03/0068), und die mitbeteiligte Partei den erforderlichen Genehmigungsantrag erst am 15. Juni 2009 eingebracht hat, also zu einem Zeitpunkt, als das Bauvorhaben in wesentlichen Teilen bereits fertig gestellt war. Da bei der gebotenen Interessenabwägung allgemein davon auszugehen ist, dass das Rechtsinstitut der aufschiebenden Wirkung im Sinne des § 30 Abs 2 VwGG als ein die Funktionsfähigkeit des Rechtsschutzsystems stützendes Element anzusehen ist, und die in der Bescheidprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof gegebene Rechtsschutzfunktion durch einen Vollzug des angefochtenen Bescheides während der Dauer des Beschwerdeverfahrens nicht ausgehöhlt bzw ausgeschaltet werden soll (vgl den hg Beschluss vom 9. April 2008, Zl AW 2008/05/0006), fällt auf Basis der dargelegten Umstände des Beschwerdefalls die Abwägung im Ergebnis zugunsten der beschwerdeführenden Partei aus, weshalb dem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung stattzugeben war.

Wien, am 25. Juni 2010

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