VwGH AW 2007/05/0029

VwGHAW 2007/05/002927.7.2007

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Anträge

1. (Zl. 2007/05/0101) der Gemeinde E u.a., alle vertreten durch Dr. W und Univ.-Prof. Dr. J, Rechtsanwälte, 2. (Zl. 2007/05/0111) der Bürgerinitiative K, vertreten durch Ing. H, dieser vertreten durch Dr. M, Mag. P und Mag. T, Rechtsanwälte, sowie

3. (Zl. 2007/05/115) der Bürgerinitiative S, Zustellungsbevollmächtiger: DI R u.a., alle vertreten durch Dr. D, Rechtsanwalt, der gegen den Bescheid des Umweltsenates vom 8. März 2007, Zl. US 9B/2005/8-431, betreffend UVP für 380 kV-Leitung Steiermark (mitbeteiligte Parteien: 1. V AG, 2. S GmbH, beide vertreten durch O, O, K, H Rechtsanwälte GmbH ), erhobenen Beschwerden die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, den Beschluss gefasst:

Normen

UVPG 2000 §17;
UVPG 2000;
VwGG §30 Abs2;
UVPG 2000 §17;
UVPG 2000;
VwGG §30 Abs2;

 

Spruch:

Gemäß § 30 Abs. 2 VwGG werden die Anträge abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid vom 21. März 2005 erteilte die Steiermärkische Landesregierung der Erstmitbeteiligten die Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb einer Bundesländergrenzen überschreitenden 380 kV-Starkstromfreileitung vom Umspannwerk K in der Gemeinde Z (Steiermark) bis zum Umspannwerk S in der Gemeinde R (Burgenland) nach Maßgabe der mit dem Genehmigungsvermerk dieses Bescheides versehenen Projektunterlagen soweit sich diese Starkstromfreileitung auf das Landesgebiet von Steiermark erstreckt; weiters erteilte die Steiermärkische Landesregierung der Zweitmitbeteiligten zur ungeteilten Hand mit der Erstmitbeteiligten die Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb sämtlicher im Rahmen des Vorhabens 380 kV-Steiermarkleitung vorgesehener Anlagen auf der Spannungsebene 110 kV (sog. Vorhabensteil 110 kV) nach Maßgabe der mit dem Genehmigungsvermerk dieses Bescheides versehenen Projektunterlagen, soweit sich dieser Vorhabensteil auf das Landesgebiet von Steiermark erstreckt.

Dieser Bescheid wurde durch den angefochtenen Bescheid im Wesentlichen nur bezüglich der erteilten Auflagen abgeändert.

Gleichzeitig mit ihren dagegen erhobenen Beschwerden beantragten die Beschwerdeführer die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung. In den Begründungen werden - unter Bedachtnahme auf eine von den unter 1. angeführten Beschwerdeführern erstattete weitere Äußerung - nachstehende Themen angesprochen:

1. Mangelnde Dringlichkeit der Ausführung:

Es bestehe keine Dringlichkeit für die Stromversorgung der Regelzone Ost, da zwar Kraftwerke mit einer Gesamtstromerzeugungskapazität von 634 MW bis zum Jahr 2013 abgeschaltet würden, jedoch bereits Genehmigungen für Ersatzkraftwerke mit 1287 MW vorlägen (die nach dem dazu vorgelegten Privatgutachten in den Jahren 2008, 2010 und 2015 in Betrieb gehen können). Es gehe nicht vor allem um die österreichische Stromversorgung, sondern um einen Teil der transeuropäischen Netze. Das Verfahren sei seit dem Jahr 2003 anhängig; auch eine weitere Verzögerung der Konsumation der Baubewilligung sei mit dem öffentlichen Interesse in Einklang.

2. Schutz von Brutstätten bzw. geschützten Landschaften:

Es werde keine ausreichende Vorsorge getroffen, die durch die Vogelschutzrichtlinie oder die FFH-Richtlinie geschützten Tierarten und deren Brutstandorte von jeglicher Störung freizuhalten.

3. Eingriff in geschützte Landschaftsteile und Waldflächen:

Eine aufschiebende Wirkung sei erforderlich, um eine Waldvernichtung, welche sich auf mehrere Generationen auswirken würde, hintanzuhalten; ansonsten würden die Konsenswerber umgehend mit groß angelegten Rodungsarbeiten beginnen, der dadurch eintretende Schaden sei nicht wieder gut zu machen. Im Zusammenhang mit den Sturmereignissen im Jänner 2007 habe sich herausgestellt, dass bei Schneisebildungen das Windwurfrisiko drastisch erhöht werde.

4. Gesundheitsgefährdung:

In Anbetracht des entlang von Freileitungen durch elektromagnetische Felder hervorgerufenen erhöhten Risikos, an Krebs zu erkranken, müsse die aufschiebende Wirkung zuerkannt werden, um unumkehrbare Schäden, die mit der sofortigen Umsetzung des Genehmigungsbescheides bei Menschen und gegenüber dem tierischen Artenschutz verbunden wären, zu vermeiden. Es sei in keiner Weise nachgewiesen, dass der Wert von ein µT geeignet sei, Gesundheitsgefährdungen auszuschließen. Bei einem Badeteich, der zum Wohnbereich von Beschwerdeführern gehört, sei mit einer Belastung von 20 bis 35 µT zu rechnen. Auch hätten die Beschwerdeführer während der Bauphase Beeinträchtigungen durch Lärm, Schmutz und Erschütterung zu verspüren, welche sich auf die Gesundheit auswirken können.

5. angefochtener Bescheid ist nicht Entscheidungsgrundlage:

Wohl habe der Verwaltungsgerichtshof bei Entscheidungen über einen Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung mehrfach ausgesprochen, dass zunächst von den Annahmen der Behörde auszugehen sei, allerdings würde eine konsequente Umsetzung dieses Standpunktes bedeuten, dass im Fall seitens der Behörde ausgesprochenen Anlagengenehmigung die von den dadurch Betroffenen erfolgte Antragstellung von vornherein aussichtslos wäre. Sollte sich letztlich die Unzulässigkeit des Vorhabens herausstellen, würde der Abbruch der Baumaßnahmen schwere volkswirtschaftliche Schäden hervorrufen und wäre mit besonderen Schwierigkeiten des Verwaltungsvollstreckungsverfahrens verbunden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat anlässlich der Einleitung des Vorverfahrens angeregt, in einer Stellungnahme zum Antrag auf Gewährung der aufschiebenden Wirkung möge ausgeführt werden, wie lange die Bauausführung voraussichtlich dauern werde und wann mit einer Inbetriebnahme zu rechnen sei.

Dieser Anregung sind die Mitbeteiligten nachgekommen und haben in ihren Stellungnahmen ausgeführt, dass unter der Annahme einer kontinuierlichen Fortführung der bereits eingeleiteten Baumaßnahmen die Leitung etwa Mitte 2009 in Betrieb gehen könne. Im Übrigen sprachen sich die Mitbeteiligten gegen die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung aus und machten zu allen Anträgen geltend, dass die Beschwerdeführer ihrer bei Behauptung eines unverhältnismäßigen Nachteiles treffenden Konkretisierungspflicht nicht nachgekommen seien. Ihre Argumente lassen sich wie folgt zusammenfassen:

1. Zwingende öffentliche Interessen

Der stark steigende Strombedarf im Süden der Regelzone Ost könne nicht durch entsprechende Erzeugungskapazitäten abgedeckt werden. Das Innerösterreichische Hochspannungsnetz müsse daher einen innerösterreichischen Nord-Süd-Ausgleich gewährleisten. Die Versorgungssicherheit könne schon seit Jahren nur noch durch Notmaßnahmen aufrecht erhalten werden, wobei diese Notmaßnahmen teuer, ökologisch suboptimal und nichts anderes als ein auf Grund jahrelanger Verzögerungen erforderliches Stückwerk darstellten. Ein Netzzusammenbruch könne zukünftig weniger denn je ausgeschlossen werden. Eine verspätete Inbetriebnahme würde zu schweren volkswirtschaftlichen Schäden führen, durch den Bau der gegenständlichen Leitung könnten jährlich CO2-Emissionen im Ausmaß von 125.600 t eingespart bzw. vermieden werden.

Dazu legten die Mitbeteiligten zwei Privatgutachten und ein Schreiben der Regulierungsbehörde Energie-Control GmbH vom 18. Mai 2007 vor; folgende Passagen seien hervorgehoben:

"Nur durch ausreichende und leistungsfähige Nord-Süd-Übertragungskapazitäten ist es möglich, den innerösterreichischen Ausgleich zwischen Erzeugungsüberschuss im Norden und hohem Verbrauch im Süden zu gewährleisten.

Die Versorgungssicherheit, die Netzbetriebssicherheit sowie die Anfälligkeit des österreichischen Übertragungsnetzes auf Störungen in ausländischen Regelzonen und in an Österreich angrenzenden Übertragungsnetzen werden nur durch die Vollendung des 380-kV-Höchstspannungsnetzes - insbesondere der Steiermarkleitung - auf den energietechnischen und energiewirtschaftlichen Stand gebracht, der für die Kunden in den betroffenen Regionen und in ganz Österreich erforderlich ist.

...

Abschließend möchten wir auf die Pflichten der Übertragungsnetzbetreiber und Regelzonenführer verweisen, wie sie im ElWOG definiert sind, Diese Pflichten können nur bei Vorhandensein einer angemessenen dem Bedarf und Stand der Technik entsprechenden Höchstspannungsnetzinfrastruktur erfüllt werden.

...

Die E-Control sieht daher jede weitere Verschiebung des Baubeginns bzw. der darauf folgenden und vom Bauabschluss abhängigen Inbetriebnahme der 380-kV-Steiermarkleitung als Gefährdung der Versorgungssicherheit und des Elektrizitätsmarktes, die zu negativen Auswirkungen sowohl auf die Stromkunden als auch auf die gesamte Volkswirtschaft Österreichs führen würde. Wir gehen davon aus, dass die höchste Bedeutung dieses Bauvorhabens auch in Ihrem Hause so bewertet wird und Sie alle erforderlichen Schritte unternehmen, um die 380-kV-Steiermarkleitung so rasch wie möglich fertig zu stellen und in Betrieb zu nehmen."

2. Schutz von Brutstätten, Schlägerung von Waldflächen

Dazu verwiesen die Mitbeteiligten auf den bekämpften Bescheid, wonach es maximal zu einer geringfügigen Beeinträchtigung der Schutzgüter der Vogelschutz- und FFH-Richtlinie komme. Bezüglich der Waldflächen wurde ausgeführt, dass von dem rund 97 km langen Vorhaben nur 3,4611 ha als unbefristete und 25,5392 ha als befristete Rodungsflächen in Anspruch genommen würden. Sie verwiesen auf die Interessenabwägung im angefochtenen Bescheid, wonach die Waldausstattung weder in nationaler noch in regionaler noch in lokaler Sicht eine ins Gewicht fallende Schmälerung erfahre. Labile, windwurfsgefährdete Wälder würden nicht zusammenhängen, sondern in kleinflächigen Bereichen an die Leitungstrassen angrenzen.

3. Belästigungen während der Bauphase

Dazu verwiesen die Mitbeteiligten auf die erteilten Auflagen, die Vorsorge träfen, unzumutbare Beeinträchtigungen zu verhindern. Ein von den Mitbeteiligten vorgelegtes (medizinisches) Privatgutachten komme zum Schluss, dass es im Zuge der Errichtung zu Einwirkungen durch Lärm, Staub, Schmutz und Erschütterungen kommen werde, die weder eine Gefährdung der Gesundheit noch eine unzumutbare Belästigung der Anrainer entlang der Trasse mit sich bringen würden.

Gemäß § 30 Abs. 2 VwGG hat der Verwaltungsgerichtshof die aufschiebende Wirkung mit Beschluss zuzuerkennen, insoweit dem nicht zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen und nach Abwägung aller berührter Interessen mit dem Vollzug oder mit der Ausübung der mit Bescheid eingeräumten Berechtigung durch einen Dritten für den Beschwerdeführer ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre. Wenn sich die Voraussetzungen, die für die Entscheidung über die aufschiebende Wirkung der Beschwerde maßgebend waren, wesentlich geändert haben, ist auf Antrag einer Partei neu zu entscheiden.

Vorweg ist festzuhalten, dass der Verwaltungsgerichtshof in diesem, die aufschiebende Wirkung der Beschwerde betreffenden Verfahren die Rechtsmäßigkeit des angefochtenen Bescheides nicht zu prüfen hat. Mutmaßungen über den voraussichtlichen Ausgang des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens haben daher bei der Frage der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung außer Betracht zu bleiben. Selbst die mögliche Rechtswidrigkeit des Bescheides ist kein Grund für die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung (Oberndorfer, Die österreichische Verwaltungsgerichtsbarkeit, 122). Ist daher das in der Beschwerde erstattete Vorbringen der beschwerdeführenden Partei nach der Aktenlage nicht etwa von vornherein als zutreffend zu erkennen, ist bei der Entscheidung über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung jedenfalls zunächst von den Annahmen der belangten Behörde auszugehen. Unter den "Annahmen der belangten Behörde" sind hierbei die Sachverhaltsfeststellungen im angefochtenen Bescheid zu verstehen, die nicht von vornherein als unschlüssig zu erkennen sind bzw. die ins Auge springende Mängel nicht erkennen lassen (vgl. den gleichfalls die Errichtung einer Starkstromleitung betreffenden hg. Beschluss vom 21. November 2006, AW 2006/05/0057 m.w.N.). Die zuletzt genannten Anforderungen an den angefochtenen Bescheid schließen es aus, dass, wie von den Beschwerdeführern befürchtet, die Antragstellung von vornherein ausgeschlossen wäre.

Auch in Anbetracht der vorrangig zu beurteilenden zwingenden öffentlichen Interessen sieht sich der Verwaltungsgerichtshof nicht veranlasst, auf die behaupteten Gesundheitsbeeinträchtigungen durch elektromagnetische Felder im Verfahren zur aufschiebenden Wirkung einzugehen. Mit einer solchen Gefahr ist während der Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens in Anbetracht des angegebenen Betriebsbeginnes nicht zu rechnen; diesbezüglich ist auf den zweiten Satz des § 30 Abs. 2 VwGG zu verweisen.

Eine Beschwerde ist der aufschiebenden Wirkung dann nicht zugänglich, wenn die Zuerkennung zwingenden öffentlichen Interessen entgegensteht; darunter versteht der Verwaltungsgerichtshof besonders qualifizierte öffentliche Interessen, die eine sofortige Umsetzung des angefochtenen Bescheides in die Wirklichkeit zwingend gebieten (siehe die Nachweise bei Mayer, B-VG3, 724 ff).

Die Mitbeteiligten haben zu dieser Frage das Gutachten Prof. DI. Dr. R, die unter 1. angeführten Beschwerdeführer das Gutachten DI. Dr. H vorgelegt. Der Verwaltungsgerichtshof nimmt vor allem auf Grund des vorgelegten Schreibens der E-Control GmbH, also der Regulierungsbehörde, die Gefährdung der Versorgungssicherheit und damit ein besonders qualifiziertes öffentliches Interesse an. Die Regulierungsbehörde hat glaubhaft versichert, dass jede weitere Verschiebung des Baubeginns zu einer Gefährdung der Versorgungssicherheit führen würde; der Verwaltungsgerichtshof hat in der Vergangenheit die ordnungsgemäße Versorgung der betroffenen Bevölkerung mit elektrischer Energie als zwingendes öffentliches Interesse anerkannt (siehe den hg. Beschluss vom 24. November 1977, Zl. 2254/77).

Die Bejahung eines zwingenden öffentlichen Interesses führt allein schon zu einer Ablehnung der gestellten Anträge, wobei abermals zu betonen ist, dass es hier lediglich um den Zeitpunkt der Ausübung der erteilten Berechtigung, nicht aber um die Berechtigung selbst geht.

Die Anträge auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung waren somit abzuweisen.

Wien, am 27. Juli 2007

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