VwGH 99/20/0543

VwGH99/20/054330.11.2000

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Hinterwirth, Dr. Strohmayer und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des am 11. Juli 1975 geborenen K (auch K) S, vertreten durch Dr. Andreas Waldhof, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Reichsratsstraße 13, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 27. September 1999, Zl. 211.908/0-I/03/99, betreffend Abweisung eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung einer Berufungsfrist im Asylverfahren (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §71 Abs1 Z1;
AVG §71 Abs1 Z1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund (Bundeskanzleramt) Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Indiens, brachte am 24. Dezember 1998 beim Bundesasylamt einen Asylantrag ein und gab unter einem bekannt:

"Zugleich erteile ich Hr. Dr. E D, Wien, die Vollmacht nach dem Zustellgesetz, alle an mich - auch persönlich (RSb, RSy) - gerichteten Schreiben für mich entgegenzunehmen."

Der Beschwerdeführer kam im erstinstanzlichen Verfahren einer ihm im Wege über seinen Zustellbevollmächtigten Dr. D (in weiterer Folge: Dr. D.) zugegangenen Ladung zur Einvernahme nach. Schließlich wurde sein Asylantrag mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 20. Mai 1999 gemäß § 6 Z 1 und 3 des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76 (AsylG), als offensichtlich unbegründet abgewiesen (Spruchpunkt I); gleichzeitig wurde festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Indien gemäß § 8 AsylG zulässig sei (Spruchpunkt II). Dieser Bescheid wurde nach Ausweis der Verwaltungsakten dem Vertreter des Beschwerdeführers am 25. Mai 1999 zugestellt.

Mit Schriftsatz vom 16. Juli 1999 brachte der Beschwerdeführer gegen die Versäumung der Berufungsfrist einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ein und begründete diesen Antrag im Wesentlichen wie folgt:

"Ich war durch ein für mich unabwendbares, unvorhergesehenes Ereignis ohne mein Verschulden gehindert, rechtzeitig Berufung zu erheben, da ich über die Zustellung des Bescheides nicht rechtzeitig informiert war. Es handelt sich vorliegendenfalls nur um einen minderen Grad des Versehens, da meinem seinerzeitigen Vertreter amtsbekanntermaßen derartige Versehen grundsätzlich nicht unterlaufen."

Gleichzeitig mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung holte der Beschwerdeführer die versäumte Handlung nach und erhob gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 20. Mai 1999 Berufung.

Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 21. Juli 1999 den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 71 Abs. 1 AVG ab. Der Beschwerdeführer erhob Berufung, in der er ergänzend auf einen am 17. Juni 1999 erfolgten Wohnungswechsel hinwies, den er ca. 2 Wochen vor seinem Umzug dem Zustellbevollmächtigten bekannt gegeben habe.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG abgewiesen. Die belangte Behörde stützte sich im Wesentlichen darauf, dass das Verschulden eines Vertreters grundsätzlich die selben Rechtswirkungen wie jenes der Partei selbst habe. Im gegenständlichen Fall habe sich die Partei auf die Unkenntnis der Bescheidzustellung auf Grund eines Versehens des seinerzeitigen Zustellungsbevollmächtigten berufen, der die Partei nicht rechtzeitig über die Zustellung des Bescheides informiert habe. Vor diesem Hintergrund stehe allerdings fest, dass der Beschwerdeführer gegen die Sorgfaltspflichten einer "ordentlichen Prozesspartei" verstoßen habe, weil er voraussehen hätte müssen, dass ihm im angestrengten Verfahren ein Bescheid zugestellt werde; es wäre am Beschwerdeführer gelegen, sich beim eigenen Zustellungsbevollmächtigten regelmäßig nach dem Stand des Verfahrens zu erkundigen, wie es auch am Zustellungsbevollmächtigten gelegen wäre, den Vertretenen von der Zustellung des Bescheides rechtzeitig zu verständigen. Die Unkenntnis von der Zustellung des Bescheides des Bundesasylamtes vom 20. Mai 1999 wäre in zumutbarer Weise abwendbar gewesen. Im gegebenen Zusammenhang falle insbesondere nicht ins Gewicht, dass der Beschwerdeführer am 17. Juni 1999 seine Wohnung gewechselt habe, weil dieser Wohnungswechsel außerhalb der Berufungsfrist erfolgt sei.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde erwogen:

Der Beschwerdeführer macht auch in der Beschwerde geltend, sein damaliger Vertreter habe ihn über die Zustellung des Bescheides des Bundesasylamtes nicht rechtzeitig informiert. Zudem sei er seit dem 17. Juni 1999 an einer anderen Wiener Adresse gemeldet und habe dies seinem Vertreter rechtzeitig (ca. zwei Wochen vorher) sowohl mündlich als auch schriftlich mitgeteilt. Weil er erst am 2. Juli 1999 von diesem Bescheid (erster Instanz) in Kenntnis gesetzt worden sei, sei er durch ein für ihn unabwendbares und unvorhersehbares Ereignis ohne sein Verschulden gehindert gewesen, rechtzeitig Berufung zu erheben. Er sei also nachweisbar über die Zustellung des Bescheides nicht rechtzeitig informiert worden. Es handle sich vorliegendenfalls nur um einen minderen Grad des Versehens, "weil seinem seinerzeitigen Vertreter auf Grund der überdurchschnittlichen Arbeitsbelastung seinerseits das Schreiben seines Umzuges bzw. seine neue Adresse nicht zugegangen sei."

Den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hatte der Beschwerdeführer lediglich damit begründet, dass er von seinem Vertreter über die Zustellung des Bescheides nicht rechtzeitig informiert worden sei und dabei nur ein minderer Grad des Versehens vorliege, weil seinem seinerzeitigen Vertreter amtsbekanntermaßen "derartige Versehen grundsätzlich nicht unterliefen." Damit hat der Beschwerdeführer im Wiedereinsetzungsantrag aber kein taugliches Vorbringen erstattet.

Gemäß § 71 Abs. 1 Z 1 AVG ist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einer großen Zahl von Entscheidungen fest gehalten, dass ein Verschulden des Vertreters einem Verschulden des Vertretenen gleichzusetzen ist (vgl. etwa die Judikaturzitate bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahren Band I2, Seite 1558 ff, E 72 ff zu § 71 AVG; hg. Erkenntnis vom 19. Jänner 1977, Slg. Nr. 9226/A). Dabei wurde regelmäßig davon ausgegangen, dass das Verschulden des Vertreters sich auf die Verletzung von Pflichten bezieht, die mit der Bevollmächtigung einhergehen. Die Bevollmächtigung an sich, die Übertragung einer bestimmten "Macht" von einem Machtgeber an einen Dritten, kann durch Handlungen oder Unterlassungen des Vertreters nicht "verletzt" werden; die "Pflichtverletzung" im Sinne der vorzitierten Judikatur besteht für den Vertreter darin, dass er den - sonst die Partei treffenden - Obliegenheiten zur Vermeidung einer Säumnis nicht nachkommt, obwohl er deren Erfüllung auf Grund eines regelmäßig mit der Bevollmächtigung einhergehenden Auftrages übernommen hat. Zu den Pflichten des (bloßen) Zustellungsbevollmächtigten gehört - mangels andersartiger Vereinbarung, auf deren mögliche Sorgfaltswidrigkeit aus Anlass des vorliegenden Falles nicht eingegangen werden muss - die Verständigung des Vertretenen von der Zustellung, in der Regel durch Weiterleitung des Schriftstückes (vgl. die nicht auf Besonderheiten des Zivilprozesses abstellende Vorschrift des § 99 ZPO und dazu Walter/Mayer, Zustellrecht, 180). Dass dem Zustellungsbevollmächtigten dabei unterlaufende Sorgfaltswidrigkeiten dem Vertretenen zuzurechnen sind, hat der Verwaltungsgerichtshof schon in zwei Erkenntnissen aus jüngerer Zeit - die beide zu Sorgfaltswidrigkeiten des auch im vorliegenden Fall betroffenen Zustellungsbevollmächtigten ergingen - zum Ausdruck gebracht (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 8. September 1999, Zl. 99/01/0350, und vom 22. März 2000, Zl. 99/01/0268; zur Einbeziehung des Zustellungsbevollmächtigten in die vergleichbare Verschuldenszurechnung nach § 85 Abs. 2 dZPO Stein/Jonas, Kommentar zur ZPO, Rz. 10 zu § 85, und Baumbach/Lauterbach, ZPO, Rz. 40 zu § 85).

Im vorliegenden Fall hat es der vom Beschwerdeführer als Zustellungsbevollmächtigter bestellte Dr. D. unterlassen, die von ihm vertretene Partei von der die Berufungsfrist auslösenden Zustellung des Bescheides der Behörde erster Instanz zu verständigen. Das zugestandenermaßen pflichtwidrige Verhalten des Vertreters ist dem Beschwerdeführer wie ein eigenes Verhalten zuzurechnen. Dass Dr. D. an der Wahrnehmung seiner Pflichten durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis gehindert gewesen wäre, hat der Beschwerdeführer nicht vorgebracht. Somit liegt kein Wiedereinsetzungsgrund vor, wobei es unerheblich ist, ob den Beschwerdeführer selbst auch ein Verschulden trifft oder er vom pflichtgemäßen Verhalten seines Vertreters ausgehen konnte.

Schließlich erweist sich auch die Begründung des Wiedereinsetzungsantrages, die fehlende Information von der Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides stelle deshalb einen minderen Grad des Versehens dar, weil "dem seinerzeitigen Vertreter des Beschwerdeführers amtsbekanntermaßen derartige Versehen grundsätzlich nicht unterliefen", nicht nur als unsubstanziiert, sondern steht im Gegensatz dazu, dass gerade der seinerzeitige Vertreter des Beschwerdeführers in einer Mehrzahl von Verwaltungsverfahren bzw. Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof als Vertreter von Asylwerbern in vergleichbare Situationen involviert war, in denen wegen des Eintrittes von Fristversäumnissen Rechtsmittel zurückgewiesen bzw. Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt werden mussten (vgl. diesbezüglich zu ähnlichen Fallgestaltungen die bereits erwähnten hg. Erkenntnisse vom 8. September 1999 und vom 22. März 2000, sowie die hg. Erkenntnisse vom 10. Juli 1997, Zlen. 97/20/0299, 97/20/0311, vom 18. September 1997, Zl. 97/20/0233; aber auch unter vielen die hg. Erkenntnisse vom 5. November 1997, Zl. 97/21/0508, vom 19. Februar 1998, Zl. 98/20/0008, vom 29. Juni 2000, Zl. 2000/20/0180, und den hg. Beschluss vom 21. Jänner 1999, Zl. 98/18/0428).

Erstmals in der Berufung verweist der Beschwerdeführer auf einen Wohnungswechsel und auf damit im Zusammenhang stehende Kommunikationsprobleme mit seinem Vertreter. Abgesehen davon, dass im Verfahren über einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand die Partei an den im Antrag vorgebrachten Wiedereinsetzungsgrund gebunden bleibt und eine Auswechslung dieses Grundes im Berufungsverfahren rechtlich unzulässig ist (vgl. den hg. Beschluss vom 23. Mai 1990, Zl. 90/17/0113, und das hg. Erkenntnis vom 18. März 1998, Zl. 98/09/0008, u.a.), gelangte man selbst bei Berücksichtigung dieses Vorbringens zu keinem anderen Verfahrensergebnis. So wäre aus einer am 17. Juni 1999 erfolgten Adressänderung des Beschwerdeführers, die dem Zustellbevollmächtigten "auf Grund der überdurchschnittlichen Belastung seinerseits (?) nicht zugegangen sei" lediglich zu schließen, dass der Beschwerdeführer sowohl im Zeitpunkt der Zustellung des Bescheides erster Instanz (das war der 25. Mai 1999) als auch im Zeitpunkt des Ablaufes der Berufungsfrist (das war der 8. Juni 1999) noch an seiner alten Adresse wohnhaft und dort für den Zustellungsbevollmächtigten erreichbar gewesen wäre. Sollte es im Übrigen zutreffen, dass der Beschwerdeführer seinem Zustellungsbevollmächtigten ca. zwei Wochen vor seinem Umzug am 17. Juni 1999 diesen Umstand auch mündlich (!) bekannt gegeben habe, so würde dies auf eine persönliche Kontaktaufnahme zwischen dem Vertreter und dem Vertretenen innerhalb der Rechtsmittelfrist hinweisen; in diesem Fall fehlte aber ein Vorbringen dahin, weshalb die Information über die Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides nicht anlässlich dieser Kontaktaufnahme erfolgt ist. Darüberhinaus wäre dann das allfällige Nichtzukommen der schriftlichen Anzeige des Wohnungswechsels auch aus diesem Grund ohne jegliche Bedeutung.

Da der Beschwerdeführer innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist keinen tauglichen Wiedereinsetzungsgrund vorgebracht hat, wurde er durch den angefochtenen Bescheid, mit dem die Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages bestätigt wurde, nicht in seinen Rechten verletzt.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

Wien, am 30. November 2000

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