VwGH 99/20/0368

VwGH99/20/03687.6.2001

IM NAMEN DER REPULIK!

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des am 15. Mai 1980 geborenen YA in Wien, vertreten durch Dr. Eva Maria Barki, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Landhausgasse 4, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 31. März 1999, Zl. 205.415/5-II/04/99, betreffend die §§ 7 und 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FrG 1997 §57 Abs1;
FrG 1997 §57 Abs2;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FrG 1997 §57 Abs1;
FrG 1997 §57 Abs2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, reiste am 6. August 1998 in das Bundesgebiet ein und stellte am 11. August 1998 einen Antrag auf Gewährung von Asyl. Anlässlich seiner Ersteinvernahme vor dem Bundesasylamt machte der Beschwerdeführer als Fluchtgrund geltend, er sei Angehöriger der kurdischen Volksgruppe und habe Angst um sein Leben gehabt. In seinem Heimatdorf gebe es überall Soldaten und die Kurden würden unterdrückt. Die Soldaten würden wahllos herumschießen, oft würden Leute getroffen. Dabei seien sein Onkel und seine Großmutter ums Leben gekommen, sein Cousin sei verletzt worden. Er sei mehrere Male in der Schule von Soldaten festgenommen und nach einigen Stunden wieder freigelassen worden. Im Fall seiner Rückkehr in sein Heimatland würde man ihm keine Ruhe geben. Ein junger Mensch stehe dort vor der Wahl, entweder in den Bergen für die PKK zu kämpfen oder zu sterben. Er wolle beides nicht. Viele Kurden wollten wieder in den Westen übersiedeln, die Behörden hinderten die Menschen an der Übersiedlung, forderten sie auf zu bleiben und falls man trotzdem den Ort verlasse, könne es sein, dass man erschossen werde. Seine kurzfristigen Festnahmen durch die Soldaten seien ohne Angabe von Gründen erfolgt. Die Standardvorwürfe lauteten, dass man die PKK unterstütze, indem man den PKK-Mitgliedern Lebensmittel überlasse und ihnen Unterkunft gewähre.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 17. September 1998 wurde unter Spruchpunkt I der Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 (AsylG), abgewiesen und unter Spruchpunkt II die Zulässigkeit seiner Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Türkei gemäß § 8 leg. cit. festgestellt.

Ausgehend von der Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers begründete die Behörde erster Instanz ihre Entscheidung damit, dass die allgemeine Situation der kurdischen Volksgruppe für sich allein für die Gewährung von Asyl nicht genüge. Die vom Beschwerdeführer genannten Benachteiligungen könnten nicht als für die Asylgewährung genügend intensive Eingriffe bezeichnet werden und stellten keine ernsthaften Nachteile im Sinne des AsylG dar. Zu den Todesfällen im Verwandtenkreis des Beschwerdeführers erklärte die Behörde erster Instanz, im Asylverfahren könnten nur solche Umstände Berücksichtigung finden, die eine Person unmittelbar beträfen; Ereignisse, denen Familienangehörige oder andere Personen ausgesetzt seien, bewirkten den gewünschten Verfahrensausgang hingegen nicht. Der Beschwerdeführer habe auch kein Vorbringen erstattet, aus dem eine ihn persönlich treffende Gefährdung im Sinn des § 57 Abs. 1 oder 2 FrG hervorgehe.

Der Beschwerdeführer erhob Berufung, in der er vorbrachte, die Behörde erster Instanz habe sein Vorbringen nicht als Gesamtheit geprüft, sondern in einzelne Teile zerlegt und sei so zu dem Ergebnis gekommen, dass die erlittenen Verfolgung die verlangte Intensität nicht erreichte. Bei einer Gesamtbetrachtung der allgemeinen Situation in der Türkei, der von ihm persönlich erlittenen Beeinträchtigungen im alltäglichen Leben, gemeinsam mit den von ihm erlittenen Verhaftungen und der Verfolgung naher Angehöriger hätte das Bundesasylamt zu dem Schluss kommen müssen, dass der Beschwerdeführer aus begründeter Furcht vor Verfolgung aus der Türkei geflohen sei. So habe der Beschwerdeführer neben den täglichen Diskriminierungen jederzeit mit Verhaftungen rechnen müssen, wie er sie persönlich auch schon erlitten habe, so wie damit, jederzeit erschossen zu werden, wie es nahen Angehörigen von ihm passiert sei. Diese ständige Unsicherheit mache es ihm persönlich umöglich, weiterhin in der Türkei zu leben.

Unter Hinweis auf das UNHCR-Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft machte der Beschwerdeführer geltend, bei einer Gesamtbetrachtung sei auch relevant, was nahen Angehörigen vom Staat widerfahren sei. Jeder Kurde, der grundlos festgenommen werde, müsse damit rechnen, Opfer von Folterung zu werden. Folter sei in der Türkei systematische staatliche Politik und weit verbreitete Praxis. Zu den Opfern zählten nicht nur unter Strafverdacht festgenommene Menschen, sondern auch Personen, die die Behörden des Verstoßes gegen das Anti-Terror-Gesetz beschuldigten - und dies könne jedem Kurden, meist mit dem Vorwurf der Unterstützung der PKK, passieren. Die türkische Regierung verfolge das Ziel der völligen Assimilierung der Kurden an die Türken. So lange ein Kurde sich nicht vollkommen assimiliert habe, müsse er überall in der Türkei und ganz besonders in den Ostprovinzen jederzeit damit rechnen, grund- und wahllos festgenommen und gefoltert zu werden. Die Zahl der verschwundenen Personen habe in den letzten Jahren wieder drastisch zugenommen, wobei die meisten der "Verschwundenen" nicht politisch aktive Kurden gewesen seien. Sie seien allein mit dem Vorwurf festgenommen worden, die PKK unterstützt zu haben. Unter Hinweis auf näher dargestellte Quellen fuhr der Beschwerdeführer fort, dieses Klima ständiger Unterdrückung und willkürlicher Festnahmen seiner Person sowie anderer und der willkürlichen Ermordung von nahen Angehörigen habe er selbst erlebt und geschildert. Für ihn als Kurde gebe es auch keine inländische Fluchtalternative in der Türkei, weil er nicht in den Westen ziehen dürfe und bei Entdeckung mit Verfolgungsmaßnahmen rechnen müsse; andererseits müsse er als Kurde überall in der Türkei mit willkürlicher Verhaftung rechnen.

der Rückkehr aus Deutschland im Verhör als Kurde, als Alewit oder als politisch links stehend identifiziert werde, jederzeit in Gefahr, geschlagen, misshandelt und gefoltert zu werden. Die gegenwärtige Abschiebepraxis (gemeint: in Deutschland) sei abzulehnen, weil das, was mit den Rückkehrern geschehe und passieren könne, zunehmend nicht mehr berechenbar sei. Der Beschwerdeführer erklärte abschließend, diese Bewertung der Lage in der Türkei zeige eindeutig, dass es stichhaltige Gründe für die Annahme gebe, dass er im Falle einer Abschiebung in die Türkei in Gefahr sei, einer unmenschlichen Behandlung, Strafe oder Todesstrafe unterworfen zu werden.

Dem vom Bundesasylamt der belangten Behörde vorgelegten Aktenkonvolut war weiters zu entnehmen, dass die Behörde erster Instanz an die österreichische Botschaft in Ankara mit dem Ersuchen um Bekanntgabe der Gründe herangetreten war, die zur seinerzeitigen Ausstellung eines Sichtvermerkes, mit welchem der Beschwerdeführer ins Bundesgebiet eingereist war, geführt hatten. Aus der Antwort der österreichischen Botschaft in Ankara vom 21. September 1998 geht u.a. hervor, dass ein hoher Repräsentant des türkischen Parlaments persönlich für den Beschwerdeführer interveniert habe. In einem weiteren Schreiben wurde mitgeteilt, es handle sich um einen Abgeordneten der Partei des "Rechten Weges" und Alewiten kurdischer Herkunft. Dies dürfte jedoch kein Grund dafür sein, dass er sich besonders für Kurden einsetze; wie er angeblich öfters öffentlich erklärt habe, setze er sich für die Wähler aus seinem Wahlkreis, der hauptsächlich von Kurden bewohnt werde, ein, weil er wieder gewählt werden wolle.

Die belangte Behörde führte am 22. März 1999 mit dem Beschwerdeführer eine öffentliche mündliche Berufungsverhandlung durch. Im Rahmen dieser mündlichen Verhandlung wurde dem Beschwerdeführer neben den gerade zitierten Auskünften der österreichischen Botschaft in Ankara ein Bericht der österreichischen Botschaft in Ankara vom 11. September 1998 über die Todesstrafe und die Behandlung von abgewiesenen Asylwerbern ebenso zur Kenntnis gebracht wie ein mit "Einteilung in den Dienstort" überschriebener Punkt des vom schweizerischen Bundesamt für Flüchtlinge verfassten Themenpapiers für Türkei (Refraktion, Desertion und Wehrdienstverweigerung) vom 7. September 1998. Aus der Schriftenreihe "Erkenntnisse des (Deutschen) Bundesamtes zum Herkunftsland Türkei" wurde dem Beschwerdeführer ein mit "Wiederbesiedelung der Dörfer" überschriebenes Kapitel zur Kenntnis gebracht; die Berichte wurden mit dem Beschwerdeführer erörtert.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß den §§ 7 und 8 AsylG ab. Zur Berufung gegen den Spruchpunkt I des Bescheides erster Instanz führte die belangte Behörde aus, das Ermittlungsverfahren habe keine genügenden Anhaltspunkte für asylrelevante Verfolgung des Beschwerdeführers ergeben. Zunächst sei darauf zu verweisen, dass der Beschwerdeführer sein asylbegründendes Vorbringen vor der belangten Behörde, gemessen am seinerzeitigen Vorbringen vor dem Bundesasylamt, nahezu vollständig ausgewechselt bzw. signifikant gesteigert habe, habe er doch seinerzeit weder vorgebracht, von der Polizei jemals gefoltert worden zu sein, noch die Türkei aus Furcht vor einem Dienst in der türkischen Armee verlassen zu haben. Andererseits habe es der Beschwerdeführer in der Verhandlung vor der belangten Behörde unterlassen, das seinerzeitige Vorbringen, wonach innerhalb der Türkei transmigrationswillige Kurden von den türkischen Behörden an der Übersiedlung gehindert und im Widersetzungsfalle erschossen würden, zu wiederholen und auch das Vorbringen, Gefahr zu laufen, von der PKK zwangsrekrutiert zu werden, erst auf Vorhalt bestätigt.

Ferner habe der Beschwerdeführer sowohl während des erstinstanzlichen Verfahrens als auch in der Verhandlung am 22. März 1999 hinsichtlich der näheren Umstände seiner aus der Türkei erfolgten Ausreise insofern die Unwahrheit gesagt, als er die eigenhändige Unterfertigung des Ausreiseantrages in Abrede gestellt habe. Diese objektive Unwahrheit werde auch nicht glaubwürdig entkräftet durch die erst auf Konfrontation des Beschwerdeführers mit seiner auf dem Visumantrag aufscheinenden Unterschrift vorgebrachte Rechtfertigung, dass er "bei der Abholung ... etwas unterschreiben" habe müssen. Diese Unwahrheit sei aber andererseits insofern von zentraler Bedeutung, als es für die belangte Behörde nahe liegend sei, dass die Bestreitung jeder persönlichen Beteiligung an der Erlangung des österreichischen Visums gerade dadurch motiviert gewesen sei, die durch den Bericht der österreichischen Botschaft nachgewiesene Intervention eines hochrangigen türkischen Politikers zu Gunsten des Beschwerdeführers bzw. dessen Beziehung zu diesem Politiker zu verschleiern.

Unabhängig von der (geringen) persönlichen Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers zeige aber der gerade zitierte Botschaftsbericht überdies, dass jedenfalls der Beschwerdeführer samt seiner Familie keineswegs in einem Klima ständiger asylrelevanter Verfolgung lebe, sondern vielmehr die politischen Zustände in dessen Umfeld ein derartiges Maß an "Normalität" aufweisen, dass ein "den angeblich verfolgten Minderheiten der Alewiten und Kurden" angehöriger hochrangiger Abgeordneter des türkischen Parlaments sich bei ausländischen Behörden zum Zwecke des Sicherung seiner Wiederwahl für eine Vielzahl von Kurden als seinen potenziellen Wählern, darunter eben auch für den Berufungswerber, einzusetzen in der Lage sei.

Dieser aus dem Botschaftsbericht hervorleuchtende Eindruck sei vom Beschwerdeführer in der Verhandlung vom 22. März 1999 bestätigt worden, habe er doch angegeben, sein Heimatort sei von der in der Unterlage des deutschen Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge angesprochenen Absiedelung der Bevölkerung aus "den am schwersten vom Terrorismus betroffenen Regionen" nicht betroffen gewesen und seine Familie lebe "nach wie vor" dort. Die belangte Behörde gehe daher auf Grund dieser zusammenstimmenden Beweismittel davon aus, auch der Beschwerdeführer finde im Falle seiner Rückkehr in die Türkei, jedenfalls in seinem Heimatdorf, politisch geordnete Verhältnisse vor und sei dort keiner asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt.

Es möge sein, dass der Beschwerdeführer, wie im Botschaftsbericht vom 11. September 1998 ausgeführt, bald nach seiner Rückkehr in die Türkei zum Militär einberufen werde. Auch in dieser Einberufung sei keinesfalls eine drohende Gefahr asylrelevanter Verfolgung zu erkennen, schütze ihn diese Einberufung doch jedenfalls vor der im erstinstanzlichen Verfahren geltend gemachten Zwangsrekrutierung durch die PKK und habe das Ermittlungsverfahren noch keine genügend sicheren Anhaltspunkte für eine asylrelevante Verfolgung des Beschwerdeführers in der türkischen Armee selbst ergeben. Vielmehr lasse sich dem zitierten Themenpapier des schweizerischen Bundesamtes für Flüchtlinge vom 7. September 1998 sogar eine tendenzielle Privilegierung entnehmen, als es danach "aus disziplinarischen und sicherheitstechnischen Gründen ... unwahrscheinlich" sei, dass Kurden aus der Osttürkei (wie der Beschwerdeführer) auch dort im Kampf gegen die PKK eingesetzt würden; jedenfalls aber sei trotz kurdenkritischer Tendenz in der Armee eine systematische Schlechterstellung kurdischer Soldaten nicht zu erkennen. Hinsichtlich der in dem Themenpapier genannten Todesfälle unter kurdischen Soldaten, welche von den Militärbehörden als Selbstmorde bezeichnet worden seien, werde eine asylrelevante Kausalität dieser Selbstmorde in dem Papier nicht behauptet; der Beschwerdeführer selbst habe in näherer Ausführung seiner Behauptung, dass es eine systematische Schlechterstellung der Kurden in der türkischen Armee gebe, lediglich Beeinträchtigungen minderen, asylrelevante Intensität nicht erreichenden Grades (Beschimpfungen, Ohrfeigen und Verabreichung schlechten Essens) geltend gemacht.

Die Entscheidung über die Berufung gegen Spruchpunkt II des erstinstanzlichen Bescheides wurde von der belangten Behörde damit begründet, dass in Ansehung des abgewiesenen Asylwerbers die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des § 8 AsylG in Verbindung mit § 57 Abs. 2 FrG nicht vorlägen. Was die verbleibende Prüfung, ob ein Refoulement des abgewiesenen Asylwerbers gemäß § 8 AsylG in Verbindung mit § 57 Abs. 1 FrG zulässig sei, anlange, so sei evident, dass insoferne, als im gegenständlichen Fall dem Vorbringen des Beschwerdeführers die Glaubwürdigkeit versagt geblieben sei, dieser auch nicht in der Lage gewesen sei, stichhaltige Gründe im Sinn des § 57 Abs. 1 FrG darzulegen. Das von der belangten Behörde geführte ergänzende Ermittlungsverfahren habe darüber hinaus sogar konkrete Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Schutzwerber keiner im Sinn des § 57 Abs. 1 AsylG relevanten Gefahr im Falle seiner Rückkehr in die Türkei ausgesetzt sein werde, weil auf die Einbettung des Beschwerdeführers in ein intaktes familiäres Umfeld und auf die jedenfalls durch die Familie des Beschwerdeführers vermittelten Beziehungen zum politischen Establishment in Gestalt des Abgeordneten, der für ihn interveniert habe, zu verweisen sei. Weiters lege es die Einberufung des Beschwerdeführers zum Militärdienst nahe, dass dieser - der nach den zu Spruchteil I getroffenen Feststellungen innerhalb des türkischen Militärs mit keiner asylrelevanten Verfolgung zu rechnen habe - auch, jedenfalls während seines Dienstes in der türkischen Armee, vor allfälligen polizeilichen Übergriffen gesichert sei. Schließlich sei dem Botschaftsbericht vom 11. September 1998 auch noch zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr in die Türkei zwar mit langwierigen administrativen Befragungen, aber keinesfalls mit Folter (oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung) zu rechnen haben werde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Gemäß § 7 AsylG hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

Gemäß Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (FlKonv), ist als Flüchtling im Sinne dieses Abkommens anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Die Behörde erster Instanz hatte ihre rechtliche Beurteilung auf die ihrer Ansicht nach glaubwürdige Darstellung der Fluchtgründe des Beschwerdeführers gestützt. Die belangte Behörde äußerte nun zwar Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers und sprach ausdrücklich von einer "geringen" persönlichen Glaubwürdigkeit; ob und welche Teile der Fluchtgründe des Beschwerdeführers sie nun als unglaubwürdig erachtete bzw. welche Teile sie ihrer rechtlichen Beurteilung nun zu Grunde legte, geht aus dem angefochtenen Bescheid jedoch nicht klar hervor.

Nur implizit lässt sich aus den Erwägungen zur Glaubwürdigkeit bestimmter Teile des Vorbringens des Beschwerdeführers schließen, dass die belangte Behörde der Steigerung der Darstellung der Fluchtgründe des Beschwerdeführers in der Berufung (erstmalige Folterungen bei der Polizei, Angst vor Einberufung) und der Schilderung der Ausreisemodalitäten keine Glaubwürdigkeit zumaß. Es ist daher davon auszugehen, dass jedenfalls alle anderen Teile der vom Beschwerdeführer geltend gemachten Fluchtgründe der rechtlichen Beurteilung der belangten Behörde zu Grunde lagen und dass sie aus den vorhin dargestellten Gründen zur Ansicht gelangte, im Fall des Beschwerdeführers drohe keine asylrelevante Verfolgung.

Die von der belangten Behörde diesbezüglich herangezogenen Argumentationslinien halten jedoch einer Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof nicht stand.

Der belangten Behörde ist zwar dahingehend zuzustimmen, dass die vom Beschwerdeführer erstmals im Berufungsverfahren genannte Furcht vor Einberufung zum Militär - die zwar als gesteigertes Vorbringen zuerst als nicht glaubwürdig qualifiziert, dann jedoch einer rechtlichen Beurteilung unterzogen wurde - noch keine drohende Gefahr asylrelevanter Verfolgung darstellt und auch die vom Beschwerdeführer selbst genannten Bedingungen beim Militärdienst der Kurden, wie Beschimpfungen, Ohrfeigen und schlechteres Essen, zwar Beeinträchtigungen darstellen, nicht aber solche, die asylrelevante Intensität erreichen.

Die belangte Behörde stellt weiter fest, der Beschwerdeführer lebe mit samt seiner Familie keineswegs in einem Klima ständiger asylrelevanter Verfolgung, sondern in "politisch geordneten Verhältnissen" bzw. in einem "intakten familiären Umfeld", weil sich ein hochrangiger Abgeordneter des türkischen Parlaments für ihn eingesetzt habe. Damit übergeht sie aber das Vorbringen, das der Beschwerdeführer sowohl im erstinstanzlichen Verfahren als auch in seiner Berufung erstattet hat, wonach nämlich zwei seiner nahen Angehörigen (Onkel und Großmutter) von den Regierungssoldaten grundlos erschossen worden seien und sein Cousin verletzt worden sei. Vor dem Hintergrund dieser Vorfälle, denen Glaubwürdigkeit nicht aberkannt wurde (und die sich im Übrigen mit der Darstellung der Fluchtgründe der Tante des Beschwerdeführers decken - vgl. das diesbezüglich ergangene hg. Erkenntnis vom 26. Februar 1998, Zl. 97/20/0768), kann daher nicht von einem "normalen, dh. intakten und politisch geordneten Umfeld der Familie" des Beschwerdeführers gesprochen werden.

Die Beschwerde zeigt zu Recht auf, dass eine Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers betreffend die Ermordung seiner Familienangehörigen dem angefochtenen Bescheid nicht zu entnehmen ist. Eine solche hätte jedoch bei der Darstellung und Bewertung des politischen und familiären Umfeldes des Beschwerdeführers ungeachtet des Umstandes erfolgen müssen, dass der Beschwerdeführer anlässlich der mündlichen Verhandlung vor der belangten Behörde, die sich auf andere Themen konzentrierte, auf diese Umstände nicht mehr ausdrücklich zu sprechen gekommen ist.

Auch das Faktum, dass ein hochrangiger Abgeordneter des türkischen Parlaments, der nach dem Inhalt des zitierten Botschaftsberichtes für seine Interventionen zum Zwecke seiner Wiederwahl durch Wähler seines Wahlkreises bekannt ist (so hat dieser Abgeordnete auch für die Tante des Beschwerdeführers interveniert, vgl. auch diesbezüglich das hg. Erkenntnis vom 26. Februar 1998), auch für den Beschwerdeführer vor einer ausländischen Vertretungsbehörde zur Herbeiführung dessen legaler Ausreise (bei der Erlangung seines Sichtvermerkes) interveniert hat, lässt noch keineswegs den Schluss zu, der solcherart unterstützte Beschwerdeführer lebe in einem politisch unauffälligen, normalen Umfeld. Der offenbar hinter dieser Argumentation stehende Gedanke, die Bekanntschaft mit einer hochrangigen Person mit politischem Einfluss und deren Intervention gewähre dem Beschwerdeführer und seiner Familie Schutz vor politisch motivierten Übergriffen, findet im Ergebnis des Ermittlungsverfahrens - vor allem bei Bedachtnahme auf die erwähnten Todesfälle - keine Deckung. Dazu kommt, dass aus dem vorliegenden Verfahrensergebnis nicht einmal hervorgeht, dass der Beschwerdeführer entgegen seinen Behauptungen den für ihn Intervenierenden persönlich gekannt, diese Intervention veranlasst oder von ihr gewusst habe.

Auch aus dem Umstand, dass der Heimatort des Beschwerdeführers nicht in das Absiedelungsprogramm in den "am schwersten vom Terrorismus betroffenen Regionen" einbezogen war und die Familie des Beschwerdeführers noch immer dort lebt, kann ohne weitere Feststellungen nicht der Schluss gezogen werden, im Heimatort des Beschwerdeführers herrschten "normale politische Verhältnisse", wobei auch eine nähere Umschreibung dessen, was unter "normalen politischen Verhältnissen" in dieser Region verstanden wird, fehlt.

Die belangte Behörde hat sich in ihrer rechtlichen Beurteilung mit den vom Beschwerdeführer vorgebrachten Fluchtgründen nicht näher befasst. Bei Zugrundelegung der nicht erkennbar als unglaubwürdig eingestuften Angaben wäre aber zu prüfen gewesen, ob das Schicksal der Angehörigen des Beschwerdeführers in Verbindung mit seinen eigenen Erlebnissen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit darauf schließen lässt, dass dem Beschwerdeführer auf Grund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Kurden und der daran geknüpften politischen Unterstellungen in seinem Heimatort Nachteile von ausreichender Intensität drohten oder drohen. Eine derartige Prüfung wurde von der belangten Behörde, die sich in ihrer Argumentation vor allem auf den Umstand der Intervention durch den Abgeordneten konzentriert hat, nicht vorgenommen, weshalb der angefochtene Bescheid hinsichtlich der Entscheidung über die Asylgewährung schon aus diesem Grund an einem Begründungsmangel leidet.

Dazu kommt, dass der Beschwerdeführer in seiner Berufung auf einen Bericht einer Delegationsreise in die Türkei vom 17. bis 20. April 1997 (auf Initiative vom KOMKAR) verwiesen und neben Nennung der Delegationsmitglieder auch den Inhalt dieses Berichtes ausführlich wiedergegeben hat; danach seien Kurden im Falle ihrer Rückbringung jederzeit in Gefahr, geschlagen, misshandelt und gefoltert zu werden. Die belangte Behörde stellte diesen Teil des Berufungsvorbringens zwar im angefochtenen Bescheid dar, eine Auseinandersetzung damit ist dem angefochtenen Bescheid aber nicht zu entnehmen.

Bei der Begründung ihrer Entscheidung zu § 8 AsylG stützt sich die belangte Behörde bei Beurteilung der Situation für rückgebrachte Kurden vielmehr in erster Linie auf einen Botschaftsbericht vom 11. September 1998, wonach der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr in die Türkei zwar mit langwierigen administrativen Befragungen, aber keineswegs mit Folter (oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung) zu rechnen haben werde; mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers in der Berufung den Bericht der genannten Delegationsreise betreffend setzt sie sich hingegen nicht auseinander.

Es ist aber nicht auszuschließen, dass der Inhalt dieses Berichtes zutrifft und die belangte Behörde im Falle einer Abwägung zwischen den einander solcherart widersprechenden Berichten der österreichischen Botschaft vom 11. September 1998 bzw. über die Delegationsreise vom April 1997 im Rahmen ihrer Beweiswürdigung zur Ansicht gelangen hätte können, auch der Beschwerdeführer müsse unter den im Beschwerdefall maßgeblichen Gegebenheiten im Falle seiner Rückkehr mit derartigen Maßnahmen rechnen.

Daraus ergibt sich zum einen, dass die Entscheidung der belangten Behörde hinsichtlich § 8 AsylG mit einem für den Verfahrensausgang relevanten Verfahrensfehler belastet war. Zum anderen wäre dieser Umstand aber auch für die Entscheidung der belangten Behörde nach § 7 AsylG von Bedeutung. Bei Zutreffen des Berichtes der Delegationsreise könnte nämlich davon auszugehen sein, dem Beschwerdeführer drohe im Falle seiner Abschiebung bereits wegen seiner Nationalität die Gefahr von Misshandlungen und Folterungen. In diesem Fall wäre bei der im Rahmen des § 7 AsylG zu treffenden Zukunftsprognose nicht auszuschließen, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr in asylrelevanter Weise verfolgt werden würde, sodass sich der aufgezeigte Verfahrensmangel auch für die Entscheidung über die Asylgewährung selbst als relevant erweist.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Kostenersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Wien, am 7. Juni 2001

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte