VwGH 99/20/0160

VwGH99/20/016021.11.2002

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und durch die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Berger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Racek, über die Beschwerde des am 26. Oktober 1961 geborenen B A (auch: B oder B A) in Wien, vertreten durch Dr. Wolfgang Rainer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schwedenplatz 2/74, gegen den am 16. November 1998 mündlich verkündeten und am 16. Februar 1999 schriftlich ausgefertigten Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates, Zl. 200.440/0- VII/19/98, betreffend § 7 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein aus Bagdad stammender Staatsangehöriger des Irak, reiste am 2. November 1996 in das Bundesgebiet ein und stellte am 7. November 1996 einen Asylantrag. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am selben Tag gab er zu seinen Fluchtgründen an, er habe "seit Mitte 1995 laufend Probleme mit den irakischen Behörden". Er habe sich seit etwa zwei Jahren in unregelmäßigen Abständen mit mehreren Freunden in der Maschtel-Moschee getroffen, über die politische Lage diskutiert und sich über das Regime des Saddam Hussein kritisch geäußert. Sie hätten "festgestellt, dass Saddam Hussein und seine Regierung das Volk unterdrücken und abgesetzt gehören". Dies dürfte dem Geheimdienst bekannt geworden sein, sodass der Beschwerdeführer in der Folge drei Mal verhaftet und jeweils mehrere Monate (von Juli 1995 bis Ende Jänner 1996, von Anfang Februar bis Mai 1996 und schließlich von Juni bis Anfang Oktober 1996) im Gefängnis "Maschtal-Elbaldiat" festgehalten worden sei. Er sei fast täglich einvernommen und geschlagen worden, wobei er aber keine sichtbaren Verletzungen erlitten habe; lediglich ein im Juli 1995 zugefügter Nasenbeinbruch sei noch zu erkennen. Dem Beschwerdeführer sei vorgeworfen worden, "gegen die irakische Regierung zu sein bzw. diese stürzen zu wollen". Er vermute, dass ihn der irakische Sicherheitsdienst jeweils entlassen habe, um ihn überwachen, dadurch "eventuelle Hintermänner" ausforschen und diese festnehmen zu können. Bei der letzten Entlassung Anfang Oktober 1996 sei dem Beschwerdeführer angedroht worden, bei einer nochmaligen Verhaftung würde er das Gefängnis sicher nicht lebendig verlassen, weshalb er sich entschlossen habe, aus dem Irak zu flüchten. Auf den Vorhalt, warum er keine genauen Angaben zum jeweiligen Zeitpunkt der Festnahmen und Entlassungen machen könne, verwies der Beschwerdeführer darauf, dass er "während der Haft dauernd misshandelt wurde (Schläge auf den Kopf)" und daher "alles vergessen" habe.

Das Bundesasylamt versagte diesem Vorbringen mit näherer Begründung die Glaubwürdigkeit und wies deshalb (und weil für den Beschwerdeführer insbesondere in der Türkei bereits "Verfolgungssicherheit" im Sinne des § 2 Abs. 2 Z 3 des Asylgesetzes 1991 bestanden habe) den Asylantrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 18. November 1996 gemäß § 3 des Asylgesetzes 1991 ab.

In der dagegen erhobenen Berufung bekämpfte der Beschwerdeführer insbesondere die erstinstanzliche Beweiswürdigung. In diesem Zusammenhang brachte er auch ergänzend vor, er und seine Freunde "wollten eine islamische gewaltlose 'Revolution', eine 'Revolution' durch das Wort und nicht durch Waffen erreichen." Darüber hinaus machte der Beschwerdeführer geltend, ihm drohe im Irak die Hinrichtung, weil er das Land illegal verlassen habe.

Im Zuge des Berufungsverfahrens wurde der Beschwerdeführer am 28. Jänner 1998 (vor der Erstbehörde) ergänzend zur Konkretisierung seiner Fluchtgründe vernommen. Dabei verwies der Beschwerdeführer im Zusammenhang mit Fragen nach den näheren Daten seiner Festnahmen und Entlassungen, zu den Einzelheiten bei den Festnahmen und hinsichtlich der Behandlung während der Haft darauf, dass es ihm sehr schwer falle, sich daran zu erinnern. Er habe alles verdrängt und versuche alles zu vergessen.

Unter erkennbarer Bezugnahme darauf und auf die Erklärungen des Beschwerdeführers in der mündlichen Berufungsverhandlung vor der - gemäß § 44 Abs. 1 AsylG zuständig gewordenen - belangten Behörde am 6. November 1998, sein Erinnerungsvermögen habe wegen der Misshandlungen im Gefängnis "gelitten", was sich darin äußere, dass er viele Sachen vergessen habe, "auch solche die im Zusammenhang mit meiner Haftzeit stehen", brachte der Vertreter des Beschwerdeführers am Ende dieser Verhandlung vor, die Medizin kenne das posttraumatische Belastungssyndrom, von dem insbesondere Folteropfer betroffen seien. Demnach könnten sich Erkrankte an erlittene Folterungen, an Daten und Umstände während der Haft zum Teil gar nicht oder nur oberflächlich erinnern. Es werde daher der Beweisantrag auf Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens aus dem Fachbereich der Psychiatrie gestellt, wobei als Gutachter ein namentlich genannter Verein, der auf Folteropfer spezialisiert sei, vorgeschlagen werde.

Hierauf bestellte die belangte Behörde Dr. M. - nach der Adressierung des Bestellungsbescheides vom 12. November 1998 offenbar ein Mitglied des genannten Vereines - mit dem Auftrag zum Sachverständigen, in der fortgesetzten mündlichen Berufungsverhandlung am 16. November 1998 Befund und Gutachten über das Vorliegen eines posttraumatischen Syndroms (beim Beschwerdeführer) zu erstatten.

Bei der in diesem Sinne durchgeführten "Sachverständigeneinvernahme" verneinte der Sachverständige die Frage der Verhandlungsleiterin, ob er beim Beschwerdeführer ein "posttraumatisches Syndrom" habe feststellen können, mit der Begründung, die vom Beschwerdeführer beschriebenen Alpträume und akustischen Halluzinationen seien hiefür nicht typisch.

Am Ende dieser Verhandlung verwies der Vertreter des Beschwerdeführers unter Bezugnahme auf zwei in der Verhandlung erörterte UNHCR-Stellungnahmen (vom 13. August 1998, Beilage Nr. 2, und vom 29. September 1998, Beilage Nr. 3 zum Verhandlungsprotokoll) darauf, dass die Strafbestimmungen im irakischen Strafgesetzbuch für illegale Ausreise rigoros angewandt würden und eine Asylantragstellung im Ausland als Illoyalität gewertet werde, was strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehe. "In Zusammenschau mit dem Vorbringen" des Beschwerdeführers drohe ihm "zumindest eine langjährige Haftstrafe, wenn nicht eine Hinrichtung."

Mit dem angefochtenen, am 16. November 1998 mündlich verkündeten Bescheid, der am 16. Februar 1999 schriftlich ausgefertigt wurde, wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 7 AsylG ab. Mit näherer Begründung legte die belangte Behörde zunächst ausführlich dar, warum sie die Angaben des Beschwerdeführers zu den von ihm behaupteten - an seine politische Gesinnung anknüpfenden - im Irak erlittenen Verfolgungshandlungen (Verhaftungen und Folterungen) für nicht glaubwürdig erachtete. Insbesondere führte die belangte Behörde in diesem Zusammenhang auch aus:

"Aufgrund des Sachverständigengutachtens steht für das zuständige Mitglied fest, daß die gesamten unpräzisen Angaben des Berufungswerbers nicht auf Folterungen/Misshandlungen zurückgeführt werden können, weil beim Berufungswerber kein posttraumatisches Syndrom vorliegt."

Zu dem geltend gemachten "Nachfluchtgrund" der bei einer Rückkehr in den Irak drohenden Bestrafung wegen illegaler Ausreise und Asylantragstellung führte die belangte Behörde Folgendes aus:

"Einzig und allein das Berufungsvorbringen der illegalen Ausreise wird als glaubwürdig qualifiziert und als maßgebender Sachverhalt festgehalten.

...

In Kenntnis der irakischen Straftatbestände betreffend die illegale Ausreise bzw. betreffend Asylantragstellung im Ausland (siehe Beilage Nr. 2 u. Nr. 3) wird unter Bezugnahme auf den Bericht des deutschen Auswärtigen Amts, Stand August 1998 (= Beilage Nr. 4), festgehalten: Erfahrungswerte hinsichtlich abgeschobener oder zurückgekehrter Asylantragsteller und der Frage, inwieweit den irakischen Behörden das Stellen eines Asylantrages überhaupt bekannt würde, liegen nicht vor. Daneben gehen irakische Sicherheitsdienste offensichtlich willkürlich und unsystematisch vor - eine generelle Einschätzung des Umgangs mit ehemaligen Asylbewerbern im Irak ist somit kaum zu treffen. Allerdings kann davon ausgegangen werden, daß auch dem irakischen Regime bewußt ist, daß es sich bei irakischen Asylbewerbern und Flüchtlingen vielfach um Wirtschaftsflüchtlinge handelt. Vor dem Hintergrund der allgemeinen Situation im Irak erscheinen Verfolgungsmaßnahmen aufgrund bloßer Asylantragstellung (bei Wirtschaftsflüchtlingen) nicht als wahrscheinlich, falls nicht besondere Umstände im Einzelfall vorliegen."

Daraus folgerte die belangte Behörde rechtlich:

"Umstände, mit denen der Asylwerber seine Furcht vor Verfolgung begründet, die erst während des Aufenthaltes in Österreich eingetreten sind (sogenannte 'Nachfluchtgründe'), können grundsätzlich zur Asylgewährung führen. Doch können sogenannte subjektive (oder selbstgeschaffene) Nachfluchtgründe nur dann asylrelevant sein, wenn eine bereits vor der Flucht bestehende latente Gefährdungslage sich durch den selbstgeschaffenen Grund zu einer konkreten Verfolgungsgefahr steigert. Hinsichtlich des erstmals in der Berufung geltend gemachten subjektiven Nachfluchtgrundes der illegalen Ausreise aus dem Irak bleibt festzuhalten:

Wie zuvor (...) dargelegt, hat der Berufungswerber mangels eines glaubwürdigen Vorbringens nicht dartun können, daß er aus begründeter Furcht vor Verfolgung aus den in Art. 1 A Z 2 GFK genannten Gründen sein Heimatland Irak verlassen hat. Im Fall des Berufungswerbers muß daher eine bereits vor der Flucht bestehende latente Gefährdungslage verneint werden.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Judikatur ausführt, begründet (allein) die Befürchtung, wegen des unerlaubten Verlassens bzw. wegen Übertretung von den Aufenthalt im Ausland regelnder Vorschriften bestraft zu werden, keinen Fluchtgrund iSd GFK (VwGH v. 17.12.1994 (richtig: 17. Februar 1994), Zl: 94/19/0039; VwGH v. 16.12.1993, Zl: 95/20/1360 u. 1361 (richtig: 93/01/1360, 1361); u.v.a.). Eine asylrechtlich relevante Konsequenz der illegalen Ausreise könnte sich nur dann ergeben, wenn der Berufungswerber dargelegt hätte, daß eine allfällige, ihm drohende Bestrafung nicht im Rahmen des gewöhnlichen, alle Bewohner treffenden Strafanspruches seines Heimatlandes erfolgt, sondern daß er aus Gründen iSd GFK beispielsweise eine strengere Bestrafung als gewöhnlich zu gewärtigen hätte. Dies darzutun, ist dem Berufungswerber aber mangels bereits vor der Flucht bestehender latenter Gefährdungslage nicht gelungen.

Festgestellt wird, daß die alleinige Befürchtung einer eventuellen Bestrafung wegen illegaler Ausreise bzw. illegalem Auslandsaufenthalt oder wegen Asylantragstellung im gegenständlichen Fall keine asylrelevante aktuelle Verfolgungsgefahr zu begründen vermag (siehe o.zit. Ausführungen des deutschen Auswärtigen Amts)."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Das Schwergewicht der Beschwerdeausführungen liegt auf der Bekämpfung der Beweiswürdigung. Erkennbar unter dem Gesichtspunkt der Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides nimmt die Beschwerde aber auch zu den dem Beschwerdeführer wegen seiner illegalen Ausreise drohenden Konsequenzen Stellung. Sie verweist insbesondere darauf, dass nach dem Bericht des UNHCR Beilage Nr. 2 für den Tatbestand der unerlaubten Ausreise erhebliche Straffolgen vorgesehen seien und diese Strafnorm rigoros angewandt werde, und führt in diesem Zusammenhang auch ins Treffen, dass der Beschwerdeführer durch den Verstoß gegen Ausreisevorschriften seine - auch zuvor schon angelastete - regimefeindliche Gesinnung nur noch weiter unter Beweis gestellt habe.

Dieses Vorbringen führt die Beschwerde im Ergebnis zum Erfolg:

Die belangte Behörde hat in Bezug auf das Vorbringen des Beschwerdeführers, ihm drohe wegen seiner illegalen Ausreise (in Verbindung mit dem anschließenden Auslandsaufenthalt) und wegen der Asylantragstellung bei einer Rückkehr in den Irak "zumindest eine langjährige Haftstrafe, wenn nicht eine Hinrichtung", aus rechtlichen Gründen die Asylrelevanz verneint, sich aber in diesem Zusammenhang auf tatsächlicher Ebene auch auf den Inhalt (des Auszuges) eines Berichtes des deutschen Auswärtigen Amtes, Beilage Nr. 4, gestützt.

Der belangten Behörde ist zuzugestehen, dass auf Grund von älteren Erkenntnissen des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Asylgesetzen der (zu pauschale) Rechtssatz entwickelt wurde, den an eine "Übertretung pass- und fremdenpolizeilicher oder sonstiger den Aufenthalt im Ausland regelnder Vorschriften" anknüpfenden Sanktionen fehle der Zusammenhang mit einem Konventionsgrund (vgl. die Nachweise bei Steiner, Österreichisches Asylrecht (1990), 32, und die daran anschließende Rechtsprechung, z.B. das hg. Erkenntnis vom 27. Jänner 1994, Zl. 93/01/1191, die bereits von der belangten Behörde zitierten Erkenntnisse und etwa auch das den Irak betreffende Erkenntnis vom 5. Juni 1996, Zlen. 95/20/0344 bis 0346). In dem einen Asylwerber aus Vietnam betreffenden Erkenntnis vom 21. März 2002, Zlen. 99/20/0520, 0521, wurde (mit Bezugnahme auf zum Irak ergangene Rechtsprechung und die Auffassung in der Lehre) mittlerweile aber klargestellt, dass diese insbesondere in Bezug auf Sanktionen wegen "Republikflucht" (vor allem in Vietnam) auch bei etwaigen Einweisungen in "Umerziehungslager" u.dgl. einen Zusammenhang mit Konventionsgründen verneinende Vorjudikatur in dieser Hinsicht nicht ohne Differenzierungen aufrecht zu erhalten ist; vielmehr hänge es von den Einzelheiten des jeweils zu beurteilenden Bedrohungsbildes ab. Der Verwaltungsgerichtshof hatte in seiner in diesem Sinn zum Asylgesetz 1997 ergangenen Rechtsprechung schon zuvor wiederholt ausgeführt, dass einem Vorbringen, wie es der Beschwerdeführer als "Nachfluchtgrund" erstattet hat, vor dem Hintergrund der besonderen politischen Verhältnisse im Irak nicht von vornherein die Asylrelevanz abgesprochen werden könne. Dazu kann gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf die Nachweise in dem Erkenntnis vom 22. November 2001, Zl. 98/20/0221, verwiesen werden (vgl. auch die Erkenntnisse vom heutigen Tag, Zl. 99/20/0175, Zl. 2000/20/0562 und Zl. 2000/20/0409, die auch auf das Erkenntnis vom 21. März 2002, Zl. 99/20/0401, mwN, Bezug nehmen)

In dem zuletzt erwähnten Erkenntnis Zl. 99/20/0401 wurde im Anschluss an die Verweisung auf diese Rechtsprechungskette verdeutlicht, dass in dieser bereits der Gesichtspunkt zum Ausdruck gebracht worden sei, der erforderliche Zusammenhang zu einem Konventionsgrund könne etwa dann gegeben sein, wenn der (für die unerlaubte Ausreise aus dem Irak) drohenden Sanktion jede Verhältnismäßigkeit fehle, weil dies dann zumindest auch auf der - generellen - Unterstellung einer oppositionellen Gesinnung beruhen könne (vgl. in diesem Zusammenhang zur möglichen Anknüpfung an einen Konventionsgrund bei unverhältnismäßig strengen Strafen auch das den Irak betreffende Erkenntnis vom 25. März 1999, Zl. 98/20/0431, und daran anschließend das Erkenntnis vom 27. September 2001, Zl. 99/20/0409, mwN).

In der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. das Erkenntnis vom 16. Dezember 1999, Zl. 98/20/0415, mit Hinweisen auf die Lehre, und jüngst etwa auch das bereits zitierte Erkenntnis Zlen. 99/20/0520, 0521) wurde in diesem Zusammenhang auch ausdrücklich hervorgehoben, dass dem Umstand, ob die Verfolgungsgefahr vor oder nach der Ausreise des Asylwerbers entstanden ist, in der Regel keine Bedeutung zukomme. Entgegen der Meinung der belangten Behörde ist für die Berechtigung des hier zu beurteilenden "Nachfluchtgrundes" somit nicht Voraussetzung, dass "eine bereits vor der Flucht bestehende latente Gefährdungslage" gegeben war. Diese Ansicht wurde von der belangten Behörde offenbar aus der Rechtsprechung in der Bundesrepublik Deutschland übernommen (vgl. zu den "subjektiven" Nachfluchtgründen, etwa Marx, Handbuch zur Asyl- und Flüchtlingsanerkennung, § 27, Rz 19ff), ohne die Unterschiede in der deutschen und österreichischen Rechtslage zu beachten. Nach dem geltenden österreichischen Recht, welches uneingeschränkt auf Art. 1 Abschn. A Z 2 FlKonv verweist, kommt im Unterschied zur deutschen Rechtslage das Kriterium einer zuvor bestandenen "latenten Gefährdungslage" als Tatbestandsvoraussetzung für die Asylgewährung von vornherein nicht in Betracht.

Ausgehend von einer somit nicht zu teilenden Rechtsansicht hat die belangte Behörde eine Auseinandersetzung mit der Frage unterlassen, ob die dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat wegen seiner illegalen Ausreise, seines anschließenden Auslandsaufenthaltes und wegen der Asylantragstellung drohenden Sanktionen, sofern solche zu erwarten sind, den Charakter einer Verfolgung wegen einer zumindest unterstellten politischen Gesinnung haben. Der Hinweis auf den Auszug eines Berichtes des deutschen Auswärtigen Amtes, Beilage Nr. 4, reicht in diesem Zusammenhang nicht aus, weil er sich einerseits nur mit der Frage von strafrechtlichen Konsequenzen für die "bloße" Asylantragstellung durch "Wirtschaftsflüchtlinge" befasst, und weil andererseits die diesbezügliche Einschätzung einer gefahrlosen Rückkehrmöglichkeit zu der davor vorgenommenen Beurteilung, dass "die irakischen Sicherheitsdienste offensichtlich willkürlich und unsystematisch vorgehen" und "eine generelle Einschätzung des Umgangs mit ehemaligen Asylbewerbern im Irak somit kaum zu treffen" sei, im Widerspruch zu stehen scheint. Darüber hinaus hat die belangte Behörde die Stellungnahmen des UNHCR Beilage Nr. 2 und 3, wonach die illegale Ausreise aus dem Irak und der sich anschließende Auslandsaufenthalt unter Strafe stehen, hiefür Freiheitsstrafen in der Dauer von 5 bis 15 Jahren verhängt würden und diese Strafbestimmung in der Praxis rigoros angewandt werde, zwar nach der Bescheidbegründung "zur Kenntnis genommen", ist darauf aber nicht näher eingegangen. Dem angefochtenen Bescheid kann demnach auch nicht entnommen werden, warum dem Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes, Beilage Nr. 4, gegenüber den Ausführungen des UNHCR, nach denen die Asylantragstellung zwar kein eigener Straftatbestand sei, aber wegen der damit zwangsläufig verbundenen Distanzierung vom Herkunftsstaat unter (andere) "Straftatbestimmungen" subsumiert und von den irakischen Behörden generell als Illoyalität gegenüber dem irakischen Regime gewertet werde, der Vorzug gegeben wurde.

Da im Sinne der dargestellten Rechtsprechung die Asylrelevanz des geltend gemachten "Nachfluchtgrundes" unter Bedachtnahme auf die Berichtslage zum Irak somit auch im vorliegenden Fall nicht von vornherein zu verneinen ist, leidet der angefochtene Bescheid im Sinne des Vorgesagten an diesbezüglichen Feststellungs- und Begründungsmängeln.

Zu der im Zentrum der Bescheidbegründung stehenden und in den Beschwerdeausführungen schwerpunktmäßig gerügten Beweiswürdigung ist noch Folgendes auszuführen:

Die Beschwerde zeigt zum Teil zutreffend Schwächen der Beweiswürdigung auf, die allerdings weitgehend Begründungsteile betreffen, welche für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers in Bezug auf seine Fluchtgründe nicht besonders ins Gewicht fallen. Ungeachtet dessen könnte die Würdigung der Beweisergebnisse aber jedenfalls dann als schlüssig angesehen werden, wenn die (bei der Vernehmung am 28. Jänner 1998 angedeutete und in der mündlichen Berufungsverhandlung am 6. November 1998 unter ausdrücklicher Bezugnahme auf ein "posttraumatisches Belastungssyndrom" wiederholte) Rechtfertigung des Beschwerdeführers, seine unpräzisen Angaben zu den Zeitpunkten seiner Festnahme und Enthaftungen sowie zu den näheren Umständen bei diesen und während der Haft seien auf Erinnerungslücken bzw. - schwächen infolge der Misshandlungen (Folterungen) in der Haft zurückzuführen, mit nachvollziehbarer Begründung für nicht glaubhaft zu beurteilen wäre. Das hat die belangte Behörde zwar mit dem Hinweis auf das in der mündlichen Berufungsverhandlung am 16. November 1998 erstattete Sachverständigengutachten, wonach beim Beschwerdeführer kein posttraumatisches (Stress)Syndrom habe festgestellt werden können, so gesehen. Diese Argumentation wäre aber nur dann tragfähig, wenn einerseits die Qualifikation des Sachverständigen zur Beurteilung dieser Frage ausreicht - was die Beschwerde in Frage stellt und mangels näherer Angaben, auf welchem Fachgebiet der Sachverständige über ausreichende Erfahrungen verfügt, anhand der Aktenlage nicht beurteilt werden kann - und wenn andererseits unabhängig vom Vorliegen des erwähnten Syndroms andere medizinische Ursachen für "Erinnerungslücken" - dazu erscheinen die Ausführungen des Sachverständigen ergänzungsbedürftig - nicht in Betracht kämen.

Der angefochtene Bescheid war somit wegen der (prävalierenden) Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich aus die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 21. November 2002

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte