Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund (Bundeskanzleramt) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Sierra Leone und reiste am 15. Februar 1998 in das Bundesgebiet ein. Am 16. Februar 1998 beantragte er Asyl. Er begründete seinen Antrag damit, dass er Sekretär von F.M. gewesen sei, der direkt "Sanko", dem Führer der "RUF ", unterstellt gewesen sei. Er habe am 27. Jänner 1998 an einem Treffen von RUF-Mitgliedern in Freetown teilgenommen, welche Versammlung von Truppen der ECOMOG im Zusammenwirken mit Anhängern des Präsidenten Kabbah gewaltsam angegriffen worden sei. Es habe viele Tote gegeben. Er sei innerhalb der RUF mit der Beschaffung von Lebensmitteln beauftragt gewesen, wofür er Geld erhalten habe. Er habe die Gelegenheit genützt und sei mit diesem Geld geflüchtet.
Im Zuge einer Befragung durch das Bundesasylamt am 24. April 1998 gab der Beschwerdeführer an, dass er nach Rückkehr der Regierung Kabbah an die Macht als Anhänger der RUF die Verhaftung und Tötung befürchte. In Sierra Leone sei derzeit niemand sicher, der der RUF angehört habe. Überdies sei er im Nahebereich des F. M. tätig gewesen. Er habe Informationen von einem Bekannten aus Sierra Leone erhalten, wonach Angehörige der RUF durch die neue Regierung verhaftet worden seien. Es handle sich bei seinem Informanten um einen Geschäftsmann, der an die RUF Waffen geliefert habe.
Das Bundesasylamt wies den Asylantrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 9. Juli 1998 ab. Zugleich sprach es aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone gemäß § 8 AsylG zulässig sei.
Dagegen erhob der Beschwerdeführer Berufung.
Im Zuge des Berufungsverfahrens hielt die belangte Behörde dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 15. September 1998 vor, dass sich die politische Lage in Sierra Leone stabilisiert habe. Es gäbe "laut Berichten des UNHCR, des U.S. Department of State und von Amnesty International keinerlei Hinweise auf Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) der RUF-Rebellen in Sierra Leone" und es bestehe für den Beschwerdeführer "in den Distrikten Kailahun und Kono, welche weiterhin unter Kontrolle der RUF-Rebellen sind, eine inländische Fluchtalternative".
Dem hielt der Beschwerdeführer in seiner Stellungnahme vom 24. September 1998 entgegen, dass u.a. die "RUF-Rebellen" nicht zu den Wahlen, bei welchen Präsident Kabbah die Mehrheit erhalten habe, zugelassen gewesen seien. Weiters seien die Distrikte Kailahun und Kono nicht unter der Kontrolle der Rebellen, sondern "laut BBC-Bericht vom 21. September 1998 unter Beschuss". Der Führer der RUF "Corporal Fode Sanko" sei inhaftiert worden. Die Gründe, die ihn zum Verlassen von Sierra Leone veranlasst hätten, seien somit weiter gegeben.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 28. September 1998 wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab. Gemäß § 8 AsylG i.V.m. § 57 FrG stellte sie fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone zulässig sei.
Dazu führte sie aus, "selbst wenn man den Angaben des Asylwerbers in vollem Umfang Glauben schenkt, also im bestmöglichen Fall", bestehe keine Verfolgungsgefahr im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention. Allein der Umstand, dass der Beschwerdeführer "Mitglied des zivilen Flügels der RUF-Rebellen" gewesen sei, indiziere noch keine politische Verfolgung in Sierra Leone. Präsident Kabbah sei bemüht, sowohl eine Entwaffnung der früheren Bürgerkriegsparteien als auch eine Aussöhnung unter diesen bewaffneten Gruppierungen zu schaffen. Die vom Beschwerdeführer angesprochenen Verhaftungen hätten anlässlich der Kämpfe mit den ECOMOG-Truppen stattgefunden und seien nicht "als politische Verhaftungen, sondern als Inhaftierungen von Kriegsgegnern im Zuge von gewonnenen Kampfhandlungen anzusehen". Wenn der Beschwerdeführer vorbringe, dass weiterhin Angehörige der RUF-Rebellen inhaftiert würden, so sei zu bemerken, "dass sich die Mitglieder der RUF-Rebellen zahlreicher, grausamer Menschenrechtsverletzungen wie z.B. Vergewaltigungen, Verstümmelungen, Brandschatzungen und Morden schuldig gemacht haben, weshalb eine strafrechtliche Verfolgung sich dieser Verbrechen schuldig gemachter Personen nach Wiederherstellung der demokratischen und rechtsstaatlichen Ordnung in Sierra Leone als selbstverständlich erachtet wird. Da keinerlei Anhaltspunkte vorliegen, dass mutwillige Inhaftierungen ohne strafrechtlichen Belang von RUF-Rebellen in Sierra Leone vorkommen", sei von einer Verfolgungsgefahr, welche mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit drohe, nicht auszugehen.
Zu § 8 AsylG führte die belangte Behörde weiters aus, dass die demokratische Regierung von Präsident Kabbah voll funktionsfähig sei und mit Hilfe der ECOMOG-Truppen die Hauptstadt Freetown und alle größeren Orte des Landes, außer den Orten in den Distrikten von Kailahun und Kono, kontrollierte. Die Repatriierung der Flüchtlinge von Sierra Leone unter Aufsicht des UNHCR sei bereits voll im Gang, was ein deutlicher Hinweis dafür sei, dass das Land für alle heimkehrenden Flüchtlinge sicher sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte in der fristgerecht erstatteten Gegenschrift, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Es trifft zwar zu, dass grundlegende politische Veränderungen in dem Staat, aus dem der Asylwerber aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung geflüchtet zu sein behauptet, die Annahme begründen können, dass der Anlass für die Furcht vor Verfolgung nicht (mehr) länger bestehe (Art. 1 Abschnitt C Z 5 Genfer Flüchtlingskonvention). Allerdings darf es sich dabei nicht nur um vorübergehende Veränderungen handeln (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 25. November 1999, Zl. 99/20/0466). Angesichts des langjährigen und auch nach Auffassung der belangten Behörde besonders grausam geführten Bürgerkrieges in Sierra Leone kann eine derartige grundlegende Änderung nicht vor dem Verstreichen eines angemessenen Beobachtungszeitraumes angenommen werden. Unterstellt man mit der belangten Behörde, dass die Angaben des Beschwerdeführers glaubhaft seien, so flüchtete er im Februar 1998 vor den Truppen des die Macht in Sierra Leone wieder übernehmenden Präsidenten Kabbah. Die belangte Behörde ist den Ausführungen des Beschwerdeführers in seiner Stellungnahme im Berufungsverfahren insoweit nicht entgegengetreten, als dieser vorgebracht hatte, es fänden nach wie vor Kämpfe zwischen den Truppen des Präsidenten Kabbah und Angehörigen der "RUF-Rebellen" in den nördlichen Provinzen von Sierra Leone statt und es käme auch zu zahlreichen Verhaftungen von Anhängern der "Rebellen" durch die Regierungstruppen. Warum der von der Erstbehörde festgestellte Umstand, Präsident Kabbah sei bemüht, "sowohl eine Entwaffnung der bewaffneten früheren Bürgerkriegsparteien als auch eine Aussöhnung unter diesen Gruppen zu schaffen", bereits eine geänderte stabile Situation herbeigeführt haben soll, die keine Verfolgung von Angehörigen der RUF durch die vormalige gegnerische Bürgerkriegspartei des nunmehrigen Präsidenten befürchten lasse, ist nicht ausreichend nachvollziehbar. Angesichts der aufgezeigten Umstände (insbesondere wegen des langen Zeitraumes der vorangegangenen heftig geführten Kämpfe und der auch von der belangten Behörde angenommenen nur schrittweisen Festigung der Staatsgewalt unter Präsident Kabbah) erscheint der hier gegebene Beobachtungszeitraum von etwa einem halben Jahr zwischen der im Februar jedenfalls noch gegeben gewesenen Verfolgungssituation des Beschwerdeführers bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides vom 28. September 1998 als zu kurz, um von einer wesentlichen und nachhaltigen Veränderung der vormals gegebenen Situation sprechen zu können.
Der angefochtene Bescheid war daher (und zwar auch hinsichtlich seines Ausspruches gemäß § 8 AsylG als Folge der Aufhebung des den Asylantrag abweisenden Spruchteiles; vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 25.November 1999, Zl. 99/20/0207) zur Gänze wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 23. März 2000
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