VwGH 99/18/0354

VwGH99/18/035431.3.2000

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Bayjones und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Ogris, über die Beschwerde der L (vormals D), geboren am 3. April 1975, vertreten durch Dr. Achim Maurer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Graben 27-28, Stiege 2/9, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 5. August 1999, Zl. SD 206/99, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1997 §36 Abs2 Z1;
FrG 1997 §37;
FrG 1997 §36 Abs2 Z1;
FrG 1997 §37;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1.1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 9. August 1995 wurde gegen die Beschwerdeführerin, eine jugoslawische Staatsangehörige, gemäß § 18 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 Fremdengesetz, BGBl. Nr. 838/1992, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von zehn Jahren erlassen.

Mit hg. Beschluss vom 17. September 1998, Zl. 95/18/1287, wurde die dagegen gerichtete Beschwerde gemäß § 114 Abs. 7 iVm Abs. 4 und § 115 Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I. Nr. 75, als gegenstandslos erklärt und das verwaltungsgerichtliche Verfahren eingestellt, weil die Beschwerdeführerin keine Möglichkeit gehabt hatte, erst im Rahmen der Ermessensentscheidung gemäß § 36 Abs. 1 FrG relevante, gegen die Erlassung des Aufenthaltsverbotes sprechende Umstände geltend zu machen, und der Aufenthaltsverbotsbescheid keine Begründungselemente enthielt, die eine Überprüfung im Hinblick auf die nunmehr gebotene Ermessensübung ermöglichten.

1.2. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 5. August 1999 hat die belangte Behörde gegen die Beschwerdeführerin gemäß § 36 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 FrG neuerlich ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von zehn Jahren erlassen.

Die Beschwerdeführerin befinde sich nach ihren Angaben seit 1989 in Österreich, habe jedoch erst im Jahr 1990 erstmals einen Aufenthaltstitel erhalten.

Mit Urteil vom 6. Dezember1994 sei sie vom Landesgericht für Strafsachen Wien wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Diebstahls gemäß §§ 127, 128 Abs. 2 und 130 erster Fall StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von zwei Jahren rechtskräftig verurteilt worden. Sie habe im Zeitraum vom Jänner 1993 bis Ende Mai 1994 mit einem Mittäter 46 Diebstähle in wiener Kaufhäusern begangen, wobei der Wert der gestohlenen Kleidungsstücke etwa S 670.000,-- betragen habe. Bei den Tathandlungen habe die Beschwerdeführerin den jeweiligen Verkäufer abgelenkt, während der Mittäter vorwiegend teure Markenkleidung an sich genommen und das Geschäft unbemerkt verlassen habe. Dabei habe die Beschwerdeführerin planmäßig mit Bereicherungsvorsatz gehandelt. Es könne kein Zweifel bestehen, dass der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG erfüllt sei.

Entgegen dem Vorbringen der Beschwerdeführerin könne von einer untergeordneten Tatbeteiligung keine Rede sein. Das Geständnis der Beschwerdeführerin sei vom Strafgericht bei der Strafzumessung bereits berücksichtigt worden. Der Umstand, dass die Beschwerdeführerin bei der Tatbegehung teilweise noch minderjährig gewesen sei, könne die von ihr ausgehende Gefahr nicht relativieren. Das dargestellte Gesamtfehlverhalten der Beschwerdeführerin beeinträchtige die öffentliche Ordnung und Sicherheit in nicht unerheblichem Ausmaß, sodass sich die Erlassung des Aufenthaltsverbotes - vorbehaltlich der Bestimmungen der §§ 37 und 38 FrG - im Grund des § 36 Abs. 1 leg. cit. als gerechtfertigt erweise.

Die Beschwerdeführerin sei seit 7. Juli 1998 verheiratet und seit wenigen Monaten für ein Kind sorgepflichtig. Nicht zuletzt auf Grund der Dauer ihres inländischen Aufenthaltes sei das Aufenthaltsverbot mit einem Eingriff in das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin verbunden. Dieser Eingriff sei jedoch zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele (Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen, Schutz des Eigentums und der Rechte dritter) dringend geboten. Die Beschwerdeführerin sei bei ihren Straftaten über einen Zeitraum von 16 Monaten planmäßig mit dem Vorsatz, sich eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, vorgegangen. Dass sie zu den Tathandlungen angestiftet worden sei, vermöge die Verwerflichkeit ihres Handelns und die daraus resultierende Gefahr nicht zu relativieren. Auch angesichts der Tatsache, dass die Tathandlungen bereits mehr als fünf Jahre zurücklägen, könne nicht mit der erforderlichen Verlässlichkeit eine positive Prognose für die Beschwerdeführerin getroffen werden.

Bei der gemäß § 37 Abs. 2 FrG durchzuführenden Interessenabwägung sei zu bedenken, dass die soziale Komponente der Integration der Beschwerdeführerin durch das strafbare Verhalten eine nicht unerhebliche Schmälerung erfahren habe. Überdies sei zu berücksichtigen, dass die Beschwerdeführerin die Ehe zu einem Zeitpunkt geschlossen habe, in dem sie nur auf Grund der vom Verwaltungsgerichtshof im Verfahren über die Beschwerde gegen das am 9. August 1995 verhängte Aufenthaltsverbot zuerkannten aufschiebenden Wirkung zum Aufenthalt berechtigt gewesen sei. Die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation der Beschwerdeführerin wögen nicht schwerer als die gegenläufigen öffentlichen Interessen.

2. Gegen dieses Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1.1. In der Beschwerde bleibt die - unbedenkliche - Ansicht der belangten Behörde, es sei vorliegend der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 (dritter Fall) FrG verwirklicht, unbekämpft.

Auch gegen die von der belangten Behörde vertretene Auffassung, es sei die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt, hegt der Verwaltungsgerichtshof im Hinblick auf das große öffentliche Interesse an der Verhinderung der Eigentumskriminalität keine Bedenken.

2.1. Bei der Prüfung der Zulässigkeit des Aufenthaltsverbotes im Grund des § 37 Abs. 1 und Abs. 2 FrG fällt zu Gunsten der Beschwerdeführerin ins Gewicht, dass sie sich seit 1990 erlaubt im Bundesgebiet aufhält und mit ihrem - gut integrierten - Gatten und dem gemeinsamen Kind zusammenlebt. Sie hat nach der Aktenlage in Österreich den polytechnischen Lehrgang besucht und ist seither nahezu durchgehend legal berufstätig. In Österreich lebt auch die Mutter der Beschwerdeführerin und ihre Großeltern, in deren Haushalt sie seit 1990 aufgewachsen ist. Nach ihrem Vorbringen leide der Großvater an Diabetes, habe "Wasser in der Lunge" und bereits drei "Herzanfälle" erlitten. Sie sorge gemeinsam mit ihrer Großmutter für die Pflege des Großvaters und sei aufgrund ihres Einkommens die "finanzielle Säule" der Familie.

2.2. Diesen sehr gewichtigen persönlichen Interessen der Beschwerdeführerin am Verbleib im Bundesgebiet steht gegenüber, dass sie einen schweren Diebstahl mit 46 Tathandlungen und einem Gesamtschaden von etwa S 670.000,-- in der Absicht begangen hat, sich durch die wiederkehrende Begehung strafbarer Handlungen eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen (gewerbsmäßig gemäß § 70 StGB). Die Beschwerdeführerin hat die Straftaten jedoch bereits in der Zeit von Jänner 1993 bis Mai 1994, somit im Alter von noch nicht ganz 18 Jahren bis knapp 19 Jahren begangen. Aus dem Umstand, dass sich die Beschwerdeführerin, die jetzt verheiratet und Mutter eines Kleinkindes ist, in den mehr als fünf Jahren seit Begehung der strafbaren Handlungen wohl verhalten hat, ergibt sich eine deutliche Minderung der von der Beschwerdeführerin ausgehenden Gefährdung öffentlicher Interessen.

Unter Berücksichtigung all dieser Umstände erweist sich die Ansicht der belangten Behörde, die Erlassung des Aufenthaltsverbotes sei zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten und die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation der Beschwerdeführerin und ihrer Familie wögen nicht schwerer als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung, als rechtswidrig.

3. Da die belangte Behörde somit die Rechtslage verkannt hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

4. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 31. März 2000

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