VwGH 99/14/0068

VwGH99/14/006831.3.2003

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß und die Hofräte Mag. Heinzl, Dr. Zorn, Dr. Robl und Dr. Büsser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Racek, über die Beschwerde der Ing. UE in Wien, vertreten durch Czerwenka & Partner, Rechtsanwälte KEG in 1010 Wien, Rudolfsplatz 12, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 17. Juli 1998, GZ. RV/111-07/01/98, betreffend Haftung gemäß § 14 BAO, zu Recht erkannt:

Normen

BAO §14 Abs1;
EStG §24 Abs1 Z1;
BAO §14 Abs1;
EStG §24 Abs1 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von 1.089,68 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin kaufte im Jahr 1994 vom Verlag ihres Ehemannes R. (im Folgenden R-Verlag) "die Produkte O Index und W Führer mit allen Rechten einschließlich des Urheberrechts" samt Büroinventar und Einrichtungsgegenständen. Laut Vertrag vom 2. November 1994 übernahm die Beschwerdeführerin auch "alle Verpflichtungen betreffend der Büromiete, sowie der Betriebskosten, sowie alle Verpflichtungen gegenüber den laufenden Krediten und Kontorahmen" bei mehreren Banken per 31. Dezember 1994. Weiters wurde vereinbart, dass alle eingehenden Beträge, die aus Erlösen der erworbenen Produkte vor dem 31. Dezember 1994 stammen, R. zur Abdeckung bestehender Schulden zur Verfügung gestellt werden und die Beschwerdeführerin "im Gegenzug" dem R-Verlag alle Rechte an einem anderen näher bezeichneten Verlagsprodukt verkauft.

Das Finanzamt beurteilte diesen Vorgang als Unternehmenserwerb und zog die Beschwerdeführerin mit Bescheid vom 3. Februar 1997 zur Haftung gemäß § 14 BAO für die aushaftenden Abgabenschulden ihres Ehemannes im Ausmaß von S 724.539,60 (Umsatzsteuer 1993 und 1994, Lohnsteuer, Dienstgeberbeitrag und Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag jeweils für 1994) heran.

Die Beschwerdeführerin erhob Berufung und brachte vor, dass sie nicht das Unternehmen übernommen, sondern lediglich Lizenzen für die Produkte "O Index" und "W Führer" gekauft habe. R. habe neben diesen Produkten noch andere Produkte verlegt und einen Büromaschinenhandel betrieben.

Mit Berufungsvorentscheidung vom 9. Februar 1998 wurde die Berufung abgewiesen. Begründend führte das Finanzamt aus, dass es für eine Haftung gemäß § 14 BAO genüge, wenn die wesentlichen Grundlagen des Unternehmens übereignet werden. Da anlässlich einer Betriebsprüfung festgestellt worden sei, dass die Hauptaufgabe des R-Verlages die Organisation des "W Führers" gewesen sei, könne davon ausgegangen werden, dass dieses Produkt die wesentliche Grundlage des bisherigen Betriebes gewesen sei.

In ihrem Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz wiederholte die Beschwerdeführerin ihr bisheriges Vorbringen und wies ergänzend darauf hin, dass sie nur eine der insgesamt fünf Angestellten des R. übernommen und das Büroinventar tatsächlich nicht erhalten habe, weil es schon vorher versteigert worden sei. Überhaupt wäre der R-Verlag nicht fortführbar gewesen, da die Gewerbeberechtigung aufgrund abgewiesener Konkursanträge verloren gegangen sei. Auch habe sie ihren Gewerbebetrieb um zahlreiche weitere Aktivitäten bereichert und anders organisiert, sodass der "W Führer" nur eine Sparte ihres Unternehmens darstelle.

Mit dem angefochtenen Bescheid schränkte die belangte Behörde die Haftung auf einen Betrag von S 604.507,60 ein, weil die Beschwerdeführerin für Dienstgeberbeitrag, Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag sowie Lohnsteuer 10/94 und 11/94 zu Unrecht in Anspruch genommen und ein Teil der Umsatzsteuer inzwischen entrichtet worden sei. Im Übrigen hielt die belangte Behörde die Haftung der Beschwerdeführerin aufrecht. Aus den Bilanzen im Zusammenhang mit der Gewinn- und Verlustrechnung des R. sei ersichtlich, dass die Umsatzerlöse 1993 ausschließlich und die Umsatzerlöse 1994 überwiegend aus den Erlösen für den "W Führer" und den "O Index" bestanden hätten. Es könne daher davon ausgegangen werden, dass die Beschwerdeführerin jene Produkte übernommen habe, welche die wesentliche Grundlage des Unternehmens gebildet hätten. Dass auf die Beschwerdeführerin ein lebendes Unternehmen übergegangen sei, ergebe sich daraus, dass sie laut ihren eigenen Angaben anlässlich der Betriebseröffnung am 13. Februar 1995 den "Betrieb W Führer" gegen Schuldübernahme erworben und diesen Betrieb auch fortgeführt habe. Dass die Beschwerdeführerin ihren Betrieb völlig anders organisiert habe, sei unerheblich, da es für die Haftung bereits genüge, wenn die erworbenen Wirtschaftsgüter objektiv die Fortführung des Betriebes ermöglichten.

Die Beschwerdeführerin erhob gegen diesen Bescheid zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, welcher deren Behandlung mit Beschluss vom 22. Februar 1999, B 1641/98-10, ablehnte und sie antragsgemäß dem Verwaltungsgerichtshof abtrat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 14 Abs. 1 BAO idF BGBl. Nr. 448/1992 lautet:

"(1) Wird ein Unternehmen oder ein im Rahmen eines Unternehmens gesondert geführter Betrieb im Ganzen übereignet, so haftet der Erwerber

a) für Abgaben, bei denen die Abgabepflicht sich auf den Betrieb des Unternehmens gründet, soweit die Abgaben auf die Zeit seit dem Beginn des letzten, vor der Übereignung liegenden Kalenderjahres entfallen;

b) für Steuerabzugsbeträge, die seit dem Beginn des letzten, vor der Übereignung liegenden Kalenderjahres abzuführen waren.

Dies gilt nur insoweit, als der Erwerber im Zeitpunkt der Übereignung die in Betracht kommenden Schulden kannte oder kennen musste und insoweit, als er an solchen Abgabenschuldigkeiten nicht schon so viel entrichtet hat, wie der Wert der übertragenen Gegenstände und Rechte (Besitzposten) ohne Abzug übernommener Schulden beträgt."

Übereignung des Unternehmens im Ganzen bzw. Veräußerung des ganzen Betriebes liegen vor, wenn der Erwerber ein lebendes bzw. lebensfähiges Unternehmen übernimmt; dabei müssen nicht alle zum Unternehmen gehörigen Wirtschaftsgüter übereignet werden, sondern nur jene, die die wesentliche Grundlage des Unternehmens bilden und den Erwerber in die Lage versetzen, das Unternehmen fortzuführen. Dabei ist die Frage, welche Wirtschaftsgüter die wesentliche Grundlage des Unternehmens bilden, in funktionaler Betrachtungsweise nach dem jeweiligen Betriebstypus (z.B. ortsgebundene Tätigkeit, kundengebundene Tätigkeit, Produktionsunternehmen usw.) zu beantworten (vgl. z.B. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. April 1996, 94/15/0025).

Nicht entscheidend ist im gegebenen Zusammenhang, ob der Veräußerer auf Grund seiner angespannten finanziellen Situation in der Lage gewesen wäre, den Betrieb fortzuführen. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob der Erwerber bereit ist, den erworbenen Betrieb unverändert fortzuführen, wenn die insgesamt erworbenen Wirtschaftsgüter objektiv die Fortführung des Betriebes ermöglichten (vgl. zusammenfassend mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Hofstätter/Reichel, Einkommensteuerkommentar, Tz. 13 zu § 24).

Die belangte Behörde ging im angefochtenen Bescheid davon aus, dass die Produkte "W Führer" und "O Index" die wesentlichen Grundlagen des "Unternehmens" gewesen seien und begründete dies damit, dass die Umsatzerlöse 1993 ausschließlich und die Umsatzerlöse 1994 überwiegend aus den Erlösen für diese zwei Produkte bestanden haben und die Rechte an diesen Werken auf die Beschwerdeführerin übergegangen seien.

Demgegenüber bringt die Beschwerdeführerin vor, es seien lediglich Verlagsrechte gekauft bzw. verkauft worden wie dies "im Rahmen des Verlagsgeschäftes" durchaus üblich sei. Für einen Verlag seien Lizenzrechte Wirtschaftsgüter, die er entweder selbst verwerte oder einem anderen übertrage. Das Unternehmen des R. habe neben den veräußerten Produkten weitere Geschäftsbereiche ("B Produktübersicht", Büromaschinenhandel, Auslandsbeteiligungen) umfasst. Wenn jemand einen Umsatzträger verkaufe, der 86 % seines letztjährigen Umsatzes ausgemacht habe - so die Beschwerdeführerin weiter - rechtfertige dies noch nicht die Annahme, es liege eine Geschäftsveräußerung im Ganzen oder die Veräußerung eines Teilbetriebes vor.

Die Beantwortung der Frage nach den wesentlichen Grundlagen des Betriebes hätte im Beschwerdefall zunächst Feststellungen darüber erfordert, welcher wirtschaftliche Organismus (dem die Qualifikation als Betrieb oder Teilbetrieb zugekommen war) nach Ansicht der belangten Behörde übertragen wurde, hatte die Beschwerdeführerin doch schon im Verwaltungsverfahren wiederholt auf die verschiedenartigen Tätigkeiten des Veräußerers (Herausgabe mehrerer Verlagsobjekte, Beteiligung an gleichartigen ausländischen Gesellschaften, Büromaschinenhandel) und deren teilweise Weiterführung durch den Veräußerer hingewiesen. Solcherart war die belangte Behörde vor die Frage gestellt, ob die unterschiedlichen Tätigkeiten des Veräußerers einen einheitlichen Betrieb begründet haben oder getrennt zu beurteilende Betriebe (z.B. inländischer Verlag, Büromaschinenhandel) vorlagen und ob allenfalls die Verlagstätigkeit aus mehreren Teilbetrieben bestand. Erst diese Feststellung hätte zur weiteren Feststellung führen können, welches die wesentlichen Betriebsgrundlagen des veräußerten Betriebes (Teilbetriebes) waren, und es - gegebenenfalls - erlaubt, Aussagen darüber zu machen, warum es nicht zuträfe, dass der Veräußerer Teile der wesentlichen Grundlagen des Betriebes zurückbehalten und mit dem zurückbehaltenen Teil seine bisherige Tätigkeit, sei es auch nur in eingeschränktem Maße, fortgeführt habe (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 4. April 1989, 88/14/0083).

Insgesamt hat die belangte Behörde den wesentlichen Sachverhalt damit nicht in einer Weise festgestellt, die es dem Verwaltungsgerichtshof ermöglichen würde, das Vorliegen der Haftungsvoraussetzungen gemäß § 14 Abs. 1 BAO (die Veräußerung eines Unternehmens oder eines gesondert geführten Betriebes) zu prüfen.

Der angefochtene Bescheid war deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben. Für das fortgesetzte Verfahren ist zum weiteren Beschwerdevorbringen darauf hinzuweisen, dass es für den Fall der grundsätzlichen Bejahung der tatbestandsmäßigen Voraussetzungen gemäß § 14 Abs. 1 BAO an der Beschwerdeführerin liegen wird, allfällige Einwendungen nach dem zweiten Satz der angeführten Gesetzesstelle (schon) im Verwaltungsverfahren zu erstatten (vgl. auch dazu das angeführte Erkenntnis vom 24. April 1996).

Der Ausspruch über den Kostenersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001. Die Umrechnung der entrichteten Stempelgebühren beruht auf § 3 Abs. 2 Z. 2 EuroG, BGBl. I Nr. 72/2000.

Wien, am 31. März 2003

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