Spruch:
Der angefochtene Bescheid (des Einzelmitgliedes) wird hinsichtlich des Abspruches über die Verwaltungsübertretung nach § 4 Abs. 2 StVO 1960 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Tirol hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen, vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wurde - in dem oben bezeichneten, in der Beschwerde bekämpften Spruchteil - der Beschwerdeführer der Übertretung nach § 4 Abs. 2 StVO 1960 schuldig erkannt und hiefür bestraft, weil er als Lenker eines nach dem Kennzeichen bestimmten Kraftfahrzeuges einen Verkehrsunfall - unter näherer Angabe von Ort und Zeit dieses Unfalls - verursacht habe; obwohl sein "Verhalten am Unfallort in ursächlichem Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall mit Personenschaden stand", habe er es in der Folge unterlassen, sofort die nächste Gendermariedienststelle zu verständigen.
Zur Begründung wird diesbezüglich im angefochtenen Bescheid ausgeführt, dass der Beifahrer des Beschwerdeführers (im Folgenden als J. bezeichnet) durch den verfahrensgegenständlichen Verkehrsunfall verletzt worden sei, wobei diese Verletzung eine Gesundheitsschädigung und Berufsunfähigkeit von mehr als 24 Tagen zur Folge gehabt habe.
Weiters heißt es in der rechtlichen Beurteilung:
"Aufgrund der Tatsache, dass sich das Fahrzeug des
Beschuldigten mehrmals überschlagen hat und an diesem Totalschaden
eingetreten ist (siehe die im Akt erliegenden Lichtbilder) konnte
sich der Berufungswerber nicht auf die Aussage des - noch dazu
unter Alkoholeinfluss stehenden - ........(J.)verlassen, dass
dieser keinerlei (auch bloß geringfügige) Verletzungen
davongetragen hat. Insbesondere der Umstand, dass die bei ihm
selbst eingetretenen Verletzungen sich erst zeitverzögert bemerkbar
gemacht haben, hätte den Beschuldigten bei Anwendung der gebotenen
Sorgfalt erkennen lassen, dass eben diese Verzögerung der
Wahrnehmbarkeit von Verletzungsfolgen auch bei seinem Beifahrer
eintreten wird. Es ist unverständlich, warum der Beschuldigte den
Notarzt vor der Einlieferung in das Krankenhaus nicht ersucht hat,
auch ........(J.)einer Untersuchung zu unterziehen und warum
........(J.)nicht aus eigenem Antrieb eine solche Untersuchung
verlangt hat."
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Beschwerdeführer bringt (zusammengefasst) vor, dass für ihn nach dem Unfallereignis keine äußeren Verletzungen beim mitfahrenden J. erkennbar gewesen seien. J. habe auch auf mehrmaliges Befragen gegenüber dem Beschwerdeführer ausgeführt, dass er keine Verletzungen aufweise und auch keine Schmerzen verspüre. J. habe auch noch den Gendarmeriebeamten gegenüber erklärt, dass er nicht verletzt sei. Die Aussagen des Beschwerdeführers und auch des Zeugen J. seien vom beigezogenen Amtssachverständigen bestätigt worden. Nachdem dem Beschwerdeführer keinerlei objektive Umstände zu Bewusstsein gekommen seien, die eine Verletzung des Zeugen J. als wahrscheinlich hätten erscheinen lassen, sei für den Beschwerdeführer eine Verständigungspflicht im Sinne des § 4 Abs. 2 StVO 1960 nicht gegeben gewesen.
Der Beschwerdeführer ist damit im Recht.
§ 4 Abs. 2 StVO 1960 hat (auszugsweise) folgenden Wortlaut:
"Sind bei einem Verkehrsunfall Personen verletzt worden, so haben die im Abs. 1 genannten Personen Hilfe zu leisten; sind sie dazu nicht fähig, so haben sie unverzüglich für fremde Hilfe zu sorgen. Ferner haben sie die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle sofort zu verständigen. ..."
Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 11. Mai 1984, Zl. 83/02/0515 (nur Rechtssatz in Slg. Nr. 11.432/A), ausgesprochen, dass - unter dem Gesichtspunkt der Fahrlässigkeit - nicht nur äußere, auch für einen medizinischen Laien ohne weitere Untersuchungen sofort erkennbare Verletzungen die Verständigungspflicht nach § 4 Abs. 2 StVO 1960 auslösten, weshalb aus der zitierten Norm für die im Abs. 1 dieser Gesetzesstelle genannten Personen die Verpflichtung abzuleiten sei, sich bei einem Verkehrsunfall, der zwar keine äußerlich feststellbaren Verletzungen zur Folge gehabt habe, dessen Verlauf aber nach der allgemeinen Lebenserfahrung den Eintritt äußerlich nicht erkennbarer Verletzungen erwarten lasse, durch Befragung der in Betracht kommenden Personen nach einer allfälligen Verletzung eine diesbezügliche Gewissheit zu verschaffen. Seien keine Verletzungen erkennbar und werde die Frage nach Verletzungen verneinend beantwortet, so bestehe keine Verständigungspflicht im Sinne des § 4 Abs. 2 StVO 1960, sofern die Frage nicht an Personen gerichtet werde, von denen schon nach dem äußeren Anschein angenommen werden müsse, dass sie nicht in der Lage seien, den Inhalt oder die Tragweite ihrer Erklärung zu erkennen (z.B. Betrunkene oder Kinder). An dieser Rechtsprechung hat der Verwaltungsgerichtshof etwa im Erkenntnis vom 20. September 1989, Zl. 89/03/0021, festgehalten. Auch im Lichte des vorliegenden Beschwerdefalles sieht sich der Verwaltungsgerichtshof nicht veranlasst, von dieser Rechtsprechung abzugehen.
Die belangte Behörde geht - jedenfalls erkennbar - davon aus, dass der gegenständliche Verkehrsunfall beim Zeugen J. keine äußerlich feststellbaren Verletzungen zur Folge gehabt habe. Wenn der gegenständliche Verkehrsunfall nach der allgemeinen Lebenserfahrung (auch) den Eintritt äußerlich nicht erkennbarer Verletzungen erwarten ließ, so traf den Beschwerdeführer die Verpflichtung, sich durch Befragung des Zeugen J. nach einer allfälligen Verletzung eine diesbezügliche Gewissheit zu verschaffen. Der vom Beschwerdeführer im Verwaltungsstrafverfahren vorgebrachten Rechtfertigung, der Zeuge J. habe auch auf mehrmaliges Befragen ausgeführt, er weise keine Verletzungen auf und verspüre auch keine Schmerzen, ist die belangte Behörde nicht entgegengetreten. Ungeachtet dieses Umstandes hätte für den Beschwerdeführer also eine Verständigungspflicht im Sinne des § 4 Abs. 2 StVO 1960 nur dann bestanden, wenn der Beschwerdeführer nach dem äußeren Anschein - bei pflichtgemäßer Sorgfalt - hätte annehmen müssen, dass der Zeuge J. nicht in der Lage gewesen sei, den Inhalt oder die Tragweite seiner Erklärung zu erkennen.
Wenn nun die belangte Behörde ausführt, der Beschwerdeführer hätte sich wegen des am Fahrzeug eingetretenen Totalschadens nicht auf die Aussage des Zeugen J. verlassen dürfen, so verkennt sie, dass dieser Umstand im Sinne der zitierten Rechtsprechung (nur) insofern relevant ist, als es sich derart (unbestritten) um einen Verkehrsunfall handelt, der, wenn er keine äußerlich feststellbaren Verletzungen zur Folge gehabt hat, eine Verpflichtung zur Befragung nach allfälligen Verletzungen nach sich zieht. Dieser Verpflichtung ist der Beschwerdeführer nach der Sachverhaltsannahme der belangten Behörde aber nachgekommen und hat der Zeuge J. die Frage nach Verletzungen verneinend beantwortet.
Es ist somit nur entscheidend, ob die Frage nicht an eine Person gerichtet wurde, von der schon nach dem äußeren Anschein angenommen werden musste, dass sie nicht in der Lage war, den Inhalt oder die Tragweite ihrer Erklärung zu erkennen (vgl. nochmals das zitierte hg. Erkenntnis vom 11. Mai 1984). In diese Richtung geht es zwar, wenn die belangten Behörde festellt, der Zeuge J. sei "noch dazu unter Alkoholeinfluss" gestanden. Abgesehen davon, dass sich daraus noch nicht einen verlässlicher Schluss ableiten lässt, der Zeuge J. sei nicht in der Lage gewesen, den Inhalt oder die Tragweite seiner Erklärung zu erkennen, geht die belangte Behörde an anderer Stelle der Begründung des angefochtenen Bescheides selbst davon aus, dass ein solcher Fall gar nicht vorliegt, wenn sie ausführt, "beide beim Verkehrsunfall verletzten Personen", also auch der Zeuge J., hätten "durchaus zielgerichtet" gehandelt.
Wenn aber die belangte Behörde - bei der spruchgemäßen Tatanlastung - eine Sorgfaltsverletzung darin sieht, dass die beim Beschwerdeführer eingetretenen Verletzungen sich erst zeitverzögert bemerkbar gemacht hätten und deshalb - im Vorhinein (?) - eine Verzögerung der Wahrnehmbarkeit von Verletzungsfolgen auch beim Zeugen J. erkennbar gewesen sei, so ist dies unschlüssig.
Aus dem oben genannten Grund verkannte die belangte Behörde die Rechtslage, weshalb der angefochtene Bescheid hinsichtlich des Abspruches über die Verwaltungsübertretung nach § 4 Abs. 2 StVO 1960 gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben war.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.
Wien, am 15. Dezember 1999
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