VwGH 99/03/0358

VwGH99/03/035811.12.2002

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Gruber, Dr. Gall, Dr. Bernegger und Dr. Riedinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Winter, über die Beschwerde des G in Wien, vertreten durch Dr. Peter Klein, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Eschenbachgasse 11, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 28. Mai 1999, Zl. LGSW/Abs. 10-AlV/1218/56/1999-873, betreffend Verlust des Anspruches auf Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Normen

AlVG 1977 §10 Abs1;
AlVG 1977 §38;
AlVG 1977 §9 Abs1;
AVG §37;
AVG §45 Abs2;
AlVG 1977 §10 Abs1;
AlVG 1977 §38;
AlVG 1977 §9 Abs1;
AVG §37;
AVG §45 Abs2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Dem Beschwerdeführer wurde am 26. Februar 1999 vom Arbeitsmarktservice Metall-Chemie Wien durch Aushändigung einer so genannten Vorstellkarte eine Beschäftigung als Lagerarbeiter bei der Firma H. angeboten.

In der Bestätigung dieser Firma über die erfolgte Bewerbung heißt es, dass sich der Beschwerdeführer am 2. März 1999 vorgestellt habe, er aber - mit dem Vermerk "sagt ist kein Lagerarbeiter" - nicht eingestellt worden sei.

Mit Bescheid vom 7. April 1999 sprach das Arbeitsmarktservice Versicherungsdienste Wien den Verlust des Anspruches auf Notstandshilfe für die Zeit vom 2. März 1999 bis 12. April 1999 gemäß § 10 i.V.m. § 38 AlVG aus, und zwar mit der Begründung, dass der Beschwerdeführer die zugewiesene zumutbare Beschäftigung bei der Firma H. nicht angenommen habe und berücksichtigungswürdige Gründe für eine Nachsicht nicht vorgelegen seien.

In der dagegen vom Beschwerdeführer erhobenen Berufung wird im Wesentlichen ausgeführt, die Stelle sei dem Beschwerdeführer von Frau H. nicht angeboten worden. Frau H. habe einige Fragen gestellt, was er in letzter Zeit getan hätte und ob er überhaupt arbeiten wolle. Die Stelle sei ihm aber nicht angeboten worden. Der Zusatzvermerk auf der Vorstellungskarte entspreche nicht der Wahrheit.

Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wurde der Berufung keine Folge gegeben und der bekämpfte Bescheid bestätigt.

Zur Begründung heißt es im Wesentlichen, im Zuge des Berufungsverfahrens sei vom Beschwerdeführer sein Berufungsvorbringen dahin gehend präzisiert worden, dass er am 2. März 1999 ein Vorstellungsgespräch bei der Firma H. geführt habe. Er habe dort mit einer Dame Kontakt gehabt, die seine Anwesenheit kaum zur Kenntnis genommen und hinter einem Schreibtisch sitzend Kaffee getrunken habe. Diese Dame habe ihn gefragt, was er bisher gearbeitet hätte, worauf der Beschwerdeführer mitgeteilt habe, dass er gelernter Elektromechaniker sei, aber 1996/97 als Lagerarbeiter beschäftigt gewesen sei. Daraufhin sei er gefragt worden, ob er überhaupt arbeiten wolle, worauf der Beschwerdeführer geantwortet habe, natürlich, sonst wäre er nicht hier. Daraufhin sei das Vorstellungsgespräch beendet gewesen und die Dame habe die Vorstellkarte ausgefüllt. Es sei dem Beschwerdeführer völlig unverständlich, warum gegenüber dem AMS von einem Herrn D., den er persönlich nie gesehen habe, Arbeitsunwilligkeit unterstellt worden sei. Es sei in diesem Vorstellungsgespräch niemals um eine konkrete Stelle gegangen, es sei auch keine konkrete Stelle angeboten worden. Es sei weder über das Gehalt noch über andere mit der Beschäftigung zusammenhängende Details gesprochen worden, weshalb der Beschwerdeführer auch keine Ablehnung einer Beschäftigung zu vertreten habe.

Wie es in der Begründung des angefochtenen Bescheides weiters heißt, sei im Zuge des Berufungsverfahrens festgestellt worden, dass der Beschwerdeführer bei der Firma H. S 12.000,-- netto verdient hätte, der Kollektivvertrag S 13.501,-- brutto betrage. Die Stelle sei daher kollektivvertraglich entlohnt und somit zumutbar gewesen. Herr D., ein Mitarbeiter der Firma H., habe gegenüber dem AMS erklärt, der Beschwerdeführer hätte anlässlich des Vorstellungsgespräches geäußert, er sei kein Lagerarbeiter und hätte darüber hinaus einen arbeitsunwilligen Eindruck gemacht.

Im Erwägungsteil des angefochtenen Bescheides geht die belangte Behörde davon aus, dass der Beschwerdeführer mit einer kurzen Unterbrechung in den Jahren 1996/97 seit 1991 im Leistungsbezug stehe, sein Abstand vom Arbeitsmarkt daher als beträchtlich anzusehen sei. Es könnten daher von ihm besondere Bemühungen zur Wiedereingliederung ins Erwerbsleben erwartet werden. Hinsichtlich der Berufungsausführungen, es sei keine konkrete Beschäftigung angeboten worden, sei auszuführen, dass dem Beschwerdeführer von Seiten des AMS eine Stelle als Lagerarbeiter angeboten worden sei. Anlässlich eines Vorstellungsgespräches sei es durchaus üblich, den Bewerber vorerst, d.h. vor Eingehen auf die konkrete Stelle, nach seinem beruflichen Werdegang zu fragen. Er habe gegenüber der Mitarbeiterin der Firma H. geäußert, kein Lagerarbeiter zu sein, was offensichtlich die Firma H. dazu bewogen habe, von seiner Einstellung Abstand zu nehmen. Wenn also das Vorstellungsgespräch auf Grund seiner diesbezüglichen Aussage, kein Lagerarbeiter zu sein, nicht weiter gediehen sei, sei das seiner Sphäre zuzuschreiben. Durch die Bemerkung, kein Lagerarbeiter zu sein, habe der Beschwerdeführer das Zustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses zumindest vereitelt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 9 Abs. 1 AlVG ist arbeitswillig, wer (u.a.) bereit ist, eine durch die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice vermittelte zumutbare Beschäftigung anzunehmen.

Nach § 10 Abs. 1 AlVG verliert ein Arbeitsloser, der sich weigert, eine ihm von der regionalen Geschäftsstelle zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen oder die Annahme einer solchen Beschäftigung vereitelt, für die Dauer der Weigerung, jedenfalls aber für die Dauer der auf die Verweigerung folgenden sechs (unter näher umschriebenen Voraussetzungen: acht) Wochen den Anspruch auf Arbeitslosengeld.

Auf Grund des § 38 AlVG sind diese Regelungen auf die Notstandshilfe sinngemäß anzuwenden.

Diese Bestimmungen sind Ausdruck des dem gesamten Arbeitslosenversicherungsrecht zu Grunde liegenden Gesetzeszweckes, dem arbeitslos gewordenen Versicherten, der trotz Arbeitsfähigkeit und Arbeitswilligkeit nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses keine neue Beschäftigung gefunden hat, möglichst wieder durch Vermittlung einer ihm zumutbaren Beschäftigung in den Arbeitsmarkt einzugliedern und ihn so wieder in die Lage zu versetzen, seinen Lebensunterhalt ohne Zuhilfenahme öffentlicher Mittel zu bestreiten. Wer eine Leistung der Versicherungsgemeinschaft der Arbeitslosenversicherung in Anspruch nimmt, muss sich daher darauf einstellen, eine ihm angebotene zumutbare Beschäftigung auch anzunehmen, d.h. bezogen auf eben diesen Arbeitsplatz arbeitswillig zu sein (vgl. in diesem Sinne das Erkenntnis vom 16. Oktober 1990, Slg. Nr. 13.286/A, und die dort angeführte Vorjudikatur).

Um sich in Bezug auf eine von der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice vermittelte zumutbare Beschäftigung arbeitswillig zu zeigen, bedarf es grundsätzlich einerseits eines auf die Erlangung dieses Arbeitsplatzes ausgerichteten, unverzüglich zu entfaltenden aktiven Handelns des Arbeitslosen und andererseits auch der Unterlassung jedes Verhaltens, welches objektiv geeignet ist, das Zustandekommen des konkret angebotenen Beschäftigungsverhältnisses zu verhindern. Das Nichtzustandekommen eines die Arbeitslosigkeit beendenden zumutbaren Beschäftigungsverhältnisses kann vom Arbeitslosen - abgesehen vom Fall der ausdrücklichen Weigerung, eine angebotene Beschäftigung anzunehmen - somit auf zwei Wegen verschuldet, die Annahme der Beschäftigung also auf zwei Wegen vereitelt werden: Nämlich dadurch, dass der Arbeitslose ein auf die Erlangung des Arbeitsplatzes ausgerichtetes Handeln erst gar nicht entfaltet (etwa durch Unterlassen der Vereinbarung eines Vorstellungstermines oder Nichtantritt der Arbeit), oder dadurch, dass er den Erfolg seiner (nach außen zu Tage getretenen) Bemühungen durch ein Verhalten, welches nach allgemeiner Erfahrung geeignet ist, den potenziellen Dienstgeber von der Einstellung des Arbeitslosen abzubringen, zunichte macht (so - ausgehend vom hg. Erkenntnis vom 24. November 1992, Zl. 92/08/0132 - etwa das hg. Erkenntnis vom 27. April 1993, Zl. 92/08/0219).

Bei der Beurteilung, ob ein bestimmtes Verhalten eines Vermittelten als Vereitelung im Sinne des § 10 Abs. 1 AlVG zu qualifizieren ist, kommt es zunächst darauf an, ob dieses Verhalten für das Nichtzustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses ursächlich war. Ist die Kausalität zwischen dem Verhalten des Vermittelten und dem Nichtzustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses zu bejahen, dann muss geprüft werden, ob der Vermittelte vorsätzlich gehandelt hat, wobei bedingter Vorsatz (dolos eventualis) genügt. Ein bloß fahrlässiges Handeln, also die Außerachtlassung der gehörigen Sorgfalt, reicht zur Verwirklichung des Tatbestandes nicht hin (vgl. dazu etwa das Erkenntnis vom 20. Oktober 1992, Slg. Nr. 13.722/A).

Der Beschwerdeführer bringt zunächst vor, es sei nicht richtig, dass er durch seine Bemerkung, er sei kein Lagerarbeiter, das Zustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses zumindest vereitelt habe. Wie aus der Niederschrift vom 5. Mai 1999 hervorgehe, habe er der Dame, die mit ihm das Vorstellungsgespräch geführt habe, gesagt, er sei "gelernter Elektromechaniker, hätte aber schon als Lagerarbeiter gearbeitet". Die belangte Behörde hätte durch die Aussage des D., welcher das Vorstellungsgespräch gar nicht geführt habe, der Tatsache, dass auf dem Vorstellzettel vermerkt sei: "sagt, ist kein Lagerarbeiter", und seiner Aussage, er sei "gelernter Elektromechaniker, hätte aber schon als Lagerarbeiter gearbeitet", nicht darauf schließen dürfen, dass seine Aussage die Firma dazu bewogen habe, von seiner Einstellung Abstand zu nehmen. Vielmehr gehe aus der Stellenbeschreibung hervor, dass die Firma H. einen Lagerarbeiter mit "Praxis im Lagerbereich", sohin einen entsprechend geschulten Arbeiter mit langjähriger Arbeitspraxis und entsprechender körperlicher Konstitution und nicht einen Elektromechaniker, der vorübergehend einmal als Lagerarbeiter gearbeitet habe, gesucht habe. Zu einer Einstellung sei es daher allein deshalb nicht gekommen, weil er "kein Lagerarbeiter" mit entsprechenden Vorkenntnissen sei, sondern "Elektromechaniker".

Die belangte Behörde hat sich bei ihren Erwägungen vorrangig darauf gestützt, dass der Beschwerdeführer gesagt habe, er sei kein Lagerarbeiter. Demgegenüber wurde (schon auf Verwaltungsebene) vom Beschwerdeführer geltend gemacht, "lediglich" gesagt zu haben, er sei "gelernter Elektromechaniker, hätte aber schon als Lagerarbeiter gearbeitet".

Die Beweiswürdigung der Behörde in diesem Punkt wäre nur dann schlüssig, wenn alle zum Beweis oder zur Widerlegung strittiger Tatsachen nach der Aktenlage objektiv geeigneten Umstände berücksichtigt wurden und die Behörde bei der Würdigung dieser Umstände (bzw. bei Gewinnung ihrer Schlussfolgerungen) deren Gewicht (auch im Verhältnis untereinander) nicht verkannt hat. Prüfungsmaßstab des Verwaltungsgerichtshofes für die Beurteilung der Frage, ob Umstände in diesem Sinne objektiv geeignet (und daher zu berücksichtigen) sind und ob ihr Gewicht (an sich oder im Verhältnis zu anderen Sachverhaltselementen) verkannt wurde, sind die Gesetze der Logik und des allgemeinen menschlichen Erfahrungsgutes (vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom 17. November 1992, Zl. 92/08/0071, mwN).

Ungeachtet des dargestellten Vorbringens des Beschwerdeführers vertritt die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides die Auffassung, dass der Beschwerdeführer - lediglich - gesagt habe, er sei kein Lagerarbeiter. Damit hat die belangte Behörde jedoch das (zur Widerlegung der Kausalität zwischen dem Verhalten des Beschwerdeführers und dem Nichtzustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses objektiv geeignete) Vorbringen, dass der Beschwerdeführer vielmehr gesagt habe, er sei "gelernter Elektromechaniker, hätte aber schon als Lagerarbeiter gearbeitet" in ihre Beweiswürdigung nicht einbezogen. Dieser Umstand durfte aber bei der Beweiswürdigung nicht einfach ausgeblendet werden. Angesichts der Umstände des Beschwerdefalles kann nicht von vornherein davon gesprochen werden, dass die Frage des Zutreffens der Darstellung des Beschwerdeführers über den Verlauf des Vorstellungsgespräches für die Kausalität zwischen dem Verhalten des Beschwerdeführers und dem Nichtzustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses ohne Bedeutung ist. Die belangte Behörde hätte sich daher mit der Darstellung des Beschwerdeführers über den Verlauf des Vorstellungsgespräches auseinander setzen müssen, wobei ihr nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch die Verpflichtung obliegt, alle ihr sich bietenden Erkenntnisquellen sorgfältig auszuschöpfen und insbesondere alle Umstände zu erheben, die sich nach der Sachlage anbieten oder als sachdienlich erweisen könnten (vgl. nochmals das vorzitierte Erkenntnis vom 17. November 1992). In diesem Zusammenhang wären Versuche zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes in diesem Punkt, wie die in der Beschwerde geltend gemachte Einvernahme der Dame, mit der das Vorstellungsgespräch geführt wurde, erforderlich gewesen.

Da sich somit die Erwägungen der belangten Behörde in einem (zumindest für die Vollständigkeit der bei der Beweiswürdigung zu berücksichtigenden Umstände) entscheidungswesentlichen Punkt als nicht schlüssig erweisen, war der angefochtene Bescheid schon aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.

Wien, am 11. Dezember 2002

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