VwGH 98/20/0327

VwGH98/20/032725.3.1999

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Baur, Dr. Nowakowski, Dr. Hinterwirth und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Grubner, über die Beschwerde des ML in Wien, geboren am 10. Juni 1981, vertreten durch Dr. Christoph Gottesmann, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Plankengasse 7, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 12. März 1998, Zl. 201.784/0-V/13/98, betreffend Asylgewährung (mitbeteiligte Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundeskanzleramt) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Demokratischen Republik Kongo. Er reiste am 27. Dezember 1997 über den Flugplatz Wien-Schwechat illegal nach Österreich ein und stellte am 2. Jänner 1998 einen Asylantrag.

2. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates (belangte Behörde) vom 12. März 1998 wurde der Antrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG abgewiesen und ausgesprochen, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Demokratische Republik Kongo zulässig sei.

2.1. Die belangte Behörde stellte fest, dass der Beschwerdeführer nie Mitglied einer politischen Partei gewesen sei. Er sei weder vorbestraft noch habe er eine strafbare Handlung begangen. Der Vater des Beschwerdeführers sei Mitglied der oppositionellen Partei "PALU" (parti lumumbiste unifie). Am 16. Dezember 1996 habe der Beschwerdeführer seinen Vater zuletzt gesehen.

Am 17. Dezember 1997 sei der Beschwerdeführer im Hause seines Onkels (richtig: seiner Tante) im Rahmen einer Hausdurchsuchung von Militärangehörigen nach dem Aufenthaltsort seines Vaters befragt worden. Da er darüber keine Angaben machen konnte, sei er festgenommen und in ein Gefängnis verbracht worden. Zwei Tage lang sei er mehreren Befragungen zum Aufenthaltsort seines Vaters unterzogen worden, wobei er unsubstantiierten Bedrohungen ausgesetzt gewesen sei.

Am zweiten Tag seines Gefängnisaufenthaltes sei er mit neun weiteren Gefangenen auf einen LKW verbracht worden. Das Fahrzeug sei auf seiner Fahrt in einen Unfall verwickelt worden. Dem Beschwerdeführer sei dabei gelungen, die Flucht zu ergreifen. Er habe sich sodann in die Obhut seines Onkels begeben und sich bei diesem vom 20. Dezember bis zum 26. Dezember 1997 versteckt gehalten.

Damit folgte die belangte Behörde den Angaben des Beschwerdeführers, die sie für glaubhaft erachtete.

2.2. Rechtlich folgerte die belangte Behörde, dass für den Beschwerdeführer keine Verfolgungsgefahr erheblicher Intensität bestehe, weil seine Festnahme nichts mit Umständen zu tun gehabt habe, die in seiner Person gelegen seien, sondern lediglich dazu diente, den Aufenthaltsort seines Vaters in Erfahrung zu bringen.

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen und den Beschwerdeführer zum Kostenersatz zu verhalten.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer behauptet einen Verstoß gegen die in § 28 AsylG verankerte amtswegige Anleitungs- und Ermittlungspflicht, weil es die belangte Behörde verabsäumt habe, das Bestehen einer ihm drohenden ernstlichen Verfolgungsgefahr in der Demokratischen Republik Kongo insbesondere auf Grund der Informationen des UNHCR festzustellen. Er wies im Besonderen darauf hin, dass unter dem neuen Machthaber der Demokratischen Republik Kongo, Laurent Desire Kabila, wiederholt massive Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit der Unterdrückung demokratischer politischer Aktivitäten der Opposition, insbesondere der Aktivisten der PALU, stattfänden. Es sei bei Demonstrationen zu Schießereien bzw. zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den Truppen des AFDL (Alliance des forces democratiques pour la liberation du Congo Zaire) und bewaffneten Oppositionsgruppen gekommen. Unter der neuen Regierung seien hunderte Personen, die verdächtigt wurden, Regimegegner zu sein, meist ohne Anklage inhaftiert worden. Es gebe Berichte über die Verschleppung und das Verschwinden von Personen sowie über hunderte von Hinrichtungen ohne ein gerichtliches Verfahren. Folter und unmenschliche Behandlung seien in den Gefängnissen an der Tagesordnung. Viele Mitglieder der "FAZ" und deren Angehörige seien gestorben, nachdem sie geschlagen worden seien.

Ein Verstoß gegen den § 28 AsylG liegt insoweit jedoch nicht vor. Es fehlten in den Angaben des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren geeignete substantiierte Anhaltspunkte, die Anlass für weitere Anleitungen oder Ermittlungen im oben begehrten Sinn hätten bilden können.

Die von der Genfer Flüchtlingskonvention geforderten Voraussetzungen für die Gewährung von Asyl könnten auch durch das Bestehen einer im Herkunftsland allgemein praktizierten "Familienhaftung" oder "Sippenhaftung" erfüllt werden, wenn sich also die Gründe, weswegen der Vater des Beschwerdeführes verfolgt wird, auf Grund einer von der Behörde des Herkunftsstaats wegen des Verwandtschaftsverhältnisses regelmäßig unterstellten Gesinnung des Beschwerdeführers auch auf diesen selbst bezögen und er deshalb Verfolgung erleiden oder befürchten müsste.

Die Beschwerde ist insoweit berechtigt, als sich die belangte Behörde nicht ausreichend mit dem Vorbringen und den Aussagen des Beschwerdeführers auseinander gesetzt hat, aus denen abgeleitet werden könnte, dass er nicht nur zum Zwecke der Ermittlung des Aufenthaltsortes seines Vaters in Haft genommen worden ist, sondern mit der Gefangennahme ein Druckmittel geschaffen werden sollte, sich des Vaters des Beschwerdeführers zu bemächtigen (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 23. Mai 1995, Zl. 94/20/0801).

Wäre der Beschwerdeführer tatsächlich nur - allerdings in rechtsstaatlich unvertretbarer Weise - als Auskunftsperson inhaftiert worden, so könnte dies ohne das Hinzutreten weiterer, spezifischer Voraussetzungen zwar keinen Anspruch auf Asylgewährung begründen. Die belangte Behörde ist aber "den bezughabenden nachvollziehbaren und glaubhaften Angaben des Antragstellers ... vor der Erstbehörde" gefolgt, ohne Teile der Angaben als unglaubwürdig auszusondern. Damit wurde auch die Ankündigung für glaubhaft erachtet, den Beschwerdeführer mitzunehmen, "sodass sein Vater dann schon kommen würde", sowie die Mitteilung, der Beschwerdeführer würde nun "zu spüren bekommen", dass er nicht die Wahrheit gesagt habe.

Die belangte Behörde hätte diese für glaubhaft gehaltenen Angaben zum Anlass nehmen müssen, Ermittlungen über die in der Haft zu befürchtenden weiteren Folgen und zu den näheren Umständen der vom Beschwerdeführer angedeuteten Geiselnahme anzustellen. Vor dem Hintergrund seines Vorbringens hätte sie sich auch mit der Situation in der Demokratischen Republik Kongo in Bezug auf das Vorgehen der Behörden gegenüber Angehörigen von politisch Verfolgten auseinander setzten müssen.

Eine Rechtswidrigkeit des Inhalts erblickt der Beschwerdeführer darin, dass die belangte Behörde außer Acht gelassen habe, dass er bei seiner Festnahme erst 16 Jahre alt war, womit sich aus der allgemeinen Lebenserfahrung ergäbe, dass Personen seines jugendlichen Alters nicht bereits selbst politische Aktivitäten entfalten. Die zitierte Bestimmung der Genfer Flüchtlingskonvention müsse dahin ausgelegt werden, dass sich der Schutz der Konvention auch auf die minderjährigen Kinder von politischen Funktionsträgern, die ihrerseits konkreten Verfolgungshandlungen ausgesetzt seien, beziehe.

Mit dieser Argumentation verkennt der Beschwerdeführer jedoch den Charakter des Artikel 1 Abschnitt A Ziffer 2 der Genfer Flüchtlingskonvention, die auf eine spezifisch motivierte, konkrete Verfolgungsgefahr von erheblicher Intensität abstellt. Eine Auslegung, wonach bei demjenigen, der mit einem politisch konkret Verfolgten (nahe) verwandt ist, die Flüchtlingseigenschaft ohne weitere Prüfungen zu vermuten wäre, findet darin keine Stütze.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Ersatz des Aufwandes gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 25. März 1999

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte