VwGH 98/19/0160

VwGH98/19/01605.5.2000

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Holeschofsky, Dr. Zens, Dr. Bayjones und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hanslik, über die Beschwerde des am 15. Juni 1962 geborenen A B in Wien, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 7. Mai 1998, Zl. 301.689/12-III/11/97, betreffend Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1997 §112;
FrG 1997 §12 Abs3;
FrG 1997 §14 Abs2;
FrG 1997 §15;
FrG 1997 §23 Abs1;
FrG 1997 §31 Abs4;
FrG 1997 §7 Abs3;
FrPolG 1954 §2 Abs2;
PaßG 1969;
FrG 1997 §112;
FrG 1997 §12 Abs3;
FrG 1997 §14 Abs2;
FrG 1997 §15;
FrG 1997 §23 Abs1;
FrG 1997 §31 Abs4;
FrG 1997 §7 Abs3;
FrPolG 1954 §2 Abs2;
PaßG 1969;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 14.900,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer stellte am 24. Jänner 1995 bei der österreichischen Botschaft in Preßburg einen als "Verlängerungsantrag" bezeichneten Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung, der am 30. Jänner 1995 beim Magistrat der Stadt Wien einlangte. Mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid vom 14. August 1995 wurde dieser Antrag vom Bundesminister für Inneres gemäß § 5 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) abgewiesen.

Mit Erkenntnis vom 24. Jänner 1997, Zl. 96/19/2134, hob der Verwaltungsgerichtshof diesen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes auf.

Im fortgesetzten Verfahren legte der Beschwerdeführer eine Staatsbürgerschaftsbestätigung vor, derzufolge er Staatsangehöriger von Bosnien und Herzegowina sei. Auf einen Vorhalt des Bundesministers für Inneres vom 4. August 1997, er sei nicht als Kriegsvertriebener anzusehen, erfolgte keine Stellungnahme.

Anlässlich einer niederschriftlichen Einvernahme beim Bundesministerium für Inneres am 29. April 1998 gab der Beschwerdeführer an, er sei vermutlich im Jänner oder Februar 1992 mit dem Autobus nach Österreich gekommen, um seine Geschwister zu besuchen. Seit diesem Zeitpunkt lebe er praktisch ununterbrochen in Österreich und sei nur zur Antragstellung aus dem Bundesgebiet ausgereist.

Der Bundesminister für Inneres wies die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 15. Februar 1995 mit Bescheid vom 7. Mai 1998 gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 10 Abs. 2 Z. 3 und 5 und § 14 Abs. 2 FrG 1997 ab. Begründend wurde ausgeführt, der Beschwerdeführer halte sich einerseits unrechtmäßig seit längerer Zeit im Bundesgebiet auf, andererseits habe er die Entscheidung über seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung, der nunmehr als solcher auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung zu werten sei, nicht vom Ausland aus abgewartet.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die folgende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die maßgeblichen Bestimmungen des FrG 1997 lauten (auszugsweise):

"§ 7. (1) Die Aufenthaltstitel werden als

  1. 1. Aufenthaltserlaubnis oder
  2. 2.

    Niederlassungsbewilligung

    erteilt

    ...

(3) Auf Dauer niedergelassene Drittstaatsangehörige, dass sind jene, die

1. in Österreich einen Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen haben oder

2. in Österreich zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit an einem Wohnsitz niedergelassen sind,

brauchen außer den in Abs. 4 genannten Fällen eine Niederlassungsbewilligung.

§ 10.

...

(2) Die Erteilung eines Einreise- oder Aufenthaltstitels kann wegen Gefährdung öffentlichen Interessen (§ 8 Abs. 3 Z 2) insbesondere versagt werden, wenn

....

3. der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde;

...

5. Grund zur Annahme besteht, der Fremde werde nach Ablauf der Gültigkeitsdauer des Titels das Bundesgebiet nicht unaufgefordert verlassen.

...

§ 12.

...

(3) Fremden darf wegen eines Sachverhaltes, der keine Ausweisung oder kein Aufenthaltsverbot zulässt, ein weiterer Aufenthaltstitel für denselben Aufenthaltszweck nicht versagt werden.

...

§ 14.

...

(2) Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels sind vor der Einreise vom Ausland aus zu stellen. Der Antrag kann im Inland gestellt werden, wenn der Antragsteller bereits niedergelassen ist, und entweder bisher für die Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes keinen Aufenthaltstitel benötigte oder bereits über einen Aufenthaltstitel verfügt hat; ... .

...

§ 23. (1) Fremden, die nach Ablauf der Gültigkeitsdauer ihrer Niederlassungsbewilligung auf Dauer niedergelassen bleiben, ist - sofern die Voraussetzungen des 2. Abschnittes weiterhin gesichert scheinen - auf Antrag eine weitere Niederlassungsbewilligung mit demselben Zweckumfang zu erteilen. ...

...

§ 112. Verfahren zur Erteilung eines Sichtvermerkes sowie Verfahren zur Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltsbewilligung, die bei Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes anhängig sind oder gemäß der §§ 113 und 114 anhängig werden, sind nach dessen Bestimmungen - je nach dem Zweck der Reise oder des Aufenthaltes - als Verfahren zur Erteilung eines Einreisetitels oder als Verfahren zur Erteilung eines Erstaufenthaltstitels oder eines weiteren Aufenthaltstitels fortzuführen. ..."

Das Verfahren über den Antrag des Beschwerdeführers vom 24. Jänner 1995 auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung war am Tag des Inkrafttretens des FrG 1997, dem 1. Jänner 1998, bei den Verwaltungsbehörden (näherhin: bei der Berufungsbehörde, somit der belangten Behörde) anhängig. § 112 FrG 1997 trifft keine ausdrückliche Anordnung, in welchen Fällen Verfahren zur Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung als Verfahren zur Erteilung eines Erstaufenthaltstitels oder in welchen Fällen sie als Verfahren zur Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels fortzuführen sind.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 23. März 1999, Zlen. 98/19/0195, 0196, auf dessen Begründung gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, dargelegt hat, ist eine weitere Niederlassungsbewilligung nicht nur jenen Fremden zu erteilen, die ihren Antrag gemäß § 31 Abs. 4 FrG 1997 rechtzeitig vor Ablauf der Geltungsdauer des ihnen zuletzt erteilten Aufenthaltstitels stellten. Vielmehr ist auch bei späterer Antragstellung unter der Voraussetzung, dass der Antragsteller - wenn auch ohne Bewilligung - nach Ablauf der Gültigkeitsdauer seiner Niederlassungsbewilligung auf Dauer niedergelassen bleibt, eine weitere Niederlassungsbewilligung zu erteilen. Auf das Ausmaß der Fristversäumnis kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Eine Fortführung des Verfahrens zur Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung als solches zur Erteilung einer weiteren Niederlassungsbewilligung ist immer dann geboten, wenn ein Fremder bereits über einen Aufenthaltstitel verfügte, der ihm nach den damals geltenden Bestimmungen gestattete, sich im Bundesgebiet auf Dauer niederzulassen, also gemäß der Definition des § 7 Abs. 3 FrG 1997 in Österreich einen Mittelpunkt seiner Lebensinteressen zu begründen oder sich zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit an einem inländischen Wohnsitz niederzulassen, und der Antragstellung nach Ablauf der Gültigkeit dieses Aufenthaltstitels im Bundesgebiet auf Dauer niedergelassen blieb.

Unbestritten ist im vorliegenden Fall, dass der Beschwerdeführer über Wiedereinreisesichtvermerke, gültig vom 26. März bis zum 31. August 1992 und vom 1. Oktober bis zum 31. Dezember 1992, verfügte. Da es sich bei diesen Sichtvermerken nicht etwa um Touristensichtvermerke nach § 6 Abs. 1 Z. 2 des Fremdengesetzes 1992, sondern um solche nach dem Passgesetz 1969 handelte, besteht im Beschwerdefall kein Zweifel daran, dass der Beschwerdeführer auf Grund dieser - mehrmonatigen - Sichtvermerke zur (dauernden) Niederlassung (ohne Einschränkung auf einen bestimmten Aufenthaltszweck) berechtigt war (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. März 2000, Zl. 99/19/0007).

Hatte sich der Beschwerdeführer aber auf Grund eines hiezu berechtigenden Titels zunächst rechtmäßig in Österreich auf Dauer niedergelassen, so wäre das Verfahren über seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung dann als solches zur Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels fortzuführen gewesen, wenn der Beschwerdeführer nach dem Ablauf der Gültigkeitsdauer des zuletzt erteilten Wiedereinreisesichtvermerkes - wenn auch rechtswidrig - auf Dauer niedergelassen geblieben wäre (vgl. das hg. Erkenntnis vom 14. Mai 1999, Zl. 98/19/0230).

Wäre der Beschwerdeführer nach Ablauf seines zuletzt erteilten Titels ununterbrochen im Bundesgebiet verblieben, so wäre das Verfahren über seinen Antrag jedenfalls als solches zur Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels fortzuführen gewesen. Wie der Verwaltungsgerichtshof aber in seinem bereits erwähnten Erkenntnis vom 23. März 1999 - unter Rückgriff auf die Erläuterungen zur Regierungsvorlage eines Fremdengesetzes 1997, 685 BlgNR 20. GP) zu § 7 FrG 1997 - hervorgehoben hat, steht auch der Umstand, dass sich ein Fremder nicht ununterbrochen in Österreich aufgehalten hat, der maßgeblichen Annahme, er sei nach Ablauf der Gültigkeitsdauer seines Aufenthaltstitels auf Dauer in Österreich niedergelassen geblieben, nicht notwendig entgegen. Der Mittelpunkt der Lebensinteressen bleibt nämlich auch dann bestehen, wenn sich ein Fremder nur kurzzeitig ins Ausland begibt, um eine gewisse Zeit dort erwerbstätig zu sein, aber seine Familie in Österreich bleibt oder er für diesen Zeitraum eine Wohnung in Österreich aufrecht hält. Gleiches gilt für kurzfristige Ausreisen zu anderen Zwecken als denen der Erwerbstätigkeit. Hat sich ein Fremder nach Ablauf seines letzten Aufenthaltstitels für bestimmte Zeiträume nicht im Bundesgebiet aufgehalten, so bedarf es, damit von der Unterbrechung einer dauernden Niederlassung im Bundesgebiet ausgegangen werden kann, entsprechender mängelfreier Feststellungen dazu, ob der Fremde den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen in Österreich aufgegeben hat. Die bloße Feststellung von Auslandsaufenthalten reicht dafür nicht aus.

Diesen Erfordernissen wird der angefochtene Bescheid nicht gerecht. Die belangte Behörde stellt in ihrer Begründung des angefochtenen Bescheides einerseits fest, der Beschwerdeführer habe den abweisenden Bescheid über einen früheren Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung persönlich am 5. April 1994 in österreichischen Botschaft in Zagreb übernommen, er sei von Februar 1994 bis zum April 1994 bzw. laut einem Einreisestempel vom 6. September 1994 bis zu diesem Zeitpunkt in seinem "Heimatland" aufhältig gewesen, woraus sie auf die Aufgabe des Niederlassungswillens schließt. Andererseits hält sie ausdrücklich fest, der Beschwerdeführer sei seit dem 3. Februar 1992 ununterbrochen in Österreich gemeldet, habe persönlich am 25. Mai 1994 und am 24. Jänner 1995 bei der österreichischen Botschaft in Preßburg Anträge auf Erteilung von Aufenthaltsbewilligungen gestellt, seine "oa kurzfristigen Ausreisen aus Österreich" hätten jedoch lediglich dazu gedient, um in seinem Heimatland seiner Bürgerpflicht ("Blutspenden") nachzukommen, um im Ausland den bzw. die Anträge zur Erteilung einer Bewilligung nach dem AufG zu stellen und um den Behörden vorzutäuschen, er halte sich im Ausland auf. Auf Grund dieser widersprüchlichen Begründung lässt der angefochtene Bescheid nicht erkennen, welchen entscheidungsrelevanten Sachverhalt die belangte Behörde ihrer rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt hat. Falls der Beschwerdeführer den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen nicht ins Ausland verlegt hätte, sondern, wie er bereits im Verwaltungsverfahren angab und auch in der Beschwerde vorbringt, seit seiner erstmaligen Ankunft in Österreich im Jahr 1992 (abgesehen von kurzen Auslandsaufenthalten) in Österreich lebte, wäre das gegenständliche Verfahren über den Antrag des Beschwerdeführers als solches auf Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels, und zwar einer weiteren Niederlassungsbewilligung, fortzuführen gewesen. Selbst bei Vorliegen von Versagungsgründen - als solcher ist auch § 14 Abs. 2 FrG 1997 anzusehen - wäre die belangte Behörde in diesem Fall nicht ermächtigt gewesen, den Antrag des Beschwerdeführers abzuweisen, sondern wäre verpflichtet gewesen, nach den Bestimmungen der §§ 12 Abs. 3 und 15 FrG 1997 vorzugehen (vgl. das zitierte hg. Erkenntnis vom 17. März 2000).

Da im Hinblick auf das Vorgesagte nicht ausgeschlossen ist, dass die belangte Behörde bei Vermeidung der ihr anzulastenden Verfahrensfehler zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich - im Rahmen des gestellten Begehrens - auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 5. Mai 2000

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte