VwGH 98/17/0157

VwGH98/17/015722.9.1998

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hnatek und die Hofräte Dr. Höfinger und Dr. Zens als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Fegerl, über den Antrag der M GesmbH, vertreten durch Rechtsanwälte Dr. A und S in Innsbruck, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Behebung der Mängel der Beschwerde gegen den Bescheid der Berufungskommission nach § 38 des Tiroler Tourismusgesetzes 1991 vom 15. April 1997, Zl. Id-6.2/1284-2/1997, betreffend Tourismusbeitrag nach dem Tiroler Tourismusgesetz 1991, den Beschluß gefaßt:

Normen

AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;
AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;

 

Spruch:

Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird stattgegeben.

Begründung

Die Beschwerdeführerin erhob gegen den im Rubrum zitierten Bescheid am 9. Juni 1997 Beschwerde vor dem Verfassungsgerichtshof. Mit Beschluß vom 30. September 1997, B 1376/97-4, lehnte dieser Gerichtshof die Behandlung der Beschwerde ab und trat sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab. Mit Verfügung des Berichters vom 12. Dezember 1997 wurde die Beschwerdeführerin aufgefordert, die abgetretene Beschwerde in näher bezeichnete Richtungen zu ergänzen. Hiefür wurde eine Frist von sechs Wochen gesetzt. Die Zustellung dieser Verfügung an den Beschwerdevertreter erfolgte am 19. Dezember 1997. Nachdem eine fristgerechte Mängelbehebung nicht erfolgte, wurde das Beschwerdeverfahren mit Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 23. März 1998 eingestellt. Die Zustellung dieses Beschlusses an den Beschwerdevertreter erfolgte am 15. April 1998.

Mit ihrer am 28. April 1998 zur Post gegebenen Eingabe beantragt die Beschwerdeführerin die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist für die Behebung der Mängel der in Rede stehenden Beschwerde. Gleichzeitig wird die versäumte Mängelbehebung nachgeholt.

Aufgrund der glaubhaften Angaben im Wiedereinsetzungsantrag sowie der Einvernahmen des Beschwerdevertreters und der Zeugin ES gilt folgender Sachverhalt als bescheinigt:

ES ist seit 1974 beim Beschwerdevertreter beschäftigt. Spätestens seit 1980 ist sie bei ihm als Kanzleileiterin tätig. Sie erwies sich in ihrer bisherigen Tätigkeit als äußerst kompetent, gewissenhaft und aufmerksam. In der Kanzlei des Beschwerdevertreters ist sie mit dem Öffnen der einlangenden Post betraut. Diese Arbeit wird von ihr unmittelbar nach Einlangen derselben erledigt. Dabei trägt sie Termine bzw. Fristen in den Kalender der Kanzlei ein, der sich unmittelbar neben ihrem Arbeitsplatz befindet. Sodann versieht sie die Ladungen bzw. Mitteilungen mit ihrer Paraphe und legt sämtliche Poststücke in eine Postmappe ein, aus der die jeweiligen Rechtsanwälte ihre Poststücke beziehen. Sobald sich die Post in der Postmappe befindet, werden die Rechtsanwälte hievon informiert. Diese Vorgangsweise wird regelmäßig so eingehalten. ES wurde auch angewiesen, die Post in dieser Form zu bearbeiten. Außerdem existiert in der Kanzlei des Beschwerdevertreters ein sogenannter Organisationsordner, worin sämtliche organisatorische Anweisungen für die Kanzleibediensteten enthalten sind. Jeder Kanzleibedienstete hat diesen Organisationsordner zu studieren und mit seiner Unterschrift zu bestätigen, daß ihm der Inhalt desselben bekannt sei und er sich daran halte.

Gemeinsam mit der Berichterverfügung vom 12. Dezember 1997 wurde dem Beschwerdevertreter in der gegenständlichen Beschwerdesache auch eine Zahlungsaufforderung betreffend Stempelgebühren durch den Verwaltungsgerichtshof übermittelt.

Entsprechend ihrer Anweisungen hätte ES sowohl die Frist für die Erfüllung des Mängelbehebungsauftrages als auch jene zur Erstattung der Stempelgebühren in den Terminkalender einzutragen gehabt. Den Auftrag zur Beibringung der Stempelgebühren hätte die Kanzleileiterin eigenständig sofort zu erledigen gehabt. Demgegenüber wäre der Mängelbehebungsauftrag in die Postmappe einzulegen und noch am gleichen Tag dem zuständigen Rechtsanwalt vorzulegen gewesen.

Tatsächlich trug die Kanzleileiterin jedoch ausschließlich die Frist zur Bearbeitung des Auftrages zur Beibringung von Stempelgebühren in den Terminkalender ein, erledigte diesen Auftrag sodann eigenständig und löschte den entsprechenden Vormerk. Hingegen unterblieb weisungswidrig die Setzung der Frist zur Erledigung des Mängelbehebungsauftrages und die Vorlage desselben in der Postmappe an den Rechtsanwalt, weil die Kanzleileiterin diesen Mängelbehebungsauftrag unerledigt in den die Beschwerdeführerin betreffenden Akt einlegte.

Im Zuge der Kontrolle des Fristenvormerkes befragte der Beschwerdevertreter schließlich seine Kanzleileiterin, weshalb die die Beschwerdeführerin betreffende Frist gestrichen worden sei. ES teilte dem Beschwerdevertreter mit, sie hätte einen Auftrag des Verwaltungsgerichtshofes zur Nachbringung von Stempelmarken erhalten und diesen sofort erledigt. Sie schlug auch den Akt kurz auf und zeigte dem Beschwerdevertreter das Formular, mit dem die fehlenden Stempelgebühren übermittelt wurden.

§ 46 Abs. 1 VwGG lautet:

"§ 46. (1) Wenn eine Partei durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis - so dadurch, daß sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, so ist dieser Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt."

Ein Verschulden des Bevollmächtigten ist dem Verschulden einer Partei selbst gleichzuhalten. Hingegen trifft das Verschulden eines Kanzleibediensteten des Parteienvertreters nicht schlechthin die Partei. Allerdings vermag ein Versehen eines Kanzleibediensteten für einen Rechtsanwalt und damit für die von ihm vertretene Partei nur dann ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis darzustellen, wenn der Rechtsanwalt der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht gegenüber dem Kanzleiangestellten nachgekommen ist (vgl. die bei Walter-Thienel, Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze I E. 263 zu § 71 AVG wiedergegebene Judikatur). Der bevollmächtigte Rechtsanwalt muß die Organisation seines Kanzleibetriebes so einrichten, daß die fristgerechte Setzung von mit Präklusion sanktionierten Prozeßhandlungen sichergestellt wird. Dabei wird durch entsprechende Kontrolle dafür vorzusorgen sein, daß Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind (vgl. die bei Walter-Thienel, a. a.O., E. 233, wiedergegebene Judikatur).

Im vorliegenden Fall diente die Anweisung des Beschwerdevertreters an seine Kanzleileiterin, fristgebundene Poststücke unmittelbar nach ihrem Einlangen zu erfassen und sie sodann prompt dem zuständigen Rechtsanwalt in der Postmappe vorzulegen, in geeigneter Weise der Kenntniserlangung von eingehenden Schriftstücken, welche eine fristgebundene Reaktion erforderlich machen könnten, durch den zuständigen Rechtsanwalt und damit auch der in jedem Einzelfall gebotenen Kontrolle des von der Kanzleileiterin gesetzten Fristvormerkes durch den Rechtsanwalt.

An einer solchen - jedenfalls gebotenen - Kontrolle war der Beschwerdevertreter vorliegendenfalls jedoch dadurch gehindert, daß seine Kanzleileiterin es weisungswidrig unterließ, ihm den in Rede stehenden Mängelbehebungsauftrag nach Öffnung der Post überhaupt vorzulegen. Dieses weisungswidrige Verhalten der ansonsten verläßlichen Kanzleileiterin stellte sich aus der Sicht des Beschwerdevertreters (und damit auch der Beschwerdeführerin) als unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis im Sinne des § 46 VwGG dar, durch welches die fristgerechte Erfüllung des Mängelbehebungsauftrages versäumt wurde. Ein (den minderen Grad des Versehens übersteigendes) Organisationsverschulden ist dem Beschwerdevertreter vorliegendenfalls nicht anzulasten.

Dem Wiedereinsetzungsantrag war daher gemäß § 46 Abs. 1 VwGG stattzugeben.

Wien, am 22. September 1998

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