VwGH 98/12/0068

VwGH98/12/006824.6.1998

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Germ und Dr. Höß als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Julcher, über die Beschwerde des J in L, vertreten durch Dr. Walter Riedl, Dr. Peter Ringhofer, Dr. Martin Riedl und Dr. Georg Riedl, Rechtsanwälte in Wien I, Franz Josefs-Kai 5, gegen den Bescheid des Aufsichtsrates der Oberösterreichischen Lehrer- Kranken- und Unfallfürsorge vom 11. Februar 1998 (ohne Zahl), betreffend den Entzug einer Versehrtenrente, zu Recht erkannt:

Normen

LKUFG OÖ 1983 §25 Abs1;
LKUFG OÖ 1983 §25 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Oberösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der 1945 geborene Beschwerdeführer steht als Volksschuloberlehrer in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Land Oberösterreich.

Mit Bescheid des Verwaltungsrates der Oberösterreichischen Lehrer- Kranken- und Unfallfürsorge (in der Folge kurz: LKUF) vom 7. September 1988 wurde ein Unfall, den der Beschwerdeführer am 30. Juni 1986 erlitten hatte, als Dienstunfall anerkannt und für die Zeit vom 1. September 1986 bis 31. Mai 1990 eine vorläufige Versehrtenrente im Ausmaß von 20 vH der Vollrente gewährt. Mit Bescheid des Verwaltungsrates vom 14. Mai 1990 wurde eine Dauerrente im Ausmaß von 20 vH der Vollrente gewährt. Der Bescheid gründete sich auf ein Gutachten Dris. S. vom 21. März 1990, in dem dieser eine Bewegungseinschränkung des unteren und oberen linken Sprunggelenkes mit geringer Gangstörung, Verdickung der Achillessehne und Muskelschwäche des linken Beines bei gleichzeitiger Schwellenneigung der Sprunggelenksgegend feststellte und daraus eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 % folgerte.

Am 21. März 1997 erschien der Beschwerdeführer auf Vorladung der LKUF zur Nachuntersuchung beim Facharzt für Unfallchirurgie Dr. G. Dieser diagnostizierte als verbleibende Unfallfolgen eine beträchtliche Verdickung der linken Achillessehne, eine Narbe im Bereich der linken Achillessehne, geringgradige Bewegungseinschränkung am oberen und unteren Sprunggelenk, glaubhafte zeitweilig bestehende, belastungsabhängige Schmerzen sowie Wetterfühligkeit und schätzte auf dieser Grundlage die Minderung der Erwerbsfähigkeit mit 10 % ein.

Gegen dieses Gutachten erhob der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 13. April 1997 Einwendungen, in dem er erklärte, daß sein Gesundheitszustand vom Sachverständigen falsch eingeschätzt worden sei; insbesondere sei ihm unverständlich wie Dr. G. sieben Jahre nach dem Gutachten Dris. S., der eine dauernde Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 % konstatiert gehabt habe, eine Verbesserung um 10 % festgestellt habe.

Ohne weiteren Verfahrensschritt entzog der Verwaltungsrat der LKUF dem Beschwerdeführer mit Bescheid vom 21. April 1997 die Versehrtenrente, da die Minderung der Erwerbsfähigkeit aufgrund des schlüssigen Gutachtens Dris. G. mit 10 vH festzusetzen sei. In bezug auf die Einwendungen des Beschwerdeführers erfolgte der Hinweis, daß das Gutachten Dris. S. bereits im Jahr 1990 erstellt worden sei.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung an den Aufsichtsrat der LKUF. Begründend führte er im wesentlichen aus, daß sich der nun festgestellte Gesundheitszustand mit den Befunden und Gutachten aus den Vorjahren decke.

Im Lauf des Berufungsverfahrens legte der Beschwerdeführer ein Gutachten des Facharztes für Unfallchirurgie Dris. H. vom 7. Mai 1997 vor, in dem dieser aufgrund einer persönlichen Untersuchung und nach einer Gegenüberstellung der Gutachten Dris. S vom 21. März 1990 und Dris. G. vom 21. März 1997 zusammenfassend ausführte, daß zwischen der Begutachtung zur Dauerrente und der Nachuntersuchung keine wesentlichen Änderungen der Funktion der linken unteren Extremität nach Riß der linken Achillessehne aufgetreten seien und daher die Dauerrente aufgrund einer 20 %igen Minderung der Erwerbsfähigkeit weiter zustehe. Dies gründete er auf folgende Überlegungen: Bei Vergleich der objektiv erhobenen Daten finde sich sowohl im Gutachten Dris. S. aus 1990 wie auch im Gutachten Dris. G. aus 1997 eine Differenenz des Wadenumfanges mit Abschwächung der linken Wade. Weiters finde sich eine nahezu gleichlautende Einschränkung der Sprunggelenksbeweglichkeit (bei Dr. S. 1990 eine Beweglichkeit von S 0 Grad - 5 Grad - 30 Grad am linken oberen Sprunggelenk, bei Dr. G. eine Beweglichkeit von S 0 Grad - 5 Grad - 40 Grad am linken oberen Sprunggelenk). Das untere Sprunggelenk sei bei Dr. S. 1/3 eingeschränkt beschrieben, während Dr. G. die Einschränkung mit endlagig für das untere Sprunggelenk links beurteile. Beide Gutachter hätten eine Narbe im Bereich der linken Achillessehne sowie deren deutliche Verdickung festgestellt.

Die belangte Behörde ersuchte daraufhin den Vertrauensarzt Dr. K. um eine Stellungnahme. Auf dessen Anraten wurde ein Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. L. eingeholt. Dieser erklärte in Beantwortung entsprechender Fragen der belangten Behörde in seinem Gutachten vom 13. August 1998, daß 1. ein Zusammenhang der Schmerzzustände im Bereich der linken Wade und im Sprunggelenksbereich links mit der Operation des Sakraldermoids (1966) auszuschließen sei und

2. der Unterschied des Umfanges der Wadenmuskulatur zuungunsten von links eine chronische Minderbelastung und Schonung der linken Wade im Sinn einer pathologischen Fixierung durchaus möglich erscheinen lasse.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 11. Februar 1998 wies die belangte Behörde die Berufung ab und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid. Zur Begründung erklärte die Behörde nach Darstellung des Verwaltungsgeschehens und zusammenfassender Wiedergabe sämtlicher im Zuge des Verfahrens eingeholter Gutachten, daß die Gutachten Dris. G. und Dris. L. vom 21. März 1997 und vom 13. August 1997 entsprechend schlüssig seien, wobei das Gutachten Dris. L das Gutachten Dris. G. bestätige. Es ergebe sich damit zweifelsfrei, daß die Minderung der Erwerbsfähigkeit mit 10 vH zu beziffern sei.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Im Beschwerdefall ist das Gesetz über die OÖ Lehrer-Kranken- und Unfallfürsorge, LGBl. Nr. 66/1983 (Wiederverlautbarung), anzuwenden. Nach § 13 Abs. 1 Z. 4 leg. cit. haben die Mitglieder der LKUF im Falle einer durch einen Dienstunfall verursachten körperlichen Schädigung Anspruch auf Versehrtenrente. Nach Abs. 6 dieses Paragraphen (in der Fassung LGBl. Nr. 79/1989) sind die näheren Bestimmungen über die der Art und dem Grad von Schädigungen jeweils entsprechenden Leistungen nach Abs. 1 bis 5 entsprechend den jeweiligen Anforderungen einer ausreichenden Unfallfürsorge durch die Satzung festzulegen.

Nach Punkt 145 der Satzung besteht Anspruch auf Versehrtenrente, wenn die Erwerbsfähigkeit des Lehrers durch die Folgen eines Dienstunfalles länger als drei Monate ab dem Unfallereignis um mindestens 20 % vermindert ist.

§ 24 Abs. 1 lautet (der zweite Satz in der Fassung LGBl. Nr. 79/1989):

"§ 24

Neufestsetzung von Renten aus der Unfallfürsorge

(1) Bei einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse, die für die Festsetzung einer Rente maßgebend waren, ist die Rente auf Antrag oder von Amts wegen neu festzusetzen. Als wesentlich gilt eine Änderung der Verhältnisse nur, wenn durch sie die Minderung der Erwerbsfähigkeit des Versehrten durch mehr als drei Monate um mindestens 10 v.H. geändert wird, durch die Änderung ein Rentenanspruch entsteht oder wegfällt oder die Schwerversehrtheit entsteht oder wegfällt."

§ 25 Abs. 1 lautet auszugsweise:

"§ 25

Entziehung von Leistungen aus der Unfallfürsorge

(1) Sind die Voraussetzungen des Anspruches auf eine wiederkehrende Leistung aus der Unfallfürsorge nicht mehr vorhanden, so ist die Leistung zu entziehen, sofern nicht der Anspruch gemäß § 27 ohne weiteres Verfahren erlischt."

§ 27 regelt die Fälle des Erlöschens von Leistungsansprüchen aus der Unfallfürsorge; ein solcher Fall liegt hier nicht vor.

Gemäß § 39 Abs. 1 leg. cit. (in der Fassung LGBl. Nr. 47/1992) ist auf das behördliche Verfahren vor dem Verwaltungsrat und dem Aufsichtsrat, von im Beschwerdefall nicht zutreffenden Ausnahmen abgesehen, das DVG anzuwenden.

In Punkt 127 der Satzung heißt es: "Sind die Voraussetzungen des Anspruches auf eine wiederkehrende Leistung nicht mehr vorhanden, so ist diese zu entziehen" (Hinweis auf § 25 Abs. 1 OÖ LKUFG).

Der Beschwerdeführer führt aus, daß beim gegebenen Stand des Beweisverfahrens zwingend davon auszugehen sei, daß eine Änderung des Gesundheitszustandes seit der Begutachtung durch Dr. S. vom 21. März 1990 und damit auch seit dem positiven Bescheid vom 14. Mai 1990 nicht eingetreten sei. Die belangte Behörde habe weder diese Feststellung getroffen, noch schlüssig begründet, weshalb sie dies entgegen dem Vorbringen des Beschwerdeführers nicht getan habe, noch den von ihr beigezogenen Sachverständigen einen geeigneten Auftrag erteilt und daher den angefochten Bescheid mit Verfahrensfehlern belastet. Hinsichtlich einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit bringt der Beschwerdeführer vor, daß nur ein Unterschied zwischen den Gutachten Dris. S. vom 21. März 1990 und Dris. G. vom 21. März 1997 klar sei, nämlich, daß ersterer die Erwerbsminderung mit 20 vH und letzterer die Erwerbsminderung nur mit 10 vH angenommen habe. Das sei jedoch jenes Element der Schlußfolgerung, bei dem Sachverständige immer wieder auch ausgehend von gleichen tatsächlichen Gegebenheiten unterschiedliche Standpunkte verträten. Es sei dementsprechend keineswegs der Rückschluß zulässig, daß hinsichtlich des Gesundheitszustandes selbst bzw. der gesundheitlichen Beeinträchtigungen ebenfalls eine Divergenz bestehe. Der wesentliche Rechtsirrtum der belangten Behörde bestehe darin, daß sie sich offensichtlich nicht bewußt sei, daß eine tatsächliche Änderung des Gesundheitszustandes eingetreten sein müsse, damit eine früher getroffene rechtskräftige Entscheidung abgeändert werden könne.

Mit diesem Vorbringen ist der Beschwerdeführer im Recht:

Die Worte "nicht mehr" in § 25 Abs. 1 OÖ LKUFG (und im übrigen auch in Punkt 127 der Satzung) besagen nämlich, daß die Voraussetzungen vorher vorhanden waren, also eine wesentliche entscheidende Änderung eingetreten sein muß, um die Rente entziehen zu können. Es muß sich um eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse handeln, also um eine wesentliche Besserung im Leidenszustand gegenüber dem Zeitpunkt der letzten Entscheidung über den Rentenanspruch. Eine allfällige abweichende ärztliche Beurteilung bei gleichgebliebenen tatsächlichen Verhältnissen stellt keine wesentliche Änderung der Verhältnisse in diesem Sinne dar (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. Februar 1998, Zl. 97/12/0380, sowie das Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 97/12/0395).

Die belangte Behörde hätte von jenem Gesundheitszustand ausgehen müssen, der auf Grund des seinerzeitigen Gutachtens Dris. S. dem Rentenbescheid vom 14. Mai 1990 (Bewegungseinschränkung des unteren und oberen linken Sprunggelenks mit geringer Gehstörung, Verdickung der Achillessehne und Muskelschwäche des linken Beines bei gleichzeitiger Schwellenneigung der Sprunggelenksgegend) zugrundegelegt wurde, und in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren klären müssen, ob sich dieser in der Zwischenzeit so wesentlich gebessert hat, daß die medizinische Beurteilung des geänderten Zustandes zu einer Neueinstufung der MdE führt, die unter 20 vH beträgt. Nur eine derartige wesentliche Änderung des Sachverhaltes läßt nämlich eine Durchbrechnung der Rechtskraft des Bescheides vom 14. Mai 1990 nach § 25 Abs. 1 LKUFG zu. Der Beschwerdeführer hat im Berufungsverfahren - gestützt auf ein näher begründetes Gutachten Dris. H. - in Abrede gestellt, daß der von der Behörde beigezogene Sachverständige Dr. G. von einem gegenüber dem Vergleichsgutachten Dris. S. geänderten Sachverhalt (Leidenszustand des Beschwerdeführers) ausgegangen ist. Damit hat sich die belangte Behörde aber im Verfahren nicht hinreichend auseinandergesetzt. Die Ausschaltung eines Zusammenhanges zwischen den Schmerzzuständen an der linken unteren Extremität und der Muskelatrophie mit der Operation des Sakraldermoids behandelt eine andere Fragestellung. Die Möglichkeit, die chronische Minderbelastung und Schonung der linken Wade als "pathologische Fixierung" anzusehen, schließt nicht aus, daß dies bloß eine (weitere) Folge dieses auf Grund des Vergleichsgutachtens Dris. S. durch den Dienstunfall kausal bedingten Leidenszustand ist.

Da die belangte Behörde in Verkennung der Rechtslage ihre Entscheidung auf unzureichende Grundlagen gestützt hat, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

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