VwGH 98/11/0136

VwGH98/11/013627.5.1999

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Lenhart, über die Beschwerde des M in W, vertreten durch Dr. Franz Pichler, Rechtsanwalt in Wien XXIII, Breitenfurterstraße 360-368/2/III, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 30. März 1998, Zl. MA 65-8/65/98, betreffend Entziehung der Lenkberechtigung, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §58 Abs2;
FSG 1997 §24 Abs1 Z1;
FSG 1997 §25 Abs3;
FSG 1997 §7 Abs1;
FSG 1997 §7 Abs2;
FSG 1997 §7 Abs4 Z3;
FSG 1997 §7 Abs5;
AVG §58 Abs2;
FSG 1997 §24 Abs1 Z1;
FSG 1997 §25 Abs3;
FSG 1997 §7 Abs1;
FSG 1997 §7 Abs2;
FSG 1997 §7 Abs4 Z3;
FSG 1997 §7 Abs5;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 24 Abs. 1 Z. 1 in Verbindung mit § 25 Abs. 1 Führerscheingesetz-FSG die Lenkberechtigung für die Klassen Al und B wegen Verkehrsunzuverlässigkeit für die Dauer von zwölf Monaten (ab der am 27. Jänner 1998 erfolgten Zustellung des erstinstanzlichen Entziehungsbescheides) entzogen.

In der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides geltend; er beantragt dessen kostenpflichtige Aufhebung. Die belangte Behörde hat den Verwaltungsakt vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Anlass für die bekämpfte Entziehungsmaßnahme war die rechtskräftige Bestrafung des Beschwerdeführers (Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 8. April 1997) wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung nach den §§ 83 Abs. 1 und 84 Abs. 2 Z. 4 StGB und des Vergehens des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach den §§ 15, 269 Abs. 1 erster Fall StGB mit einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten (bedingt nachgesehen auf drei Jahre). Danach hat der Beschwerdeführer am 26. Jänner 1997 einen Beamten während einer Amtshandlung (§ 269 Abs. 3 StGB) während und wegen der Vollziehung seiner Aufgaben tätlich angegriffen, indem er ihm mit der geballten Faust ins Gesicht schlug, wodurch der Beamte einen Bruch des Nasenbeines erlitt, und weiters versucht, Beamte an einer Amtshandlung, nämlich seiner Festnahme, zu hindern, indem er mit den Füßen gegen sie trat und mit den Fäusten auf sie einschlug. Die belangte Behörde erblickte darin eine bestimmte Tatsache gemäß § 7 Abs. 4 FSG, deren Verwerflichkeit und Gefährlichkeit offenkundig seien; darin zeige sich eine zu Aggressionen gegen andere Personen neigende Sinnesart des Beschwerdeführers. Deren Überwindung könne frühestens nach Verstreichen der festgesetzten Zeit von 12 Monaten angenommen werden.

Der Beschwerdeführer bringt vor, es handle sich bei der Tat vom 26. Jänner 1997 um eine "einmalige Entgleisung", die auf den falschen Vorwurf der Zechprellerei und seine damalige Alkoholisierung zurückzuführen sei und die keineswegs den Schluss auf eine Neigung zur Begehung von Gewaltdelikten zulasse. Außerdem fehle jeglicher Zusammenhang zwischen dieser Tat und dem Lenken eines Kraftfahrzeuges und es sei auch nicht ersichtlich, inwiefern die Begehung solcher Delikte durch das Lenken von Kraftfahrzeugen erleichtert werde.

Der zuletzt genannte Einwand bezieht sich offensichtlich auf die Zuordnung der im Abs. 4 Z. 3 genannten "strafbaren Handlungen gegen Leib und Leben" zu den bestimmten Tatsachen, deren Begehung im Sinne des § 7 Abs. 2 FSG durch das Lenken von Kraftfahrzeugen erleichtert wird. Diese Zuordnung ist - so wie die Zuordnung der "Rauschdelikte" (Abs. 4 Z. 1) zum Abs. 2 des § 7 FSG - offensichtlich verfehlt. Anders als etwa bei Diebstahlsdelikten (s. das hg. Erkenntnis vom 10. November 1998, Zl. 98/11/0191) oder bei Betrugsdelikten (s. das hg. Erkenntnis vom 9. Februar 1999, Zl. 98/11/0270) ist nicht erkennbar, inwiefern durch das Lenken von Kraftfahrzeugen die Begehung von Delikten gegen Leib und Leben oder von strafbaren Handlungen im Zustand völliger Berauschung erleichtert wird. Normgerechte Ausübung der Lenkberechtigung lässt eher erwarten, dass solche Delikte beim Lenken eines Kraftfahrzeuges nicht begangen werden. Vielmehr liegt auf der Hand, dass die Begehung von Delikten gegen Leib und Leben oder von "Rauschdelikten" auf eine Sinnesart hinweist, auf Grund der anzunehmen ist, dass die betreffende Person im Sinne des § 7 Abs. 1 FSG beim Lenken von Kraftfahrzeugen die Verkehrssicherheit gefährden wird, insbesondere durch rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr oder durch Trunkenheit. Die belangte Behörde hat daher zutreffend betont, dass von Kraftfahrzeuglenkern wegen der im Straßenverkehr häufig auftretenden Konfliktsituationen eine gegenteilige, nämlich nicht zu Gewalttätigkeiten neigende Sinnesart erwartet werden müsse. Unbeherrschte Aggressivität lässt befürchten, dass die betreffende Person entweder mit betont aggressiver Fahrweise oder aggressivem Verhalten nach einem allfälligen Verkehrsunfall auf vermeintliches oder tatsächliches Fehlverhalten anderer Verkehrsteilnehmer reagiert. Es kommt daher entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers bei Gewaltdelikten gemäß § 7 Abs. 4 Z. 3 FSG nicht darauf an, dass sie "im Zusammenhang mit dem Lenken von Kraftfahrzeugen begangen" werden. Der vom Gesetz vorausgesetzte Zusammenhang zwischen solchen Delikten und dem Lenken von Kraftfahrzeugen besteht vielmehr in der vorhin aufgezeigten Art und Weise.

Die Auffassung der belangten Behörde, die Tat vom 26. Jänner 1997 allein (sonstige strafbare Handlungen des Beschwerdeführers werden im angefochtenen Bescheid nicht erwähnt) lasse den Schluss zu, er werde seine Verkehrszuverlässigkeit erst nach Ablauf eines Jahres ab dem Beginn der Entziehungsmaßnahme, das sind zwei Jahre ab der Tat vom 26.Jänner 1997, wieder erlangen, beruht allerdings auf einer mangelhaften, nicht dem Gesetz entsprechenden Wertung dieser Tat im Grunde des § 7 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 5 FSG. Zwar hat die belangte Behörde angesichts des in der Tat vom 26. Jänner 1997 zu Tage getretenen beträchtlichen Ausmaßes an Gewalttätigkeit zu Recht dem Kriterium der Verwerflichkeit hohes Gewicht beigemessen. Entgegen der im angefochtenen Bescheid enthaltenen Behauptung, es sei auch die seit dieser Tat verstrichene Zeit berücksichtigt worden, ist aber eine Wertung nach den Kriterien "seither verstrichene Zeit" und "Verhalten während dieser Zeit" nicht erfolgt. Im angefochtenen Bescheid findet sich kein Wort darüber, ob die belangte Behörde von einem Wohlverhalten des Beschwerdeführers während dieser Zeit ausgegangen ist oder nicht. Dieser Mangel ist wesentlich, weil bis zum Beginn der Entziehungsmaßnahme rund ein Jahr verstrichen ist und in dieser Zeit nur rund zweieinhalb Monate lang ein Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer anhängig war. Einem Wohlverhalten während der restlichen Zeit dieses Jahres kommt erhebliches Gewicht zu, das die Annahme einer zwei Jahre dauernden Verkehrsunzuverlässigkeit allein wegen dieser Tat ausschließt.

Der angefochtene Bescheid war gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Zuspruch von Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 27. Mai 1999

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