VwGH 98/06/0027

VwGH98/06/002718.10.2001

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten und Dr. Köhler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hanslik, über den Antrag des Landesgerichtes Graz vom 26. Jänner 1998, 13 Cg 1/97 y, auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des Bescheides des Bürgermeisters der Marktgemeinde U vom 4. Oktober 1993, Zl. 131- 9/1993 (weitere Verfahrensparteien im verwaltungsgerichtlichen Verfahren: 1. der Bürgermeister der Marktgemeinde U, 2. S GesmbH in G, vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in G, 3. Marktgemeinde U, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:

Normen

AHG 1949 §11 Abs1;
BauO Stmk 1968 §59 Abs4;
BauO Stmk 1968 §70a;
AHG 1949 §11 Abs1;
BauO Stmk 1968 §59 Abs4;
BauO Stmk 1968 §70a;

 

Spruch:

Der Antrag wird abgewiesen.

Begründung

1. Mit Schriftsatz vom 26. Jänner 1998 stellte das Landesgericht Graz unter Hinweis auf § 11 Abs. 1 des Amtshaftungsgesetzes (AHG) den Antrag, der Verwaltungsgerichtshof möge die Rechtswidrigkeit des im Spruch genannten Bescheides feststellen.

Begründet wird der Antrag damit, dass Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides des Bürgermeisters der Marktgemeinde U vom 4. Oktober 1993 bestünden, da dieser eventuell die Durchführung bereits mit Bescheid vom 5. August 1993 bewilligter Baumaßnahmen verhindert habe, wodurch nach Angaben der klagenden Partei ein Schaden in der Höhe von mindestens 12 Millionen Schilling entstanden sei.

2. Aus dem vorgelegten Gerichtsakt und dem vorgelegten Verwaltungsakt der Marktgemeinde U ergibt sich folgender Sachverhalt:

2.1. Mit Bescheid vom 5. August 1993 wurde der Klägerin gemäß § 62 der Steiermärkischen Bauordnung 1968 (Stmk. BauO) unter Auflagen der Abbruch von Bauteilen einer ehemaligen Fabrik mit der Maßgabe bewilligt, dass die mit dem Genehmigungsvermerk versehenen und anliegenden Pläne und Unterlagen einen wesentlichen Bestandteil des Bescheides bilden.

Diese Bewilligung wurde auf Grund eines Antrages der Klägerin, mit welchem diese die Bewilligung für Demolierungsarbeiten im Bereich der ehemaligen Fabrik A begehrte, erteilt. Die Arbeiten betrafen in erster Linie die Demontage von alten Anlagenteilen, Installationen und den Abbruch von Trapezblechdächern sowie den Austausch alter Fenster und Türen. Weiters beschreibt die Klägerin in einem Schreiben an die Baubehörde, was mit dem Abbruchmaterial geschehen solle. Bücherlicher Eigentümer der Liegenschaft war zu diesem Zeitpunkt noch der Rechtsvorgänger der klagenden Partei, von dem sie das Grundstück mit Kaufvertrag vom 13. Mai 1993 erworben hatte.

Die Klägerin legte im Bauverfahren auch eine Baubeschreibung der Abbrucharbeiten vor. Diese Beschreibung lautet wörtlich:

"Der Abbruch betrifft:

1) Den nördlichen Vordachzubau, um die geforderte Bebauungsdichte einzuhalten.

Konstruktion: Leimbinder auf Stahlbetonstützen

Dach: Trapezblech mit Foliendach

Füllmauerwerk: Ytong 30 cm

2) Aufbau über den Innenhof

Holzaufbau mit Wärmedämmung und Blechverkleidung

3) Trapezblechdach mit Leimbinderkonstruktion über dem östlichen Hallentrakt und Austausch des östlichen Ytongmauerwerks (30 cm) gegen 38 cm Ziegelmauerwerk

4) Trapezblechdach mit Leimbinderkonstruktion über Teilen des Südtrakts

5) Trapezblechdach und Leimbinderkonstruktion über der nordwestlichen Maschinenhalle.

Die Dächer 3, 4 und 5 werden durch entsprechend dimensionierte Massivdecken ersetzt.

6) Austausch der alten Fenster und Türen im Bereich des Altbestandes."

Die Situierung der "Dächer 3, 4 und 5" ist in einem im Verfahren vorgelegten Abbruchplan ersichtlich.

In diesem Abbruchplan sind die abzubrechenden Teile des in Rede stehenden Gebäudes gemäß § 59 Abs. 4 Stmk. BauO gelb eingezeichnet.

Mit Antrag vom 22. September 1993 suchte die klagende Partei um die Genehmigung von Umbauarbeiten auf dem gegenständlichen Grundstück an. Mit Bescheid vom 8. Oktober 1993 wurde dieses Ansuchen zurückgewiesen, weil die Zustimmung des Grundstückseigentümers (des Rechtsvorgängers der klagenden Partei) fehlte (die Bewilligung der Eintragung des Eigentumsrechts der klagenden Partei im Range einer eingetragenen Anmerkung erfolgte am 11. Oktober 1993).

Am 4. Oktober 1993 erließ der Bürgermeister der Marktgemeinde U auf Grund einer am 28. September 1993 durchgeführten Besichtigung zur Feststellung des Bauzustandes gemäß § 70a Abs. 1 der Stmk. BauO einen Beseitigungsauftrag, mit welchem die Beseitigung von ohne baubehördliche Bewilligung durchgeführten Bauarbeiten (im nordwestlichen Bereich im Erdgeschoß tragendes Außen- und Innenmauerwerk, teilweise mit Betondielendecken abgedeckt, im östlichen Gebäudetrakt im Erdgeschoß tragende Außen- und Innenmauern, darüber liegende Ziegelfertigteildecke, im Obergeschoß ebenfalls tragende Wände, tragende Ziegelmauern im südlichen Trakt im Gebäudeinneren) binnen drei Wochen aufgetragen wurde.

Mit Schreiben vom 27. Oktober 1993 an den Bürgermeister der Marktgemeinde U teilte die klagende Partei mit, das Projekt der Errichtung von Wohnungen nicht weiter zu verfolgen und eine (der bestehenden Widmung entsprechende) Verwertung durch gewerbliche Nutzung ins Auge zu fassen. Aus einem weiteren Schreiben vom 2. November 1993 geht hervor, dass die klagende Partei ihr Bauansuchen zurückziehe und nach erfolgter Umwidmung des Areals ein neues Ansuchen einbringen werde.

2.3. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens begehrt von der Marktgemeinde U Schadenersatz in der Höhe von 12 Millionen Schilling, da die Marktgemeinde U nach Ansicht der Klägerin die ihr zustehenden Bebauungsmöglichkeiten durch einen rechtswidrigen Bescheid vom 4. Oktober 1993 beschränkt und dadurch einen beträchtlichen Schaden am Vermögen der Klägerin schuldhaft herbeigeführt habe. Nach Ansicht der Klägerin hätte dieser Bescheid nicht erlassen werden dürfen, da für die beanstandeten Maßnahmen eine rechtswirksame Baubewilligung des Bürgermeisters der Marktgemeinde U vom 5. August 1993 vorgelegen sei. Mit diesem Bescheid seien Bauarbeiten, namentlich Abbrucharbeiten, aber auch Bauarbeiten betreffend Anlagenteile der ehemaligen Fabrik A erteilt worden.

3. Bezüglich dieses Bescheides vom 4. Oktober 1993 stellte das Landesgericht Graz den vorliegenden Antrag.

4. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

4.1. Wie sich aus dem Antrag des Landesgerichtes Graz vom 26. Jänner 1998 bzw. aus dem vorgelegten Gerichtsakt ergibt, bezweifelt die Klägerin des Ausgangsverfahrens vor dem antragstellenden Gericht die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 4. Oktober 1993, weil trotz vorliegender Baubewilligung vom 5. August 1993 der Beseitigungsauftrag vom 4. Oktober 1993 erlassen worden sei.

4.2. Die im Jahre 1993 in Geltung gestandenen § 59 Abs. 4 und § 70a der Steiermärkischen Bauordnung 1968 (Stmk. BauO), LGBl. Nr. 149/1968 (letzterer idF LGBl. Nr. 14/1989), lauteten:

"§ 59

Baupläne

...

(4) Die Pläne sind auf haltbarem Papier in Tusche, im Druckverfahren, als dauerhafte Kopien oder dgl. herzustellen. In Plänen für Zu- und Umbauten sind die abzutragenden Bauteile gelb, die neu zu errichtenden Bauteile rot darzustellen.

§ 70a

Baueinstellung und Beseitigungsauftrag

(1) Bei Bauarbeiten, die ohne die erforderliche Bewilligung ausgeführt werden, ist die Baueinstellung zu verfügen. Vorschriftswidrige Bauten, für die eine nachträgliche Bewilligung nicht erteilt wurde, sind zu beseitigen. Mündlich verkündete Verfügungen sind schriftlich auszufertigen."

4.3. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens vermeint, mit Bescheid vom 5. August 1993 des Bürgermeisters der Marktgemeinde U seien die im antragsgegenständlichen Bescheid vom 4. Oktober 1993 zur Beseitigung vorgeschriebenen Bauten bewilligt worden.

Dies leitet die Klägerin daraus ab, dass im Spruch des Bescheides des Bürgermeisters der Marktgemeinde U vom 5. August 1993 die Bewilligung mit der Maßgabe, dass die mit dem Genehmigungsvermerk versehenen und anliegenden Pläne und Unterlagen einen wesentlichen Bestand des Bescheides bilden, erteilt worden sei.

Dieser Einwand ist unzutreffend. Gemäß dem Spruch des Bescheides vom 5. August 1993 wurde der Klägerin gemäß § 62 der Stmk. Bauordnung 1968 unter Auflagen der Abbruch von Bauteilen der ehemaligen Fabrik bewilligt. Die als Bestandteil der Bewilligung erklärten Pläne enthalten keine Kennzeichnung von Zu- oder Umbauten in roter Farbe, wie dies nach § 59 Abs. 4 Stmk. BauO erforderlich wäre. Es ist daher nicht erforderlich, näher auf die Frage einzugehen, von welchem "Mauerwerk" in der im Bauverfahren vorgelegten Baubeschreibung die Rede ist, wenn von einem Austausch "des östlichen Ytongmauerwerks (30 cm)" gegen 38 cm Ziegelmauerwerk gesprochen wird. Mit der Abbruchbewilligung wurde vielmehr lediglich der Abbruch von Teilen der Fabrik genehmigt. Eine Baubewilligung für einzelne Baumaßnahmen kann darüber hinaus in dem Bescheid vom 5. August 1993 nicht erblickt werden.

4.4. Damit ergibt sich, dass die Baubehörde rechtens davon ausgehen konnte, dass die festgestellten Baumaßnahmen zur Gänze konsenslos vorgenommen worden waren.

Gemäß § 70 a der Stmk. Bauordnung 1968, LGBl. Nr. 149, in der Fassung LGBl. Nr. 14/1989, sind vorschriftswidrige Bauten, für die eine nachträgliche Bewilligung nicht erteilt wurde, zu beseitigen. Damit ergibt sich (wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung dargelegt hat, vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 26. April 1990, Zl. 90/06/0042, und die bei Hauer, Steiermärkisches Baurecht, 2. Auflage, E 15 ff zu § 70a Stmk. BauO 1968 wiedergegebene Rechtsprechung) ausdrücklich aus dem Gesetz, dass konsenslose Bauten, also solche, für die sowohl im Zeitpunkt der Errichtung als auch im Zeitpunkt der Auftragserteilung eine baubehördliche Bewilligung erforderlich war bzw. ist, eine solche aber nicht vorliegt (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 12. Februar 1987, Zl. 84/06/0221, BauSlg. Nr. 859), auf Grund eines baupolizeilichen Auftrages zu beseitigen sind, ohne dass es weiterer Voraussetzungen hiefür bedarf; es ist dabei auch bedeutungslos, ob die konsenslosen Bauführungen bewilligungsfähig wären und ob ein nachträgliches Bewilligungsverfahren anhängig ist. Durch den Beseitigungsauftrag wird unbeschadet der allfälligen Möglichkeit der Erteilung einer nachträglichen Bewilligung für die Baumaßnahmen die Verpflichtung zur Beseitigung begründet. Dazu ist festzuhalten, dass nach der hg. Rechtsprechung ein erteilter Beseitigungsauftrag während der Dauer eines anhängigen Verfahrens betreffend die nachträgliche Erteilung einer Baubewilligung für die (zunächst) konsenslosen Baumaßnahmen nicht vollstreckt werden kann (vgl. die bei Hauer, a. a.O., unter Nr. 76 und 77 zu § 70a Steiermärkische Bauordnung 1968 wiedergegebene hg. Rechtsprechung (=Hauer/Trippl, Steiermärkisches Baurecht, 3. Auflage, Nr. 62 und 63 zu § 41 Steiermärkisches Baugesetz 1995)). Rechtlich gesehen wird somit mit einem Beseitigungsauftrag nach § 70a Stmk. BauO 1968 nicht über die "Bebauungsmöglichkeiten" abgesprochen, wie die Klägerin meint. Die Frage, ob und wie ein Bauplatz bebaut werden darf, ist im Baubewilligungsverfahren zu entscheiden.

Die Bewilligungspflicht der durchgeführten Maßnahmen (sowohl zum Zeitpunkt der Durchführung als auch zum Zeitpunkt der Erteilung des Auftrags gemäß § 70a Stmk. BauO 1968) war unbestritten gegeben.

4.5. Der verfahrensgegenständliche Bescheid war somit nicht rechtswidrig. Der Antrag war daher abzuweisen.

Wien, am 18. Oktober 2001

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte