VwGH 98/04/0209

VwGH98/04/020914.4.1999

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte DDr. Jakusch, Dr. Stöberl, Dr. Blaschek und Dr. Baur als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Martschin, über die Beschwerde 1.) der M S und

2.) des A S, beide in S, beide vertreten durch Dr. H und Dr. C, Rechtsanwälte in S, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 16. September 1998, Zl. WST1-BA-9735, betreffend Verfahren gemäß § 77 GewO 1994 (mitbeteiligte Partei:

N-Gesellschaft m.b.H. in S, vertreten durch Dr. W KEG, Rechtsanwaltskanzlei in W), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §45 Abs2;
AVG §45 Abs3;
AVG §52;
GewO 1994 §77 Abs1;
GewO 1994 §79 Abs1;
AVG §45 Abs2;
AVG §45 Abs3;
AVG §52;
GewO 1994 §77 Abs1;
GewO 1994 §79 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird in seinem Punkt II. wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem allein den Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens bildenden Punkt II. des Bescheides des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 16. September 1998 wurde der mitbeteiligten Partei im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG und gemäß §§ 74 ff GewO 1994 in Verbindung mit § 93 ASchG 1994 die gewerbebehördliche Genehmigung für die Errichtung eines Gastronomiebetriebes und von vier Geschäftslokalen an einem näher bezeichneten Standort unter Vorschreibung von Auflagen erteilt. Zur Begründung wird dem Vorbringen der Beschwerdeführer in ihrer Berufung gegen den erstbehördlichen Bescheid, es sei ihnen keine angemessene Frist zur Vorlage eines lärmtechnischen "Gegengutachtens" eingeräumt worden, entgegengehalten, sie hätten im Berufungsverfahren Zeit genug gehabt, ein solches Gutachten vorzulegen. Sie hätten von dieser Möglichkeit jedoch nicht Gebrauch gemacht.

Gegen diesen Bescheid, inhaltlich jedoch nur gegen dessen Punkt II., richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen. Die mitbeteiligte Partei stellte in ihrer Gegenschrift einen gleichlautenden Antrag.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof erachten sich die Beschwerdeführer in ihrem Recht auf Durchführung eines gesetzmäßigen Verfahrens sowie in dem Recht auf rechtsrichtige Anwendung der Bestimmungen des § 77 GewO 1994 zu ihrem Schutz als Nachbarn verletzt. In Ausführung des so bezeichneten Beschwerdepunktes bringen sie u. a. vor, sie hätten sich während des gesamten Verfahrens bemüht, von der Behörde erster oder zweiter Instanz eine angemessene längere Frist gesetzt zu erhalten, um ihrerseits einen Fachgutachter mit der Ausarbeitung eines Gegengutachtens bzw. einer Beurteilung der von der mitbeteiligten Partei ihren Begutachtungen zugrunde gelegten Grundlagen zu beauftragen. Diese Frist sei ihnen trotz mehrmaligen Antrages nicht eingeräumt und nur eine 14-tägige Äußerungsfrist gewährt worden. Diesen Umstand hätten sie auch im Berufungsverfahren gerügt. Die ihnen daraufhin von der belangten Behörde zuteil gewordene Antwort erachteten sie als eine Scheinargumentation. Es sei zwar richtig, daß sie nunmehr im nachhinein betrachtet genug Zeit gehabt hätten, derartige Privatgutachten zu beauftragen, doch hätten sie von vornherein nicht damit rechnen können, daß sich die belangte Behörde mit ihrer Entscheidung über die Berufung mehr als ein Jahr Zeit lassen werde. Es sei ihnen aber nicht zuzumuten gewesen, gleichsam ins Blaue hinein ein äußerst aufwendiges und kostenintensives Gutachten in Auftrag zu geben, um es sodann allenfalls nicht verwenden zu können, wenn nämlich die Behörde so schnell entschieden hätte, daß sie gar nicht mehr zur Vorlage des Gutachtens gekommen wären. In diesem Fall hätten sie viel Geld ohne jeden Nutzen aufgewendet. Es sei daher ihr Bestreben gewesen, von der Behörde einen Zeitrahmen für die Gutachtenserörterung vorgegeben zu erhalten, was die Behörde aber abgelehnt habe.

Mit diesem Vorbringen sind die Beschwerdeführer im Recht.

Gemäß § 45 Abs. 3 AVG ist den Parteien Gelegenheit zu geben, vom Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis und dazu Stellung zu nehmen.

Wie der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, umfaßt das Recht zur Stellungnahme auch das Recht, sich einer sachkundigen Person zu bedienen, wenn es sich nicht um die Stellungnahme zu einem Beweisergebnis handelt, dessen Beurteilung jedermann möglich ist, sondern um die Stellungnahme zu einem Sachverständigengutachten, dem nur in der Weise wirksam entgegengetreten werden kann, daß auch die Partei sich einer sachkundigen Person bedient (vgl. z. B. das hg. Erkenntnis vom 1. Juli 1997, Zl. 97/04/0024). Um den Anforderungen des § 45 Abs. 3 AVG zu entsprechen, ist daher in einer derartigen Situation der Partei über ihren Antrag von der Behörde eine entsprechende Frist für die Beiziehung einer sachkundigen Person ausdrücklich einzuräumen, weil es, wie die Beschwerdeführer zutreffend vorbringen, der Partei nicht zugemutet werden kann, in Unkenntnis des weiteren Verhaltens der Behörde die in aller Regel nicht unbeträchtlichen Kosten der Beiziehung eines (Privat‑)Sachverständigen aufzuwenden, ohne mit Sicherheit damit rechnen zu können, daß die belangte Behörde mit ihrer Entscheidung bis zur Vorlage dieses Gutachtens bzw. bis zum Ablauf der hiefür gesetzten Frist zuwarten werde.

Im vorliegenden Fall haben die Beschwerdeführer mehrfach den Antrag gestellt, ihnen zur Vorlage eines entsprechenden Sachverständigengutachtens eine Frist von fünf Wochen zu gewähren. Eines dieser Ansuchen wurde in der erstbehördlichen Erledigung vom 25. März 1997 im Beharren auf einer zweiwöchigen Frist zur Stellungnahme erledigt. Die weiteren einschlägigen Anträge wurden von der Erstbehörde weder ausdrücklich bewilligt noch abgewiesen, doch wurde in der Begründung des erstbehördlichen Bescheides die den Beschwerdeführern eingeräumte zweiwöchige Frist im Hinblick darauf, daß auch die Frist zur Erhebung einer Berufung nur zwei Wochen betrage, als ausreichend angesehen. Diese Vorgangsweise haben die Beschwerdeführer in ihrer Berufung als Verfahrensmangel gerügt. Damit haben die Beschwerdeführer - entgegen einer in der Gegenschrift der belangten Behörde geäußerten Ansicht - in ausreichender Weise zu erkennen gegeben, daß sie auch weiterhin die Absicht hätten, den im Verwaltungsverfahren eingeholten Sachverständigengutachten durch Vorlage eines entsprechenden (Privat‑)Sachverständigengutachtens entgegenzutreten und auf der Einräumung einer entsprechenden Frist beharrten. Es bedarf auch keiner besonderen Begründung, daß mit Rücksicht auf die Notwendigkeit der Auswahl eines entsprechenden Sachverständigen und seiner Beauftragung einerseits und der für die Ausarbeitung auch eines einfachen Gutachtens erforderlichen Zeit andererseits ein Zeitraum von bloß zwei Wochen hiezu im allgemeinen nicht ausreichen wird.

Da auch keineswegs von vornherein ausgeschlossen werden kann, daß die belangte Behörde, hätte sie den Beschwerdeführern ausreichend Gelegenheit zur Vorlage eines Privatsachverständigengutachtens gegeben, zu einem anderen Bescheid gekommen wäre, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 14. April 1999

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