VwGH 98/03/0073

VwGH98/03/007311.7.2001

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Gall und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Winter, über die Beschwerde des A in Wiesing, vertreten durch Dr. Markus Hupfauf, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Michael-Gaismair-Straße 8, gegen den Bescheid des unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol vom 27. November 1997, Zl. 1997/4/43- 2, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §45 Abs2;
StVO 1960 §5 Abs1 idF 1994/518;
StVO 1960 §99 Abs1 lita;
AVG §45 Abs2;
StVO 1960 §5 Abs1 idF 1994/518;
StVO 1960 §99 Abs1 lita;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Tirol ist schuldig, dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 27. November 1997 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe am 7. Juni 1997 um 2.10 Uhr einen nach dem Kennzeichen bestimmten Pkw in Wiesing auf einer Gemeindestraße an einer näher bezeichneten Örtlichkeit gelenkt, obwohl er sich in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand befunden habe. Er habe hiedurch eine Verwaltungsübertretung nach § 5 Abs. 1 in Verbindung mit § 99 Abs. 1 lit. a StVO 1960 begangen, weshalb über ihn eine Geldstrafe in der Höhe von S 11.000,-- (und eine Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt wurde.

Die belangte Behörde ging offensichtlich von den Feststellungen des Straferkenntnisses erster Instanz aus, wonach sich der Beschwerdeführer am Tattag bis etwa 2.00 Uhr in einem Cafe aufgehalten und dort vier Baccardi-Cola konsumiert habe, anschließend habe er mit seinem Pkw eine Fahrt angetreten, bei der er angehalten und in der Folge bei ihm eine Atemluftalkoholuntersuchung durchgeführt worden sei, die um

2.32 Uhr und 2.33 Uhr zwei verwertbare Ergebnisse, und zwar 0,47 mg/l bzw. 0,46 mg/l Atemluftalkoholgehalt ergeben habe. Der Beschwerdeführer, so führte die belangte Behörde aus, habe sich damit verantwortet, dass er die beiden letzten Gläser Baccardi-Cola in Form eines Sturztrunkes zu sich genommen habe, dem sei jedoch zu entgegnen, dass bei einem Sturztrunk in der Anflutungsphase der Alkohol eine besonders nachteilige Beeinflussung der Fahrtüchtigkeit bewirke. Es sei daher auch im vorliegenden Fall von einer Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit des Beschwerdeführers auszugehen, insbesondere unter Bedachtnahme auf den Umstand, dass sich ergeben habe, dass der Baccardi-Anteil bei den letzten beiden vom Beschwerdeführer konsumierten Getränken über drei Zentiliter gewesen sei. Im Übrigen ergebe sich sowohl aus dem eingeholten Amtssachverständigengutachten wie auch aus dem gerichtsmedizinischen Gutachten, dass die festgestellten Werte mit der Gesamttrinkverantwortung des Beschwerdeführers nicht in Einklang gebracht werden könnten. Unter Bedachtnahme auf die "strenge Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes" erweise sich der entscheidungswesentliche Sachverhalt als geklärt und es sei daher die Einholung eines weiteren Gutachtens entbehrlich gewesen.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der der Beschwerdeführer die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsstrafakten vor und beantragt in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 5 Abs. 1 zweiter Satz StVO 1960 in der Fassung der 19. StVO-Novelle, BGBl. Nr. 518/1994, gilt bei einem Alkoholgehalt des Blutes von 0,8 g pro Liter (0,8 %o) oder darüber oder bei einem Alkoholgehalt der Atemluft von 0,4 mg pro Liter oder darüber der Zustand einer Person jedenfalls als von Alkohol beeinträchtigt.

Die belangte Behörde legte sich in der Begründung des angefochtenen Bescheides nicht fest, ob die Werte von 0,8 %o Blutalkoholgehalt bzw. 0,4 mg pro Liter Atemluftalkoholgehalt beim Beschwerdeführer rückgerechnet auf den Zeitpunkt des Lenkens erreicht oder überschritten waren oder nicht. Die belangte Behörde stützte sich in Entgegnung des Vorbringens des Beschwerdeführers, er habe kurz vor Fahrtantritt zwei Baccardi-Cola rasch ausgetrunken, aber darauf, dass sich der Beschwerdeführer in der für die Fahrtüchtigkeit besonders schädlichen "Anflutungsphase" befunden habe.

Nun trifft es zwar zu, dass der Verwaltungsgerichtshof wiederholt erkannt hat, dass Alkohol in der Anflutungsphase besonders nachteilige Auswirkungen auf die Fahrtüchtigkeit zeitigt, weil sich ein Sturztrunk kurz vor Fahrtantritt auf den Alkoholgehalt des Blutes und der Atemluft erst nach einer gewissen Zeit auswirkt, die Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit aber sofort eintritt (vgl. u.a. die hg. Erkenntnisse vom 3. November 2000, Zl. 98/02/0361, und vom 12. Feber 1997, Zl. 95/03/0142, mit weiteren Nachweisen), wobei dies auch in Fällen entschieden wurde, in denen sich nicht die Notwendigkeit eines Sachverständigengutachtens ergeben hatte (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 25. Juni 1999, Zl. 94/02/0375).

Der Beschwerdefall ist jedoch insofern besonders gelagert, als vom Beschwerdeführer im Verwaltungsstrafverfahren ein gerichtsmedizinisches Sachverständigengutachten des Institutes für gerichtliche Medizin der Universität Innsbruck vorgelegt wurde, aus dem hervorgeht, dass es sich hier um einen Grenzfall handle, und unter Beurteilung der von den Exekutivbeamten festgestellten Alkoholisierungssymptome im Zusammenhalt mit den Ergebnissen des Alkomattestes ein sogenanntes Vorauseilen der hirnorganisch bedingten Alkoholbeeinflussungs-Symptomatik dem effektiven Blutalkoholgehalt bzw. Alkoholgehalt der Ausatemluft während der Anresorptionsphase gegenüber alkoholbedingten hirnorganischen Beeinflussungsmerkmalen dem Beschwerdeführer nicht zugeordnet werden könne. Der Sachverständige führte auch aus, dass bei einem Baccardi-Cola als Mischgetränk "ein besonderes Anresorptionsphänomen bei einem Menschen mit einer durchschnittlichen Alkoholverträglichkeit kaum zu erwarten" sei. Auch zusammenfassend verwies der Gerichtssachverständige darauf, dass ein Anresorptionsphänomen auf Grund der Beurteilung von Alkoholisierungssymptomen durch die Gendarmerie gegenständlich mit praktischer Sicherheit ausscheide.

In dem in der Folge eingeholten Amtssachverständigengutachten, welches der Entscheidung der Behörde zugrunde gelegt wurde, führte die Amtssachverständige Folgendes aus:

"Gutachten

Unter Zugrundelegung der Atemalkoholkonzentrationsmessung von 0,46 mg/l um 2.33 Uhr vom 07.06.1997 wird unter Verwendung des minimalsten Umrechnungsfaktors von 1700 für den ggst. Fahrtzeitpunkt eine theoretische Blutalkoholkonzentration von zumindestens 0,82 %o errechnet. Mit dem in den letzten 2 Baccardi enthaltenen Alkohol konnte er max. 0,17 %o anresorpieren. Berücksichtigt man den Zeitraum zwischen Beginn des letzten Trunkes und Deliktzeitpunkt, so konnte in diesem Zeitraum der gesamte zuletzt konsumierte Alkohol auch resorbiert worden sein. Wie die tatsächlichen Resorptionsverhältnisse zum Deliktzeitpunkt waren ist rückblickend nicht genau rekonstruierbar, sodass es nicht ausschließbar möglich gewesen sein konnte, dass ein Alkoholrest in der Größenordnung von einigen hundertsteln Promillen zum Deliktzeitpunkt noch nicht resorbiert war. Die mengenmäßige Trinkverantwortung ist jedenfalls unzureichend um die Alkomatmeßwerte zu erklären."

Aus der Anführung der "Beurteilungsgrundlagen" geht hervor, dass das vom Beschwerdeführer vorgelegte gerichtsmedizinische Privatgutachten von der Amtssachverständigen nicht mitberücksichtigt wurde. Da es die Amtssachverständige unterließ, sich eingehend mit dem gerichtsmedizinischen Privat-Sachverständigengutachten auseinanderzusetzen, konnte die belangte Behörde das Amtssachverständigengutachten weder als Grundlage für die Überschreitung des zulässigen Wertes der Blutalkohol- bzw. Atemluftalkoholkonzentration noch als Grundlage für die von der belangten Behörde als entscheidungswesentlich angenommenen negativen Auswirkungen des Alkohols in der Anflutungsphase heranziehen, schließt es doch auch die Amtssachverständige nicht aus, dass zum Deliktzeitpunkt bereits der gesamte zuletzt konsumierte Alkohol resorbiert worden sein konnte.

In dem vorliegenden besonders gelagerten Fall hätte die belangte Behörde somit nicht schlechthin die Alkoholbeeinträchtigung des Beschwerdeführers als gegeben annehmen dürfen, sondern sie hätte zur Klärung der hier maßgeblichen Fragen eine Ergänzung des Gutachtens der Amtssachverständigen unter Berücksichtigung des vom Beschwerdeführer vorgelegten gerichtsmedizinischen Privatgutachtens veranlassen müssen.

Der angefochtene Bescheid erweist sich somit mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet, er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 11. Juli 2001

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