VwGH 98/01/0152

VwGH98/01/015211.11.1998

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Bachler, Dr. Rigler, Dr. Schick und Dr. Pelant als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, in der Beschwerdesache des M, vertreten durch Dr. Werner Leimer, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Landstraße 38, gegen den Präsidenten des Nationalrates wegen Verletzung der Entscheidungspflicht in einer Angelegenheit nach dem Auskunftspflichtgesetz, den Beschluss gefasst:

Normen

AuskunftspflichtG 1987 §1;
AuskunftspflichtG 1987 §4;
AVG §6 Abs1;
B-VG Art20 Abs4;
B-VG Art30 Abs1;
B-VG Art30 Abs2;
B-VG Art30;
GO NR 1975 §13 Abs2;
VwGG §27 Abs1;
AuskunftspflichtG 1987 §1;
AuskunftspflichtG 1987 §4;
AVG §6 Abs1;
B-VG Art20 Abs4;
B-VG Art30 Abs1;
B-VG Art30 Abs2;
B-VG Art30;
GO NR 1975 §13 Abs2;
VwGG §27 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Schreiben vom 17. Juli 1997 richtete der Beschwerdeführer an den Präsidenten des Nationalrates ein Ersuchen um Auskunft, "ob in der Geschäftsordnung des Nationalrates in der derzeit geltenden Fassung eine Bestimmung enthalten ist, auf Grund derer ein Staatsbürger der Republik Österreich von einem Organ der Vollziehung schriftlich oder mündlich wegen eingebrachter parlamentarischer Anfragen getadelt bzw kritisiert werden darf?"

Mit Antwortschreiben vom 29. Juli 1997 teilte die Parlamentsdirektion dem Beschwerdeführer mit, daß die Geschäftsordnung des Nationalrates zwar keine "Mutwillensbestimmungen" enthalte, er aber von der falschen Annahme ausgehe, daß in Österreich alles verboten sei, was nicht in der Bundesverfassung oder der Geschäftsordnung ausdrücklich erlaubt sei. Ein querulatorisches Schreiben als solches zu bezeichnen sei zwar von der Bundesverfassung nicht ausdrücklich erlaubt, aber deswegen noch lange nicht verboten und in einzelnen Fällen vielleicht sogar durchaus sinnvoll. Die Korrespondenz in dieser Angelegenheit sei damit abgeschlossen.

Der Beschwerdeführer beantragte daraufhin in einem neuerlichen Schreiben an den Präsidenten des Nationalrates, gemäß § 4 des Auskunftspflichtgesetzes einen Bescheid zu erlassen.

In seiner am 23. März 1998 hg. eingebrachten Beschwerde gemäß Art. 132 B-VG iVm § 27 VwGG macht der Beschwerdeführer nunmehr geltend, er sei dadurch, daß der Präsident des Nationalrates als oberstes Organ gemäß Art. 30 Abs. 6 B-VG durch mehr als sechs Monate über seinen Antrag, gemäß § 4 des Auskunftspflichtgesetzes einen Bescheid zu erlassen, nicht entschieden habe, in seinem Recht auf Sachentscheidung verletzt. Aus dem an ihn gerichteten Schreiben der Parlamentsdirektion vom 29. Juli 1997, dem der normative Charakter fehle, gehe hervor, daß sich der Präsident des Nationalrates als oberstes Verwaltungsorgan gemäß Art. 30 Abs. 6 B-VG angesprochen gefühlt habe. Der Präsident des Nationalrates sei gemäß Art. 30 Abs. 6 B-VG oberstes Verwaltungsorgan und sohin befugt, über Verwaltungsangelegenheiten Bescheide und Verordnungen zu erlassen.

Über Aufforderung des Verwaltungsgerichtshofes legte die Parlamentsdirektion die Akten über den mit dem Beschwerdeführer geführten Schriftwechsel vor und erstattete eine Stellungnahme.

Art. 20 Abs. 4, Art. 30 und Art. 132 B-VG lauten:

"Artikel 20.

...

(4) Alle mit Aufgaben der Bundes-, Landes- und Gemeindeverwaltung betrauten Organe sowie die Organe anderer Körperschaften des öffentlichen Rechts haben über Angelegenheiten ihres Wirkungsbereiches Auskünfte zu erteilen, soweit eine gesetzliche Verschwiegenheitspflicht dem nicht entgegensteht; berufliche Vertretungen sind nur gegenüber den ihnen jeweils Zugehörigen auskunftspflichtig und dies insoweit, als dadurch die ordnungsgemäße Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben nicht verhindert wird. Die näheren Regelungen sind hinsichtlich der Organe des Bundes sowie der durch die Bundesgesetzgebung zu regelnden Selbstverwaltung in Gesetzgebung und Vollziehung Bundessache, hinsichtlich der Organe der Länder und Gemeinden sowie der durch die Landesgesetzgebung zu regelnden Selbstverwaltung in der Grundsatzgesetzgebung Bundessache, in der Ausführungsgesetzgebung und in derVollziehung Landessache.

...

Artikel 30. (1) Der Nationalrat wählt aus seiner Mitte den Präsidenten, den zweiten und dritten Präsidenten.

(2) Die Geschäfte des Nationalrates werden auf Grund eines besonderen Bundesgesetzes geführt. Das Bundesgesetz, betreffend die Geschäftsordnung des Nationalrates, kann nur bei Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder und mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen beschlossen werden.

(3) Zur Besorgung der parlamentarischen Hilfsdienste und der Verwaltungsangelegenheiten im Bereich der Organe der Gesetzgebung des Bundes sowie zur Besorgung gleichartiger Hilfsdienste und Verwaltungsangelegenheiten, die die von der Republik Österreich entsendeten Abgeordneten zum Europäischen Parlament betreffen, ist die Parlamentsdirektion berufen, die dem Präsidenten des Nationalrates untersteht. Für den Bereich des Bundesrates ist die innere Organisation der Parlamentsdirektion im Einvernehmen mit dem Vorsitzenden des Bundesrates zu regeln, dem bei Besorgung der auf Grund dieses Gesetzes dem Bundesrat übertragenen Aufgaben auch das Weisungsrecht zukommt.

(4) Dem Präsidenten des Nationalrates stehen insbesondere auch die Ernennung der Bediensteten der Parlamentsdirektion und alle übrigen Befugnisse in Personalangelegenheiten dieser Bediensteten zu.

(5) Der Präsident des Nationalrates kann den parlamentarischen Klubs zur Erfüllung parlamentarischer Aufgaben Bedienstete der Parlamentsdirektion zur Dienstleistung zuweisen.

(6) Bei der Vollziehung der nach diesem Artikel dem Präsidenten des Nationalrates zustehenden Verwaltungsangelegenheiten ist dieser oberstes Verwaltungsorgan und übt diese Befugnisse allein aus. Die Erlassung von Verordnungen steht dem Präsidenten des Nationalrates insoweit zu, als diese ausschließlich in diesem Artikel geregelte Verwaltungsangelegenheiten betreffen.

...

Artikel 132. Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht durch Verwaltungsbehörden einschließlich der unabhängigen Verwaltungssenate kann erheben, wer im Verwaltungsverfahren als Partei zur Geltendmachung der Entscheidungspflicht berechtigt war. In Verwaltungsstrafsachen ist eine Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht nicht zulässig; dies gilt nicht für Privatanklage- und für Finanzstrafsachen."

§§ 1 und 4 des Auskunftspflichtgesetzes lauten:

"§1. (1) Die Organe des Bundes sowie die Organe der durch die Bundesgesetzgebung zu regelnden Selbstverwaltung haben über Angelegenheiten ihres Wirkungsbereiches Auskünfte zu erteilen, soweit eine gesetzliche Verschwiegenheitspflicht dem nicht entgegensteht.

(2) Auskünfte sind nur in einem solchen Umfang zu erteilen, der die Besorgung der übrigen Aufgaben der Verwaltung nicht wesentlich beeinträchtigt; berufliche Vertretungen sind nur gegenüber den ihnen jeweils Zugehörigen auskunftspflichtig und dies insoweit, als dadurch die ordnungsgemäße Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben nicht verhindert wird. Sie sind nicht zu erteilen, wenn sie offenbar mutwillig verlangt werden.

...

§ 4. Wird eine Auskunft nicht erteilt, so ist auf Antrag des Auskunftswerbers hierüber ein Bescheid zu erlassen. Als Verfahrensordnung, nach der der Bescheid zu erlassen ist, gilt das AVG 1950, sofern nicht für die Sache, in der Auskunft erteilt wird, ein anderes Verfahrensgesetz anzuwenden ist."

§ 27 Abs. 1 VwGG lautet:

"§ 27. (1) Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht (Säumnisbeschwerde) nach Art. 132 B-VG kann erst erhoben werden, wenn die oberste Behörde, die im Verwaltungsverfahren, sei es im Instanzenzug, sei es im Wege eines Antrages auf Übergang der Entscheidungspflicht, oder der unabhängige Verwaltungssenat, der nach Erschöpfung des Instanzenzuges, sei es durch Berufung oder im Wege eines Antrages auf Übergang der Entscheidungspflicht, angerufen werden konnte, von einer Partei angerufen worden ist und nicht binnen sechs Monaten, wenn aber das das einzelne Gebiet der Verwaltung regelnde Gesetz für den Übergang der Entscheidungspflicht eine längere Frist vorsieht, nicht binnen dieser in der Sache entschieden hat. Die Frist läuft von dem Tag, an dem der Antrag auf Sachentscheidung bei der Stelle eingelangt ist, bei der er einzubringen war."

Das oben wiedergegebene Auskunftsersuchen des Beschwerdeführers ist als Ersuchen um Erteilung einer Rechtsauskunft zu qualifizieren. Es kann im vorliegenden Fall aber dahingestellt bleiben, ob aus Art. 20 Abs. 4 B-VG und § 1 des Auskunftspflichtgesetzes auch eine Pflicht zur Erteilung von Rechtsauskünften abzuleiten ist (vgl. z.B. die bei Mayer, B-VG2, 1997, Seite 135, wiedergegebene hg. Judikatur), weil eine solche jedenfalls voraussetzte, daß das Organ, von dem die Auskunft begehrt wird, überhaupt nach den genannten Bestimmungen zur Auskunftserteilung verpflichtet ist.

Der Beschwerdeführer begehrt vom Präsidenten des Nationalrates eine Rechtsauskunft über das Geschäftsordnungsgesetz des Nationalrates, somit über jenes Bundesgesetz, auf Grund dessen die Geschäfte des Nationalrates gemäß Art. 30 Abs. 2 B-VG geführt werden. Gemäß § 13 Abs. 2 des Geschäftsordnungsgesetzes handhabt der Präsident des Nationalrates die Geschäftsordnung. Weder die Handhabung noch die Auslegung des Geschäftsordnungsgesetzes, das im wesentlichen die Einzelheiten des Verfahrens im Nationalrat in Ausübung seiner Funktion als gesetzgebendes Organ regelt, ist "Verwaltung" im Sinne des B-VG, sie ist vielmehr der Funktion "Gesetzgebung" (des Bundes) zuzurechnen.

Da sowohl Artikel 20 Abs. 4 B-VG als auch § 1 des Auskunftspflichtgesetzes eine Auskunftspflicht für die Organe der Verwaltung schaffen, besteht für Organe der Gesetzgebung - und damit auch für den Präsidenten des Nationalrates, der aus der Mitte des Nationalrates gewählt wird (Art. 30 Abs. 1 B-VG) - keine Auskunftspflicht (vgl. in diesem Zusammenhang Perthold-Stoitzner, Die Auskunftspflicht der Verwaltungsorgane2, 1998, Seite 93).

Wie der Beschwerdeführer zwar grundsätzlich zu Recht betont, kommt dem Präsidenten des Nationalrates in einem bestimmten Umfang - jedoch nur in diesem - auch die Funktion eines Verwaltungsorganes zu. Dieser Umfang der Verwaltungsfunktionen des Präsidenten des Nationalrates bemißt sich nach Artikel 30 Abs. 3 bis 6 B-VG. Soweit diese Bestimmungen dem Präsidenten des Nationalrates Verwaltungsaufgaben zuweisen, ist er oberstes Organ der Verwaltung (Artikel 30 Abs. 6 B-VG). Nur in diesem Umfang ist der Präsident des Nationalrates gemäß Artikel 20 Abs. 4 B-VG und § 1 des Auskunftspflichtgesetzes zur Erteilung von Auskünften verpflichtet.

Da das Auskunftsersuchen des Beschwerdeführers nicht den durch Artikel 30 Abs. 3 bis 6 B-VG umschriebenen Bereich der Verwaltung, sondern die Handhabung bzw. Auslegung des Geschäftsordnungsgesetzes des Nationalrates betraf, bestand keine Auskunftspflicht des Präsidenten des Nationalrates. War dieser aber in seiner Eigenschaft als Organ der Gesetzgebung nicht zur Auskunftserteilung verpflichtet, so konnte er in dieser Eigenschaft auch nicht zur Erlassung eines die Auskunft verweigernden Bescheides verpflichtet sein. Da der Präsident des Nationalrates nur in einem bestimmten (durch Artikel 30 Abs. 3 bis 6 B-VG umschriebenen) Umfang Aufgaben der Verwaltung wahrzunehmen hat, nur in diesem Umfang überhaupt Behörde und im übrigen Organ der Gesetzgebung ist, konnte er auch nicht durch Bescheid den an ihn gerichteten, den Bereich der Gesetzgebung betreffenden Antrag auf Erlassung eines die Auskunft verweigernden Bescheides gemäß § 4 des Auskunftspflichtgesetzes als unzulässig zurückweisen. Eine Weiterleitung an eine zuständige Behörde schied schon deswegen aus, weil es keine solche zuständige Verwaltungsbehörde gibt.

Der Beschwerdeführer war demnach auch nicht zur Geltendmachung einer Entscheidungspflicht im Verwaltungsverfahren berechtigt. Da die Entscheidung eines obersten Organs der Verwaltung - wie dargelegt - im vorliegenden Fall nicht vorgesehen ist, eine Säumnis desselben im Sinne des § 27 Abs. 1 VwGG daher nicht möglich ist, erweist sich die Erhebung der Säumnisbeschwerde durch den Beschwerdeführer als unzulässig.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf den §§ 47 ff, insbesondere § 51 VwGG, in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 11. November 1998

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