VwGH 97/21/0858

VwGH97/21/085824.3.2000

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über die Beschwerde des J in Wien, geboren am 11. September 1960, vertreten durch Dr. Anton Gruber und Dr. Alexander Gruber, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Wipplingerstraße 20, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 12. Juni 1997, Zl. UVS-03/P/42/01748/97, betreffend Bestrafung wegen Übertretung des Fremdengesetzes, zu Recht erkannt:

Normen

AufG 1992 §1;
AufG 1992 §6 Abs3;
AVG §38;
AVG §68 Abs1;
AVG §69 Abs1 Z2;
FrG 1993 §17 Abs4;
FrG 1993 §18;
FrG 1993 §19;
FrG 1993 §82 Abs1 Z4;
VStG §6;
VwGG §30 Abs2;
VwGG §42 Abs3;
VwRallg;
AufG 1992 §1;
AufG 1992 §6 Abs3;
AVG §38;
AVG §68 Abs1;
AVG §69 Abs1 Z2;
FrG 1993 §17 Abs4;
FrG 1993 §18;
FrG 1993 §19;
FrG 1993 §82 Abs1 Z4;
VStG §6;
VwGG §30 Abs2;
VwGG §42 Abs3;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Aus dem Inhalt der Verwaltungsakten im Zusammenhang mit dem vorliegenden Bescheid ergibt sich Folgendes:

Der Beschwerdeführer war Ende 1985 nach Österreich eingereist und verfügte zuletzt über einen bis zum 10. Oktober 1993 gültigen Wiedereinreisesichtvermerk. Seinen rechtzeitig gestellten Verlängerungsantrag wies der Landeshauptmann von Wien mit Bescheid vom 23. September 1994 ab, einer dagegen erhobenen Berufung wurde vom Bundesminister für Inneres mit Bescheid vom 13. November 1995 keine Folge gegeben, weil mittlerweile mit einem im Instanzenzug ergangenen Bescheid über den Beschwerdeführer ein rechtskräftiges Aufenthaltsverbot - mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 20. März 1995 - verhängt worden war.

Die vom Beschwerdeführer gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 13. November 1995 erhobene Beschwerde wies der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 22. Februar 1996, Zl. 95/19/1944, ab. Der Aufenthaltsverbotsbescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 20. März 1995 wurde hingegen mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 8. Februar 1996, Zl. 95/18/0919, aufgehoben.

Am 28. Mai 1996 stellte der Beschwerdeführer erneut einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 12. März 1997 wurde dieser Antrag abgewiesen, der dagegen erhobenen Beschwerde erkannte der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 30. April 1997, Zl. AW 97/19/0594, die aufschiebende Wirkung zu. (Mittlerweile wurde die letztgenannte Beschwerde mit hg. Erkenntnis vom 18. Dezember 1998, Zl. 97/19/0858, als unbegründet abgewiesen.)

Nachdem ein gegen den Beschwerdeführer eingeleitetes Strafverfahren wegen Übertretung des § 15 Abs. 1 iVm § 82 Abs. 1 Z. 4 Fremdengesetz - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, bezogen auf den Zeitraum 18. November 1995 bis 10. Juli 1996, von der Bundespolizeidirektion Wien eingestellt worden war, wurde der Beschwerdeführer im März 1997 neuerlich, nunmehr bezüglich des Zeitraumes ab 11. Juli 1996, in Verfolgung gezogen; mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 12. Juni 1997 verhängte der Unabhängige Verwaltungssenat Wien (die belangte Behörde) über ihn wegen Übertretung des § 15 Abs. 1 iVm § 82 Abs. 1 Z. 4 FrG gemäß § 82 Abs. 1 leg. cit. eine Geldstrafe von S 3.000,--, Ersatzfreiheitsstrafe 4 Tage, weil er sich vom 11. Juli 1996 bis zum 2. April 1997, ohne im Besitz eines Sichtvermerks, einer Aufenthaltsbewilligung nach dem Asylgesetz oder einer Bewilligung gemäß § 1 des Aufenthaltsgesetzes zu sein, im Bundesgebiet aufgehalten habe.

Diese Entscheidung begründete die belangte Behörde im Wesentlichen damit, dass sich der Beschwerdeführer während des verfahrensgegenständlichen Zeitraumes unbestritten im Bundesgebiet aufgehalten habe, ohne im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung zu sein. Zwar habe er rechtzeitig einen Antrag auf Verlängerung seiner "Aufenthaltsgenehmigung" eingebracht, doch sei diesem Antrag rechtskräftig - mit dem eingangs genannten Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 13. November 1995 - keine Folge gegeben worden; die dagegen erhobene Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof habe dieser abgewiesen. Mangels Zuerkennung einer aufschiebenden Wirkung durch den Verwaltungsgerichtshof sei dem Beschwerdeführer ab Erlassung des Bescheides vom 13. November 1995 (das ist der 17. November 1995) weder ein Aufenthaltsrecht nach dem FrG bzw. Aufenthaltsgesetz noch das "Privileg" des § 17 Abs. 4 FrG zugekommen. Daran ändere nichts, dass mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 8. Februar 1996 das über den Beschwerdeführer mit Bescheid vom 20. März 1995 rechtskräftig verhängte Aufenthaltsverbot und in der Folge mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 22. Mai 1996 auch der zugrunde liegende erstinstanzliche Bescheid behoben worden seien. Dem Beschwerdeführer wäre nämlich auch dann, wenn über ihn kein Aufenthaltsverbot verhängt worden wäre, kein Aufenthaltsrecht zugekommen. Schließlich bewirke auch die Stellung eines neuerlichen Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung per 28. Mai 1996 nicht, dass der Beschwerdeführer ab diesem Zeitpunkt über ein Aufenthaltsrecht verfügt habe. Gleichfalls irrelevant sei, dass der Verwaltungsgerichtshof der Beschwerde gegen die Abweisung dieses letztgenannten Antrages die aufschiebende Wirkung zuerkannt habe, weil dieser Antrag nicht "rechtzeitig" gestellt worden sei. Zusammenfassend sei somit das Tatbild der angelasteten Verwaltungsübertretung erfüllt. Dass ihn hieran kein Verschulden treffe, habe der Beschwerdeführer iS des § 5 Abs. 1 VStG nicht glaubhaft machen können.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Der Beschwerdeführer vertritt die Ansicht, dass er sich auf Grund des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes vom 30. April 1997, Zl. AW 97/19/0594, mit dem seiner Beschwerde gegen die Abweisung seines am 28. Mai 1996 gestellten Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung die aufschiebende Wirkung erteilt worden war, rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte; demnach dürfe er nicht nach § 82 Abs. 1 Z. 4 FrG bestraft werden.

Dem ist zu entgegnen, dass es sich bei dem genannten Antrag vom 28. Mai 1996 nicht um einen Verlängerungsantrag handelte (siehe dazu das die Beschwerde erledigende hg. Erkenntnis vom 18. Dezember 1998, Zl. 97/19/0858). Damit kamen von vornherein weder die Rechtswirkungen des § 6 Abs. 3 zweiter Satz Aufenthaltsgesetz noch der Ausweisungsschutz des § 17 Abs. 4 FrG zum Tragen, weshalb auch die der Beschwerde gegen den abweisenden Bescheid zuerkannte aufschiebende Wirkung keine aufenthaltsrechtlichen Konsequenzen nach sich ziehen konnte. Im Übrigen ist dem Beschwerdeführer, soweit er sich durch den bisherigen "Hergang" des Verwaltungsgeschehens für beschwert erachtet, Folgendes zu erwidern:

Unbestritten ist, dass der ursprüngliche Verlängerungsantrag in zweiter Instanz wegen eines gegen den Beschwerdeführer erlassenen Aufenthaltsverbotes gemäß § 5 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz iVm § 10 Abs. 1 Z. 1 FrG abgewiesen wurde. Dieses Aufenthaltsverbot hat der Verwaltungsgerichtshof zwar in der Folge mit seinem Erkenntnis vom 8. Februar 1996, Zl. 95/18/0919, aufgehoben, hierauf konnte jedoch im Hinblick auf die Zustellung dieses Erkenntnisses an den Beschwerdeführer am 14. Mai 1996 (dieses Datum gibt er selbst in seiner gegen das erstinstanzliche Straferkenntnis erhobenen Berufung an) weder in dem über den Verlängerungsantrag abgeführten Verwaltungsverfahren noch in dem daran anschließenden Beschwerdeverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof - dieser hat die Beschwerde mit Erkenntnis vom 22. Februar 1996 abgewiesen - Rücksicht genommen werden. Das ändert freilich nichts daran, dass dem aufhebenden Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes gemäß § 42 Abs. 3 VwGG "ex tunc"-Wirkung zukam, sodass allen Akten, die während der Geltung des später vom Verwaltungsgerichtshof aufgehobenen Aufenthaltsverbotes auf dessen Basis gesetzt worden waren, im Nachhinein die Rechtsgrundlage entzogen wurde. Insofern lag bezüglich des rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens über den Verlängerungsantrag eine neu hervorgekommene Tatsache vor, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnte und die zu einem anderen Verfahrensergebnis hätte führen können. Damit war der Wiederaufnahmegrund des § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG verwirklicht, sodass der Beschwerdeführer bei rechtzeitiger Stellung eines Wiederaufnahmeantrages auf diesem Weg zu einem durchgehend rechtmäßigen Aufenthalt im Inland hätte gelangen können. Von dieser Möglichkeit hat er allerdings keinen Gebrauch gemacht.

Dennoch ist die Beschwerde berechtigt. Schon in der Berufung gegen den erstinstanzlichen Strafbescheid hat der - unstrittig seit Ende 1985 in Österreich aufhältige - Beschwerdeführer ausgeführt, seine gesamte persönliche und psychische Kraft in den Aufbau einer entsprechenden Lebensgrundlage in Österreich investiert zu haben. Ausfluss dieser Anstrengungen und Mühen sei der Aufbau eines durchschnittlichen Wohlstandes, der sich u.a. an der Beteiligung an drei Gesellschaften ersehen lasse. Auf Grund dieser gesellschaftsrechtlichen Stellung sei es ihm möglich, für den Lebensunterhalt seiner Gattin und seiner beiden Kinder, die bereits in Österreich geboren worden seien, aufzukommen. Es zeige sich, dass drei Existenzen vom Fortkommen des Beschwerdeführers abhängig seien. Aus all diesen Umständen ergebe sich eine "in höchstem Maße zu berücksichtigende Bindung an die Republik Österreich", zumal seine Nachkommen wie österreichische Staatsbürger aufgezogen würden und "in die gesamten schulischen und gesellschaftlichen Abläufe Österreichs" einbezogen seien. Eine Ausreise aus Österreich sei völlig unzumutbar. Er, der Beschwerdeführer, sei in die österreichische Gesellschaft "vollständig integriert". Im Hinblick auf Art. 8 EMRK wäre eine Trennung der Familie ein eklatanter Eingriff in sein Privat- und Familienleben, der in keiner Weise gerechtfertigt wäre.

Mit diesem Vorbringen hat der Beschwerdeführer in deutlicher Form zum Ausdruck gebracht, dass - bezogen auf den Tatzeitraum - seiner (hypothetischen) Ausweisung allenfalls § 19 FrG entgegen gestanden wäre. Das ist insoweit von Bedeutung, als bezüglich des Tatbestands des § 82 Abs. 1 Z. 4 FrG nach der hg. Rechtsprechung ein gesetzlicher Strafausschließungsgrund gemäß § 6 VStG angenommen werden muss, wenn einer Ausweisung des Fremden eine zu seinen Gunsten ausfallende Interessenabwägung nach § 19 FrG im Weg steht (vgl. dazu näher das hg. Erkenntnis vom 6. November 1998, Zlen. 97/21/0085 und 98/21/0065).

In Verkennung dieser Rechtslage hat die belangte Behörde die für sie eine Vorfrage iS des § 38 AVG bildende Zulässigkeit einer Ausweisung des Beschwerdeführers unter dem Gesichtspunkt des § 19 FrG, bezogen auf den in Frage stehenden Tatzeitraum, ungeprüft gelassen und keine Feststellungen zu seinen näheren privaten und familiären Verhältnissen getroffen.

Damit belastete sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 24. März 2000

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