VwGH 97/21/0321

VwGH97/21/032112.4.1999

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Rosenmayr, Dr. Pelant und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Ogris, über die Beschwerde des LB in Gloggnitz, geboren am 1. Juli 1967, vertreten durch Dr. Erich Heliczer, Rechtsanwalt in 2540 Bad Vöslau, Anton Bauer-Straße 2a, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 14. April 1997, Zl. Fr 490/97, betreffend Feststellung gemäß § 54 Abs. 1 Fremdengesetz, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §37;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54;
AVG §37;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.980,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich (der belangten Behörde) vom 14. April 1997 wurde auf Grund des Antrages des Beschwerdeführers, eines jugoslawischen Staatsangehörigen, gemäß § 54 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, festgestellt, daß keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, daß er in Jugoslawien gemäß § 37 Abs. 1 und 2 FrG bedroht sei.

Begründend führte die belangte Behörde aus, daß der Beschwerdeführer am 3. Jänner 1995 einen Asylantrag gestellt habe. Dabei habe er angegeben, er wäre albanischer Herkunft und seit 1993 einfaches Mitglied der Demokratischen Liga im Kosovo. Am 25. November 1994 wären fünf Polizisten in seiner Abwesenheit in sein Haus gekommen. Nachdem der Vater erklärt hätte, daß er keine Waffen besitze, wäre er festgenommen und verprügelt worden. Zwei Tage später wären drei Polizisten in der Nacht an der Arbeitsstelle des Beschwerdeführers (in einer Bäckerei) erschienen. Man hätte von ihm die Abgabe von Waffen verlangt und ihn dann (zu ergänzen: auf Grund seiner Auskunft, daß er keine besitze) etwa zehn Minuten lang mit Händen und Gummiknüppeln verprügelt. Zuerst hätte ihn ein Polizist mit der Hand ins Gesicht geschlagen, dann wäre er mit dem Schuh zwei- oder dreimal ins Kreuz getreten worden, sodaß er zu Boden gefallen wäre. Daraufhin hätte er versucht, sein Gesicht zu schützen, weshalb er nicht näher angeben könnte, wie viele Polizisten und in welcher Weise ihn dann verprügelt hätten; vermutlich hätte man ihn mit den Füßen getreten, und zwar auf den Rücken, sodaß schwarze Flecken zurückgeblieben wären. Zur Zeit hätte er jedenfalls noch Schmerzen an den Lendenwirbeln, sichtbare Spuren könnte er jedoch nicht mehr vorweisen. In der Folge wäre er bewußtlos geworden. Obwohl ein Kollege ständig kaltes Wasser über seinen Kopf geschüttet hätte, wäre er erst nach einer halben Stunde wieder zu Bewußtsein gelangt. Er hätte aus der Nase geblutet und würde noch heute an Kopfschmerzen leiden. Nach den Mißhandlungen wäre er in der Früh mit dem Auto nach Hause gebracht worden, wo ihn seine Mutter mit Alkohol abgerieben hätte. Einen Tag später hätte ihn ein Verwandter zu seiner Schwester in ein 25 km entferntes Dorf gebracht, wo seine Blutergüsse mit einer Salbe aus Deutschland behandelt worden wären. Am 31. Dezember 1994 hätte er schließlich das Land verlassen. Der Vater des Beschwerdeführers wäre während seiner zweistündigen Anhaltung auf dem Polizeirevier so verprügelt worden, daß er sich noch nicht bewegen könnte. Am Tag davor wäre auch ein Nachbar gravierend mißhandelt worden. Die Polizisten würden alle Kosovo-Albaner wegen der Volksgruppenzugehörigkeit verprügeln. Selbst wenn man Waffen abgeben würde, würde man verprügelt werden; in diesem Fall würden weitere Waffen verlangt.

Der Asylantrag des Beschwerdeführers sei - so die belangte Behörde weiter - vom Bundesasylamt abgewiesen worden, einer Berufung habe der Bundesminister für Inneres keine Folge gegeben. Bei seiner Antragstellung im Verfahren nach § 54 FrG habe der Beschwerdeführer auf seine Angaben im Asylverfahren verwiesen. Im Zuge eines Antrages auf Verlängerung eines Abschiebungsaufschubes habe er außerdem beglaubigte Übersetzungen von Dokumenten der jugoslawischen Behörden vorgelegt. Bei einem Dokument handle es sich um eine Vorladung für den 25. November 1994 vor das Ministerium für Inneres - Pec, beim anderen um ein Gerichtsurteil (zu ergänzen: vom 26. Dezember 1995), mit dem der Beschwerdeführer zu einer Haftstrafe von 12 Monaten verurteilt und verpflichtet worden sei, sich innerhalb von 15 Tagen ab dem Tag "des Rechtskrafteintrittes dieses Bescheides" zur Verbüßung der Strafe zu melden. Als Begründung sei angeführt, daß der Beschwerdeführer am 25. November 1994 der Vorladung vor das Ministerium für Inneres "wegen der Zeugenaussage und der Einvernahme in Bezug auf den illegalen Waffenbesitz" nicht gefolgt hätte; er wäre am 27. November 1994 in der Bäckerei gefunden worden und hätte dabei den Behörden des Ministeriums für Inneres gestanden, daß er ohne Waffenschein eine Waffe getragen hätte; er hätte erklärt, daß er dies aus Angst vor der Polizei, welche ihn "bis zum Schock mißhandelt hätte, tun würde".

Auch in seiner Berufung gegen den negativen erstinstanzlichen Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen habe sich der Beschwerdeführer auf diese gerichtliche Verurteilung berufen, die er auf ethnische Gründe zurückführe. Im übrigen habe er in dieser Berufung "keine nennenswerten Neuigkeiten" vorgebracht. Im Verfahren nach § 54 FrG brauche der Antragsteller - damit beginnt die belangte Behörde ihre fallbezogenen eigenen Erwägungen - die Verfolgung zwar nicht beweisen; er habe sie aber in der Regel doch durch Bescheinigungsmittel (z.B. medizinische Gutachten, Unterlagen über Inhaftierungen oder Strafen, Haftbefehle, Zeugenaussagen, Stellungnahme des UNHCR im vorangegangenen Asylverfahren) zu untermauern. Berichte, die die allgemeine menschenrechtliche Situation im Zielstaat dokumentierten, seien in aller Regel allein nicht ausreichend, könnten jedoch das Vorbringen objektiv untermauern.

Vorerst werde festgestellt, daß der vom Beschwerdeführer vorgetragene Sachverhalt lediglich durch seine Behauptungen dokumentiert sei; es gebe keinerlei Bescheinigungen, die den Wahrheitsgehalt seiner Aussagen bestätigten bzw. als wahrscheinlich darstellten. Schon aus dieser Sicht sei er der geforderten Objektivierungspflicht nicht nachgekommen. Darüber hinaus sei ihm deshalb die Glaubwürdigkeit abzusprechen, weil es nicht schlüssig nachvollziehbar sei, daß er in der von ihm geschilderten Form zehn Minuten schwerstens mißhandelt worden sei, wobei er Nasenbluten, eine 30-minütige Bewußtlosigkeit und schwarze Flecken davongetragen habe, und daß er ca. einen guten Monat später ohne ärztliche Versorgung keinerlei Mißhandlungsspuren mehr aufgewiesen habe. Das widerspreche jeglicher Lebenserfahrung und "stellt daher Ihre Aussage im weitesten Maße als unglaubwürdig und übertrieben dar". Bezüglich des Vorfalls in der Bäckerei werde dem Beschwerdeführer daher jegliche Glaubwürdigkeit abgesprochen. Was die Mißhandlungen seines Vaters anlange, so wisse er darüber und von deren Folgen lediglich vom Hörensagen; selbst habe er diese Vorfälle und die Folgen nie gesehen. "Derartige Behauptungen" - so die belangte Behörde wörtlich - "sind schnell gefaßt und werden meistens in mehr oder weniger übertriebener Form dargebracht"; die Ausführungen im Zusammenhang mit dem Vater würden daher der geforderten Objektivierungspflicht (Glaubhaftmachung) nicht gerecht. Überdies reiche der Verweis auf das Schicksal dritter Personen grundsätzlich nicht aus, eine dem Antragsteller individuell drohende Gefahr darzutun.

Bezüglich der Verurteilung zu einer einjährigen Freiheitsstrafe sei auszuführen, daß sie auf der Nichtbefolgung einer Ladung und der Überführung wegen unbefugten Besitzes einer Faustfeuerwaffe beruhe. Gerichtsurteile, die auf Grund rechtsstaatlicher Akte ergehen, stellten für sich allein keine Verfolgung im Sinn des § 37 Abs. 1 oder 2 FrG dar, wenn sie nicht unverhältnismäßig bzw. ethnisch ausgerichtet seien. Im konkreten Fall sei der Beschwerdeführer einer Ladung des Ministeriums für Inneres nicht nachgekommen und in weiterer Folge von Beamten dieser Dienststelle in der Bäckerei aufgegriffen worden. Im Zuge des Verfahrens habe der Beschwerdeführer offensichtlich den Waffenbesitz eingestanden. Er sei auf Grund von Bestimmungen des Strafgesetzes der Bundesrepublik Jugoslawien mit Bescheid vom 26. Dezember 1995 zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten verurteilt worden und habe von der laut Urteil eingeräumten Möglichkeit zur Erhebung einer Berufung keinen Gebrauch gemacht. In Anbetracht der derzeitigen Situation im Kosovo stelle sich die Höhe der Strafe nicht als unverhältnismäßig dar; auch in Österreich gebe es für den illegalen Besitz einer Faustfeuerwaffe eine Strafandrohung von bis zu sechs Monaten. Überdies stehe nicht fest, ob nicht im Fall einer Berufung die Strafe gemindert oder gänzlich erlassen worden wäre. Das Strafgesetzbuch der Bundesrepublik Jugoslawien habe für alle Staatsbürger die gleiche Geltung. Es könne keinesfalls davon ausgegangen werden, daß dieses Strafgesetzbuch gegenüber der albanisch-stämmigen Bevölkerungsgruppe anders angewendet werde, als gegenüber dem Rest der Bevölkerung Jugoslawiens. Die Bestrafung sei im Zuge eines rechtsstaatlichen Verfahrens ergangen, es habe sogar das Recht der Berufung bestanden, weshalb sich der Beschwerdeführer insofern nicht auf § 37 Abs. 1 oder 2 FrG "stützen" könne.

Zu den allgemein üblichen Methoden hinsichtlich Hausdurchsuchungen im Kosovo sei anzuführen, daß beträchtliche Spannungen zwischen dem serbisch dominierten Polizeiapparat und der nach Unabhängigkeit strebenden albanisch-stämmigen Bevölkerungsgruppe bestünden. Neben Übergriffen der Polizei gegen die albanisch-stämmige Bevölkerung komme es im Gegenzug auch zu Anschlägen gegen Einrichtungen des Polizeiapparates, die auch auf Seiten der Polizei Opfer forderten. Die daraus resultierenden Hausdurchsuchungen seien amtsbekannte Vorkommnisse und dienten der vollständigen Entwaffnung der albanischen Volksgruppe. Nicht selten komme es dabei zu Mißhandlungen und Festnahmen, weshalb nicht bestritten werden könne, daß die Situation im Kosovo "aus menschenrechtlicher Sicht mehr oder weniger bedenklich ist und in diesem Zusammenhang Änderungen erforderlich wären". "Darüber hinaus" habe der Antragsteller (im Verfahren nach § 54 FrG) jedoch eine konkrete, ihm individuell und aktuell drohende Verfolgungsgefahr darzutun. Die Polizeiaktionen im Kosovo wiesen noch keinesfalls eine derart akute Verfolgungsdichte auf, daß man ausgehend von fremdem Schicksal automatisch auf "eigens" drohende aktuelle Verfolgungsgefahr schließen könnte. Diese Überlegungen seien auch im Zusammenhang mit vorliegenden Länderberichten anzustellen, es fehle insofern an der konkreten Glaubhaftmachung einer individuellen und aktuellen drohenden Verfolgungsgefahr.

Zusammenfassend ergebe sich, daß die vom Beschwerdeführer geschilderte Angelegenheit in der Bäckerei jeglicher Glaubwürdigkeit entbehre. Die Ereignisse um den Vater stellten keine individuell gegen den Beschwerdeführer gerichtete Verfolgung dar und seien zu wenig substantiiert. Das Vorliegen des Gerichtsurteils bewirke unter den gegebenen Umständen keinen Eingriff nach § 37 FrG. Die vom Beschwerdeführer "vorgebrachte Ländersituation" schließlich reiche auf Grund der derzeitigen Lage nicht aus, um daraus auf eine individuell und aktuell drohende Gefahr zu schließen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, allenfalls wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde, die von der Erstattung einer Gegenschrift absah, legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte für den Fall des Obsiegens Kostenzuspruch.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Fremde im Rahmen eines Feststellungsverfahrens nach § 54 FrG das Bestehen einer aktuellen, also im Fall der Abschiebung des Fremden in den von seinem Antrag erfaßten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abwendbaren Bedrohung im Sinn des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist. Ebenso wie im Asylverfahren ist auch bei der Beurteilung des Vorliegens einer Gefahr gemäß § 37 Abs. 1 und 2 FrG im Verfahren gemäß § 54 FrG die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Antragstellers in diesen Staat zu beurteilen. Für diese Beurteilung ist nicht unmaßgeblich, ob allenfalls gehäufte Verstöße der im § 37 Abs. 1 FrG umschriebenen Art durch den genannten Staat bekannt geworden sind (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 12. Februar 1999, Zl. 97/21/0286, m.w.N.).

Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer eine ihm drohende Gefährdung zunächst aus den Vorfällen vom November 1994 abgeleitet. Gemäß seiner Darstellung in der ersten Einvernahme vor dem Bundesasylamt - die auch in der Folge unverändert aufrecht erhalten wurde - habe am 25. November 1994 in seiner Abwesenheit in seinem Haus eine Suche nach Waffen stattgefunden. Dabei sei sein Vater festgenommen, in der Folge zum Polizeirevier gebracht und dort zwei Stunden lang verprügelt worden, sodaß es ihm nach wie vor schlecht gehe. Zwei Tage später habe man den Beschwerdeführer an seiner Arbeitsstelle aufgesucht und - nachdem er den Besitz von Waffen bestritten habe - schwer (bis zur Bewußtlosigkeit) verprügelt. Er habe sich daraufhin zu seiner Schwester begeben und sei nach seiner Genesung geflüchtet.

Daß diese vom Beschwerdeführer geschilderte Vorgangsweise der jugoslawischen Sicherheitskräfte die begründete Annahme rechtfertigte, daß er für den Fall seiner Abschiebung nach Jugoslawien abermals eine unmenschliche Behandlung (§ 37 Abs. 1 FrG) befürchten müsse, kann schon im Hinblick darauf nicht zweifelhaft sein, daß - so seine Angaben weiter - bereits am 25. November 1994 nach ihm gefragt und er auch nach dem 27. November 1994 zu Hause gesucht worden sei; das Einschreiten der Polizisten am 27. November 1994 könnte von daher nicht als Einzelmaßnahme - und zwar im Hinblick auf die Verprügelung des Vaters auch nicht von ihrer Art her - qualifiziert werden.

Die belangte Behörde hat dem Beschwerdeführer bezüglich der Vorfälle vom 25. und vom 27. November 1994 jedoch die Glaubwürdigkeit versagt. Dies im wesentlichen mit der Begründung, daß es nicht "schlüssig nachvollziehbar" sei, daß er nach den geschilderten schweren Mißhandlungen ca. einen guten Monat später ohne ärztliche Versorgung keinerlei Mißhandlungsspuren mehr aufgewiesen habe; das widerspreche jeglicher Lebenserfahrung. Die Mißhandlungen des Vaters und deren Folgen wiederum kenne der Beschwerdeführer lediglich vom Hörensagen; diesbezüglich gebe es keinerlei fundierte Dokumentationen, weshalb insoweit nicht der geforderten Objektivierungspflicht entsprochen werde.

In der Beschwerde tritt der Beschwerdeführer dieser Beweiswürdigung der belangten Behörde entgegen. Tatsächlich vermögen die von ihr im angefochtenen Bescheid angestellten Erwägungen - im Rahmen der dem Verwaltungsgerichtshof zukommenden Überprüfungsbefugnis (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053) - die Annahme der Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers nicht zu tragen. Entgegen der Ansicht der belangten Behörde gibt es nämlich keinen allgemeinen Erfahrungssatz, wonach Mißhandlungen in der vom Beschwerdeführer geschilderten Form (Fußtritte und Schläge mit dem Gummiknüppel über zehn Minuten hindurch) auch nach mehr als fünf Wochen sichtbare Spuren zurücklassen müssen. Richtig betont die Beschwerde in diesem Zusammenhang, daß es darauf ankommt, welche Körperteile in welchem Ausmaß tangiert waren und wie die Schläge den Körper des Beschwerdeführers getroffen haben. Im übrigen hat auch die Prämisse, der Beschwerdeführer habe bei seiner Einvernahme am 4. Jänner 1995 keine Mißhandlungsspuren mehr aufgewiesen, keine ausreichende Grundlage; den Verwaltungsakten läßt sich nämlich nicht entnehmen, daß der Beschwerdeführer auch nur oberflächlich - geschweige denn von einem medizinischen Sachverständigen - untersucht worden wäre. Ob etwa die Bewußtlosigkeit Spuren hinterlassen hat oder ob die vom Beschwerdeführer angegebenen Schmerzen an den Lendenwirbeln klinisch manifestierbar gewesen wären, bleibt daher völlig offen. Aber selbst allfällige optisch wahrnehmbare Wunden ("blaue Flecken") am Rücken des Beschwerdeführers, worauf sich die belangte Behörde offenbar bezieht, sind - bezogen auf den fraglichen Zeitpunkt (4. Jänner 1995) - nicht ausschließbar, liegt dem diesbezüglichen Kalkül der belangten Behörde doch nur die nicht überprüfte Vermutung des Beschwerdeführers zugrunde, er glaube nicht, daß auf seinem Rücken noch "etwas" zu sehen sei. Im Ergebnis ist damit festzuhalten, daß die behördliche Beweiswürdigung zu der vom Beschwerdeführer behaupteten Mißhandlung vom 27. November 1994 ohne Beiziehung eines medizinischen Sachverständigen keine tragfähige Basis hat. Aber auch die Zweifel an der Verprügelung seines Vaters sind - jedenfalls in der von der belangten Behörde artikulierten Form - nicht berechtigt. Nicht begründet ist nämlich die Behauptung, der Beschwerdeführer habe die Folgen der Mißhandlungen seines Vater nie gesehen. Wie die belangte Behörde zu dieser Annahme gelangen konnte, ist im Hinblick auf die vom Beschwerdeführer geschilderte zeitliche Abfolge der Geschehnisse (Mißhandlung des Vaters am 25. November 1994, nach welcher dieser nach Hause - ins Haus des Beschwerdeführers - gebracht worden sei; Verprügelung des Beschwerdeführers am 27. November 1994 und im Anschluß daran vor der Flucht zur Schwester eintägige Pflege zu Hause) schlichtweg nicht nachvollziehbar.

Von diesen Gesichtspunkten abgesehen erweist sich die Beweiswürdigung der belangten Behörde aber auch deswegen als unschlüssig, weil sie in diesem Zusammenhang die vom Beschwerdeführer vorgelegten und von ihr selbst erkennbar für unbedenklich erachteten Dokumente der jugoslawischen Behörden völlig außer acht gelassen hat. Diese Dokumente (eine Vorladung des Ministeriums für Inneres - Pec für den 25. November 1994 und ein Urteil des Gemeindegerichts in Pec vom 26. Dezember 1995; im einzelnen wird darauf noch an anderer Stelle einzugehen sein) belegen jedenfalls, daß der Beschwerdeführer am 27. November 1994 tatsächlich - wie von ihm angegeben - von Sicherheitskräften an seiner Arbeitsstelle (Bäckerei) aufgesucht und im Zusammenhang mit vorgeworfenem Waffenbesitz "beamtshandelt" wurde. Die von der belangten Behörde angestellte Beweiswürdigung hätte daher eine Auseinandersetzung mit diesen Unterlagen auch in bezug auf die behaupteten Mißhandlungen erfordert. Das hat sie allerdings gänzlich unterlassen. Sie ist schließlich aber auch Überlegungen dahingehend schuldig geblieben, wie die von ihr konstatierte Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers mit ihren Feststellungen zur allgemeinen Situation im Kosovo in Übereinstimmung zu bringen ist. Wenn sie dabei u.a. ausführt, es komme bei Hausdurchsuchungen nicht selten zu Mißhandlungen und Festnahmen, so hätte die Darstellung des Beschwerdeführers nämlich einen realen Hintergrund. Davon ausgehend und unter Bezugnahme auf die zuvor genannten Dokumente der jugoslawischen Behörden ist letztlich die Annahme verfehlt, der vom Beschwerdeführer vorgebrachte Sachverhalt sei lediglich durch seine Behauptungen belegt und es gebe keinerlei Bescheinigungen, die den Wahrheitsgehalt seiner Aussagen bestätigten bzw. als wahrscheinlich darstellten. Im übrigen kann die auch vom Verwaltungsgerichtshof geforderte Bescheinigung von Angaben im Verfahren nach § 54 FrG (siehe oben) naturgemäß nur dann verlangt werden, wenn eine solche nach der Lage der Dinge realistisch in Betracht kommt.

Zusammenfassend ergibt sich nach dem Gesagten, daß die Beweiswürdigung der belangten Behörde keinen Bestand haben kann. Der bekämpfte Bescheid muß demnach schon deshalb der Aufhebung verfallen. Ihm ist darüber hinaus aber auch in anderem Zusammenhang, und zwar betreffend die Überlegungen zu der über den Beschwerdeführer verhängten Freiheitsstrafe, eine Rechtswidrigkeit anzulasten. Das zugrundeliegende Urteil hat gemäß der vom Beschwerdeführer vorgelegten beglaubigten Übersetzung den im folgenden auszugsweise wiedergegebenen Wortlaut:

"Das Gemeindegericht in Pec hat im Strafverfahren gegen den (Beschwerdeführer), wegen des Verstosses aus den Artikeln 117. und

230. des Strafgesetzes der BRJ, und auf Grund der Artikeln 84, 163, 232 und 240 des Gesetzes über die Verstösse, am 26.12.1995 den folgenden BESCHEID erlassen:

Der Beklagte ........ ist VERANTWORTLICH dafür, daß er am 25.11.1994 der Vorladung der Behörde des Ministeriums für Inneres Pec wegen der Zeugenaussage und der Einvernahme in bezug auf den illegalen Waffenbesitz (Pistole 7, 65 mm) nicht gefolgt ist. Der Beklagte wurde am 27.11.1994 in der Bäckerei gefunden und hat dabei den Behörden des Ministeriums für Inneres gestanden, daß er ohne Waffenschein ein Waffe trägt, und erklärt, daß er dies aus Angst vor der Polizei, welche ihn bis zum Schock mißhandelt hat, tun würde. Das Gericht hat die Aussagen des Beklagten zurückgewiesen und als rechtskräftig wurden die Aussagen der Zeugen: 1. Polizist S. B. und 2. Polizist B. D., welche beim Ministerium für Inneres in Pec tätig sind, herbeigezogen.

ER WIRD BESTRAFT

mit einer Haftstrafe von 12 (zwölf) Monaten und ist verpflichtet sich innerhalb von 15 (fünfzehn) Tagen ab dem Tag des Rechtskrafteintrittes dieses Bescheides zur Verbüßung der Strafe zu melden. Falls er sich in der gesetzlichen Frist nicht melden sollte, wird der Strafausmaß erhöht und die Person wird von der Polizei zwangseingewiesen.

BEGRÜNDUNG

Das Ministerium für Inneres - Pec hat am 10.12.1994 den Antrag Zahl 04-2066-3542 zur Einleitung des Strafverfahrens gegen den Beklagten wegen des im Spruch dieses Bescheides beschriebenen Verstosses gestellt. Die Behörde für Verstösse fand, daß die Anzeige ausreicht um den Sachverhalt, nämlich daß der Verstoß durch welches der Beklagte belastet wird begangen wurde, festzustellen, sowie daß die Voraussetzungen für die Erlassung des richtigen und gesetzlichen Bescheides gemäß dem Artikel 240. des Gesetzes erfüllt sind.

Gegen diesen Bescheid kann beim Gemeindegericht in Pec innerhalb von 15 Tagen eine Berufung eingebracht werden. Die Berufung ist gebührenfrei. Das Berufungsrecht haben der Beklagte und der Antragsteller."

Die belangte Behörde versteht dieses Urteil/diesen Bescheid dahingehend, daß der Beschwerdeführer wegen der Nichtbefolgung einer Ladung und des unbefugten Besitzes einer Faustfeuerwaffe bestraft worden sei. Nimmt man die Übersetzung wörtlich, so könnte die Bestrafung allerdings auch lediglich deshalb erfolgt sein, weil der Beschwerdeführer der von ihm gleichfalls vorgelegten - am 24. November 1994 ausgestellten (!) - Vorladung der Behörde für den 25. November 1994 nicht gefolgt ist. Schon im Hinblick darauf ist der Vergleich mit der österreichischen Rechtslage (der Strafdrohung für illegalen Waffenbesitz) bedenklich. Im übrigen besagen entgegen der Ansicht der belangten Behörde weder die Höhe der konkret verhängten Freiheitsstrafe noch der Umstand, daß der Beschwerdeführer auf Grund von Bestimmungen des Strafgesetzes der Bundesrepublik Jugoslawien verurteilt wurde und daß ihm laut Urteil das Recht zur Berufung offengestanden wäre, etwas über die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens oder über eine allfällige "ethnische Ausrichtung". Letzteres - was gegebenenfalls den Tatbestand des § 37 Abs. 2 FrG verwirklichen würde - könnte nur dann verneint werden, wenn feststünde, daß in gleichgelagerten Fällen auch serbisch-stämmige Bürger der Bundesrepublik Jugoslawien mit einer vergleichbaren Strafe belegt werden. Die behördliche Annahme, es könne keinesfalls davon ausgegangen werden, daß "dieses Strafgesetzbuch" gegenüber der albanisch-stämmigen Bevölkerungsgruppe anders angewendet werde als gegenüber dem Rest der jugoslawischen Bevölkerung, hat keine Deckung durch Verfahrensergebnisse, sondern steht mit der von der belangten Behörde selbst konstatierten Situation im Kosovo und mit dem Inhalt der vom Beschwerdeführer vorgelegten Berichte von Menschenrechtsorganisationen (z.B. Bericht von Amnesty International aus dem September 1994 über politische Prozesse gegen Angehörige der albanischen Volksgruppe) in Widerspruch. Auch unter diesem Gesichtspunkt hat die belangte Behörde den bekämpften Bescheid daher mit einem wesentlichen Begründungsmangel behaftet. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abgesehen werden.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Die Abweisung des Mehrbegehrens (Stempelgebühren in Höhe von S 240,--) beruht darauf, daß die vorgelegte Ausfertigung des angefochtenen Bescheides nur vier Bögen umfaßt und daß dieser Bescheid nur einfach hätte beigebracht werden müssen (§ 24 Abs. 1 letzter Satz VwGG).

Wien, am 12. April 1999

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