VwGH 97/19/1295

VwGH97/19/129519.12.1997

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Zens,

Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Winkler, über die Beschwerden

1. der I E, geboren 1989, 2.) des K E, geboren 1990, 3.) des

I E, geboren 1993, und 4.) der R E, geboren 1967, alle in Wien, die erst- bis drittbeschwerdeführenden Parteien vertreten durch den Vater J E in Wien, dieser und die Viertbeschwerdeführerin vertreten durch Dr. Aleksa Paunovic, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Kärntner Ring 17/20, gegen die Bescheide des Bundesministers für Inneres jeweils vom 10. Juni 1997, zu

  1. 1.) Zl. 308.072/4-III/11/97, zu 2.) Zl. 308.072/3-III/11/97, zu
  2. 3.) Zl. 308.072/5-III/11/97 und zu 4.) Zl. 308.072/2-III/11/97, jeweils betreffend Aufenthaltbewilligung, zu Recht erkannt:

Normen

AufG 1992 §3 Abs1;
AufG 1992 §5 Abs1;
FrG 1993 §10 Abs1;
AufG 1992 §3 Abs1;
AufG 1992 §5 Abs1;
FrG 1993 §10 Abs1;

 

Spruch:

1. Die Beschwerden der erst-, zweit- und viertbeschwerdeführenden Parteien werden als unbegründet abgewiesen.

Diese Beschwerdeführer haben dem Bund (Bundesministerium für Inneres) nachstehende Aufwendungen binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen, und zwar die Erstbeschwerdeführerin S 282,50 sowie der Zweitbeschwerdeführer und die Viertbeschwerdeführerin jeweils S 565,--.

2. Der drittangefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesministerium für Inneres) hat der drittbeschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von S 4.256,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführer beantragten jeweils am 14. November 1996 per Post bei der österreichischen Botschaft in Budapest die Erteilung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz durch Ankreuzen der Fallvariante "Erstantrag" zum Zweck der Familiengemeinschaft mit "Vater/Mutter" unter namentlicher Anführung des Vaters (Erst- bis Drittbeschwerdeführer) bzw. mit "Ehegatten" (Viertbeschwerdeführerin).

Mit gleichlautenden Bescheiden vom 21. Februar 1997 wies der Landeshauptmann von Wien die Anträge der erst- bis drittbeschwerdeführenden Parteien "im Hinblick auf § 4 Abs. 1 iVm § 3 Abs. 1 AufG iVm der Verordnung der Bundesregierung über die Anzahl der Bewilligungen nach dem Aufenthaltsgesetz für 1997, BGBl. Nr. 707/1996," ab. Nach Wiedergabe der maßgeblichen Gesetzesbestimmungen führte die erstinstanzliche Behörde aus, daß sie bei der Erteilung von Erstbewilligungen nicht nur die ihr für das betreffende Jahr eingeräumte Quote nicht überschreiten dürfe, sondern diese derart zu verwalten habe, daß darin solche Fälle einer Aufenthaltsnahme ihre Deckung fänden, die im Sinne des Gesetzes als vorrangig zu betrachten seien. Der in § 3 Abs. 1 AufG verankerte Rechtsanspruch scheine nach dem Selbstverständnis der im Interesse der Herstellung oder weiteren Erhaltung einer Familieneinheit getroffenen Regelung nur auf solche Fälle anwendbar zu sein, in denen der bisherige Zustand einer Trennung in einen solchen des gemeinschaftlichen Zusammenlebens übergeführt werden solle. Im Fall der Erst- bis Drittbeschwerdeführer handle es sich um keine echte Familienzusammenführung, da der Antrag der Mutter mit erstinstanzlichem Bescheid vom 20. Februar 1997 abgewiesen worden sei und diese somit über keine Aufenthaltsberechtigung nach dem Aufenthaltsgesetz verfüge. Im Sinne einer teleologischen Auslegung des § 3 Abs. 1 AufG komme die Behörde daher zur Ansicht, daß die Anträge bei Abwägung der Interessenslage nicht als genehmigungsfähige (Anträge) auf Familienzusammenführung gewertet werden könnten.

Mit Bescheid vom 20. Februar 1997 wies der Landeshauptmann von Wien den Antrag der Viertbeschwerdeführerin auf Erteilung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz gemäß § 5 Abs. 1 dieses Gesetzes iVm § 10 Abs. 1 Z. 6 des Fremdengesetzes - FrG ab. Begründend führte die erstinstanzliche Behörde nach Wiedergabe der maßgeblichen Gesetzesbestimmungen aus, daß die Viertbeschwerdeführerin laut ihren eigenen Angaben in der Niederschrift vom 17. Februar 1997 das Bundesgebiet seit Juli 1995 nicht mehr verlassen habe und sich somit, ohne im Besitz eines gültigen Sichtvermerkes zu sein, durchgehend in Österreich aufhalte.

In ihren dagegen erhobenen Berufungen brachten die Beschwerdeführer im wesentlichen vor, daß ihre Anträge "gesetzmäßig" im Ausland eingereicht worden seien und die Beschwerdeführer sich auch im Zeitpunkt der Einreichung im Ausland befunden hätten.

Der Bundesminister für Inneres wies die Berufungen der erst-, zweit- und viertbeschwerdeführenden Parteien mit den Bescheiden vom 10. Juni 1997 gemäß §§ 66 Abs. 4 AVG iVm § 5 Abs. 1 AufG und § 10 Abs. 1 Z. 6 des Fremdengesetzes (FrG) ab.

Begründend führte die belangte Behörde aus, daß die erst-, zweit- und viertbeschwerdeführenden Parteien nach der auf eigenen Angaben beruhenden Aktenlage jeweils mit einem Touristensichtvermerk (der Touristensichtvermerk der Viertbeschwerdeführerin sei vom 13. Juli 1995 bis 3. August 1995 gültig gewesen) eingereist seien und ihren damit begonnenen Aufenthalt mit den vorliegenden Anträgen auf Aufenthaltsbewilligung hätten verlängern wollen. Unbeschadet des Vorbringens der Beschwerdeführer sei bei der Beurteilung der Anträge allein maßgeblich, daß § 5 Abs. 1 AufG zwingend die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung ausschließe, wenn ein Sichtvermerksversagungsgrund im Sinne des Fremdengesetzes vorliege. Nach § 10 Abs. 1 Z. 6 FrG liege ein solcher vor, wenn der Sichtvermerk zeitlich an einen Touristensichtvermerk anschließen oder nach sichtvermerksfreier Einreise erteilt werden solle. Im Hinblick auf die Erkenntnisse des VfGH vom 1. Juli 1993, B 338/93 und B 445/93, erübrige sich ein Eingehen auf eventuelle private und familiäre Interessen, da das Vorliegen des § 10 Abs. 1 Z. 6 FrG einen zulässigen Eingriff in das durch Art. 8 MRK geschützte Grundrecht darstelle.

Die Berufung der drittbeschwerdeführenden Partei wurde ebenfalls mit Bescheid vom 10. Juni 1997 gemäß § 66 Abs. 4 AVG iVm § 3 Abs. 1 AufG abgewiesen.

In der Begründung des drittangefochtenen Bescheides führte die belangte Behörde aus, minderjährigen Kindern sei die Bewilligung jeweils mit der gleichen Befristung zu erteilen, wie die der Bewilligung eines Elternteiles (§ 4 Abs. 3 AufG). Im konkreten Fall sei gemeinsam mit der Mutter und zwei Geschwistern jeweils ein Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung mit der Begründung "Familiengemeinschaft" gestellt worden. Der gegenständliche Antrag sei mit der Familiengemeinschaft mit dem Vater begründet worden.

Gemäß § 3 Abs. 1 AufG sei ehelichen und außerehelichen Kindern von Fremden, die aufgrund einer Bewilligung seit mehr als zwei Jahren ihren Hauptwohnsitz in Österreich hätten, eine Bewilligung zu erteilen, soferne kein Ausschließungsgrund nach § 5 Abs. 1 AufG vorliege.

Im gegenständlichen Fall lägen die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Z. 2 AufG vor; der Vater sei im Besitz einer bis 8. Mai 1999 gültigen Aufenthaltsbewilligung. Es seien jedoch die Anträge der Mutter und der zwei Geschwister unter einem jeweils von der Berufungsbehörde abgewiesen worden. Aufgrund des Alters des mj. Drittbeschwerdeführers und im Hinblick darauf, daß der Vater querschnittsgelähmt und daher zur Obsorge des Kindes nicht herangezogen werden könne, komme die erkennende Behörde zum Ergebnis, daß die Mutter-Kind-Beziehung hier den Ausschlag geben müsse. Der § 3 AufG beinhalte die Zusammenführung einer Familie, welche im gegenständlichen Fall durch die unter einem erfolgte Abweisung von Mutter und zwei Geschwistern nicht erreicht werde. Ebenso widerstreite das Auseinanderreißen der Familie dem Schutzzweck des Art. 8 MRK, weshalb bei der Interessenabwägung den öffentlichen Interessen gegenüber den privaten der Vorrang einzuräumen sei.

Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden Beschwerden, in denen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften mit dem Antrag geltend gemacht werden, die angefochtenen Bescheide aus diesen Gründen aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte, die Beschwerden als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die wegen ihres persönlichen, sachlichen und rechtlichen Zusammenhanges verbundenen Beschwerden erwogen:

Im Hinblick auf das Datum der Zustellung der angefochtenen Bescheide (1. Juli 1997) ist für die Überprüfung ihrer Rechtmäßigkeit durch den Verwaltungsgerichtshof die Rechtslage nach Inkrafttreten der AufG-Novelle, BGBl. Nr. 201/1996, maßgeblich.

Die §§ 3 Abs. 1 und 5 Abs. 1 AufG in dieser Fassung lauten auszugsweise:

"§ 3. (1) Ehelichen und außerehelichen minderjährigen Kindern und Ehegatten

  1. 1. ...
  2. 2. von Fremden, die aufgrund einer Bewilligung, eines vor dem 1. Juli 1993 ausgestellten Sichtvermerkes oder sonst gemäß § 1 Abs. 3 Z. 1 bis 5 rechtmäßig seit mehr als zwei Jahren ihren Hauptwohnsitz in Österreich haben, ist nach Maßgabe des § 2 Abs. 3 Z. 3 und 4 eine Bewilligung zu erteilen, sofern kein Ausschließungsgrund (§ 5 Abs. 1) vorliegt.

    ...

§ 5. (1) Eine Bewilligung darf Fremden nicht erteilt werden, bei denen ein Sichtvermerksversagungsgrund (§ 10 Abs. 1 FrG) vorliegt, ..."

§ 10 Abs. 1 Z. 6 FrG lautet:

"§ 10. (1) Die Erteilung eines Sichtvermerkes ist zu versagen, wenn

...

6. der Sichtvermerk zeitlich an einen Touristensichtvermerk anschließen soll; ..."

Die erst-, zweit- und viertbeschwerdeführenden Parteien gestehen ausdrücklich zu, jeweils mit einem Touristensichtvermerk in das Bundesgebiet eingereist zu sein. Sie bestreiten auch nicht, sich seither in Österreich aufzuhalten.

Auf Basis der diesbezüglichen Bescheidfeststellungen ist aber der Sichtvermerksversagungsgrund des § 10 Abs. 1 Z. 6 FrG gegeben. Für die Verwirklichung des Tatbestandes nach § 10 Abs. 1 Z. 6 FrG ist allein maßgeblich, daß sich der Fremde im Anschluß an eine Einreise mit Touristensichtvermerk im Zeitpunkt der Bescheiderlassung im Bundesgebiet aufhält (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. Oktober 1995, Zl. 95/19/0534). Der in Rede stehende Sichtvermerksversagungsgrund liegt auch dann vor, wenn die begehrte Bewilligung nicht nahtlos an den Touristensichtvermerk anschließen soll (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. März 1996, Zl. 95/19/0134).

Insoweit sich die Beschwerdeführer auf § 3 Abs. 1 AufG berufen, ist ihnen zu entgegnen, daß der dort verankerte Rechtsanspruch auf Erteilung einer Bewilligung nach dem klaren Wortlaut dieser Bestimmung das Nichtvorliegen eines Versagungsgrundes im Sinne des § 5 Abs. 1 AufG voraussetzt. Es handelt sich dabei um eine zwingende Vorschrift des Gesetzes, die eine Berücksichtigung von Härtefällen nicht ermöglicht. Gerade einen solchen Versagungsgrund haben die Beschwerdeführer jedoch verwirklicht (§ 5 Abs. 1 AufG iVm § 10 Abs. 1 Z. 6 FrG).

Aus den im Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 1. Juli 1993, Slg. Nr. 13.497, dargelegten Gründen kommt eine Bedachtnahme auf die privaten und familiären Interessen des Fremden bei einer auf § 5 Abs. 1 AufG iVm § 10 Abs. 1 Z. 6 FrG gestützten Entscheidung nicht in Betracht. Dort heißt es im gegebenen Zusammenhang: "Eine rigorose, Ausnahmen ausschließende (daher in Einzelfällen Härten bedingende) Regelung, wie sie § 10 Abs. 1 Z. 6 und 7 FrG trifft, kann nämlich deshalb notwendig sein, um zu sichern, daß das in anderen fremdenrechtlichen Vorschriften (insbesondere im Aufenthaltsgesetz) entwickelte geschlossene Ordnungssystem nicht gestört wird, welches der Erreichung des - sachlich begründbaren und durch Art. 8 Abs. 2 EMRK gedeckten - Zieles, die Einreise von Fremden nach Österreich zwecks längerem oder dauerndem Aufenthalt im Bundesgebiet (Einwanderung) in geordnete Bahnen zu lenken, dient."

Aus diesen Erwägungen mußten die Beschwerden der erst-, zweit- und viertbeschwerdeführenden Parteien gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abgewiesen werden.

In Ansehung des in Wien geborenen Drittbeschwerdeführers gleicht der gegenständlichen Beschwerdefall in allen entscheidungserheblichen Umständen jenem, welcher dem hg. Erkenntnis vom 28. Februar 1997, Zl. 96/19/3352, zugrundelag. Auf die Begründung dieses Erkenntnisses wird daher gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen.

Aus den dort angeführten Erwägungen war der drittangefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich jeweils auf die §§ 47 ff, insbesondere § 52 VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

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