VwGH 97/19/0132

VwGH97/19/01328.5.1998

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Zens und Dr. Bayjones als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Brandtner, über die Beschwerde 1.) der 1946 geborenen RZ,

2.) der 1986 geborenen JM und 3.) der 1990 geborenen NR, alle in Wien, alle vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in Wien, gegen die Bescheide des Bundesministers für Inneres je vom 18. November 1996, Zlen. 1.) 305.445/8-III/11/96,

2.) 305.445/9-III/11/96 und 3.) 305.445/10-III/11/96, betreffend Wiederaufnahme eines Verfahrens i.A.

Aufenthaltsbewilligung, den Beschluß gefaßt:

Normen

AVG §69 Abs1 Z1;
AVG §69 Abs1 Z1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als gegenstandslos geworden erklärt und das Verfahren eingestellt.

Der Bund hat der Erstbeschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 4.901,67 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Ein Kostenersatz an die Zweit- und Drittbeschwerdeführerin findet nicht statt.

Begründung

Die Erstbeschwerdeführerin ist die Großmutter der beiden anderen Beschwerdeführerinnen. Sie verfügte zuletzt über eine Aufenthaltsbewilligung mit Geltungsdauer vom 31. März 1994 bis 28. Jänner 1996. Die beiden anderen Beschwerdeführerinnen verfügten zuletzt über Aufenthaltsbewilligungen mit Geltungsdauer je vom 22. Jänner 1994 bis 22. Jänner 1996.

Am 7. Dezember 1995 (Datum des Einlangens bei der erstinstanzlichen Behörde) beantragten die Beschwerdeführerinnen die Verlängerung ihrer jeweiligen Aufenthaltsbewilligung.

Mit im Instanzenzug ergangenen Bescheiden der belangten Behörde je vom 6. März 1996 wurden diese Anträge, und zwar in Ansehung der Erstbeschwerdeführerin gemäß § 5 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Z. 4 des Fremdengesetzes 1992 (FrG), in Ansehung der beiden anderen Beschwerdeführerinnen jeweils gemäß § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 3 und § 5 Abs. 1 AufG abgewiesen.

Begründend führte die belangte Behörde in Ansehung der Erstbeschwerdeführerin aus, aufgrund der ihrem Antrag beigelegten Heiratsurkunde sei ersichtlich, daß sie am 28. Jänner 1991 einen österreichischen Staatsangehörigen geehelicht habe. Dieser habe jedoch in seiner niederschriftlichen Einvernahme vor der erstinstanzlichen Behörde am 4. Jänner 1996 angegeben, er sei die Ehe mit der Erstbeschwerdeführerin nur eingegangen, um dieser die Erlangung einer Aufenthaltsbewilligung zu vereinfachen. Er habe dafür S 7.000,-- erhalten. Die Ehe sei nie vollzogen worden; die Ehegatten hätten sich lediglich dreimal gesehen. Gestützt auf diese Aussage schenkte die belangte Behörde den gegenteiligen Angaben der Erstbeschwerdeführerin, sie habe aus Liebe geheiratet, keinen Glauben. Die belangte Behörde vertrat in rechtlicher Hinsicht die Auffassung, das Eingehen einer Ehe nur zum Schein rechtfertige die Annahme, der weitere Aufenthalt des Fremden werde die öffentliche Ordnung im Sinne des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG gefährden. Infolge Vorliegens dieses Sichtvermerksversagungsgrundes sei die Erteilung einer Bewilligung an die Erstbeschwerdeführerin gemäß § 5 Abs. 1 AufG ausgeschlossen.

In Ansehung der beiden anderen Beschwerdeführerinnen führte die belangte Behörde in den Bescheiden vom 6. März 1996 begründend im wesentlichen gleichlautend aus, die Zweit- und Drittbeschwerdeführerin hätten als Aufenthaltszweck die Familiengemeinschaft mit ihrem "gesetzlichen Vormund", der Erstbeschwerdeführerin angegeben. Deren Antrag sei jedoch mit dem vorzitierten Bescheid vom 6. März 1996 abgewiesen worden. Damit könne gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 4 Abs. 3 AufG auch der Zweit- und Drittbeschwerdeführerin keine Aufenthaltsbewilligung erteilt werden. Diese seien überdies von ihrer Großmutter wirtschaftlich abhängig, welche ihrerseits über keine Aufenthaltsberechtigung verfüge, sodaß der Lebensunterhalt der Zweit- und Drittbeschwerdeführerin nicht gesichert sei. Der Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 AufG sei in Ansehung dieser Beschwerdeführerinnen daher ebenfalls gegeben.

Die Zustellung dieser Bescheide an die Beschwerdeführerinnen erfolgte am 28. März 1996.

Am 1. Jänner 1998 waren beim Verwaltungsgerichtshof in Ansehung dieser Bescheide vom 6. März 1996 Verfahren über nach der dortigen Aktenlage rechtzeitige und zulässige Beschwerden der jeweiligen Bescheidadressatinnen anhängig, und zwar in Ansehung der Erstbeschwerdeführerin zur Zl. 96/19/3587, in Ansehung der Zweitbeschwerdeführerin zur Zl. 96/19/3095 und in Ansehung der Drittbeschwerdeführerin zur Zl. 96/19/3173. Eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes in diesen Beschwerdeverfahren ist bisher nicht ergangen.

Mit ihren am 26. April 1996 beim Landeshauptmann von Wien überreichten Eingaben beantragten die Beschwerdeführerinnen die Wiederaufnahme ihrer mit Bescheiden der belangten Behörde vom 6. März 1996 abgeschlossenen Verfahren. Zur Begründung ihrer Wiederaufnahmeanträge führten die Beschwerdeführerinnen im wesentlichen gleichlautend aus, der Erstbeschwerdeführerin sei es am 15. April 1996 gelungen, wieder Kontakt zu ihrem Ehegatten aufzunehmen. Dieser habe ihr gegenüber zugegeben, daß er seine Aussage vor der erstinstanzlichen Behörde im Verfahren über den Verlängerungsantrag der Erstbeschwerdeführerin nur aus Rache gemacht habe. Er habe auch am 18. April 1996 eine eidesstättige Erklärung abgegeben, in der er zugesteht, die Erstbeschwerdeführerin aus Liebe geheiratet zu haben und seine gegenteiligen Angaben vor der Verwaltungsbehörde unwahr gewesen seien. Daraus ergebe sich, daß die Bescheide durch eine gerichtlich strafbare Handlung, nämlich eine falsche Beweisaussage vor einer Verwaltungsbehörde, herbeigeführt worden sei. Dem Ehegatten der Erstbeschwerdeführerin sei es bekannt und bewußt gewesen, daß er sich durch seine Angaben gemäß § 289 StGB strafbar gemacht habe. Es sei daher der Wiederaufnahmegrund des § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG gegeben.

Dem Antrag der Erstbeschwerdeführerin wurde eine eidesstattliche Erklärung ihres Ehegatten vom 18. April 1996 beigeschlossen, in der er erklärte, die Erstbeschwerdeführerin aus Liebe geheiratet zu haben, während "alle anderen Angaben" unwahr seien.

Mit den angefochtenen Bescheiden je vom 18. November 1996 wies die belangte Behörde die Wiederaufnahmeanträge der Beschwerdeführerinnen jeweils gemäß § 69 Abs. 1 AVG ab. Begründend führte sie aus, Tatsachen und Beweismittel könnten nur dann Grund für die Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens bilden, wenn sie bei Abschluß des seinerzeitigen Verfahrens schon vorhanden gewesen seien, deren Verwertung der Partei aber ohne ihr Verschulden erst nachträglich möglich gewesen sei, nicht aber wenn es sich um erst nach Abschluß des seinerzeitigen Verfahrens neu entstandene Tatsachen und Beweismittel handle. Bei der vorgelegten eidesstättigen Erklärung vom 18. April 1996 handle es sich aber um ein erst nach Abschluß der mit Bescheiden vom 6. März 1996 abgeschlossenen Verfahren entstandenes Beweismittel.

Mit Verfügung des Verwaltungsgerichtshofes vom 12. Februar 1998 wurde den Parteien Gelegenheit gegeben, zur Frage einer allfälligen Gegenstandslosigkeit der vorliegenden Beschwerde Stellung zu nehmen. Die belangte Behörde vertrat die Auffassung, es sei im Hinblick auf das Außerkrafttreten der Bescheide vom 6. März 1996 gemäß § 113 Abs. 6 FrG 1997 zum 1. Jänner 1998 Gegenstandslosigkeit eingetreten. Die Beschwerdeführerinnen äußerten sich zu dieser Frage nicht.

Gemäß § 33 Abs. 1 erster Satz VwGG ist eine Beschwerde mit Beschluß als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen, wenn in irgendeiner Lage des Verfahrens offenbar wird, daß der Beschwerdeführer klaglos gestellt wurde.

Bei einer Bescheidbeschwerde gemäß Art. 131 Abs. 1 Z. 1 B-VG ist unter einer "Klaglosstellung" nach § 33 Abs. 1 und § 56 erster Satz VwGG nur eine solche zu verstehen, die durch eine formelle Aufhebung des beim Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheides - im besonderen durch die belangte Behörde oder die allenfalls in Betracht kommende Oberbehörde oder durch den Verfassungsgerichtshof - eingetreten ist (vgl. dazu den Beschluß eines verstärkten Senates vom 9. April 1980, Slg. Nr. 10.092/A).

§ 33 Abs. 1 VwGG ist aber nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht nur auf die Fälle der formellen Klaglosstellung beschränkt. Ein Einstellungsfall liegt, wie der Verwaltungsgerichtshof im zitierten Beschluß vom 9. April 1980, darlegte, z.B. auch dann vor, wenn der Beschwerdeführer kein rechtliches Interesse mehr an einer Sachentscheidung des Gerichtshofes hat (vgl. unter vielen den hg. Beschluß vom 23. Februar 1996, Zl. 95/17/0026). Ob in letzterem Sinn das rechtliche Interesse eines Beschwerdeführers weggefallen ist, hat der Verwaltungsgerichtshof nach objektiven Kriterien zu prüfen; er ist nicht an eine Erklärung des Beschwerdeführers gebunden.

Bei den im wiederaufzunehmenden Verfahren ergangenen letztinstanzlichen Bescheiden vom 6. März 1996 handelte es sich um solche, mit denen die Verlängerung einer Aufenthaltsbewilligung versagt wurde. Die Beschwerdeführerinnen haben diese Bescheide mit rechtzeitigen und zulässigen Beschwerden vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochten. Die Beschwerdeverfahren waren am 1. Jänner 1998 noch anhängig. Die in Rede stehenden Bescheide vom 6. März 1996 sind demnach aus dem Grunde des § 113 Abs. 6 FrG 1997 mit 1. Jänner 1998 außer Kraft getreten.

Damit haben die Beschwerdeführerinnen aber das mit ihren Wiederaufnahmeanträgen angestrebte Rechtsschutzziel, nämlich eine Aufhebung der Bescheide vom 6. März 1996, bereits erreicht. Ein rechtliches Interesse der Beschwerdeführerinnen an einer Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes über die gegenständlichen Beschwerden besteht nicht mehr. Die Beschwerde war daher in sinngemäßer Anwendung des § 33 Abs. 1 VwGG als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen.

Gemäß § 58 Abs. 2 VwGG in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 88/1997 ist bei der Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens der nachträgliche Wegfall des Rechtsschutzinteresses bei einer Beschwerde nicht zu berücksichtigen; würde hiebei die Entscheidung über die Kosten einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern, so ist darüber nach freier Überzeugung zu entscheiden.

In Ansehung des erstangefochtenen Bescheides ist davon auszugehen, daß die Beschwerde Erfolg gehabt hätte. Die belangte Behörde unterließ es nämlich - wie die Erstbeschwerdeführerin zutreffend ausführt - auf den von ihr geltend gemachten Wiederaufnahmegrund des § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG auch nur mit einem Wort einzugehen. Nach den durch die eidesstättige Erklärung des Ehegatten der Erstbeschwerdeführerin auch hinreichend objektivierten Angaben im Wiederaufnahmeantrag wäre ersterem ein strafbares Verhalten in Richtung § 289 StGB anzulasten. Der erstangefochtene Bescheid wäre daher bei Zutreffen der Behauptungen im Wiederaufnahmeantrag im Sinne des § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG durch falsches Zeugnis herbeigeführt worden. Die gerichtlich strafbaren Handlungen im Sinne des § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG müßten auch nicht durch gerichtliches Urteil festgestellt worden sein (vgl. Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts6, Rz 585).

Demgegenüber wäre die Beschwerde in Ansehung des zweit- und drittangefochtenen Bescheides abzuweisen gewesen. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kann die Wiederaufnahme gemäß § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG nämlich nur wegen einer Handlung, die auf die Erlassung eines konkreten Bescheides zielgerichtet ist, bewilligt werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. April 1977, Zl. 87/77). Es kann nun aber nicht davon gesprochen werden, daß die Aussage des Ehegatten der Erstbeschwerdeführerin in deren Aufenthaltsverfahren unmittelbar darauf abzielte, auch die die Zweit- und Drittbeschwerdeführerin betreffenden Bescheide vom 6. März 1996 herbeizuführen. Auch der Wiederaufnahmsgrund des § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG läge in Ansehung der Zweit- und Drittbeschwerdeführerin nicht vor, weil für die Abweisung der Verlängerungsanträge dieser Beschwerdeführerinnen nicht maßgebend war, ob ihrer Großmutter die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung zu Recht oder zu Unrecht versagt wurde, sondern allein die Tatsache, daß letztere über keine Aufenthaltsbewilligung verfügte.

Die Beschwerdeführerinnen machten insgesamt Kostenersatz in der Höhe von S 14.705,-- geltend. Dieser Betrag liegt unter jenem, welcher gemäß § 52 Abs. 1 VwGG den Beschwerdeführerinnen im Falle ihres Obsiegens gemeinsam zugestanden wäre. Mangels anderer Anhaltspunkte ist davon auszugehen, daß ein Drittel des geltend gemachten Betrages, somit S 4.901,67, auf die Erstbeschwerdeführerin entfiel. Dieser war daher Kostenersatz in der genannten Höhe zuzusprechen. Da die belangte Behörde im gegenständlichen Verfahren nur die die Erstbeschwerdeführerin betreffenden Akten vorlegte, steht ihr kein Kostenersatz zu, obgleich die Beschwerden der Zweit- und Drittbeschwerdeführerin bei aufrechtem Rechtsschutzinteresse abzuweisen gewesen wären.

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