VwGH 97/18/0353

VwGH97/18/035323.10.1997

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Rigler, Dr. Handstanger und Dr. Bayjones als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Keller, über die Beschwerde der K in Wien, vertreten durch Dr. Thomas Prader und Mag. Georg Bürstmayr, Rechtsanwälte in Wien VII, Seidengasse 28, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 16. April 1997, Zl. SD 154/97, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §37;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
FrG 1993 §18 Abs2 Z1;
FrG 1993 §19;
SGG §12 Abs1;
SGG §16 Abs1;
AVG §37;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
FrG 1993 §18 Abs2 Z1;
FrG 1993 §19;
SGG §12 Abs1;
SGG §16 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von S 12.890,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 16. April 1997 wurde gegen die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Schweiz, gemäß § 18 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 Fremdengesetz - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von fünf Jahren erlassen.

Die belangte Behörde nahm als erwiesen an, daß die Beschwerdeführerin am 7. August 1991 vom Strafbezirksgericht Wien wegen vorsätzlicher Körperverletzung (§ 83 Abs. 1 StGB) rechtskräftig zu einer Geldstrafe und mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 4. April 1995 wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels und des Vergehens des Suchtgiftbesitzes nach den §§ 12 Abs, 1, 16 Abs. 1 Suchtgiftgesetz rechtskräftig zu einer bedingten Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt worden sei. Es könne kein Zweifel bestehen, daß damit die Voraussetzungen des § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG erfüllt seien. Das den Verurteilungen zugrunde liegende Fehlverhalten der Beschwerdeführerin und die dadurch bewirkte Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung rechtfertigten auch die im § 18 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme. In einem solchen Fall sei gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot zu erlassen, wenn dem nicht die §§ 19 und 20 leg.cit. entgegenstünden.

Diesbezüglich sei festzuhalten, daß die Beschwerdeführerin zwar seit 1984 in Österreich polizeilich gemeldet sei, es sich jedoch um einen Zweitwohnsitz handle; ihr Hauptwohnsitz sei in der Schweiz. Im Hinblick darauf, daß der Sohn der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet bei seinem Vater lebe, dieser das alleinige Sorgerecht habe und die Beschwerdeführerin lediglich von ihrem Besuchsrecht Gebrauch mache, sei von einem "gewissen" Eingriff in ihr Privat- und Familienleben auszugehen gewesen.

Dessen ungeachtet sei im Hinblick auf die besondere Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität die gegen sie gesetzte fremdenpolizeiliche Maßnahme zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele - hier: zur Verhinderung strafbarer Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und des Lebens Dritter - dringend geboten und daher zulässig. Das Verbrechen des Suchtgifthandels gemäß § 12 Suchtgiftgesetz begehe, wer Suchtgift in einer so großen Menge in Verkehr setze bzw. sich daran beteilige, daß die Weitergabe geeignet sei, in großem Ausmaß eine Gefahr für das Leben und die Gesundheit von Menschen entstehen zu lassen. Das bisherige Verhalten der Beschwerdeführerin in Österreich habe somit mit aller Deutlichkeit gezeigt, daß sie keinerlei Bedenken habe, sich über strafrechtliche Normen hinwegzusetzen. Der Umstand, daß sie selbst eine rechtskräftige Verurteilung nicht davon abgehalten habe, neuerlich straffällig zu werden, sowie die Tatsache, daß sie sich zuletzt sogar zum Verbrechen des Suchtgifthandels habe hinreißen lassen, würden eine positive Zukunftsprognose für die Beschwerdeführerin ausschließen, zumal gerade bei Suchtgiftdelikten die Wiederholungsgefahr besonders groß sei. Daß aber gerade an der Bekämpfung der Suchtiftkriminalität ein besonders großes öffentliches Interesse bestehe, könne wohl nicht ernsthaft bezweifelt werden.

Im Hinblick auf die besondere Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität müsse darüber hinaus die gemäß § 20 Abs. 1 leg.cit. vorzunehmende Interessenabwägung zugunsten (gemeint wohl: zuungunsten) der Beschwerdeführerin ausschlagen. In diesem Zusammenhang sei auf die ständige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach bei Suchtgiftdelikten selbst bei ansonsten völliger sozialer Integration des Fremden die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nicht rechtswidrig sei. Jedenfalls seien im vorliegenden Fall die maßgeblichen öffentlichen Interessen ungleich höher zu veranschlagen gewesen als die im Hinblick auf die Lebenssituation der Beschwerdeführerin beträchtlichen privaten und familiären Interessen.

Was die Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes anlange, so sei die belangte Behörde der Ansicht, daß diese von der Erstbehörde angesichts der Tatsache, daß gerade in Fällen wie diesen sogar ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen hätte werden können, mit fünf Jahren ohnehin "sehr milde beurteilt wurde". Das Argument der Beschwerdeführerin in der Berufung vom 30. Jänner 1997, daß sie selbst drogenfrei wäre und nicht der sogenannten Suchtgiftszene angehörte, ändere nichts daran, daß sie rechtskräftig wegen Suchtgifthandels verurteilt worden sei.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.

3. Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in der von ihr erstatteten Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. In der Beschwerde bleiben die beiden rechtskräftigen Verurteilungen der Beschwerdeführerin unbestritten. Nicht in Zweifel gezogen wird auch die Ansicht der belangten Behörde, daß aufgrund der Verurteilung wegen Suchtgifthandels und Suchtgiftbesitzes zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von acht Monaten der Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 1 (dritter Fall) FrG verwirklicht sei. Entgegen der in der Beschwerde vertretenen Auffassung teilt der Gerichtshof die Beurteilung der belangten Behörde, daß die ihrer Verurteilung zugrunde gelegenen Verstöße der Beschwerdeführerin gegen § 12 Abs. 1 und § 16 Abs. 1 Suchtgiftgesetz auch die Annahme rechtfertigten, ihr Aufenthalt in Österreich würde die öffentliche Ordnung gefährden, somit den Tatbestand des § 18 Abs. 1 Z. 1 FrG erfüllen.

2.1. Die Beschwerde weist darauf hin, daß die Beschwerdeführerin in ihrer Berufung dargetan und hiezu Beweismittel angeboten habe, daß sie sich vom Suchtgifthandel und Suchtgiftkonsum deutlich distanziert und in ihrer täglichen Arbeit sogar darauf hingewirkt hätte, gerade Jugendlichen (also einer besonders gefährdeten Gruppe) ein gesetzeskonformes Verhalten näherzubringen. Die Beschwerdeführerin habe damit dargelegt, daß sie - entgegen der nunmehrigen Annahme im angefochtenen Bescheid - sehr wohl Bedenken hätte, sich über strafrechtliche Normen hinwegzusetzen. Die belangte Behörde habe dieses Vorbringen, das einen wesentlichen Wandel im Verhalten der Beschwerdeführerin seit ihrer Verurteilung aufzeige, begründungslos übergangen und auch die angebotenen Beweise nicht aufgenommen. Dies begründe einen relevanten Verfahrensmangel, und zwar gerade angesichts der Tatsache, daß die belangte Behörde selbst von einer besonderen Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität ausgehe.

2.2. Es trifft zu, daß die Beschwerdeführerin in ihrer Berufung vom 30. Jänner 1997 ein entsprechendes Vorbringen erstattet hat. Nach ihrem anfänglichen Hinweis, selbst drogenfrei zu sein und weder jetzt noch zu einer anderen Zeit der sogenannten Suchtgiftszene anzugehören bzw. angehört zu haben, hat sie vorgebracht, unter dem Namen "team muskarin" jeden Samstag in der sogenannten Sargfabrik in Wien XIV Musikveranstaltungen durchzuführen. Diese Veranstaltung bzw. dieser Veranstaltungsort könne derzeit als die "drogenfreieste location" in ganz Wien bezeichnet werden. Der Clubbing-Berater der Stadt Wien vermittle Fernseh- und Radioteams, die etwa Beiträge zum Thema Drogen drehen wollten, zur Beschwerdeführerin bzw. an den genannten Ort. Die Beschwerdeführerin habe in Fernsehsendungen öffentlich und in ihrer Funktion als Veranstalterin gegen Drogen, insbesondere die Modedroge extasy Stellung genommen. Schon nach ihrer Festnahme habe sie im Jugendclub der Wiener Berufsschulen mit schwierigen Jugendlichen über etliche Monate hinweg gearbeitet und auch dabei versucht, Alternativen zu Drogenkonsum aufzuzeigen und den Jugendlichen plausibel zu machen. Zum Beweis für ihr Vorbringen hat die Beschwerdeführerin ihre Vernehmung und einen Augenschein im genannten Veranstaltungslokal angeboten.

2.3. Dieses Vorbringen ist aus dem Blickwinkel des § 19 FrG von Relevanz. Nach dieser Bestimmung ist die Erlassung (u.a.) eines Aufenthaltsverbotes im Fall eines damit verbundenen Eingriffes in das Privat- oder Familienleben des Fremden nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele dringend geboten ist. Die belangte Behörde hat - unter Bedachtnahme auf einen durch das Aufenthaltsverbot bewirkten relevanten Eingriff in das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin - im Hinblick auf die besondere Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität die Verhängung dieser Maßnahme zur Verhinderung strafbarer Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und des "Lebens" Dritter (Art. 8 Abs. 2 MRK) für dringend geboten und daher nach § 19 FrG für zulässig erachtet. Die Frage indes, ob die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen die Beschwerdeführerin im Hinblick auf die vorgenannten öffentlichen Interessen - unter Berücksichtigung ihrer von der belangten Behörde als "beträchtlich" gewerteten privaten und familiären Interessen - notwendig ist, konnte von der belangten Behörde in rechtlich einwandfreier Weise nicht ohne Auseinandersetzung mit dem unter II. 2.2. wiedergegebenen Berufungsvorbringen der Beschwerdeführerin beantwortet werden. Denn das ihren Behauptungen zufolge aktive Eintreten der Beschwerdeführerin gegen Drogenkonsum in der Öffentlichkeit und das Arbeiten mit Jugendlichen, das sich u.a. zum Ziel setzt, die großen Gefahren des Drogenkonsums aufzuzeigen und diesen insoweit besonders "anfälligen" Personenkreis gegenüber Aufklärungsarbeit zu leisten, lassen doch zumindest die Frage entstehen, ob gerade in einem solchen Fall die Beendigung des Aufenthaltes zur Verhinderung strafbarer Handlungen und zum Schutz der Gesundheit anderer dringend geboten ist. Diese Frage umfassend zu beurteilen, wäre der belangten Behörde nur möglich gewesen, wenn sie sich mit dem besagten Vorbringen der Beschwerdeführerin, allenfalls unter Aufnahme der angebotenen Beweise, befaßt hätte. Indem sie dies unterlassen hat, ist der Sachverhalt in bezug auf die Beurteilung der Zulässigkeit der Verhängung eines Aufenthaltsverbotes im Grunde des § 19 FrG in wesentlichen Punkten unvollständig und damit auch die Bescheidbegründung mangelhaft geblieben.

3. Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

4. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

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