VwGH 97/11/0303

VwGH97/11/030326.3.1998

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Lenhart, über die Beschwerde der B in L, vertreten durch DDr. Elisabeth Steiner und Dr. Mag. Daniela Witt-Dörring, Rechtsanwälte in Wien I, Nibelungengasse 1/3/46, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Kärnten vom 3. Oktober 1997, Zl. 8 B-KFE-100/1/1997, betreffend Aufforderung gemäß § 75 Abs. 2 KFG 1967, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §52;
KDV 1967 §31;
KFG 1967 §73 Abs1;
KFG 1967 §75 Abs2;
AVG §52;
KDV 1967 §31;
KFG 1967 §73 Abs1;
KFG 1967 §75 Abs2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde die Beschwerdeführerin gemäß § 75 Abs. 2 KFG 1967 aufgefordert, binnen drei Wochen ab Rechtskraft des Bescheides den Befund einer verkehrspsychologischen Untersuchungsstelle zur Frage, ob und inwieweit sie die für das Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppe B erforderliche geistige und körperliche Eignung besitze, beizubringen.

In der Begründung dieses Bescheides führte die belangte Behörde im wesentlichen aus, es seien Bedenken hinsichtlich des geistigen Gesundheitszustandes der Beschwerdeführerin angebracht. Die Beschwerdeführerin habe zwar die Richtigkeit der im Bericht des Gendarmeriepostens Seeboden vom 22. April 1996 (richtig: 1997) enthaltenen Ausführungen betreffend ihre Angaben, an angina pectoris zu leiden, und betreffend den tätlichen Angriff auf eine andere Person bestritten, doch sei den Angaben der Gendarmeriebeamten größeres Gewicht beizumessen als denen der Beschwerdeführerin. Der tätliche Angriff sei von einer unbeteiligten Person bestätigt worden, sodaß Zweifel an den Angaben der Beschwerdeführerin bestünden. Aus einem Schreiben des Kuratoriums für Verkehrssicherheit vom 4. Juni 1997 ergebe sich, daß die Beschwerdeführerin die Aufforderung zur Untersuchung mit einem mehrseitigen ablehnenden Brief quittiert habe, "in dem sie zum Teil auffällig aggressiv gegen einschreitende Polizeibeamte und andere Privatpersonen argumentiert". Allein diese Umstände ergäben konkrete Anhaltspunkte, um Bedenken der im § 75 Abs. 1 KFG 1967 erwähnten Art zu rechtfertigen. Die ärztliche Amtssachverständige der Erstbehörde habe in ihrem Schreiben vom 30. Juni 1997 ausgeführt, daß die Beschwerdeführerin anläßlich der amtsärztlichen Untersuchung deutliche paranoide Züge mit Tendenzen zum Verfolgungswahn aufgewiesen habe. Es sei auffällig, daß die Beschwerdeführerin zeitlich desorientiert scheine und hinsichtlich ihrer Führerscheinangelegenheit nicht problemorientiert sei. Es sei bekannt, daß sie in psychiatrischer Behandlung stehe und daß ein Sachwalterschaftsverfahren anhängig sei.

Diese Ausführungen der Amtssachverständigen zeigten in deutlicher Weise, daß Bedenken hinsichtlich der geistigen Eignung der Beschwerdeführerin angebracht seien.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag auf kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und beantragt in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Die Beschwerdeführerin hat sich zur Gegenschrift der belangten Behörde schriftlich geäußert.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 75 Abs. 1 KFG 1967 ist unverzüglich ein Ermittlungsverfahren einzuleiten, wenn Bedenken bestehen, ob die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkerberechtigung noch gegeben sind.

Gemäß § 75 Abs. 2 leg. cit. ist vor der Entziehung der Lenkerberechtigung wegen mangelnder geistiger oder körperlicher Eignung ein neuerliches ärztliches Gutachten einzuholen. Leistet der Besitzer einer Lenkerberechtigung einem rechtskräftigen Bescheid mit der Aufforderung, sich ärztlich untersuchen zu lassen, keine Folge, so ist ihm nach § 75 Abs. 2 zweiter Satz leg. cit. die Lenkerberechtigung zu entziehen.

Voraussetzung für die Einleitung eines Entziehungsverfahrens im Sinne des § 75 KFG 1967 sind begründete Zweifel am aufrechten Vorliegen einer der Voraussetzungen für die Erteilung einer Lenkerberechtigung des Inhaltes, wie sie die betreffende Person innehat. Voraussetzung für die Erlassung eines Aufforderungsbescheides nach § 75 Abs. 2 leg. cit. sind demnach u.a. begründete Bedenken in der Richtung, daß der Inhaber die geistige oder körperliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen derjenigen Gruppen, die von seiner Lenkerberechtigung erfaßt werden, nicht mehr besitzt. In diesem Stadium des Verfahrens zur Entziehung der Lenkerberechtigung geht es noch nicht darum, konkrete Umstände zu ermitteln, aus denen bereits mit Sicherheit auf das Fehlen einer Erteilungsvoraussetzung geschlossen werden kann. Es müssen aber genügend begründete Bedenken in dieser Richtung bestehen, die die Prüfung des Vorliegens solcher Umstände unter der hiefür notwendigen Mitwirkung des Besitzers der Lenkerberechtigung geboten erscheinen lassen (siehe dazu das hg. Erkenntnis vom 21. Jänner 1997, Zl. 95/11/0270, mwN).

Dem angefochtenen Bescheid liegen Bedenken hinsichtlich "des geistigen Gesundheitszustandes" der Beschwerdeführerin zugrunde. Soweit sich die belangte Behörde in diesem Zusammenhang auf die im Bericht des Gendarmeriepostens S. vom 22. April 1996 (richtig: 1997) genannten Umstände bezieht, ist ihren Ausführungen nicht zu entnehmen, von welchem konkreten Sachverhalt sie ausgeht, auf den die Bedenken hinsichtlich der geistigen Eignung der Beschwerdeführerin gegründet werden. Die im angefochtenen Bescheid artikulierten Zweifel an der Richtigkeit der Angaben der Beschwerdeführerin hätten im Rahmen der für die Annahme eines bestimmten Sachverhaltes maßgeblichen Beweiswürdigung von Bedeutung sein können, lassen aber nicht mit Sicherheit erkennen, welchen Sachverhalt die belangte Behörde als erwiesen angenommen hat und inwiefern dieser Sachverhalt zu Bedenken hinsichtlich der geistigen Eignung der Beschwerdeführerin zum Lenken von Kraftfahrzeugen Anlaß zu geben hat. Dasselbe gilt für das im angefochtenen Bescheid erwähnte Schreiben des Kuratoriums für Verkehrssicherheit vom 4. Juni 1997, zumal der Inhalt des Schreibens der Beschwerdeführerin darin nicht wiedergegeben wird und dieses Schreiben sich auch nicht in den vorgelegten Verwaltungsakten befindet.

Die ärztliche Amtssachverständige der Erstbehörde hielt in ihrem Schreiben vom 21. Mai 1997 eine verkehrspsychologische Untersuchung für erforderlich und nannte als Grund dafür "Psychose". Über Aufforderung der Erstbehörde vom 27. Juni 1997 - aus dieser ist zweifelsfrei zu erkennen, daß für die Erlassung des Aufforderungsbescheides allein die Annahme einer psychischen Störung maßgebend war - gab die Amtssachverständige in ihrem Schreiben vom 30. Juni 1997 die im angefochtenen Bescheid wiedergegebene Begründung und äußerte den Verdacht, "daß die geistige Eignung zum Lenken eines Kraftfahrzeuges nicht mehr gegeben ist bzw. die psychische Erkrankung Auswirkung auf die kraftfahrspezifischen Fähigkeiten der Frau K. hat".

Diese Äußerungen der Amtssachverständigen bilden aus folgenden Erwägungen keine taugliche Grundlage für den der Beschwerdeführerin erteilten Auftrag:

Gemäß § 31 KDV 1967 gelten als ausreichend frei von psychischen Krankheiten und geistigen Behinderungen im Sinne des § 30 Abs. 1 Z. 1 Personen, bei denen weder Erscheinungsformen von solchen Krankheiten oder Behinderungen, noch schwere geistige und seelische Störungen vorliegen, die eine Beeinträchtigung des Fahrverhaltens erwarten lassen. Wenn sich aus der Vorgeschichte oder bei der Untersuchung der Verdacht eines krankhaften Zustandes ergibt, der die geistige Eignung zum Lenken eines Kraftfahrzeuges einschränken oder ausschließen würde, ist eine Untersuchung durch einen entsprechenden Facharzt, die eine Prüfung der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeiten einzubeziehen hat, anzuordnen.

Der Äußerung der Amtssachverständigen ist zu entnehmen, daß sie aufgrund der bei der Untersuchung der Beschwerdeführerin gemachten Wahrnehmungen den Verdacht hegte, bei ihr bestehe eine seelische Störung, die ihre geistige Eignung zum Lenken eines Kraftfahrzeuges einschränkt oder ausschließt. Für diesen Fall ist aber im § 31 KDV die Anordnung der Untersuchung durch einen entsprechenden Facharzt vorgesehen und nicht die Vorlage eines Befundes einer verkehrspsychologischen Untersuchungsstelle. Dem betreffenden Facharzt ist es überlassen, ob er - wenn er dazu in der Lage ist - die Prüfung der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit selbst vornimmt, die Vorlage eines entsprechenden Befundes verlangt oder - falls sich aufgrund der fachärztlichen Untersuchung der Verdacht eines krankhaften Zustandes im beschriebenen Sinne nicht bestätigt - von einer diesbezüglichen Prüfung überhaupt Abstand nimmt.

Die in der Gegenschrift geäußerte Auffassung der belangten Behörde, bei Verdacht einer - im Sinne des § 31 KDV relevanten - Psychose sei es zulässig, zunächst die Vorlage eines Befundes einer verkehrspsychologischen Untersuchungsstelle zu verlangen und im Anschluß daran die fachärztliche Untersuchung anzuordnen, wird vom Verwaltungsgerichtshof nicht geteilt. Gegen diese Auffassung spricht einerseits der Wortlaut des § 31 KDV und andererseits die Überlegung, daß bei der von der belangten Behörde für richtig erachteten Vorgangsweise dem Betreffenden erhebliche, allenfalls vermeidbare Kosten entstehen können.

Aus den dargelegten Erwägungen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

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