Normen
AMG 1983 §1 Abs1 Z1;
AMG 1983 §1 Abs1 Z2;
AMG 1983 §1 Abs1 Z3;
AMG 1983 §1 Abs1 Z4;
AMG 1983 §1 Abs1;
LMG 1975 §3;
AMG 1983 §1 Abs1 Z1;
AMG 1983 §1 Abs1 Z2;
AMG 1983 §1 Abs1 Z3;
AMG 1983 §1 Abs1 Z4;
AMG 1983 §1 Abs1;
LMG 1975 §3;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid des Bundesministers für Frauenangelegenheiten und Verbraucherschutz vom 30. Oktober 1997 wurde gemäß § 18 Abs. 2 LMG das Inverkehrbringen des von der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 4. August 1997 angemeldeten Produktes "Naturana Vitamin E-Kapseln" als Verzehrprodukt untersagt. Hiezu wurde - nach Darstellung des Verfahrensganges und der angewendeten Rechtslage - im wesentlichen ausgeführt, das in Rede stehende Produkt enthalte pharmakologisch wirksame Bestandteile und zwar 36 mg D-Alpha-Tocopherol pro Kapsel und es laute die Einnahmeempfehlung: Täglich eine Kapsel. Laut einschlägiger (näher dargelegter) Literatur kämen den Inhaltsstoffen des gegenständlichen Erzeugnisses im Hinblick auf das vorliegende Produkt zweifelsfrei spezifische pharmakologische Wirkungen zu. Vitamin E (Alpha-Tocopherol) werde auch als Antisterilitäts- bzw. Fertilitätsvitamin bezeichnet, weil das klassische
Vitamin E-Mangelsyndrom die Resorptionssterilität weiblicher Tiere sei. Aber auch beim Menschen könne die Neigung zu Fehlgeburten ein Zeichen für das Vorliegen eines Vitamin E-Mangels bzw. einer Vitamin E-Avitaminosa sein. Weiters habe Vitamin E einen Einfluß auf den Kohlenhydrat- und Energiehaushalt. Ein erhöhter Sauerstoffverbrauch könne in einigen Geweben durch Vitamin E-Zufuhr herabgesetzt werden. Bei Vitamin E-Mangel komme es zu Kreatinurie, die mit Angriffspunkten an der Muskulatur zusammehänge. Eine auffallende Wirkung des Vitamin E sei sein antioxydativer Effekt. Es schütze leicht oxydable Vitamine, besonders das Vitamin A im Darm und in den Geweben vor Oxydationen. Dadurch werde einem Vitamin A-Mangel vorgebeugt. Vitamin E-Präparate würden zur Prophylaxe von Mangelzuständen infolge von Resorptionsstörungen (z.B. bei exokriner Pankreasinsuffizienz, hepatobiliären Erkrankungen mit Cholestase, Gallengangatresie, Short-Bowel-Syndrom) therapeutisch verwendet. Die angeführten pharmakologischen Wirkungen seien aufgrund der qualitativen und quantitativen Zusammensetzung des Produktes auch zu erwarten; das Produkt sei daher als Arzneimittel einzustufen. Die Beschwerdeführerin habe zwar vorgebracht, daß das Produkt nach der allgemeinen Verkehrsauffassung kein Arzneimittel sein könne, weil bei der Einnahmeempfehlung von 36 mg Vitamin E pro Tag nur eine physiologische, aber keine pharmakologische Wirkung erzielt werden könne. Wie vom Amtssachverständigen für Pharmazie jedoch dargelegt worden sei, liege der Tagesbedarf an Vitamin E bei etwa 15 bis 20 mg. Von einer "Nahrungsergänzung" könne bei einer Zufuhr von 36 mg pro Tag nicht mehr die Rede sein. Der einzige Sinn und Zweck des in Rede stehenden Produktes sei die Prophylaxe und Therapie der beschriebenen Mangelerscheinungen, welche zweifellos als "Leiden" bzw. "krankhafte Beschwerden" zu klassifizieren seien. Das Produkt sei somit nach § 1 Abs. 1 Z. 1 des Arzneimittelsgesetzes (und nicht nach § 1 Abs. 1 Z. 5 dieses Gesetzes) als Arzneimittel einzustufen. Auch das weitere Argument der Beschwerdeführerin, das Produkt befinde sich in Deutschland als "sogenannte Nahrungsergänzung" rechtmäßig im Verkehr, gehe ins Leere, weil in Ansehung der Beurteilung von Arzneimitteln Erzeugnisse, die aus anderen Mitgliedsstaaten eingeführt würden, den für Arzneimittel jeweils geltenden nationalen Regelungen unterworfen werden dürften.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 18 Abs. 2 LMG hat der Bundesminister für Frauenangelegenheiten und Verbraucherschutz das Inverkehrbringen einer als Verzehrprodukt angemeldeten Ware mit Bescheid unverzüglich, längstens binnen drei Monaten zu untersagen, wenn sie den Vorschriften des Lebensmittelgesetzes (LMG) oder seiner Verordnungen nicht entspricht.
Gemäß § 3 LMG sind Verzehrprodukte Stoffe, die dazu bestimmt sind, von Menschen gegessen, gekaut oder getrunken zu werden, ohne überwiegend Ernährungs- oder Genußzwecken zu dienen ohne Arzneimittel zu sein.
Gemäß § 1 Abs. 1 des Arzneimittelgesetzes (AMG) sind "Arzneimittel" Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die nach der allgemeinen Verkehrsauffassung dazu dienen oder nach Art und Form des Inverkehrbringens dazu bestimmt sind, bei Anwendung am oder im menschlichen oder tierischen Körper
1. Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhafte Beschwerden zu heilen, zu lindern, zu verhüten oder zu erkennen,
2. die Beschaffenheit, den Zustand oder die Funktionen des Körpers oder seelische Zustände erkennen zu lassen,
3. vom menschlichen oder tierischen Körper erzeugte Wirkstoffe oder Körperflüssigkeiten zu ersetzen,
4. Krankheitserreger, Parasiten oder körperfremde Stoffe abzuwehren, zu beseitigen oder unschädlich zu machen oder
5. die Beschaffenheit, den Zustand oder die Funktionen des Körpers oder seelischer Zustände zu beeinflussen.
§ 1 Abs. 1 AMG stellt für das Vorliegen eines Arzneimittels somit - alternativ - auf zwei verschiedene Kriterien ab, nämlich darauf, ob Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen "nach der allgemeinen Verkehrsauffassung dazu dienen" (objektive Zweckbestimmung) oder "nach Art und Form des Inverkehrbringens dazu bestimmt sind" (subjektive Zweckbestimmung), bei Anwendung am oder im menschlichen oder tierischen Körper die in den Z. 1 bis 5 beschriebenen Wirkungen hervorzurufen bzw. Funktionen zu erfüllen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. April 1997, Zl. 96/10/0239, und die hier zitierte Vorjudikatur).
Gemäß § 1 Abs. 3 Z. 2 AMG in der Fassung der Novelle 1988, BGBl. Nr. 748, sind jedoch Verzehrprodukte im Sinne des LMG 1975, sofern sie nach Art und Form des Inverkehrbringens nicht dazu bestimmt sind, die Zweckbestimmungen des Abs. 1 Z. 1 bis 4 zu erfüllen, keine Arzneimittel. Ein Produkt, auf das die Voraussetzungen des § 3 LMG zutreffen und das nach seiner subjektiven Zweckbestimmung (nur) dazu bestimmt ist, Wirkungen im Sinne des § 1 Abs. 1 Z. 5 AMG zu erzielen, ist somit kein Arzneimittel. Hingegen kann eine Ware nicht als Verzehrprodukt beurteilt werden, wenn sie objektiv geeignet oder subjektiv dazu bestimmt ist, die im § 1 Abs. 1 Z. 1 bis 4 AMG genannten Wirkungen zu erfüllen (vgl. nochmals das zitierte Erkenntnis vom 28. April 1997 und die hier zitierte Vorjudikatur).
Gegen die Auffassung der belangten Behörde, dem Produkt kämen objektiv-arzneiliche Wirkungen im Sinne des § 1 Abs. 1 Z. 1 AMG zu, wendet die Beschwerdeführerin ein, eine Gabe von täglich 36 mg Vitamin E zeige nach dem bislang bekannten Erkenntnismaterial keine arzneiliche Wirkung. Vielmehr bestehe - aus näher dargelegter sachverständiger Sicht - eine prophylaktische Wirkung erst ab ca. 100 mg und eine therapeutische Wirksamkeit erst bei Dosierungen von 100 bis 800 mg pro Tag. Die Auffassung der belangten Behörde, bei einer Tageszufuhr von 36 mg Vitamin E seien pharmakologische Wirkungen zu erwarten, sei unhaltbar und im übrigen nicht nachvollziehbar. Vielmehr habe es die belangte Behörde unterlassen, auf die Frage einzugehen, in welcher Dosierung Vitamin E-Präparate zur Prophylaxe und Therapie der beschriebenen Mangelerscheinungen in Frage kämen; sämtliche Aussagen des im Verfahren beigezogenen Amtssachverständigen beträfen Vitamin E an sich, obwohl von Amtssachverständigen des Bundesministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales Vitamin E-Präparate sonst, d.h. nach den von ihnen zur Abgrenzung von Verzehrprodukten und Arzneimitteln festgelegten Grenzwerten als Verzehrprodukte und nicht als Arzneimittel eingestuft würden, wenn die zugesetzte Vitaminmenge die Tagesdosis von 20 mg nicht überschreite. Der Umstand, daß der Tagesbedarf an Vitamin E bei etwa 15 bis 20 mg liege, besage allerdings nicht, daß bei einer Zufuhr von 36 mg bereits arzneiliche Wirkungen ausgelöst würden.
Die Beschwerde ist im Ergebnis berechtigt.
Dem angefochtene Bescheid liegt die Auffassung zugrunde, das in Rede stehende Produkt sei aufgrund seiner pharmakologischen Wirkungen, d.h. aufgrund seiner objektiven Eignung, Wirkungen, die im § 1 Abs. 1 Z. 1 AMG genannt sind hervorzurufen, als Arzneimittel einzustufen. Zu dieser Auffassung ist die belangte Behörde - der Begründung des angefochtenen Bescheides zufolge - aufgrund der Annahme gelangt, es seien jene pharmakologischen Wirkungen, die Vitamin E im allgemeinen zukommen, aufgrund der qualitativen und quantitativen Zusammensetzung des Produktes zu erwarten; der einzige Sinn und Zweck des Produktes sei die Prophylaxe und Therapie der beschriebenen Mangelerscheinungen.
Der angefochtene Bescheid beruht somit auf der Bejahung der Arzneimitteleigenschaft auf der Grundlage der objektiven Zweckbestimmung des Produkts. Der Verwaltungsgerichtshof hat sich daher nicht mit der Frage der Arzneimitteleigenschaft aufgrund der subjektiven Zweckbestimmung (nach Art und Form des Inverkehrbringens) zu befassen; vielmehr hängt die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides davon ab, ob die Auffassung, dem Produkt kämen objektiv-arzneiliche Wirkungen i.S.d. § 1 Abs. 1 Z. 1-4 AMG zu, in einem mängelfreien Verfahren gewonnen wurde. Dies ist aus folgenden Gründen jedoch nicht der Fall:
Trotz des von der Beschwerdeführerin im Verfahren erhobenen Einwandes, bei einer (der Einnahmeempfehlung entsprechenden) Tagesdosis von 36 mg Vitamin E ließen sich entsprechende Wirkungen nicht erzielen, hat die belangte Behörde allerdings nicht dargelegt, auf welchen Prämissen ihre Erwartung der arzneilichen Wirkung des in Rede stehenden Produktes konkret beruht. Sie hat daher - wie die Beschwerdeführerin zu Recht rügt - eine nachvollziehbare Begründung ihrer Annahme, dem Produkt kämen objektiv-arzneiliche Wirkungen im Sinne des § 1 Abs. 1 Z. 1 AMG zu, unterlassen; ob die Annahme der belangten Behörde zu Recht besteht, kann somit nicht beurteilt werden.
Solcherart erweist sich der angefochtene Bescheid als mit einem wesentlichen Verfahrensmangel belastet, was gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG - ohne auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen - zu seiner Aufhebung zu führen hatte.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Wien, am 7. September 1998
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