VwGH 97/09/0248

VwGH97/09/024817.1.2000

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Blaschek, Dr. Rosenmayr und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Enzlberger, über die Beschwerde des A T in W, vertreten durch Dr. Robert Csokay, Rechtsanwalt in Wien I, Stephansplatz 10, gegen den Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 26. März 1997, Zl. LGSW/Abt. 10/13101/692756/1997, betreffend Feststellung gemäß Art. 6 und Art. 7 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80, zu Recht erkannt:

Normen

ARB1/80 Art7;
AuslBG §1 Abs3;
AVG §13 Abs1;
AVG §56;
AVG §66 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
ARB1/80 Art7;
AuslBG §1 Abs3;
AVG §13 Abs1;
AVG §56;
AVG §66 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Arbeitsmarktservice hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer (ein türkischer Staatsangehöriger) stellte am 30. Oktober 1996 beim Arbeitsmarktservice Bau-Holz Wien den Antrag "auf Ausstellung eines Feststellungsbescheides bzw. eines Befreiungsscheines" mit folgendem Begehren:

"Da Art. 6 bzw. 7 des Zusatzprotokolls vom 23.11.1970 zum Assoziationsabkommen zwischen der EWG und der Türkei vom 12.9.1963 auf mich anwendbar ist beantrage ich im Zusammenhang mit den Entscheidungen des VwGH vom 25.6.1996 - Zl. 96/09/0088 und vom 22.2.1996 - Zl. 95/19/0424 die Feststellung, dass ich vom Geltungsbereich des Ausländerbeschäftigungsgesetzes BGBl. Nr. 218/1975 in der geltenden Fassung ausgenommen bin und in Österreich freien Zugang zu jeder von mir gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis habe."

In seinem Antrag brachte der Beschwerdeführer vor, er sei seit 1973 in Wien wohnhaft, er habe sich in Österreich legal aufgehalten und entsprechende Aufenthaltsbewilligungen erhalten; derzeit besitze er einen unbefristeten Sichtvermerk. Seine Eltern (der Vater seit 1965, die Mutter seit 1970) seien in Österreich beschäftigt. Er sei als Kind dieser türkischen Eltern nach Österreich gekommen, habe die Berufsschule in Österreich besucht und die Lehre als Maurer abgeschlossen.

Mit Bescheid vom 12. Februar 1997 erließ das Arbeitsmarktservice Bau-Holz Wien einen Feststellungsbescheid mit folgendem Spruch:

"Aufgrund des Antrages vom 30.10.1996 wird festgestellt, dass Herr A T, geb.: 1.12.1958, StA: Türkei, die Voraussetzungen gemäß Art. 7 Abs. 1 zweiter Gedankenstrich des Beschlusses 1/1980 des Assoziationsrates vom 19.9.1980 über die Entwicklung der Assoziation nicht erfüllt.

Für die Aufnahme einer unselbstständigen Beschäftigung in Österreich sind Sie nicht vom Ausländerbeschäftigungsgesetz ausgenommen."

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung. Er stellte darin den Antrag, den erstinstanzlichen Bescheid aufzuheben und gemäß seiner Antragstellung den beantragten Feststellungsbescheid auszustellen.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen, vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 26. März 1997 wurde der Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice Bau-Holz Wien vom 12. Februar 1997 gemäß § 66 Abs. 4 AVG und Art. 6 Abs. 1 dritter Gedankenstrich und Art. 7 Abs. 1 zweiter Gedankenstrich des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/1980 keine Folge gegeben und der erstinstanzliche Bescheid bestätigt.

Zur Begründung dieser Entscheidung führte die belangte Behörde u. a. aus, im erstinstanzlichen Bescheid sei nur auf Art. 7 Abs. 1 zweiter Gedankenstrich eingegangen worden. Die Voraussetzungen für die Familienzusammenführung würden nur durch jenen Ehepartner erfüllt, der die Erlaubnis erhalte, zu dem bereits in Österreich befindlichen Ehepartner zu ziehen. Der Beschwerdeführer befinde sich seit 25. April 1973 in Österreich, seine Ehegattin sei seit dem 10. September 1981 in Österreich polizeilich gemeldet. Die Bestimmungen über die Familienzusammenführung seien deshalb auf den Beschwerdeführer nicht anwendbar (die weitere Begründung des Bescheides betrifft Art. 6 des ARB Nr. 1/80).

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Der Beschwerdeführer erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid im Recht auf Feststellung entsprechend seinem Antragsbegehren verletzt. Er beantragt, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 66 Abs. 4 AVG hat die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, außer dem in Abs. 2 erwähnten Fall immer in der Sache selbst zu entscheiden.

"Sache" des Berufungsverfahrens ist die Angelegenheit, die den Inhalt des Bescheides der Unterinstanz gebildet hat. Die den Entscheidungsspielraum der Berufungsbehörde begrenzende "Sache" im Sinn des § 66 Abs. 4 AVG ist nicht jene, welche in erster Instanz in Verhandlung war, sondern die durch den Spruch des erstinstanzlichen Bescheides begrenzt ist (vgl. die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I, 2. Auflage 1998, Seite 1265, E 111 f wiedergegebene hg. Judikatur).

Wie die belangte Behörde in der Begründung ihres Bescheides zutreffend dargelegt hat, wurde im erstinstanzlichen Bescheid ausschließlich über die Voraussetzungen nach Art. 7 Abs. 1 zweiter Gedankenstrich des ARB Nr. 1/80 abgesprochen (ein Abspruch über die Voraussetzungen nach Art. 6 und nach Art. 7 Satz 2 des ARB Nr. 1/80 durch die Behörde erster Instanz ist nicht erfolgt). § 66 Abs. 4 AVG bietet keine Grundlage dafür, unter Umgehung der ersten Instanz aus Anlass einer Berufung in der Berufungsentscheidung selbst über Anträge abzusprechen, die in erster Instanz unerledigt geblieben waren. Soweit die belangte Behörde daher im angefochtenen Bescheid über die Voraussetzungen nach Art. 6 des ARB Nr. 1/80 abgesprochen hat, ist der angefochtene Bescheid in diesem Umfang schon wegen der Überschreitung der "Sache" des vorliegenden Berufungsverfahrens inhaltlich rechtswidrig.

Hinsichtlich der Voraussetzungen nach Art. 7 des ARB Nr. 1/80 hat die belangte Behörde die Rechtslage insoweit verkannt, als die Behörde erster Instanz nicht den vom Beschwerdeführer gestellten Feststellungsantrag "abgelehnt" sondern ohne entsprechenden Antrag negative Feststellungen getroffen hat. Die inhaltlich unveränderte Bestätigung dieses nicht in der "Sache" des Verfahrens ergangenen Bescheidabspruches der Behörde erster Instanz war daher schon aus diesem Grund inhaltlich rechtswidrig (vgl. in dieser Hinsicht auch das hg. Erkenntnis vom 20. Mai 1998, Zl. 96/09/0297). Insoweit die Voraussetzungen nach Art. 7 Abs. 1 zweiter Gedankenstrich des ARB Nr. 1/80 ausschließlich mit der Begründung verneint wurden, die Ehegattin erfülle nicht die Voraussetzungen als Bezugsperson des Beschwerdeführers, hat die belangte Behörde (ebenso wie bereits die Behörde erster Instanz) verkannt, dass der Beschwerdeführer im Antrag seine Eltern (Vater und Mutter) als seine Bezugspersonen für die ihm nach Art. 7 Satz 1 des ARB Nr. 1/80 eingeräumten Rechte bezeichnete. Die zur Ehegattin als Bezugsperson des Beschwerdeführers angestellten Ermittlungen und Feststellungen sind demnach im vorliegenden Fall unerheblich.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm § 41 AMSG und der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 17. Jänner 2000

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