VwGH 96/21/0528

VwGH96/21/052819.5.2000

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Rosenmayr, Dr. Pelant und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über die Beschwerde des am 15. Februar 1967 geborenen A in Wels, vertreten durch Dr. Dietmar Jahnel, Rechtsanwalt in 4600 Wels, Ringstraße 6, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 22. Februar 1996, Zl. St 104/96, betreffend Feststellung gemäß § 54 Abs. 1 Fremdengesetz, zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die vorliegende Beschwerde ist gegen einen im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (der belangten Behörde) vom 22. Februar 1996 gerichtet, mit dem gemäß § 54 Abs. 1 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, festgestellt wurde, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, dass der Beschwerdeführer, ein "palästinensischer Staatsangehöriger", in der libanesischen Republik gemäß § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG bedroht sei, und dass seine Abschiebung in diesen Staat somit zulässig sei.

Der Beschwerdeführer habe seinen Antrag auf Feststellung gemäß § 54 Abs. 1 FrG im Wesentlichen damit begründet, dass er Unteroffizier bei der Hisbollah-Miliz gewesen wäre und dort eine Gruppe von fünf Personen geleitet hätte. Seinen Beruf als Apothekenhelfer, abgeschlossen nach einer dreijährigen Lehrzeit, hätte er acht Monate lang ausgeübt. Er wäre im Süden der libanesischen Republik ständig von militärischen Angriffen durch die südlibanesische Armee und die israelische Armee bedroht gewesen. Die israelische Luftwaffe hätte immer wieder Angriffe gegen mutmaßliche Stellungen palästinensischer Gruppen geflogen. Sie wäre in keiner Weise daran interessiert und auch nicht in der Lage, der palästinensischen Bevölkerungsgruppe im Südlibanon Schutz zu gewähren. Ständig würde es Menschenrechtsverletzungen gegen Angehörige dieser Volksgruppe geben. Im Fall seiner Rückkehr wäre der Beschwerdeführer in der libanesischen Republik möglicherweise mit einer dreijährigen Haftstrafe bedroht.

Der Beschwerdeführer habe in seiner Berufung angegeben, dass die Behauptung der erstinstanzlichen Behörde, er hätte keineswegs eine Ausreiseerlaubnis von den Organen der libanesischen Republik erhalten, wenn die Strafgerichtsorgane der libanesischen Republik tatsächlich ein Verfahren wegen seiner Zugehörigkeit zu einer palästinensischen Armee-Einheit geführt hätten, ins Leere ginge, weil das Hauptanliegen der libanesischen Regierung das "Aus dem Verkehr ziehen" von politischen Gegnern an sich wäre. Daher wäre es für die libanesischen Behörden nicht von Bedeutung, ob der Beschwerdeführer ausreiste oder einer mehrjährigen Haftstrafe zugeführt würde. Im Fall seiner zwangsweisen Rückkehr in den Libanon wäre er wieder von der Gefahr einer unmenschlichen Haftstrafe bedroht. Dies würde sich nicht nur auf die Dauer von drei Jahren beziehen, sondern auf die unzureichende hygienische, medizinische und humanitäre Versorgung in den Haftanstalten. Der Beschwerdeführer habe abermals betont, im Libanon als palästinensischer Staatsangehöriger einer individuellen Verfolgung durch die South Libanon Armee und die israelische Armee ausgesetzt zu sein. Dabei handelte es sich nicht um eine Verfolgung im Rahmen des allgemeinen Bürgerkriegszustandes in dieser Region, sondern um gezielte Angriffe gegen die Stützpunkte der Hisbollah-Miliz, die als nationalistisch motivierte Angriffe zu werten wären.

Die Abweisung des Antrages des Beschwerdeführers begründete die belangte Behörde damit, dass der Beschwerdeführer keine individuell gegen ihn gerichtete Verfolgungshandlung geltend mache, wenn er anführe, Angehörige der palästinensischen Befreiungsarmee wären von militärischen Angriffen sowohl der südlibanesischen als auch der israelischen Armee bedroht, selbst wenn man seinem Vorbringen Glauben schenkte. Anzuführen sei allerdings, dass das gesamte Vorbringen des Beschwerdeführers in keiner Weise dokumentiert sei.

Militärische Angriffe beträfen die Bevölkerung eines Landes in gleichem Maß; es könne daraus noch nicht abgeleitet werden, dass der Beschwerdeführer konkret ihm drohenden Verfolgungen ausgesetzt wäre. Im Übrigen sei aus seinem Vorbringen weder ableitbar, dass diese Verfolgungen, sollten sie tatsächlich gegeben sein, aus den in § 37 Abs. 2 FrG genannten Gründen erfolgten, noch, dass sie vom libanesischen Staat ausgingen. Im Gegenteil, der libanesische Staat habe den Beschwerdeführer sogar mit einer Ausreisebewilligung ausreisen lassen.

Wenn der Beschwerdeführer anführe, er wäre einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe ausgesetzt, weil er bei seiner allfälligen Rückkehr in den Libanon eine dreijährige Haftstrafe zu befürchten hätte, so sei sein Vorbringen zu unbestimmt und nur auf bloßen Vermutungen aufgebaut, als dass die von ihm bezeichneten Gefahren ersehen werden könnten. Zum anderen sei eine Unmenschlichkeit nicht zu ersehen, wenn Mitglieder einer gegen die Staatsinteressen gerichteten Gruppierung einer zeitlich limitierten Haftstrafe ausgesetzt sein sollten.

Das Bundesasylamt habe mit Bescheid vom 13. Februar 1996 festgestellt, dass dem Beschwerdeführer die Flüchtlingseigenschaft nicht zukomme, und dass er in seinem Heimatland vor Verfolgung im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention sicher sei. Der Begriff des Flüchtlings decke sich mit den Verfolgungsgründen nach § 37 Abs. 2 FrG; es könne daher davon ausgegangen werden, dass diese Verfolgungsgründe nicht vorlägen. Im darauf folgenden fremdenpolizeilichen Verfahren habe der Beschwerdeführer kaum neue Tatsachen vorgebracht, was seine Fluchtgründe anlange. Der Behörde sei es auf Grund des in § 46 AVG verankerten Grundsatzes der Unbeschränktheit der Beweismittel nicht verwehrt, die Ergebnisse des Asylverfahrens zu berücksichtigen. Im Hinblick darauf, dass im Asylverfahren die Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung zu prüfen sei, und § 37 Abs. 2 FrG auf die Bedrohung von Leben und Freiheit des Fremden aus denselben Gründen abstelle, sei die Berücksichtigung der Ergebnisse des Asylverfahrens nicht unzulässig, ja vielmehr nahe liegend.

In der Beschwerde wird die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften beantragt.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Verfahren gemäß § 54 Abs. 1 FrG ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vom Antragsteller mit konkreten, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerten Angaben das Bestehen einer aktuellen, also im Fall seiner Abschiebung in den im Antrag genannten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abwendbaren Bedrohung im Sinn des § 37 Abs. 1 oder 2 FrG glaubhaft zu machen und von der Behörde das Vorliegen konkreter Gefahren für jeden einzelnen Fremden für sich zu prüfen. Ebenso wie im Asylverfahren ist auch bei der Beurteilung des Vorliegens einer Gefahr gemäß § 37 Abs. 1 und 2 FrG im Verfahren gemäß § 54 FrG die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Antragstellers in diesen Staat zu beurteilen. Für diese Beurteilung ist nicht unmaßgeblich, ob etwa allenfalls gehäufte Verstöße der in § 37 Abs. 1 FrG umschriebenen Art durch den genannten Staat bekannt geworden sind. (Vgl. etwa das Erkenntnis vom 7. April 2000, Zl. 96/21/0312, mwN.)

Der Verwaltungsgerichtshof hat weiters ausgesprochen, dass im Rahmen eines Antrages gemäß § 54 FrG beachtlich wäre, wenn eine in einem Land gegebene Bürgerkriegssituation dazu führt, dass keine ausreichend funktionierende Ordnungsmacht mehr vorhanden und damit zu rechnen ist, dass ein dorthin abgeschobener Fremder - auch ohne Zugehörigkeit zu einer bestimmten Bürgerkriegspartei oder verfolgten Bevölkerungsgruppe - mit erheblicher Wahrscheinlichkeit der im § 37 Abs. 1 umschriebenen Gefahr (im gesamten Staatsgebiet) unmittelbar ausgesetzt würde. Dies wäre insbesondere dann der Fall, wenn auf Grund der bewaffneten Auseinandersetzungen eine derart extreme Gefahrenlage besteht, dass praktisch jedem, der in diesen Staat abgeschoben wird, Gefahren für Leib und Leben in einem Maß drohen, dass die Abschiebung im Licht des Art. 3 EMRK unzulässig erschiene. Dies ergebe sich schon daraus, dass der Abs. 1 des § 37 FrG der Konkretisierung des durch Art. 3 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes diene. Ansatzpunkt im Sinn des Art. 3 EMRK sei die konkrete Gefahr für den Fremden, in dem Land, in das er abgeschoben werden soll, Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden. (Vgl. auch dazu das Erkenntnis Zl. 96/21/0312, m.w.N.)

Der Beschwerdeführer hält den angefochtenen Bescheid im Wesentlichen deswegen für rechtswidrig, weil er im Fall seiner Abschiebung in den Libanon der Gefahr einer unmenschlichen Haftstrafe ausgesetzt wäre; außerdem wäre er im Libanon als palästinensischer Staatsangehöriger einer invididuellen Verfolgung durch die South Libanon Armee und die israelische Armee ausgesetzt, und zwar wegen gezielter Angriffe gegen die Hisbollah-Miliz, die als nationalistisch motivierte Angriffe zu werten seien. Die belangte Behörde habe es unterlassen, bezüglich seines Vorbringens und seiner Angaben irgendeine Ermittlungstätigkeit durchzuführen.

Damit behauptet der Beschwerdeführer nicht das Bestehen einer oben dargestellten Bürgerkriegs- bzw. Kriegssituation. Auf seine bloße Zugehörigkeit zur palästinensischen Volksgruppe oder auf seinen Wohnsitz im Südlibanon kann er die von ihm behauptete Gefahr im Sinn der angeführten Rechtsprechung daher nicht stützen.

Wenn die belangte Behörde auch anführt, dass das "gesamte Vorbringen" des Beschwerdeführers "in keiner Weise dokumentiert" sei, so geht sie aber doch davon aus, dass er Angehöriger der "palästinensischen Befreiungsarmee" sei. Sie hat das Vorbringen des Beschwerdeführers, er habe im Fall seiner Rückkehr in den Libanon mit einer dreijährigen Haftstrafe zu rechnen und ihm drohe dabei eine unmenschliche Behandlung oder Strafe, als zu unbestimmt und nur auf bloßen Vermutungen aufgebaut gewertet. Zwar hat sich die belangte Behörde mit dem Hinweis des Beschwerdeführers auf das Bestehen von Gefahren für ihn nicht bloß als einen Angehörigen der palästinensischen Volksgruppe, sondern wegen seiner Mitgliedschaft und Unteroffiziers-Funktion bei der Hisbollah-Miliz und mit dem von ihm ins Treffen geführten Amnesty International-Jahresbericht 1995, S 349 ff, nicht näher befasst, wonach sich - wie in den Vorjahren - auch im Jahr 1994 ständig mehr als 200 Personen im Gewahrsam der South Libanon Army - SLA befunden hätten, die ohne Rechtsgrundlage innerhalb der "Sicherheitszone" in einem näher genannten Haftzentrum festgehalten würden und weder zu ihren Familien noch zum internationalen Komitee vom Roten Kreuz Kontakt aufnehmen dürften; bei den meisten handle es sich um vermeintliche Mitglieder bewaffneter Gruppen, die gegen die israelische Präsenz im Libanon opponierten; viele von ihnen seien vermutlich während der Verhöre Folterungen ausgesetzt gewesen, und es seien mindestens zwei Personen Berichten zufolge kurz nach ihrer Entlassung aus diesem Haftzentrum gestorben, wobei die dort herrschenden harten Bedingungen und der Mangel an medizinischer Versorgung möglicherweise für ihren Tod mit ursächlich wären. Der Beschwerdeführer hat jedoch - neben seiner ehemaligen Zugehörigkeit zur Hisbollah-Miliz - keine Umstände angeführt, aus denen zu ersehen wäre, dass gerade er im Fall seiner Abschiebung in den Libanon einer solchen Behandlung ausgesetzt wäre. Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt aber nicht, um die Abschiebung des Fremden unter dem Gesichtspunkt des § 37 FrG als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete (stichhaltige) Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 16. Dezember 1999, Zl. 97/21/0396). Daher führt die Auffassung der belangten Behörde, der Beschwerdeführer habe deswegen keine stichhaltigen Gründe für eine Gefährdung oder Bedrohung im Sinn des § 37 Abs. 1 oder 2 FrG aufgezeigt, weil aus seinem Vorbringen nicht ableitbar sei, dass die ihm drohenden Verfolgungen vom libanesischen Staat ausgingen und - im Gegenteil - der libanesische Staat den Beschwerdeführer sogar mit eine Ausreisebewilligung habe ausreisen lassen, mit der verkannt wird, dass eine Verfolgung nicht "vom Staat ausgehen" muss, um in den Anwendungsbereich des § 37 Abs. 2 FrG zu fallen, sondern es ausreicht, wenn die staatlichen Organe nicht Willens oder nicht in der Lage sind, die dem Betreffenden drohende Verfolgung abzuwenden (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 9. September 1999, Zl. 95/21/1034, m.w.N.), nicht zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides.

Die belangte Behörde hat auch gegen die vom Beschwerdeführer vorgebrachte Gefahr der Verhängung einer dreijährigen Haftstrafe wegen der Zugehörigkeit zu einer palästinensischen Armeeeinheit auf eine im Blick auf die dem Verwaltungsgerichtshof aufgetragenen Schlüssigkeitskontrolle (vgl. das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053) genügende und schlüssige Weise dargelegt, dass das Risiko einer solchen Haftstrafe angesichts der dem Beschwerdeführer vom libanesischen Staat unbestritten erteilten Ausreisebewilligung zu verneinen sei.

Nach dem Gesagten war - weil dem angefochtenen Bescheid die behauptete Rechtswidrigkeit nicht anhaftet - der Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 19. Mai 2000

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