VwGH 96/19/2048

VwGH96/19/204812.12.1997

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Zens,

Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Winkler, über die Beschwerde der 1977 geborenen I I in L, vertreten durch Dr. Wilfried Ludwig Weh, Rechtsanwalt in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 20. Mai 1996, Zl. 118.773/2-III/11/96, betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:

Normen

ABGB §696;
ARB1/80 Art6;
AufG 1992 §1 Abs1;
AufG 1992 §6 Abs1;
AufG 1992 §6 Abs4;
AVG §13 Abs1;
AVG §56;
AVG §6 Abs1;
AVG §63 Abs1;
AVG §63 Abs3;
AVG §66 Abs4;
AVG §69 Abs1;
FrG 1993 §15;
FrG 1993 §65;
VwGG §42 Abs2 Z2;
VwRallg;
ABGB §696;
ARB1/80 Art6;
AufG 1992 §1 Abs1;
AufG 1992 §6 Abs1;
AufG 1992 §6 Abs4;
AVG §13 Abs1;
AVG §56;
AVG §6 Abs1;
AVG §63 Abs1;
AVG §63 Abs3;
AVG §66 Abs4;
AVG §69 Abs1;
FrG 1993 §15;
FrG 1993 §65;
VwGG §42 Abs2 Z2;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesministerium für Inneres) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin richtete am 15. September 1995 ein Schreiben an die Bezirkshauptmannschaft Bregenz, in dem dargelegt wird, daß der Ehemann der Beschwerdeführerin seit mehr als fünf Jahren in Österreich lebe und arbeite und nach Art. 6 des Beschlusses Nr. 1/80 des aufgrund des Assoziationsabkommens zwischen der EWG und der Türkei eingerichteten Assoziationsrates in den österreichischen Arbeitsmarkt integriert sei. Seine Ehefrau sei im Besitz eines "Schengen-Visums", ausgestellt am 14. September 1995 von der "Visastelle Bregenz". Sie sei weiter im Besitz eines Touristenvisums der Republik Österreich, ausgestellt vom Generalkonsulat in Zürich am 16. Juni 1995, gültig bis 15. September 1995. Nach Art. 6 und 7 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 iVm dem Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei sei die Beschwerdeführerin demnach in Österreich aufenthaltsberechtigt. Es werde "daher beantragt, festzustellen, daß sie in Österreich aufenthaltsberechtigt ist; in eventu, ihr eine gebührenfreie Aufenthaltsberechtigung nach dem Assoziations-Abkommen, dem EWG-Vertrag, dem EWR-Vertrag, dem EU-Beitrittsvertrag und dem Fremdengesetz zu erteilen".

Die Bezirkshauptmannschaft Bregenz erließ am 17. Jänner 1996 - namens des Landeshauptmannes von Vorarlberg (§ 6 Abs. 4 des Aufenthaltsgesetzes (AufG)) - einen Bescheid, dessen Kopf und Spruch wie folgt lauten:

"Herr Dr. Wilfried Ludwig Weh hat am 15.09.1995 für Frau Isci Ismihan, geb. am 29.08.1977, bei der Bezirkshauptmannschaft Bregenz einen Antrag auf Erteilung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz eingebracht. Über diesen Antrag ergeht auf Grund der Verordnung des Landeshauptmannes, LGBl. Nr. 32/1993, folgender

S p r u c h

gemäß §§ 1, 3, 4, 5 und 6 des Aufenthaltsgesetzes, BGBl. Nr. 466/92, in der geltenden Fassung, i.V.m. § 10 Abs. 1 Z. 4 des Fremdengesetzes, BGBl. Nr. 838/92 in der geltenden Fassung wird der Antrag abgewiesen."

Begründend führte die Behörde erster Instanz aus, es hätten keine Umstände festgestellt werden können, die eine Ausnahme im Sinne des § 1 Abs. 3 des AufG begründeten, die Antragstellerin benötige daher eine Bewilligung nach dem AufG. Wie sowohl die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg als auch der unabhängige Verwaltungssenat des Bundeslandes Vorarlberg und das Bundesministerium für Inneres in Berufungsentscheidungen nach dem Fremdengesetz vermehrt ausgesprochen hätten, könne das Assoziationsabkommen zwischen der Türkei und der EWG nicht dahingehend ausgelegt werden, daß türkische Staatsangehörige, bei denen der Ehegatte oder die Eltern unter die Bestimmungen des Assoziationsabkommens fielen, automatisch in Österreich aufenthaltsberechtigt seien. Türkische Staatsbürger unterlägen nach der Rechtsansicht der Behörde nach wie vor den Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes, weshalb der Antrag vom 15. September 1995 als Antrag auf Erteilung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz gewertet werde. Dieser Antrag sei jedoch abzuweisen, da der Sichtvermerksversagungsgrund nach § 10 Abs. 1 Z. 4 des Fremdengesetzes erfüllt sei und die Beschwerdeführerin ihren Antrag überdies nicht vor der Einreise nach Österreich vom Ausland aus gestellt habe.

In ihrer dagegen erhobenen Berufung stellte die Beschwerdeführerin den Antrag, die Berufungsbehörde möge den angefochtenen Bescheid dahingehend abändern, daß ausgesprochen werde, daß sie nach Europarecht aufenthaltsberechtigt sei, allenfalls dahingehend abzuändern, daß die europarechtliche Aufenthaltsberechtigung nach dem Assoziationsratsbeschluß Nr. 1/80 erteilt werde.

Die Berufung wurde mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 20. Mai 1996, zugestellt am 3. Juni 1996, "gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 5 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes und § 10 Abs. 1 Z. 4 und Z. 6 des Fremdengesetzes sowie § 6 Abs. 2 AufG abgewiesen". In der Begründung führte der Bundesminister für Inneres aus, unbeschadet des Berufungsvorbringens der Beschwerdeführerin sei für die Beurteilung ihres Antrages wesentlich, daß § 5 AufG die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung ausschließe, wenn ein Sichtvermerksversagungsgrund im Sinne des Fremdengesetzes vorliege. Es stehe fest, daß die Beschwerdeführerin mit einem bis zum 15. September 1995 gültigen Touristensichtvermerk eingereist sei und ihren damit begonnenen Aufenthalt mit dem vorliegenden Antrag auf Aufenthaltsbewilligung habe verlängern wollen. Sie sei weiters seit 22. Juni 1995 bis dato in der Gemeinde Lochau mit ordentlichem Wohnsitz aufrecht gemeldet und auch aufhältig. Da sie sich sohin entgegen § 15 FrG unerlaubt und ohne jegliche Aufenthaltsberechtigung im österreichischen Bundesgebiet aufhalte, stelle dies eine Gefährdung für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit dar, da ihr Verhalten durchaus auch auf andere Fremde Beispielswirkung haben könne.

§ 10 Abs. 1 Z. 4 und Z. 6 FrG finde in § 5 Abs. 1 AufG direkte Anwendung. Zudem sei der Erstantrag der Beschwerdeführerin vom Ausland aus einzubringen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden. Die Beschwerdeführerin erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in ihren Rechten auf Anerkennung ihrer europarechtlichen Aufenthaltsberechtigung, auf Feststellung der Aufenthaltsberechtigung, auf Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung, auf ordnungsgemäße Tatsachenfeststellung sowie auf ordnungsgemäße Bescheidbegründung verletzt.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte, die Beschwerde kostenpflichtig als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

Wie sich aus der Formulierung des Antrages der Beschwerdeführerin vom 15. September 1995 ergibt, beantragte sie bei der Bezirkshauptmannschaft Bregenz die Feststellung, daß sie in Österreich aufenthaltsberechtigt sei, in eventu aber, ihr eine gebührenfreie Aufenthaltsberechtigung nach dem Assoziationsabkommen, dem EWG-Vertrag, dem EWR-Vertrag, dem EU-Beitrittsvertrag und dem Fremdengesetz zu erteilen. Ein solcher Eventualantrag ist im Verwaltungsverfahren zulässig. Die Besonderheit eines solchen Antrages liegt darin, daß er unter der aufschiebenden Bedingung gestellt wird, daß der Primärantrag erfolglos bleibt. Wird bereits dem Primärantrag stattgegeben, so wird der Eventualantrag gegenstandslos. Wird hingegen ein Eventualantrag vor dem Eintritt des Eventualfalles erledigt, belastet dies die Erledigung mit Rechtswidigkeit infolge Unzuständigkeit (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 20. Februar 1990, Zl. 89/01/0114, und vom 12. September 1997, Zl. 96/19/1468).

Die Behörde erster Instanz hatte daher im vorliegenden Fall zunächst über den Primärantrag der Beschwerdeführerin auf Feststellung, daß sie in Österreich aufenthaltsberechtigt ist, - allenfalls nach Klärung des Inhaltes eines solchen Antrages - abzusprechen. Erst im Falle der rechtskräftigen Nichtstattgebung hätte sie über den von ihr als Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gedeuteten Eventualantrag zu erkennen gehabt.

Der Primärantrag der Beschwerdeführerin stellte nach seinem Wortlaut zweifellos keinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung dar. Indem die Behörde erster Instanz dennoch ohne das Vorliegen eines darauf gerichteten Antrages über einen vermeintlichen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung entschied, belastete sie ihre Erledigung mit Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit.

"Sache" des Berufungsverfahrens war bei dem im vorliegenden Fall klar auf den Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung (einer Bewilligung nach dem AufG) begrenzten Abspruch der Behörde erster Instanz nur dieser Abspruch (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. Oktober 1978, Zl. 1032/77, in dem in Slg. Nr. 9673/A nicht veröffentlichten Teil, sowie das hg. Erkenntnis vom 12. September 1997, Zl. 96/19/1468). Die belangte Behörde war daher ungeachtet des Berufungshauptantrages, festzustellen, daß die Beschwerdeführerin nach Europarecht aufenthaltsberechtigt sei, nicht zuständig, über ein solches, vom erstinstanzlichen Abspruch nicht umfaßtes Begehren zu entscheiden. Der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung, über den die Behörde erster Instanz entschieden hat, stellt nämlich gegenüber einer (im Berufungsverfahren erfolgten) Geltendmachung eines Feststellungsanspruches kein Mehrbegehren, sondern ein "aliud" dar (vgl. das bereits zitierte hg. Erkenntnis vom 12. September 1997; zur grundsätzlichen Zulässigkeit einer meritorischen Entscheidung über eine Berufung, bei der sich lediglich der Eventualberufungsantrag im Rahmen der "Sache" der Behörde erster Instanz bewegt, vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. Oktober 1997, Zl. 95/19/1472; letzteres ist hier der Fall, weil der Eventualberufungsantrag, wonach der Beschwerdeführerin die europarechtliche Aufenthaltsberechtigung nach dem Assoziationsratsbeschluß Nr. 1/80 erteilt werden möge, schon wegen des Umstandes, daß die Beschwerdeführerin Ehefrau eines türkischen Staatsangehörigen sei, der nach Art. 6 des zitierten Assoziatsratsbeschlusses aufenthaltsberechtigt sei, das Begehren auf Erteilung einer Bewilligung gemäß § 1 Abs. 1 AufG miteinschließt). Die belangte Behörde wäre daher verpflichtet gewesen, von Amts wegen die aufgezeigte Unzuständigkeit der Behörde erster Instanz zur Erledigung des Antrages auf Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung (Aufenthaltsbewilligung) aufzugreifen und den erstinstanzlichen Bescheid ersatzlos aufzuheben. Indem sie dies als hiefür zuständige Berufungsbehörde unterließ, belastete sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Hiedurch verletzte sie das Recht der Beschwerdeführerin auf Einhaltung der Zuständigkeitsordnung. Diese Verletzung der Behördenzuständigkeit war vom Verwaltungsgerichtshof ungeachtet einer Möglichkeit der Verletzung sonstiger subjektiv-öffentlicher Rechte von Amts wegen wahrzunehmen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 23. Februar 1996, Zl. 93/17/0200, sowie vom 12. September 1997, Zl. 96/19/1468). Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits im zuletzt erwähnten Erkenntnis ausgeführt hat, wäre für die Entscheidung über einen Antrag auf Feststellung, ein Fremder halte sich rechtmäßig im Bundesgebiet auf, die nach dem Fremdengesetz zuständige Behörde, für eine Entscheidung über einen Antrag auf Feststellung, er sei zur Begründung eines Hauptwohnsitzes berechtigt, jedoch die Aufenthaltsbehörde zuständig.

Aus den genannten Erwägungen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

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