VwGH 96/18/0184

VwGH96/18/01849.2.1999

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Bayjones und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hofbauer, über die Beschwerde des Y D, (geb. 10.4.1938), in Wien, vertreten durch Dr. Alexander Grohmann, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Laurenzerberg 2, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 10. November 1995, Zl. SD 1250/95, betreffend Feststellung gemäß § 54 Abs. 1 des Fremdengesetzes, zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 10. November 1995 wurde gemäß § 54 Abs. 1 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, festgestellt, daß keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, daß der Beschwerdeführer in Mauretanien gemäß § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG bedroht sei.

Der Beschwerdeführer habe seinen Antrag damit begründet, daß Angehörige der arabischen Volksgruppe in sein Heimatdorf gekommen wären und Leute, die wie er schwarzer Hautfarbe gewesen wären, umgebracht und die übrigen Dorfbewohner, so wie ihn, vertrieben und ihr Eigentum (Vieh) geraubt hätten. Dies wäre die Politik der mauritanischen Araber und es wären auch Soldaten, Militärs und Polizisten von arabischer Seite daran beteiligt gewesen. Er wäre daraufhin per LKW zur Küste gereist und von dort mit einem europäischen Schiff nach Italien gelangt. Ein Besatzungsmitglied hätte alles für ihn, einschließlich der Grenzübertritte bis zur Einreise nach Österreich, organisiert. Im übrigen habe der Beschwerdeführer diesbezüglich auf den Asylakt verwiesen. Sein Asylantrag sei rechtskräftig abgelehnt, einer Beschwerde dagegen jedoch die aufschiebende Wirkung zuerkannt worden.

Nicht unbeachtlich sei es, daß der Beschwerdeführer, wie aus dem Asylbescheid zweiter Instanz vom 7. Februar 1995 hervorgehe, trotz mehrmaliger Wiederholung der Frage, wie der Überfall auf sein Dorf abgelaufen wäre, nicht mehr in der Lage gewesen sei, diesen angeblichen Fall auch nur einigermaßen detailliert zu schildern. Was die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers anlange, so sei auch nicht unbeachtlich, daß er im Asylverfahren etwa auf die Frage, warum er nicht zu seiner Familie nach Mali gegangen wäre, geantwortet hätte, er hätte dazu Geld benötigt, und auf den Vorhalt, daß er genügend Geld gehabt hätte, um mit Hilfe eines Schleppers bis nach Österreich zu gelangen, darauf keine Antwort zu geben vermocht hätte.

Ob man nun die Darstellung des Beschwerdeführers hinsichtlich des Überfalls glauben möge oder nicht, er habe jedenfalls damit nicht stichhaltig darlegen können, daß seine Freiheit oder sein Leben in Mauretanien konkret und aktuell durch staatliche oder staatlich geduldete Maßnahmen aus den in der Konvention genannten Gründen (Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe) bedroht wäre oder daß ihm sonst konkret und aktuell eine unmenschliche Behandlung drohen würde.

Bei dieser Sachlage sei auf die allgemeine Lage in Mauretanien nicht mehr einzugehen und der Berufung keine Folge zu geben gewesen.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Fremde im Rahmen eines Feststellungsverfahrens nach § 54 FrG das Bestehen einer aktuellen, also im Fall der Abschiebung des Fremden in den von seinem Antrag erfaßten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten Bedrohung im Sinn des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 15. Oktober 1998, Zl. 95/18/1094, mwH).

Drohende Behandlungen oder Verfolgungen gemäß § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG von bestimmten Bevölkerungsgruppen durch andere sind den Fällen der vom Staat ausgehenden oder von ihm gebilligten Bedrohung gleichzustellen, wenn der betreffende Staat infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht in der Lage ist, eine solche drohende Behandlung oder Verfolgung zu verhindern (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 11. Juni 1997, Zl. 95/21/0908, mwH).

Hiebei reicht allerdings der bloße Hinweis auf die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Volksgruppe in seinem Heimatstaat nicht aus, um eine den Fremden individuell betreffende aktuelle Bedrohungssituation darzutun (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 9. April 1997, Zl. 95/18/0381).

Ebenso wie im Asylverfahren ist auch bei der Beurteilung des Vorliegens einer Gefahr gemäß § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG im Verfahren nach § 54 FrG die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Antragstellers in diesen Staat zu beurteilen. Für diese Beurteilung ist es nicht unmaßgeblich, ob allenfalls gehäufte Verstöße der im § 37 Abs. 1 FrG umschriebenen Art durch den genannten Staat bekannt geworden sind. (Vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 18. Dezember 1998, Zl. 97/21/0515).

2. Der Beschwerdeführer führt gegen den angefochtenen Bescheid ins Treffen, die belangte Behörde habe sich mit seinem Vorbringen im Verwaltungsverfahren nicht hinreichend auseinandergesetzt, den maßgeblichen Sachverhalt nicht ausreichend festgestellt und den angefochtenen Bescheid nicht ordnungsgemäß begründet.

Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg. Der Beschwerdeführer hat in seinem Schreiben vom 26. Mai 1995, Aktenblatt 30 ff, den Hergang eines (von ihm behaupteten) Überfalls von "Polizisten, Gendarmen, Arabern, Soldaten" auf sein Heimatdorf vom 30. Oktober 1994 näher dargestellt und dabei unter anderem angegeben, daß er sich zum Zeitpunkt des Überfalls gerade in seinem Haus im Süden des Dorfes aufgehalten habe und von dort aus geflüchtet sei. Diese Darstellung hat der Beschwerdeführer - in Ansehung der Ergebnisse des Asylverfahrens - in seinem Schreiben vom 10. Juli 1995, Aktenblatt 69 ff, noch ergänzt. Mit diesem, sich hinsichtlich der behaupteten Bedrohungenssituation nicht auf einen bloßen Hinweis auf die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Volksgruppe beschränkenden, Vorbringen hat sich die belangte Behörde nicht auseinandergesetzt und insbesondere auch offen gelassen, welchen Sachverhalt sie insoweit als erwiesen angenommen hat. Sie hat dadurch den angefochtenen Bescheid - im Lichte der unter II.1 dargestellten hg. Judikatur - mit wesentlichen Verfahrensmängeln belastet, kann doch nicht ausgeschlossen werden, daß die Behörde bei einem Unterbleiben dieser Versäumnisse zu einem anderen, für den Beschwerdeführer günstigen, Ergebnis gekommen wäre.

3. Im Hinblick darauf war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG sowie - aufgrund der sich aus der mangelhaften Sachverhaltsfeststellung ergebenden unzureichenden Begründung - gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c leg. cit. wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

4. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren war abzuweisen, da nach § 48 Abs. 1 Z. 2 VwGG iVm Art. I A Z. 1 der genannten Verordnung und eine gesonderte Vergütung von Umsatzsteuer neben dem Ersatz des pauschalierten Schriftsatzaufwandes nicht vorgesehen ist.

Wien, am 9. Februar 1999

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