VwGH 96/15/0148

VwGH96/15/014819.11.1998

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Mizner, Dr. Sulyok, Dr. Fuchs und Dr. Zorn als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Zeller, über die Beschwerde des H in K, vertreten durch Dr. Gerhard Folk und Dr. Gert Folk, Rechtsanwälte in 8605 Kapfenberg, Lindenplatz 4a, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Steiermark (Berufungssenat) vom 5. Juni 1996, Zl. B-M3-9/95, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Einkommensteuer für das Jahr 1985 und Einkommensteuer für das Jahr 1985, zu Recht erkannt:

Normen

BAO §303 Abs1 litb;
BAO §303 Abs4;
BAO §304;
B-VG Art7 Abs1;
EStG 1972 §27;
VwRallg;
BAO §303 Abs1 litb;
BAO §303 Abs4;
BAO §304;
B-VG Art7 Abs1;
EStG 1972 §27;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer (ein Steuerberater) erwarb im Jahr 1985 eine stille Beteiligung von S 500.000,-- an der P-AG. Aus dieser Beteiligung erklärte er für das Jahr 1985 negative Einkünfte aus Kapitalvermögen von S 500.000,--. Das Finanzamt stellte die Einkünfte des Beschwerdeführers für das Jahr 1985 mit Bescheid vom 29. September 1986 vorläufig, mit Bescheid vom 4. September 1988 endgültig der Erklärung des Beschwerdeführers gemäß fest. Mit Bescheid vom 18. November 1992 nahm das Finanzamt gemäß § 303 Abs. 4 BAO das Verfahren betreffend die Feststellung der Einkünfte und die Festsetzung der Einkommensteuer für das Jahr 1985 mit der Begründung wieder auf, daß eine (nicht beschwerdegegenständliche) Verlustbeteiligung des Beschwerdeführers nicht anerkannt werde, und setzte die Einkommensteuer für das Jahr 1985 neu fest. Am 25. Oktober 1994 hielt das Finanzamt dem Beschwerdeführer vor, durch die steuerliche Nichtanerkennung ihrer Umwandlung in eine Personengesellschaft sei die P-AG mit 31. März 1988 beendet worden. Um beurteilen zu können, ob es sich bei den Verlustzuweisungen der P-AG an den Beschwerdeführer um Einkünfte aus Kapitalvermögen oder um Liebhaberei handle, möge der Beschwerdeführer Beteiligungsangebot, Ausgabeprospekt, sonstigen mit dem Erwerb der Beteiligung in Zusammenhang stehenden Schriftverkehr, die Beitrittserklärung, aus der Höhe und Zeitpunkt des Beteiligungserwerbes hervorgehen, den Kreditvertrag und den Nachweis des Zinsenaufwandes vorlegen. Der Beschwerdeführer antwortete, die Beteiligung sei im Zuge der Betriebsprüfung für 1985 geprüft worden. Die Einkünfte seien auf Grund einer Betriebsprüfung vorläufig und sodann im Jahre 1988 endgültig festgestellt worden. Die Bescheide seien rechtskräftig. Es gebe daher keine Rechtsgrundlage für den Vorhalt.

Mit Bescheid vom 16. Februar 1995 nahm das Finanzamt das Verfahren betreffend die Einkommensteuer für das Jahr 1985 gemäß § 303 Abs. 4 BAO wieder auf und erließ einen neuen Sachbescheid. Begründend wurde nach Wiedergabe des Verfahrensganges unter anderem dargelegt, dem Finanzamt sei erst durch die Kontrollmitteilung vom 10. Oktober 1994 bekannt geworden, daß der Beschwerdeführer die Beteiligung nach rund zweieinhalb Jahren ohne Erzielung eines Gesamtüberschusses veräußert habe. Dies sei nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes als Tatsache anzusehen, die zur Wiederaufnahme berechtige. Durch die Veräußerung der Beteiligung im Jahre 1988 habe sich der Beschwerdeführer der Möglichkeit begeben, einen Gesamtüberschuß zu erzielen. Es liege Liebhaberei vor, wenn bei einer zeitlich begrenzten echten stillen Beteiligung ohne den steuerfreien Erlös aus der Veräußerung kein Gesamtüberschuß zu erwarten sei. Der Beschwerdeführer habe in der Zeit der Beteiligung keinen totalen Überschuß erzielt; die Beteiligung an der P-AG könne daher nicht als Einkunftsquelle angesehen werden. Der im Jahr 1986 vorgenommenen Betriebsprüfung habe die Tatsache der Veräußerung der Beteiligung im Jahre 1988 nicht bekannt sein können. Es seien daher Tatsachen neu hervorgekommen, die Wiederaufnahmsgründe darstellten.

Der Beschwerdeführer erhob Berufung gegen den Wiederaufnahms- und Sachbescheid. Er brachte insbesondere vor, im Zug einer im März/April 1993 durchgeführten, die Jahre 1990 bis 1992 betreffenden Betriebsprüfung habe er dem Prüfer mitgeteilt, daß die Beteiligung bereits seit 1988 nicht mehr bestehe. Dies ergebe sich auch aus der Vermögensteuererklärung zum 1. Jänner 1989, in der kein sonstiges Vermögen angeführt sei. Im übrigen stelle der Wegfall der Ungewißheit über das Vorliegen einer Einkunftsquelle allein keinen Wiederaufnahmsgrund dar. Die rechtliche Beurteilung einer Tätigkeit als Liebhaberei sei weder Tatsache noch Beweismittel im Sinne des § 303 BAO. Es sei denkunmöglich, eine im Jahr 1988 eingetretene Tatsache als Wiederaufnahmegrund für die Veranlagungen der Jahre 1985 bis 1987 heranzuziehen.

Nach Ergehen einer abweisenden Berufungsvorentscheidung brachte der Beschwerdeführer im Antrag auf Entscheidung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz weiters vor, es käme durch die Wiederaufnahme zu einer ungerechtfertigten Besserstellung jener Steuerpflichtigen, bei denen die endgültige Veranlagung vor 1989 erfolgt sei.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab. Begründend wurde nach Darlegung des Verfahrensganges und der Rechtslage die Auffassung vertreten, eine der Voraussetzungen für die steuerliche Anerkennung einer Verlustbeteiligung sei unter anderem das Bestehen einer mit bestimmten Eigenschaften ausgestatteten Verlustbeteiligungsgesellschaft. Das Bestehen und die Erfüllung der Voraussetzungen der Gesellschaft sei den sachverhaltsbezogenen Umständen zuzurechnen. Änderten sich diese Umstände beispielsweise dadurch, daß die Verlustbeteiligungsgesellschaft in eine nicht beteiligungsfähige Gesellschaft umgewandelt werde, so betreffe dies nicht die rechtliche Würdigung, sondern einen sachverhaltsbezogenen Umstand. Die Behauptung des Beschwerdeführers, er hätte von der Beendigung der Beteiligung im Zusammenhang mit der die Vermögensteuer zum 1. Jänner 1989 betreffenden Erhebung im Zuge der Betriebsprüfung über die Jahre 1990 bis 1992 Mitteilung gemacht, könne in den Akten nicht nachvollzogen werden. Gegen die Richtigkeit dieser Behauptung spreche überdies, daß der Prüfungsauftrag lediglich die Vermögensteuer zum 1. Jänner 1990 bis 1. Jänner 1993 umfaßt habe; das vom Beschwerdeführer angeführte Mobilwohnheim sei nicht in der Vermögensteuererklärung zum 1. Jänner 1989, sondern in jener zum 1. Jänner 1993 vom Prüfer ergänzt worden. Im übrigen sei die Wiederaufnahme des Verfahrens auch dann zulässig, wenn für die Abgabenbehörde die Möglichkeit bestanden hätte, sich schon früher die entsprechende Kenntnis zu verschaffen. Selbst ein schuldhaftes Unterbleiben von Nachforschungen zur Ermittlung der tatsächlichen Verhältnisse stünde einer amtswegigen Wiederaufnahme des Verfahrens nicht entgegen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Der Beschwerdeführer erachtet sich - aus den Beschwerdegründen erkennbar - im Recht verletzt, daß das Verfahren nicht wieder aufgenommen werde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerde macht zunächst geltend, die Wiederaufnahme führe zu einer ungleichmäßigen Behandlung gleicher Sachverhalte. Die Wiederaufnahme sei nur bei jenen möglich, bei denen die endgültige Veranlagung nicht vor 1989 erfolgt sei. Sowohl der Zeitpunkt der endgültigen Veranlagung als auch die Kenntnis vom maßgeblichen Umstand lägen ausschließlich im Bereich der Abgabenbehörde. Dies rechtfertige eine Ungleichbehandlung von Steuerzahlern nicht.

Damit macht die Beschwerde nicht geltend, daß die Abgabenbehörde bei der Wiederaufnahme des Verfahrens gegen eine konkrete gesetzliche Regelung verstoßen hätte. Vielmehr ist ihr Vorbringen offenbar dahin zu verstehen, daß bei anderem Verfahrensablauf, insbesondere der Erlassung eines endgültigen Bescheides zu einem früheren Zeitpunkt (zu ergänzen ist: und dem Unterbleiben der Wiederaufnahme im Jahr 1992) der mit dem angefochtenen Bescheid im Instanzenzug erfolgten Wiederaufnahme die Verjährung der Abgabenfestsetzung entgegengestanden wäre (vgl. § 304 BAO). Die belangte Behörde hatte aber keinen fiktiven, sondern den tatsächlichen Verfahrensablauf zu beurteilen. Die Beschwerde kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, daß gegenüber anderen Abgabepflichtigen, die Verlustbeteiligungen erworben hatten, Verjährung eingetreten war; auch unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes besteht kein Gebot, nicht verjährte Abgabenverbindlichkeiten wie verjährte zu behandeln.

Die Beschwerde bestreitet weiters die Zulässigkeit der Wiederaufnahme mit der Behauptung, die Frage der abgabenrechtlichen Beurteilung der Umwandlung sei eine Rechts- und keine Tatsachenfrage.

Tatsachen im Sinne des § 303 BAO sind ausschließlich mit dem Sachverhalt des abgeschlossenen Verfahrens zusammenhängende tatsächliche Umstände, also Sachverhaltselemente, die bei einer entsprechenden Berücksichtigung zu einem anderen Ergebnis geführt hätten, wie etwa Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften. Neue Erkenntnisse in bezug auf die rechtliche Beurteilung solcher Sachverhaltselemente - gleichgültig, ob diese späteren rechtlichen Erkenntnisse (neuen Beurteilungskriterien) durch die Änderung der Verwaltungspraxis oder Rechtsprechung oder nach vorhergehender Fehlbeurteilung oder Unkenntnis der Gesetzeslage eigenständig gewonnen werden - sind keine Tatsachen. Die nachteiligen Folgen einer früheren unzutreffenden Würdigung oder Wertung des offengelegt gewesenen Sachverhaltes oder einer fehlerhaften rechtlichen Beurteilung - gleichgültig durch welche Umstände veranlaßt - lassen sich bei unveränderter Tatsachenlage nicht nachträglich im Wege der Wiederaufnahme des Verfahrens beseitigen. Das Hervorkommen neuer Tatsachen und Beweismittel ist allein aus der Sicht des von der zuständigen Behörde geführten konkreten Verfahrens zu beurteilen (vgl. hiezu z.B. das Erkenntnis vom 23. April 1998, Zl. 95/15/0108, und die dort zitierte Vorjudikatur).

Im Beschwerdefall war dem Beschwerdeführer unter Hinweis auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (die Erkenntnisse vom 16. November 1993, Zlen. 93/14/0142, und 93/14/0059, und vom 15. Februar 1994, Zl. 90/14/0285) vorgehalten worden, es liege Liebhaberei vor, wenn bei begrenzter Dauer einer Beteiligung bis zu deren Beendigung ein Gesamtüberschuß nicht erzielt werde; ebenso war der Beschwerdeführer aufgefordert worden, Unterlagen vorzulegen, aus denen der Zeitpunkt und die Bedingungen des Erwerbes und der Beteiligung hervorgehen. Dazu hatte sich der Beschwerdeführer in der Sache nicht geäußert. Bei dieser Sachlage war es nicht rechtswidrig, daß die belangte Behörde aus dem Umstand der Beendigung der Beteiligung im Jahre 1988 die Absicht des Beschwerdeführers folgerte, von vornherein eine auf bestimmte Zeit (vor Erzielung eines Gesamtüberschusses) begrenzte Beteiligung einzugehen, und dies als Wiederaufnahmsgrund ansah. Die belangte Behörde befand sich damit im Einklang mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, der im Erkenntnis vom 16. November 1993, Zl. 93/14/0059, dargelegt hat, daß die tatsächliche Beteiligungsdauer und das Verhältnis zwischen Kapitaleinsatz und -rückfluß Tatsachen darstellen, von denen die Beurteilung der Einkunftsquelleneigenschaft einer Beteiligung abhängt. Auf das soeben zitierte Erkenntnis ist die Beschwerde auch zu verweisen, soweit geltend gemacht wird, die im Jahr 1988 eingetretene Beendigung der Beteiligung dürfe nicht als Grund für die Wiederaufnahme des die Besteuerung des Jahres 1985 betreffenden Verfahrens herangezogen werden.

Die Beschwerde macht weiters geltend, die belangte Behörde habe "ohne sachliche Rechtfertigung" und ohne Befragung des Prüfers angenommen, daß "meine Angabe über das Nichtbestehen der Beteiligung anläßlich der Prüfung im Jahre 1993 unwahr sei". Damit bezieht sich die Beschwerde erkennbar auf jene Darlegungen des angefochtenen Bescheides, wonach verschiedene näher genannte Umstände gegen die Richtigkeit der Behauptung des Beschwerdeführers sprächen, dieser habe dem Prüfer von der Beendigung der Beteiligung im Jahre 1993 Mitteilung gemacht.

Diese Darlegungen könnten selbst dann keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufzeigen, wenn man die Sachverhaltsbehauptungen des Beschwerdeführers - Mitteilung an den Prüfer über die Beendigung der Beteiligung anläßlich einer im Jahre 1993 erfolgten abgabenbehördlichen Prüfung - als richtig unterstellt. Auch davon ausgehend wäre die in Rede stehende Mitteilung erst nach Erlassung des endgültigen Bescheides im Jahre 1988 und des nach ("erster") Wiederaufnahme ergangenen neuen Sachbescheides im Jahre 1992 erfolgt. Aus der Sicht des angefochtenen Wiederaufnahmsbescheides stellte sich die Tatsache der Beendigung der Beteiligung somit auch dann als "neu", nämlich erst nach Erlassung des das Abgabenverfahren abschließenden Bescheides hervorgekommene Tatsache dar, wenn der Beschwerdeführer davon der Abgabenbehörde im Jahre 1993 Mitteilung gemacht hätte. Es kann somit auch unter dem Gesichtspunkt der behaupteten Mitteilung an den Prüfer nicht davon die Rede sein, daß der Abgabenbehörde im wiederaufzunehmenden Verfahren der Sachverhalt so vollständig bekannt gewesen wäre, daß die in Rede stehende Tatsache nicht als nach Erlassung des betreffenden Bescheides neu hervorgekommen angesehen werden könnte.

Die Beschwerde bringt schließlich vor, die Behörde hätte anläßlich der Endgültigerklärung des Bescheides im Jahre 1988 überprüfen müssen, wie sich die Verhältnisse in der Zwischenzeit entwickelt hätten. Dieses Vorbringen vermag schon deshalb keine Rechtswidrigkeit aufzuzeigen, weil es für die amtswegige Wiederaufnahme unmaßgeblich ist, ob die neuen Tatsachen im Erstverfahren verschuldet oder unverschuldet nicht berücksichtigt worden sind (vgl. hiezu z.B. das Erkenntnis vom 23. April 1998, Zl. 95/15/0108).

Die Beschwerde war somit gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 19. November 1998

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