VwGH 96/07/0092

VwGH96/07/009226.5.1998

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Hargassner Dr. Bumberger, Dr. Pallitsch und Dr. Beck als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hofmann, über die Beschwerden

  1. 1) des JS, 2) der MS, 3) des WS und 4) des RS (96/07/0092), und
  2. 5) der FP (96/07/0093), alle in G und alle vertreten durch Dr. Erich Proksch und Dr. Diethard Schimmer, Rechtsanwälte in Wien XIII, Auhofstraße 1, gegen den Bescheid des Obersten Agrarsenates beim Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft vom 6. Dezember 1995, Zl. 710.835/02-OAS/95, betreffend Aussetzung eines Berufungsverfahrens, zu Recht erkannt:

Normen

AgrBehG 1950 §7 Abs2;
AgrVG §1 Abs1;
AVG §38;
AVG §68 Abs1;
FlVfGG §4 Abs2;
FlVfGG §4 Abs5;
VwRallg;
AgrBehG 1950 §7 Abs2;
AgrVG §1 Abs1;
AVG §38;
AVG §68 Abs1;
FlVfGG §4 Abs2;
FlVfGG §4 Abs5;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von insgesamt S 12.830,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, den Erst- und Zweitbeschwerdeführern der zu 96/07/0092 beschwerdeführenden Parteien und der zu 96/07/0093 beschwerdeführenden Partei gegenüber erlassenen Bescheid traf die belangte Behörde über die vor ihr anhängigen Berufungen sämtlicher Beschwerdeführer und weiterer Parteien gegen Bescheide des Landesagrarsenates beim Amt der Niederösterreichischen Landesregierung (LAS), mit denen der Zusammenlegungsplan G. "gegenüber diesen Parteien" "erlassen" (Beschwerdeführer zu 96/07/0092) oder "abgeändert" (Beschwerdeführerin zu 96/07/0093) worden war, folgenden Abspruch:

"Gemäß § 1 AgrVG iVm § 38 AVG wird das Berufungsverfahren bis zu dem Zeitpunkt ausgesetzt, in dem sowohl die Niederösterreichische Agrarbezirksbehörde und der Landesagrarsenat beim Amt der Niederösterreichischen Landesregierung hinsichtlich aller Parteien den Zusammenlegungsplan G. erlassen haben als auch der Landesagrarsenat beim Amt der Niederösterreichischen Landesregierung sämtliche Berufungsverfahren über den Zusammenlegungsplan entschieden hat."

In der Begründung ihres Bescheides führte die belangte Behörde aus, daß die Besonderheit des vorliegenden Zusammenlegungsverfahrens darin bestehe, daß es bei allen Agrarbehörden sowohl des Landes als auch des Bundes und auch beim Verwaltungsgerichtshof gleichzeitig anhängig sei und daß einzelne Abfindungen der Verfahrensparteien von allen Behörden ohne gegenseitige Bindungswirkung gestaltet werden könnten. Der Zusammenlegungsplan G. sei von der Niederösterreichischen Agrarbezirksbehörde (AB) erstmals im Juni 1990 erlassen worden. Von den 40 gegen den Zusammenlegungsplan erhobenen Berufungen habe der LAS 34 Berufungen stattgegeben, den Bescheid gemäß § 66 Abs. 2 AVG behoben und die Angelegenheit an die AB zur Neuerlassung des Bescheides zurückverwiesen; zwei Berufungen habe der LAS abgewiesen, eine als unzulässig zurückgewiesen und drei Berufungen seien vor dem Senat zurückgezogen worden. Gegen die vom LAS im Wege der Devolution verfügte teilweise Neuerlassung des Zusammenlegungsplanes seien zusätzlich zur Berufung der zu 96/07/0092 beschwerdeführenden Parteien fünf weitere Beufungen an die belangte Behörde eingebracht worden. Die AB habe im Juli 1995 teilweise einen Zusammenlegungsplan neu erlassen; von dieser Entscheidung seien 27 Parteien umfaßt, die jedoch nicht allesamt von Kassationsentscheidungen des LAS betroffen gewesen seien. Es sei nämlich auch in bereits rechtskräftige Abfindungen anderer Parteien eingegriffen worden. Gegen diese Entscheidung der AB seien neun Berufungen erhoben woden, die dem LAS derzeit zur Entscheidung vorlägen. Im Rahmen all dieser bei insgesamt drei Agrarbehörden (und dem Verwaltungsgerichtshof) gleichzeitig anhängigen Verfahren bestehe grundsätzlich die Möglichkeit, alle Grundstücke - auch solcher Parteien, die keine Berufung erhoben hätten - anderen Verfahrensparteien endgültig zuzuweisen. Diese Möglichkeit mache eine Überpüfung der vor der belangten Behörde angefochtenen Abfindungen zu einer lediglich vorläufigen Angelegenheit, bzw. zur Überprüfung einer lediglich vorübergehend existenten Möglichkeit einer Abfindungsgestaltung. In allen zukünftigen Verfahren sei ferner zu beachten, daß der LAS mit zwei Erkenntnissen auch den Bewertungsplan G. teilweise als nichtig erklärt habe. Hinsichtlich einer Reihe betroffener Parteien sei die Bewertung einzelner Altgrundstücke nach wie vor unrichtig. Es müsse daher auch damit gerechnet werden, daß auch in Zukunft eine Nichtigerklärung von Teilen des Bewertungsplanes und eine entsprechende Neuerlassung dieses Planes Platz greifen würde. Auch unter diesem Gesichtspunkt wäre das Vorliegen endgültiger und damit auch für die belangte Behörde verbindlicher Werte eine notwendige Entscheidungsvoraussetzung. Die Frage einer Nichtigerklärung von Bewertungen sei für die belangte Behörde eine Vorfrage im Sinne des § 38 AVG, weil hierüber nicht die belangte Behörde, sondern eine von ihr unabhängige Behörde zu entscheiden habe. Ebenfalls einer Vorfrage vergleichbar und in ihren Auswirkungen identisch sei die Frage nach dem weiteren Schicksal der Abfindungsgrundstücke. Die Eingriffsmöglichkeit sowohl der AB als auch des LAS in Abfindungen, die von der belangten Behörde überprüft oder neu gestaltet worden seien, bewirke eine ständige Rechtsunsicherheit für die Parteien. In dieser verfahrensrechtlich unbefriedigenden Situation sei die belangte Behörde in eine Lage gedrängt, die es ihr lediglich ermögliche, Vorschläge einer Neueinteilung auf ihre Gesetzmäßigkeit hin zu überprüfen. Um eine endgültige Beurteilung der Abfindung der Parteien zu gewährleisten, sei es daher geboten, die bei der belangten Behörde anhängigen Berufungsverfahren bis zu dem Zeitpunkt auszusetzen, zu dem in den ersten beiden Instanzen keine Verfahren oder Berufungen über die Gesetzmäßigkeit der Abfindungen mehr anhängig seien, sondern sich sämtliche noch nicht rechtskräftig abgeschlossene Verfahren auf der Ebene der belangten Behörde befänden.

Gegen diesen Bescheid erhoben die Beschwerdeführer zunächst Beschwerden an den Verfassungsgerichtshof, welcher die Behandlung der Beschwerden jedoch mit seinem Beschluß vom 13. März 1996, B 278/96 und B 522/96, abgelehnt und die Beschwerden gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten hat. Vor diesem Gerichtshof begehren die Beschwerdeführer in einem gemeinsam erstatteten Schriftsatz die Aufhebung des angefochtenen Bescheides aus dem Grunde der Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder jener infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, wobei sie sich durch den angefochtenen Bescheid erkennbar in ihrem Recht auf Unterbleiben einer Aussetzung des vor der belangten Behörde anhängigen Verfahrens als verletzt erachten. Die Beschwerdeführer tragen im wesentlichen vor, daß die Bestimmung des § 38 AVG in der der belangten Behörde vorliegenden Verfahrenskonstellation nicht hätte angewendet werden dürfen. Es handle sich nicht um Vorfragen, sondern um ein und dieselbe Rechtsangelegenheit, die durch einen Bescheid erledigt werden müsse. Daß eine rechtskräftige Bewertung notwendige Entscheidungsvoraussetzung für den Zusammenlegungsplan sei, habe die belangte Behörde zutreffend erkannt, sie hätte gerade aus diesem Grund den Zusammenlegungsplan aufheben und "an die Behörde" zurückverweisen müssen.

Die belangte Behörde hat Teile ihrer Verwaltungsakten vorgelegt und in ihren Gegenschriften die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerden beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 1 Abs. 1 AgrVG 1950 gilt im Verfahren in den Angelegenheiten der Bodenreform vor den Agrarbehörden, soweit im folgenden nichts anderes bestimmt ist, das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl. Nr. 51, mit Ausnahme der §§ 64a und 78.

Nach § 38 AVG ist die Behörde, sofern die Gesetze nicht anderes bestimmen, berechtigt, im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären, nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung zu beurteilen und diese Beurteilung ihrem Bescheid zugrunde zu legen. Sie kann aber auch das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage aussetzen, wenn die Vorfrage schon den Gegenstand eines anhängigen Verfahrens bei der zuständigen Behörde bildet oder ein solches Verfahren gleichzeitig anhängig gemacht wird.

Daß die von der belangten Behörde getroffene Aussetzungsentscheidung gewichtige Gründe der Zweckmäßigkeit für sich hat, ist nicht zu bezweifeln. Die für den angefochtenen Bescheid ins Treffen zu führenden Zweckmäßigkeitserwägungen können ihn aber nicht tragen, wenn die Rechtsgrundlage, auf der dieser Bescheid ruht, seine Erlassung ungeachtet aller Zweckmäßigkeit nicht erlaubte. Dies aber ist der Fall.

Präjudiziell - und damit Vorfragenentscheidung im verfahrensrechtlich relevanten Sinn - ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nur eine Entscheidung, die zum einen eine Rechtsfrage betrifft, deren Beantwortung für die Hauptfragenentscheidung unabdingbar ist, und die zum zweiten diese Rechtsfrage in einer die Verwaltungsbehörde bindenden Weise regelt; kann doch der besondere prozeßökonomische Sinn der Vorschrift des § 38 AVG nur dann erreicht werden, wenn die andere Entscheidung, deren Ergehen abgewartet wird, in der Folge Bindungswirkung gegenüber jener Behörde entfaltet, die mit ihrer Entscheidung zuwartet (vgl. die bei Walter/Thienel,

Verwaltungsverfahrensgesetze I2 (1998), 505 f, wiedergegebene hg. Judikatur). Schon daran fehlt es. Entscheidungen des LAS über den Zusammenlegungsplan G. - und nur bis zum Ergehen solcher Entscheidungen des LAS und nicht etwa bis zum Ergehen solcher über den Bewertungsplan hat die belangte Behörde das vor ihr anhängige Berufungsverfahren ausgesetzt - können die belangte Behörde in der ihr aufgetragenen Entscheidung über Berufungen gegen denselben Zusammenlegungsplan G. nicht binden. Unterliegen Entscheidungen des LAS über die vor diesem anhängigen Berufungen der Überprüfung durch die belangte Behörde im Instanzenzug, dann steht schon die Überprüfungspflicht der Behörde auf Grund einer gegen einen vom LAS erlassenen Bescheid der Annahme einer Bindung an den Inhalt des zu überprüfenden Bescheides entgegen. Darüber hinaus ist auch die belangte Behörde nicht, wie sie dies in der Begründung ihres Bescheides mit Recht von den Unterbehörden besorgt, daran gehindert, in rechtskräftig zugewiesene Abfindungen anderer Parteien einzugreifen, wie dies die rechtsstaatlich notwendige Folge der herrschenden Verwaltungspraxis der Zerlegung des Rechtsmittelverfahrens in Kommassierungsangelegenheiten in Einzelverfahren ist. Fehlt es somit schon an jeglicher Bindungswirkung der abgewarteten Entscheidung für die von der abwartenden Behörde zu treffende Entscheidung, dann lag aus diesem Grunde schon eine wesentliche Zulässigkeitsvoraussetzung für die auf § 38 AVG gestützte Aussetzung des Berufungsverfahrens nicht vor.

Der angefochtene Bescheid, gegen den auch die Dritt- und Viertbeschwerdeführer der zu 96/07/0092 beschwerdeführenden Parteien aus dem Grunde des § 26 Abs. 2 VwGG ungeachtet des Umstandes beschwerdelegitimiert sind, daß dieser Bescheid seiner Zustellverfügung nach ihnen gegenüber nicht ergangen war, verletzt die Beschwerdeführer durch die ohne Vorliegen der gesetzlichen Bedingungen des § 38 AVG bewirkte Aussetzung des Berufungsverfahrens in ihrem aus § 73 Abs. 1 AVG erfließenden Entscheidungsanspruch.

Der angefochtene Bescheid war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Von der Durchführung der von den Beschwerdeführern beantragten mündlichen Verhandlung konnte der Verwaltungsgerichtshof aus dem Grunde der Bestimmung des § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG in der Fassung BGBl. Nr. 88/1997 deswegen Abstand nehmen, weil die den Beschwerdeführern durch den angefochtenen Bescheid widerfahrene Rechtsverletzung sich schon aus den Schriftsätzen der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens in der Weise ergab, die den Beschwerdeführern zu ihrem Prozeßerfolg verhalf, sodaß die mündliche Verhandlung ein für die Beschwerdeführer günstigeres Ergebnis des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nicht mehr hätte herbeiführen können.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994. Die Abweisung des Kostenmehrbegehrens gründet sich auf die Bestimmung des § 53 Abs. 2 VwGG sowie auf überhöht verzeichneten Stempelgebührenaufwand insofern, als die der Beschwerdeergänzung angeschlossenen Beilagen zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht erforderlich waren.

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