VwGH 95/21/1034

VwGH95/21/10349.9.1999

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Rosenmayr, Dr. Pelant und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über die Beschwerde des am 4. September 1971 geborenen P in Linz, vertreten durch Dr. Hermann Fromherz, Dr. Friedrich Fromherz und Mag. Dr. Wolfgang Fromherz, Rechtsanwälte in 4010 Linz, Graben 9, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 18. Juli 1995, Zl. St 228/95, betreffend Feststellung gemäß § 54 Abs. 1 Fremdengesetz, zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.920,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die vorliegende Beschwerde ist gegen einen im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 18. Juli 1995 gerichtet, mit dem gemäß § 54 Abs. 1 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, festgestellt wurde, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, dass der Beschwerdeführer in Liberia gemäß § 37 Abs. 1 oder 2 FrG bedroht sei; seine Abschiebung nach Liberia sei zulässig.

Diese Entscheidung wurde im Wesentlichen damit begründet, der Beschwerdeführer habe im Asylverfahren angegeben, dass am 1. Mai 1995 ein Mann, der in der Nähe des Hauses seines Vaters gewohnt hätte, von den Rebellengruppen getötet worden wäre. Der Vater des Beschwerdeführers hätte dem Beschwerdeführer mitgeteilt, dass es sich dabei um einen Journalisten gehandelt hätte. Der Vater des Beschwerdeführers hätte Schriftstücke über die Vorgangsweise des Rebellenführers Charles Taylor verfasst und diese Schriftstücke an zugänglichen Orten platziert. Darin wäre auch geschrieben worden, dass der Vater des Beschwerdeführers und dieser selbst diese Vorgänge beobachten hätten können. In der Nacht des 10. Mai 1995 hätte der Beschwerdeführer ein Klopfen an der Tür gehört, woraufhin sein Vater mitgeteilt hätte, dass er sofort aus dem Fenster springen solle. Im Anschluss daran wäre der Vater des Beschwerdeführers über den Aufenthalt des Beschwerdeführers gefragt worden. Da der Vater nicht geantwortet hätte, hätten die Männer zu schießen begonnen. Der Beschwerdeführer wäre sicher, dass es sich bei den Leuten um Angehörige der Rebellengruppe des Charles Taylor gehandelt hätte. Im Fall einer Rückkehr in seinen Heimatstaat würde er von den Rebellengruppen getötet werden, weil ihn sein Vater als Zeuge namhaft gemacht hätte.

Dem Vorbringen des Beschwerdeführers könne nicht entnommen werden, dass er in Liberia Gefahr liefe, einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden, ebenso wenig, dass in Liberia sein Leben oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Ansichten bedroht wäre. Die belangte Behörde sei sich zwar bewusst, dass die menschenrechtliche Situation im Heimatstaat des Beschwerdeführers aufgrund der Bürgerkriegsereignisse nicht der eines westlichen Staates entspreche und gebe gleichzeitig zu verstehen, dass derartige Zustände nicht gutzuheißen und aufs Schärfste zu verurteilen seien. Eine Bürgerkriegssituation indiziere für sich allein jedoch nicht eine Flüchtlingseigenschaft. Das Asylrecht, wie auch die Bestimmungen des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG hätten nicht zur Aufgabe, vor den allgemeinen Unglücksfolgen zu bewahren, die aus Krieg, Bürgerkrieg, Revolten und sonstigen Unruhen hervorgingen. Eine darüber hinausgehende Bedrohung habe der Beschwerdeführer selbst nicht behauptet. Die von ihm angeführten Gefahren, die von den Rebellengruppen des Charles Taylor ausgingen, seien nicht unter § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG subsumierbar. Die Auseinandersetzungen, die derzeit im Heimatstaat des Beschwerdeführers stattfänden, hätten alle Bewohner seines Heimatstaates in gleicher Weise zu erdulden, sodass die dadurch bedingten Benachteiligungen als keine gegen ihn gerichtete individuelle Verfolgung im Sinn des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG zu werten seien, auch wenn nicht geleugnet werden könne, dass jeder Aufenthalt in einem Kriegsgebiet mit Gefahren verbunden sei.

In der zunächst beim Verfassungsgerichtshof erhobenen und von diesem mit Beschluss vom 25. September 1995, B 2554/95, dem Verwaltungsgerichtshof abgetretenen Beschwerde werden inhaltliche Rechtswidrigkeit sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde; eine Gegenschrift wurde nicht erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Verfahren gemäß § 54 Abs. 1 FrG ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vom Antragsteller mit konkreten, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerten Angaben das Bestehen einer aktuellen, also im Falle seiner Abschiebung in den im Antrag genannten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt durch jene nicht abwendbaren Bedrohung im Sinn des § 37 Abs. 1 oder 2 FrG glaubhaft zu machen (vgl. etwa die Erkenntnisse vom 4. Dezember 1996, Zl. 96/21/0543, und vom 19. Februar 1997, Zl. 96/21/0096) und von der Behörde das Vorliegen konkreter Gefahren für jeden einzelnen Fremden für sich zu prüfen. Ebenso wie im Asylverfahren ist auch bei der Beurteilung des Vorliegens einer Gefahr gemäß § 37 Abs. 1 und 2 FrG im Verfahren gemäß § 54 FrG die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Antragstellers in diesen Staat zu beurteilen. Für diese Beurteilung ist nicht unmaßgeblich, ob etwa allenfalls gehäufte Verstöße der in § 37 Abs. 1 FrG umschriebenen Art durch den genannten Staat bekannt geworden sind (vgl. etwa das Erkenntnis vom 17. Dezember 1997, Zl. 95/21/0381, m.w.N.).

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung keinen Zweifel daran gelassen, dass drohende Behandlungen oder Verfolgungen gemäß § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG, die nicht vom Staat selbst ausgehen oder von diesem gebilligt werden, den Fällen der vom Staat ausgehenden oder von ihm gebilligten Bedrohung gleichzustellen sind, wenn der betreffende Staat infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht in der Lage ist, eine drohende Behandlung oder Verfolgung zu verhindern (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 16. April 1997, Zl. 96/21/0269, und vom 9. Februar 1999, Zl. 96/18/0184).

Im vorliegenden Fall lässt sich den Überlegungen der belangten Behörde nicht entnehmen, dass sie das im Verwaltungsverfahren (insbesondere in der Berufung) erstattete Vorbringen des Beschwerdeführers für unglaubwürdig erachtet habe, sein Vater wäre durch Rebellengruppen getötet worden, und ihm drohte die Verfolgung durch die Mörder seines Vaters mit dem Ziel, ihn ebenfalls umzubringen, weil er in den Veröffentlichungen seines Vaters als Zeuge für die Tötung eines Journalisten durch diese Rebellengruppen angeführt wäre. Sie hat sein, vor dem Hintergrund der vom Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren durch Zitate von Berichten internationaler Organisationen über Menschenrechtsverletzungen im liberianischen Bürgerkrieg sowie über das Fehlen einer funktionierenden Staatsgewalt untermauertes, ausreichend konkretes Vorbringen einer Gefahr im Sinn des § 37 Abs. 1 oder 2 FrG allein deswegen für nicht stichhaltig erachtet, weil es sich dabei nicht um eine vom Staat ausgehende Gefahr gehandelt habe. Mit dieser Auffassung hat die belangte Behörde aber - wie die angeführte Rechtsprechung zeigt - die Rechtslage verkannt.

Ob - wie der Beschwerdeführer sowohl im Verwaltungsverfahren, als auch in der Beschwerde ausführt - seine Abschiebung nach Liberia allein wegen des dort - in der Zeit der Erlassung des angefochtenen Bescheides - herrschenden Bürgerkrieges im Sinn des § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG als unzulässig zu erklären gewesen wäre (vgl. zu einer derartigen Situation etwa das hg. Erkenntnis vom 16. April 1997, Zl. 96/21/0269, hinsichtlich Somalia), kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994. Die Abweisung des Mehrbegehrens beruht darauf, dass nur eine Kopie des angefochtenen Bescheides vorzulegen war.

Wien, am 9. September 1999

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte