VwGH 95/20/0081

VwGH95/20/00817.11.1995

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Baur und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerde des M, derzeit unbekannten Aufenthaltes, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 10. Jänner 1995, Zl. 4.345.543/1-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §1 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.830,-- binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger des Irak, der am 9. Dezember 1994 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 13. Dezember 1994 einen Asylantrag gestellt hat, hat bei seiner niederschriftlichen Einvernahme durch das Bundesasylamt am 19. Dezember 1994 zu seinen Fluchtgründen befragt, im wesentlichen angegeben, er habe bis zum Jahr 1992 in Zakho (autonome Zone) gelebt. Im Jahr 1993 sei er Mitglied der "Demokratischen Kurdischen Partei" geworden. am 10. Oktober 1994 seien in Mosul vier Freunde von ihm von der irakischen Kriminalpolizei verhaftet worden, weil sie - so wie auch der Beschwerdeführer selbst - für eine in diesem Teil des Irak verbotene Jugendorganisation der DKP tätig gewesen seien. Seine Tätigkeit für diese Organisation sei darin gelegen, daß er "eine Art von Spitzeldiensten" geleistet habe, er habe auszuforschen gehabt, ob die in Mosul lebenden Kurden für Saddam Hussein oder für die KDP eingestellt seien. Bis zur Verhaftung seiner Freunde am 10. Oktober 1994 habe er bei seinen Eltern in Mosul gewohnt, danach sei er zu seinem Onkel gezogen. Am 15. November 1994 sei die irakische Polizei bei seinen Eltern zu Hause erschienen und habe nach seinem Aufenthalt gefragt. Da seine Eltern seinen Aufenthalt jedoch nicht bekanntgegeben hätten, seien beide verhaftet worden. Er wisse zur Zeit nicht, wo sie sich befänden. Aus Angst vor einer Verhaftung habe er gemeinsam mit seinem Onkel beschlossen, Mosul zu verlassen. In der kurdisch-autonomen Zone des Nordiraks könne er nicht leben, weil seine Familie Zakho - infolge einer Blutfehde mit einer anderen dort lebenden Familie - verlassen habe. Auch er habe Angst gehabt, im Zuge dieser Blutfehde umzukommen. Er habe auch in der kurdisch-autonomen Zone keinerlei Verwandte. Überdies habe er am 2. November 1994, zugestellt an die Adresse seiner Eltern in Mosul, den Einberufungsbefehl für den 2. Jänner 1995 erhalten, an welchem Tage er die Ableistung seines Militärdienstes hätte beginnen müssen. Dies sei jedoch für ihn kein Grund gewesen, den Irak zu verlassen. Er sei von irakischen Behörden bis zu seiner Ausreise nicht verhaftet worden. Im Falle seiner Rückkehr in den Irak sei sein Leben in Gefahr.

Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 19. Dezember 1994 das Asylansuchen des Beschwerdeführers mit der Begründung ab, sein Vorbringen sei im gesamten gesehen in keiner Weise mit der in der Genfer Flüchtlingskonvention bzw. im Asylgesetz 1991 geforderten Intensität versehen, welche unabdingbare Voraussetzung für die Gewährung von Asyl sei. Er habe seine Asylgründe in keiner Weise so substantiiert vorgebracht, daß eine Verfolgung seiner Person glaubhaft erscheine. So habe er nicht einmal angeben können, wie die Jugendorganisation der KDP, für die er tätig gewesen sein solle, namentlich heiße. Darüber hinaus erachtete das Bundesasylamt das Vorliegen des Ausschließungsgrundes des § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991 für gegeben, da der Beschwerdeführer sich im Zuge seiner Fluchtbewegung in mehreren - von der Erstbehörde nicht namentlich genannten - Drittländern befunden und dort jedenfalls Verfolgungssicherheit erlangt habe.

In der gegen den erstinstanzlichen Bescheid erhobenen Berufung machte der Beschwerdeführer eine Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens insoweit geltend, als seine Angaben zumindest widersprüchlich protokolliert worden seien, was möglicherweise darin seine Ursache habe, daß seine Einvernahme beim Bundesasylamt über zwei Sprachen, d.h. unter Beiziehung eines Zwischendolmetsch, habe erfolgen müssen, und es dabei Verständigungsschwierigkeiten gegeben habe. Im übrigen bekräftigte der Beschwerdeführer seine Angaben anläßlich seiner Ersteinvernahme, fügte jedoch hinzu, daß nunmehr im Falle einer Rückkehr in den Irak sein Leben auch auf Grund der Einberufung zum Militärdienst und der Nichtbefolgung derselben in Gefahr sei, auch wenn in der Niederschrift festgehalten worden sei, daß das Erhalten des Einberufungsbefehles für ihn kein Grund gewesen sei, den Irak zu verlassen. Jedoch gelte die Resolution 1370 des irakischen Revolutionskommandorates vom 2. Jänner 1984 nach wie vor, wonach für Flucht während der Militärzeit oder für ein Nichterscheinen, z.B. Nichtregistrierung oder Ausreise bzw. Aufenthalt im Ausland, während der Militärzeit die Todesstrafe drohe. Diese Resolution sei nach wie vor in Kraft. Daher könne seine Flucht aus dem Irak in diesem Zusammenhang von seinem Heimatstaat als Wehrdienstentziehung beurteilt werden. Als weiteren Nachfluchtgrund verwies der Beschwerdeführer auf seine Asylantragstellung in Österreich, unter Verweis darauf, daß schon allein die Asylbeantragung im Ausland für das irakische Baathregime eine staatsfeindliche Handlung sei. Im übrigen sei er in keinem Durchreiseland vor Verfolgung sicher gewesen, es habe auch für ihn keine inländische Fluchtalternative (z.B. im Norden des Irak in der Sicherheitszone) gegeben. Er habe bereits dazu in seiner Ersteinvernahme angegeben, daß er in der Sicherheitszone keine Möglichkeit habe, bei Verwandten unterzutauchen, jedoch gerade starke familiäre Bindungen im Norden Voraussetzung für eine anzunehmende Sicherheit in dieser Zone seien. Hiezu legte der Beschwerdeführer die Kopie einer Auskunft des UNHCR vom Oktober 1994 über die Situation im Nordirak und innerstaatliche Fluchtalternative vor. Im übrigen stellte der Beschwerdeführer den Antrag, ihm eine befristete "Aufenthaltsberechtigung" im Sinn des § 8 AsylG 1991 zu gewähren.

Mit Bescheid vom 10. Jänner 1995 wies die belangte Behörde diese Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab. Sie begründete diese Abweisung im wesentlichen zunächst mit der Unglaubwürdigkeit der vom Beschwerdeführer gemachten Angaben und führte im weiteren aus, allein die Verhaftung seiner Freunde und das Nachfragen der Polizei bei seinen Eltern liefere noch keinen Hinweis dafür, daß der Staat beabsichtigt habe, gegen den Beschwerdeführer persönlich vorzugehen. Auch eine angebliche Blutfehde zwischen Privatpersonen könne "keine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention bzw. des Asylgesetzes 1991 darstellen". Die in der Berufung behaupteten Verständigungsschwierigkeiten stellt die belangte Behörde als unrichtig dar, aus der Niederschrift über seine Einvernahme "gehe auch nicht hervor, daß Ihre Angaben, wie von Ihnen behauptet, über zwei Sprachen übersetzt worden seien". Von der in der Berufung beantragten Einholung eines Gutachtens des UNHCR über die Verfolgungssicherheit von irakischen und kurdischen Flüchtlingen in den vermutlichen Drittstaaten sah die belangte Behörde angesichts der Verneinung der Flüchtlingseigenschaft ab und ging auf die in der Berufung bekämpfte Annahme der Verfolgungssicherheit nicht näher ein.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die belangte Behörde beurteilt zunächst die Angaben des Beschwerdeführers insgesamt als unglaubwürdig, im wesentlichen mit den zwei Argumenten, die Darstellung seiner Lebensumstände unmittelbar vor seiner Flucht lasse die schlüssige Folgerung zu, daß er zu seinen Eltern keinen Kontakt gehabt habe. Trotzdem habe er behauptet, einen Einberufungsbefehl erhalten zu haben, welcher am 2. November 1994 an die Adresse seiner Eltern zugestellt worden sei. Hätten seine Eltern seinen Aufenthaltsort nicht gewußt, so wären sie auch nicht in der Lage gewesen, ihn von diesem Einberufungsbefehl in Kenntnis zu setzen. Diese Argumentation entbehrt nicht nur einer ausreichenden Sachverhaltsgrundlage - aufklärende oder ergänzende Erhebungen bzw. Befragungen zu diesem Thema sind nicht aktenkundig -, sondern sie beruht auch auf einem Fehlzitat seitens der belangten Behörde. Nirgends hat der Beschwerdeführer nämlich anläßlich seiner Ersteinvernahme die Behauptung aufgestellt, seine Eltern hätten von seinem Aufenthaltsort "nichts gewußt", sondern lediglich angegeben, seine Eltern hätten über entsprechende Nachfrage der irakischen Polizei lediglich "seinen Aufenthalt nicht bekannt gegeben". Dies wird auch in der Berufung wiederholt. Woher also die belangte Behörde das lediglich zum Nachteil des Beschwerdeführers herangezogene Argument der Unkenntnis der Eltern des Beschwerdeführers von dessen Aufenthalt hat, bleibt unerfindlich und steht nicht im Einklang mit der Begründungspflicht des § 60 AVG.

Auch der zweite von der belangten Behörde herangezogene Umstand für die Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers vermag nicht zu überzeugen. Die belangte Behörde wirft dem Beschwerdeführer vor, "nicht einmal den Namen der Jugendorganisation der KDP" nennen zu können, ohne selbst zu wissen, ob diese "Jugendorganisation" überhaupt einen gesonderten Namen hat. Denkbar wäre immerhin, daß gerade jene untergeordneten Spitzeldienste, die auch der Beschwerdeführer angeblich für die KDP verrichtet hat, zwar organisatorisch zusammengefaßt, diese Gruppierung jedoch nicht mit einem eigenen, von der KDP zu unterscheidenden Namen versehen ist. Ohne diesbezügliche Erhebungen hätte daher die belangte Behörde allein aus dem Umstand, daß der Beschwerdeführer einen weiteren Namen nicht hat angeben können, seine Unglaubwürdigkeit nicht ableiten dürfen. In diesem Zusammenhang wirft die belangte Behörde dem Beschwerdeführer weiters Widersprüche vor, die dieser bereits in seiner Berufung auf Sprachschwierigkeiten zurückgeführt hat. Die belangte Behörde tut diesen Hinweis lediglich mit der Behauptung ab, aus der Niederschrift über seine Einvernahme gehe nicht hervor, daß seine Angaben, "wie von ihm in der Berufung behauptet", über zwei Sprachen übersetzt worden seien. Dies ist aktenwidrig. Aus dem Niederschriftsprotokoll des Bundesasylamtes geht eindeutig - wovon sich auch die belangte Behörde hätte überzeugen können - hervor, daß als Dolmetsch Herr H, "als Zwischendolmetsch von der kurdischen Sprache auf arabisch deutsch" jedoch Herr R fungiert hat. Auch aus der Unterfertigung der Niederschrift ist ersichtlich, daß zwei Dolmetsche ihre Unterschrift geleistet haben. Die belangte Behörde hätte daher - wenn sie schon auf die Behauptung der angeblich vorhanden gewesenen Sprachschwierigkeiten nicht näher eingeht - zumindest davon absehen müssen, dem Beschwerdeführer Widersprüchlichkeiten vorzuwerfen, deren Ursache im aufgezeigten Sinne unklar geblieben ist.

Insofern die belangte Behörde dem Beschwerdeführer zu seiner Darstellung, er habe im Nordirak infolge einer Blutfehde keine Möglichkeit gehabt zu leben, entgegenhält "daß derartige Konflikte zwischen Privatpersonen keine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention bzw. des Asylgesetzes 1991 darstellen", so geht diese Argumentation gänzlich fehl. Der Beschwerdeführer hat diesen - im übrigen bereits 1992 stattgefundenen - Umstand offenkundig nicht als die gegen ihn gerichtete Verfolgung, die ihn zu seiner Flucht veranlaßt hat, geltend gemacht, sondern lediglich darzustellen versucht, aus welchem Grunde ihm eine "inländische Fluchtalternative" - eine solche hat die belangte Behörde jedoch ohnedies nicht angenommen - nicht zumutbar gewesen wäre.

Insoweit die belangte Behörde vermeint, die Verhaftung der Freunde des Beschwerdeführers und das Nachfragen der Polizei bei seinen Eltern liefere "noch keinen Hinweis dafür, daß der Staat beabsichtigt" habe, "gegen ihn vorzugehen", ist darauf zu verweisen, daß der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen hat, daß es zur Annahme einer asylrechtlich relevanten Verfolgungsgefahr einer bereits stattgefundenen Inhaftierung, Verurteilung oder erheblicher Eingriffe in die körperliche Integrität nicht bedarf. Aus diesen Gründen hätte die belangte Behörde davon ausgehen müssen, daß aufgrund der genannten Umstände der Beschwerdeführer begründete Furcht vor Verfolgung haben konnte.

Da die belangte Behörde im aufgezeigten Sinne ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastete, war er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Damit erübrigt sich auch ein Eingehen auf die in der Beschwerde angerissene Frage zu § 8 AsylG, wobei lediglich darauf verwiesen werden kann, daß die von dem Beschwerdeführer gerügte Unzuständigkeit der belangten Behörde zu einer Entscheidung im Sinn des § 8 AsylG nicht vorliegt, da das Gesetz lediglich von "der Asylbehörde" spricht ohne eine Kompetenzeinschränkung auf eine der involvierten Asylbehörden vorzunehmen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte