VwGH 95/19/0428

VwGH95/19/042826.6.1998

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Zens und Dr. Schick als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Martschin, über die Beschwerde der 1961 geborenen MK in Wien, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 18. November 1994, Zl. 101.541/3-III/11/94, betreffend Zurückweisung einer Berufung in einer Angelegenheit des Aufenthaltsgesetzes, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §39 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
ZustG §9 Abs1;
AVG §39 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
ZustG §9 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.740,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin stellte am 16. März 1994 beim Magistrat der Stadt Wien einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung. Am 11. April 1994 langte bei der Behörde erster Instanz eine Vollmachtsbekanntgabe vom 8. April 1994 eines Rechtsanwaltes ein, den die Beschwerdeführerin mit ihrer Vertretung beauftragt hatte. Ausdrücklich wird in der Vollmachtsbekanntgabe um Zustellung sämtlicher Ladungen und Verständigungen an diesen Vertreter ersucht (vgl. OZ. 21 des Verwaltungsaktes).

Mit Bescheid vom 28. Juni 1994 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin vom Landeshauptmann von Wien gemäß § 5 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes abgewiesen. Als Empfänger wurde die Beschwerdeführerin bezeichnet. Ein im Verwaltungsakt (vgl. OZ. 25) erliegender Rückschein, der an die Beschwerdeführerin adressiert war, weist die Eintragung auf, daß am 4. Juli 1994 ein Zustellversuch stattgefunden und eine Verständigung über die Hinterlegung in das Hausbrieffach eingelegt worden sei. Als Beginn der Abholfrist ist auf dem Rückschein der 5. Juli 1994 eingetragen. Ebenfalls im Verwaltungsakt (vgl. OZ. 26) erliegt eine Kopie einer Übernahmebestätigung, derzufolge der Vertreter der Beschwerdeführerin am 28. Juli 1994 den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 28. Juni 1994 übernommen habe.

Die Bestätigung trägt überdies den handschriftlichen Vermerk:

"Beginn der 2 Wochen Frist: 28. 7. 1994".

Die von der Beschwerdeführerin erhobene, mit 8. August 1994 datierte und nach Maßgabe des Verwaltungsaktens (vgl. OZ. 27) am 9. August 1994 beim Magistrat der Stadt Wien eingelangte Berufung wurde vom Bundesminister für Inneres mit Bescheid vom 18. November 1994 gemäß § 66 Abs. 4 AVG zurückgewiesen. In der Begründung führte der Bundesminister für Inneres aus, da die Zustellung rechtswirksam am 5. Juli 1994 erfolgt sei und die Berufung erst am 8. August 1994 und daher verspätet eingebracht worden sei, sei spruchgemäß zu entscheiden gewesen.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin zunächst Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 1 B-VG vor dem Verfassungsgerichtshof. Nachdem dieser mit Beschluß vom 16. März 1995, B 2817/94-4, die Behandlung der Beschwerde abgelehnt und diese mit Beschluß vom 26. Juni 1995, B 2817/94-6, antragsgemäß dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten hatte, wurde sie von der Beschwerdeführerin ergänzt. Sie erachtet sich in ihrem Recht auf Sachentscheidung verletzt. Die Behörde erster Instanz habe ungeachtet der Mitteilung, daß die Beschwerdeführerin im weiteren Verfahren vom bekanntgegebenen Rechtsanwalt vertreten werde und um Kenntnisnahme und Zustellung sämtlicher Ladungen und Verständigungen an diesen ausgewiesenen Vertreter ersucht wurde, ihren Bescheid vom 28. Juni 1994 an die Beschwerdeführerin zugestellt. Diese Zustellung sei unwirksam und erst durch die Heilung des Zustellmangels durch Übernahme des Bescheides durch den ausgewiesenen Vertreter am 28. Juli 1994 wirksam geworden. Die zweiwöchige Berufungsfrist habe somit erst am 11. August 1994 geendet, weshalb die am 8. August 1994 eingebrachte Berufung fristgerecht erfolgt sei.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde in dem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat die Behörde, bevor sie die Zurückweisung eines Rechtsmittels ausspricht, zu prüfen, ob die Zustellung des angefochtenen Bescheides ordnungsgemäß erfolgt ist, und das Ergebnis ihrer Feststellungen dem Rechtsmittelwerber vor ihrer Entscheidung vorzuhalten. Hiebei hat die Behörde nach § 37 AVG und § 39 Abs. 2 von Amts wegen vorzugehen, zumal der Berufungswerber nicht verpflichtet ist, von vornherein alle Umstände anzuführen, aus denen er die Rechtzeitigkeit seiner Berufung ableitet. Wird dies von der Rechtsmittelbehörde unterlassen, so trägt sie das Risiko einer Bescheidaufhebung und unterlaufener Verfahrensmängel (vgl. die bei Walter-Thienel, Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze I (1989), Seite 1260 (E 87) angegebene hg. Rechtsprechung).

Die belangte Behörde geht im angefochtenen Bescheid von der Annahme aus, die Zustellung dieses Bescheides sei bereits rechtswirksam am 5. Juli 1994 erfolgt. Wie sich aus dem Verwaltungsakt ergibt und auch in der Beschwerde aufgezeigt wird, wurde der Behörde erster Instanz allerdings bereits mit Schriftsatz vom 8. April 1994 bekanntgegeben, daß die Beschwerdeführerin einen Rechtsanwalt mit ihrer Vertretung beauftragt hatte und um Zustellung sämtlicher Ladungen und Verständigungen an diesen Vertreter ersucht hatte. Dieser Schriftsatz vom 8. April 1994 hätte die belangte Behörde veranlassen müssen, entsprechende Feststellungen über den tatsächlichen Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides der Behörde erster Instanz zu treffen. Im Hinblick auf den erwähnten Schriftsatz vom 8. April 1994 hätte nämlich die Behörde erster Instanz gemäß § 9 Abs. 1 des Zustellgesetzes den bekanntgegebenen Rechtsanwalt als Empfänger des Bescheides vom 28. Juni 1994 bezeichnen müssen. Da dies nicht geschah, hatte gemäß § 9 Abs. 1 zweiter Satz des Zustellgesetzes die Zustellung in dem Zeitpunkt als vollzogen zu gelten, in dem das Schriftstück dem Zustellungsbevollmächtigten tatsächlich zugekommen ist. Aufgrund der im Verwaltungsakt erliegenden Übernahmebestätigung vom 28. Juli 1994 hatte die belangte Behörde Hinweise darauf, daß die Zustellung erst zu diesem Zeitpunkt rechtswirksam erfolgte. Wäre dies aber der Fall gewesen, so wäre die bereits am 9. August 1994 bei der Behörde erster Instanz eingelangte Berufung der Beschwerdeführerin rechtzeitig erfolgt. Die belangte Behörde hat daher den Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt nicht ausreichend geklärt, weshalb ihr Bescheid gemäß § 42 Abs. 1 Z. 3 lit. b VwGG aufzuheben war.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren an Stempelgebühren war abzuweisen, weil für eine zweckentsprechende Rechtsverfolgung die Vorlage der Beschwerdeergänzung in zweifacher Ausfertigung ausreichend war.

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