Normen
ABGB §1002;
ABGB §1332;
AVG §10 Abs1;
AVG §10 Abs2;
AVG §13 Abs3;
AVG §63 Abs1;
AVG §63 Abs5;
AVG §71 Abs1 Z1;
FrG 1993 §41;
VwGG §46 Abs1 impl;
VwRallg;
ABGB §1002;
ABGB §1332;
AVG §10 Abs1;
AVG §10 Abs2;
AVG §13 Abs3;
AVG §63 Abs1;
AVG §63 Abs5;
AVG §71 Abs1 Z1;
FrG 1993 §41;
VwGG §46 Abs1 impl;
VwRallg;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 25. März 1994 wurde die Berufung des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen von Zaire, der am 7. Jänner 1994 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 11. Jänner 1994 einen Asylantrag gestellt hat, gegen den den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 4. Februar 1994 abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes vom 9. Februar 1994 abgewiesen.
Der den Asylantrag des Beschwerdeführers abweisende Bescheid des Bundesasylamtes vom 14. Jänner 1994 wurde dem Beschwerdeführer am 17. Jänner 1994 rechtswirksam zugestellt. Er beantragte nach Versäumung der Berufungsfrist am 4. Februar 1994 unter gleichzeitiger Einbringung der Berufung die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Diesen Antrag begründete er im wesentlichen damit, daß ihm am 17. Jänner 1994 der Bescheid des Bundesasylamtes vom 14. Jänner 1994 ausgefolgt und er sodann in Schubhaft (Polizeigefangenenhaus W) genommen worden sei. Am 19. Jänner 1994 habe er diesen Bescheid zugleich mit einer handschriftlichen, von ihm verfaßten Sachverhaltsdarstellung in französischer Sprache in einem frankierten und an Herrn M in W, adressierten Kuvert, einem Beamten des Polizeigefangenenhauses zur Weiterleitung übergeben. Er habe gewollt, daß M für ihn einen Rechtsbeistand suche, der eine Berufung abfassen solle, da er selbst der deutschen Sprache nicht mächtig und auch nicht rechtskundig sei. Das Kuvert sei jedoch niemals beim Empfänger eingetroffen, weil es an die BH Baden, Außenstelle Flüchtlingslager, geschickt worden sei. Von dort sei es deshalb nicht an den Empfänger weitergeleitet worden, weil die auf das Kuvert geschriebene Adresse "N-G. 141 in W" nicht habe zugeordnet werden können. Er habe deshalb die Berufungsfrist versäumt. Erst als er in das Polizeigefangenenhaus O überstellt worden sei, sei es ihm gelungen, einen weiteren Brief (der auch den ihm mittlerweile zugestellten Bescheid über die Ablehnung seines Antrages gemäß § 54 FrG enthalten habe) an M abzuschicken, welcher daraufhin Herrn G vom "Unterstützungskomitee" aufgesucht habe. Dieser habe in der Folge die Vertretung des Beschwerdeführers übernommen und in offener Frist gegen die Ablehnung des Antrages gemäß § 54 FrG Berufung erhoben. Der zweite Brief sei genauso wie der erste adressiert gewesen, habe aber problemlos zugestellt werden können.
Das Verhalten der Behörde hinsichtlich des erstgenannten Briefes sei für den Beschwerdeführer unvorhersehbar gewesen. Es sei auch unabwendbar gewesen, da er sich in Schubhaft befunden habe und ab dem Moment, wo er das frankierte und adressierte Kuvert dem Beamten übergeben habe, keinen Einfluß auf die weiteren Ereignisse habe nehmen können. Er sei ohne sein Verschulden daran gehindert worden, die Frist zur Berufung einzuhalten.
In der gegen den abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes gerichteten Berufung ergänzte der Beschwerdeführer, daß er sofort nach seiner Verhaftung in Hungerstreik getreten sei. Dadurch sei er körperlich, seelisch und geistig sehr geschwächt worden und nicht mehr in der Lage gewesen, die Tage zu zählen. Er habe nicht erkennen können, daß inzwischen die zweiwöchige Berufungsfrist abgelaufen sei. Entgegen der Ansicht der Erstbehörde sei es nicht ausreichend, daß die über die Berufung erkennende zweite Instanz das Begehren des Berufungswerbers feststellen könne, sondern es müsse vielmehr die rechtlich unhaltbare Argumentation der ersten Instanz mit rechtlichen Argumenten bekämpft werden.
Die belangte Behörde erließ daraufhin den Bescheid vom 25. März 1994. Sie hielt den Argumenten des Beschwerdeführers entgegen, daß er im Zuge der Übernahme des Asylbescheides am 17. Jänner 1994 auch eine französische Übersetzung des Spruches und der Rechtsmittelbelehrung erhalten habe. Wie im erstinstanzlichen Bescheid ausgeführt worden sei, sei er damit über die Rechtsmittelmöglichkeiten und insbesondere das Recht, seine Berufung in einer der Amtssprachen der Vereinten Nationen abzufassen, informiert worden. Die Kenntnis der deutschen Sprache und die Rechtskundigkeit seien ebenso wie die genaue Kenntnis der Bescheidbegründung zur Einbringung einer zulässigen Berufung nicht erforderlich. Denn es sei dem Beschwerdeführer durch die Übersetzung des Spruches immerhin bekannt gewesen, daß sein Asylantrag abgewiesen worden sei und es hätte für einen begründeten Berufungsantrag genügt, daß er in einem in englischer (gemeint wohl: französischer) Sprache abgefaßten Schreiben zu erkennen gegeben hätte, daß er eine Überprüfung der erstinstanzlichen Entscheidung anstrebe, und er sein Vorbringen einfach wiederholt hätte. Es sei nicht erforderlich gewesen, das Eintreffen einer rechtskundigen Person zwecks Abfassung der Berufung abzuwarten, weshalb die mangelnde Sprachkenntnis oder Gesetzesunkenntnis kein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis gewesen sei.
Darüber hinaus begründete die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid auch damit, daß der Beschwerdeführer, auch wenn er angebe, über den Bescheid des Bundesasylamtes eine handschriftlich verfaßte Sachverhaltsdarstellung abgesendet zu haben, davon hätte ausgehen müssen, daß ein allenfalls engagierter Rechtsvertreter Kontakt zu ihm aufnehmen werde. Es wäre dem Beschwerdeführer damit zumutbar gewesen, sein Ersuchen an M evident zu halten und, nachdem er keine Reaktion darauf erhalten habe, selbst eine Berufung einzubringen. Dem stehe auch der ins Treffen geführte Hungerstreik nicht entgegen, da eine solche Handlungsweise auf einer bewußten Entscheidung des Streikenden basiere und somit kein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis darstelle.
Der Beschwerdeführer richtete zunächst eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, welcher mit Beschluß vom 27. Februar 1995, B 939/94-10, deren Behandlung ablehnte und sie in der Folge dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat. Der Verwaltungsgerichtshof hat über die ergänzte, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde erwogen:
Gemäß § 71 Abs. 1 AVG ist gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.
Dem Beschwerdeführer ist dahingehend zu folgen, daß die Unterlassung der Weiterleitung bzw. Postaufgabe seines Schreibens vom 19. Jänner 1994 ein unabwendbares Ereignis darstellt. Denn unabwendbar ist ein Ereignis jedenfalls dann, wenn sein Eintritt vom Willen des Betroffenen nicht verhindert werden kann. Die Adressenangabe war jedenfalls nicht derart, daß von einer absoluten Unzustellbarkeit der Sendung durch die Post auszugehen wäre.
Entscheidend ist im gegenständlichen Fall weiter, ob der Beschwerdeführer dadurch gehindert war, die Berufung einzubringen. Sein Schreiben enthielt das Ersuchen an einen Bekannten, einen "Rechtsbeistand" (Vertreter) zu suchen, welcher unter Beilage einer Sachverhaltsdarstellung in der Folge die Berufung hätte abfassen sollen.
Eine Bevollmächtigung kommt durch einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung des Machtgebers zustande. Es genügt der "Empfang" seitens des Vertreters (interne Vollmachtserteilung) oder von seiten eines dritten Kontrahenten oder von seiten der Öffentlichkeit (externe Vollmachtserteilung) (vgl. Strasser in Rummel I2, ABGB, Rz 43 zu § 1002). Der "Empfang" durch eine Person, welche die Berufung einzubringen bereit gewesen wäre, hätte somit rechtsgültig die Bevollmächtigung bewirkt.
Gemäß § 10 AVG haben sich eigenberechtigte Vertreter durch eine schriftliche Vollmacht auszuweisen, schreitet ein Rechtsanwalt oder Notar ein, ersetzt die Berufung auf die ihm erteilte Vollmacht deren urkundlichen Nachweis. Wird eine Berufung durch eine eigenberechtigte Person als Vertreter eingebracht, die nicht Rechtsanwalt oder Notar ist, ohne daß eine Vollmacht beiliegt, so handelt es sich bei der Nichtvorlage der Vollmacht bloß um einen Formfehler, die Behörde hat gemäß § 13 Abs. 3 AVG vorzugehen. Die nachträgliche Beurkundung eines schon früher - hier: während offener Berufungsfrist - bestandenen Bevollmächtigungsverhältnisses genügt, soweit es sich nicht um Fallfristen des materiellen Rechtes handelt (vgl. die in Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens4, S 147 f, wiedergegebene hg. Rechtsprechung). Sohin hätte der Empfänger des Briefes jede eigenberechtigte Person als Vertreter des Beschwerdeführers zur fristwahrenden Einbringung der Berufung bevollmächtigen können. Daraus ergibt sich, daß die Unterlassung der Weiterleitung bzw. Postaufgabe die Einhaltung der Berufungsfrist durch einen Vertreter verhinderte.
Zuletzt ist zu prüfen, ob dem Beschwerdeführer ein den minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden an der Versäumung der Frist traf. Die ungenaue Adressenbezeichnung ist kein den minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden. Das diesbezügliche Argument der belangten Behörde, er hätte auch selbst eine Berufung einbringen können, geht insofern an der Sache vorbei, als grundsätzlich niemand, der ein Rechtsmittel durch einen gewillkürten Vertreter einzubringen gedenkt, zusätzlich gehalten ist, auch selbst das Rechtsmittel einzubringen, solange er nicht begründet damit rechnen muß, daß sein Vertreter untätig bleiben werde, ansonsten der Sinn des § 10 AVG unterlaufen würde.
Im konkreten Fall mußte der Beschwerdeführer - entgegen der Ansicht der belangten Behörde - auch nicht damit rechnen, daß sein Vertreter vor Einbringung der Berufung mit ihm Rücksprache halten werde, hat der Beschwerdeführer doch eine Sachverhaltsdarstellung der Bevollmächtigung beigelegt, weshalb ein Vertreter ohne weitere Rücksprache in der Lage gewesen wäre, ein einen begründeten Berufungsantrag enthaltendes Rechtsmittel rechtzeitig einzubringen. Auch sonst sind keine Umstände hervorgekommen, daß der Beschwerdeführer innerhalb der Frist hätte davon ausgehen müssen, daß seine Bevollmächtigung nicht zur fristgerechten Erhebung der Berufung führen würde (wie dies etwa eine Mitteilung über die Unzustellbarkeit oder eine negative Rückmeldung des M gewesen wären). Daß er sein Ersuchen nicht in Evidenz hielt, kann ihm somit nicht als ein den minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden - unabhängig von seiner aufgrund des Hungerstreiks herrührenden Schwäche - zugerechnet werden.
Von der von dem Beschwerdeführer beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
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