Normen
AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §20 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §20 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 19. August 1994 wurde die Berufung des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen von Somalia, der am 5. Juni 1994 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 8. Juni 1994 den Asylantrag gestellt hat, gegen den den Asylantrag abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes vom 13. Juni 1994 abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hatte anläßlich seiner niederschriftlichen Einvernahme am 8. Juni 1994 angegeben:
Er gehöre dem Stamm der Madhiban an und habe in Mogadishu gelebt. Die Mitglieder seines Stammes hätten den ehemaligen Präsidenten Siad Barre unterstützt. Der Beschwerdeführer sei von 1988 bis 1990 Mitglied der Jugendorganisation der Somali Socialist Revolutionary Party (in der Folge: SRSP) gewesen. Nach dem Sturz des Präsidenten seien im Zuge des Bürgerkrieges viele Mitglieder seines Stammes von Angehörigen anderer Stämme umgebracht worden. Die Mutter des Beschwerdeführers sei, so glaube er, von USC-Kämpfern verschleppt worden. Während der Zeit des Bürgerkrieges sei er meistens zu Hause geblieben. Manchmal seien Kämpfer des USC gekommen und hätten Drohungen ausgesprochen. Da sie aber nichts über seine Mitgliedschaft zur Jugendorganisation der SRSP gewußt hätten, sei es bei den Drohungen geblieben. Während der Kämpfe habe niemand Zeit gehabt, nach den Mitgliedern der Jugendorganisation zu suchen. Erst nach Beendigung der Kämpfe sei es gefährlich geworden. Die Mitglieder der Jugendorganisation der SRSP seien nicht nur von USC, sondern auch von anderen ehemaligen Oppositionsgruppierungen gesucht worden. Der Onkel des Beschwerdeführers habe gehört, daß die USC-Kämpfer die Mitglieder der Jugendorganisation gesucht und am 3. Juni 1994 zwölf dieser Mitglieder ermordet hätten. Der Onkel habe ihn daraufhin in den Nordteil von Mogadishu gebracht und in seinem Haus versteckt. Bereits am nächsten Tag habe der Onkel die Flucht organisiert und ihn zum Flughafen gebracht. Er sei von Mogadishu über einen Zwischenaufenthalt in Nairobi nach Wien geflogen.
Das Bundesasylamt wies den Asylantrag ab, wobei es sich auf die Angaben des Beschwerdeführers und auf die "ha. aufliegende Länderdokumentation, sowie die Berichte aus der internationalen Presse" stützte. Inhaltlich wertete das Bundesasylamt die Aussagen des Beschwerdeführers lediglich als Furcht vor der in seinem Heimatland herrschenden Bürgerkriegssituation. Es liege keine individuelle Verfolgung durch staatliche Institutionen aus einem der in § 1 Abs. 1 Asylgesetz 1991 genannten Gründe vor.
In der dagegen erhobenen Berufung rügte der Beschwerdeführer die Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Ermittlungsverfahrens, mangelndes Parteiengehör, einen Verstoß gegen § 10 Abs. 2 Asylgesetz 1991 und die unrichtige rechtliche Beurteilung seiner erstinstanzlichen Angaben.
Die belangte Behörde veranlaßte eine ergänzende Befragung des Beschwerdeführers, welche am 17. August 1994 durchgeführt wurde.
Die belangte Behörde erließ daraufhin den angefochtenen Bescheid. Sie entgegnete darin zum Vorwurf der Verletzung des § 16 Abs. 1 Asylgesetz 1991, daß das "von der Asylbehörde erster Instanz durchgeführte Ermittlungsverfahren korrekt und in Übereinstimmung mit den geltenden gesetzlichen Bestimmungen erfolgt" sei. Dennoch habe die belangte Behörde aufgrund der Berufungsbehauptungen, die einen Bediensteten der Asylbehörde erster Instanz der Gesetzwidrigkeit beschuldigten, nicht umhin können, den Beschwerdeführer einer ergänzenden Befragung zu unterziehen, vor allem auch unter Berücksichtigung des Umstandes, daß er bereits zweimal versucht habe, illegal in die Bundesrepublik Deutschland zu gelangen.
Ohne Angabe der Erkenntnisquellen führte die belangte Behörde des weiteren die Situation in Somalia aus. Anschließend ging die belangte Behörde auf die Aussagen des Beschwerdeführers ein und nahm vier ausgeführte Widersprüche zwischen den erstinstanzlichen Angaben des Beschwerdeführers und der ergänzenden Einvernahme vom 17. August 1994 zum Anlaß, dem Beschwerdeführer teils die Glaubwürdigkeit abzusprechen, teils Ausführungen als in sich nicht schlüssig zu bezeichnen sowie auszuführen, daß "aufgrund der aufgezeigten Widersprüche ... Ihre Ausführungen nicht glaubhaft" seien. Dem Vorbringen des Beschwerdeführers sei auch kein Hinweis darauf zu entnehmen, daß er konkret aus einem der in § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 taxativ aufgezählten Gründe Verfolgungen ausgesetzt gewesen sei. Die Bürgerkriegssituation und deren Folgen indizierten für sich allein nicht die Flüchtlingseigenschaft.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die dagegen erhobene, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde erwogen:
Gemäß § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991 hat der Bundesminister für Inneres in jedem Fall in der Sache selbst zu entscheiden und seiner Entscheidung das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens erster Instanz zugrundezulegen. Gemäß § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 hat der Bundesminister für Inneres eine Ergänzung oder Wiederholung des Ermittlungsverfahrens anzuordnen, wenn es mangelhaft war, der Asylwerber Bescheinigungsmittel vorlegt, die ihm im Verfahren erster Instanz nicht zugänglich waren, oder wenn sich der Sachverhalt, der der Entscheidung erster Instanz zugrundelag, in der Zwischenzeit geändert hat.
Die in der Berufung gerügte Unvollständigkeit des Ermittlungsverfahrens erster Instanz wird vom Beschwerdeführer ausschließlich damit begründet, daß die Behörde seine erstinstanzlichen Angaben einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung unterzogen hat. Der Beschwerdeführer bringt dort jedoch keine Gründe vor, was die Behörde - ausgehend von Anhaltspunkten in der erstinstanzlichen Niederschrift - noch zusätzlich hätte ermitteln müssen. Das Bundesasylamt hat dem Beschwerdeführer die Glaubwürdigkeit nicht abgesprochen, sondern seine Angaben dem erstinstanzlichen Bescheid zugrundegelegt.
Der Verwaltungsgerichtshof kann daher die Ansicht der belangten Behörde, das erstinstanzliche Verfahren leide nicht unter dem Mangel eines nicht korrekt durchgeführten Ermittlungsverfahrens, nicht als rechtswidrig erkennen.
Insoferne der Beschwerdeführer in der Berufung mangelndes Parteiengehör rügt, so ist ihm zu entgegnen, daß die erstinstanzliche Behörde zwar Ausführungen über die Situation in Somalia auf dem Beschwerdeführer nicht vorgehaltene Unterlagen gestützt hat, der Beschwerdeführer jedoch in seiner Berufung gegen die Darstellung der Situation in Somalia im erstinstanzlichen Bescheid keine Einwendungen erhoben hat, weshalb sich hieraus jedenfalls keine Durchbrechung des in § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991 normierten Neuerungsverbotes ergibt.
Den behaupteten Verstoß der erstinstanzlichen Behörde gegen "§ 10" (gemeint offenbar: § 20) Abs. 2 Asylgesetz 1991 erhebt der Beschwerdeführer in der Berufung lediglich durch ziffernmäßige Zitierung der Gesetzesstelle ohne nähere Ausführungen, weshalb auch hierin ein Verfahrensmangel, welcher das Neuerungsverbot des § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991 durchbrechen könnte, im Gegensatz zur Ansicht der belangten Behörde nicht zu erblicken ist.
Auch der zweimalige Versuch des Beschwerdeführers, während des anhängigen Asylverfahrens illegal in die Bundesrepublik Deutschland zu gelangen, erfüllt - entgegen der Ansicht der belangten Behörde - keine der in § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 genannten Voraussetzungen der Durchbrechung des Neuerungsverbotes.
Damit hat aber die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid insofern mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet, als sie eine Ergänzung des Ermittlungsverfahrens durch neuerliche Einvernahme des Beschwerdeführers durchführen ließ und aus dem Ergebnis dieser niederschriftlichen Einvernahme Schlüsse zu Ungunsten des Beschwerdeführers durch Aufzeigen von Widersprüchlichkeiten zwischen erstinstanzlicher und ergänzender Einvernahme ableitete, welche wesentlich für ihre Entscheidung waren (vgl. zB die hg. Erkenntnisse vom 24. März 1994, Zl. 94/19/0089, und vom 18. April 1996, Zl. 95/20/0295).
Insoferne die belangte Behörde begründet, daß der Beschwerdeführer keine asylrechtlich relevante Verfolgung habe aufzeigen können und seine Furcht lediglich aus der Bürgerkriegssituation resultiere, hat die belangte Behörde außer acht gelassen, daß der Beschwerdeführer seine Furcht vor Verfolgung nicht allein auf die Bürgerkriegssituation und die daraus entstehenden allgemeinen Gefahren gestützt hat, sondern auf eine konkrete Verfolgung von Mitgliedern einer politischen Organisation, der er auch angehört hatte. Ebenso hat der Beschwerdeführer angegeben, daß es keine staatliche Macht gebe, die ihm Schutz vor einer solchen individuell drohenden Verfolgung hätte gewähren können. Verfolgungshandlungen im Sinne des § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 können aber auch dann gegeben sein, wenn die behaupteten Übergriffe aufgrund einer politischen Gesinnung von staatlichen Stellen des Heimatlandes des Asylwerbers geduldet bzw. aufgrund von Machtlosigkeit der staatlichen Stellen nicht unterbunden werden könnten. Da sich die belangte Behörde mit diesem Vorbringen nicht auseinandergesetzt hat, erweist sich der angefochtene Bescheid auch diesbezüglich als rechtswidrig.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
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