Normen
FrG 1993 §10 Abs1 Z4;
FrG 1993 §11 Abs1;
FrG 1993 §10 Abs1 Z4;
FrG 1993 §11 Abs1;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.890,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
I.
1. Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien (der belangten Behörde) vom 2. Februar 1994 wurde der dem Beschwerdeführer, einem Staatsangehörigen der Bundesrepublik Jugoslawien, von dieser Behörde am 31. März 1993 (unbefristet) erteilte Sichtvermerk gemäß § 11 Abs. 1 iVm § 8 Fremdengesetz - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, für ungültig erklärt.
Als maßgeblichen Sachverhalt legte die belangte Behörde ihrer rechtlichen Beurteilung, daß der Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde (§ 10 Abs. 1 Z. 4 FrG), zugrunde, daß dieser in den Jahren 1988 bis 1991 insgesamt viermal (dreimal wegen § 83 Abs. 1, einmal wegen § 146 StGB) rechtskräftig (jeweils zu Geldstrafen) verurteilt worden sei, und - ungeachtet einer "Ermahnung", daß er im Fall einer neuerlichen Übertretung der österreichischen Rechtsordnung mit der Ergreifung fremdenpolizeilicher Zwangsmaßnahmen zu rechnen habe - am 13. Dezember 1993 vom Landesgericht für Strafsachen Wien neuerlich wegen §§ 125, 83 Abs. 1 StGB, rechtskräftig, und zwar zu drei Monaten Freiheitsstrafe, bedingt auf drei Jahre, verurteilt worden sei. Aufgrund dieser Verurteilungen wäre bereits die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes gerechtfertigt; davon werde jedoch abgesehen, weil sich der Beschwerdeführer schon seit 17. Februar 1969 im Bundesgebiet aufhalte. Von der Ungültigerklärung des Sichtvermerkes habe indes nicht abgesehen werden können, da der Beschwerdeführer aufgrund seiner zahlreichen Verurteilungen auf jeden Fall - trotz des langjährigen Aufenthaltes und der daraus resultierenden Integration - die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit "auf das schärfste" gefährden würde, sei doch nicht zu erwarten, daß er sich in Zukunft an die österreichische Rechtsordnung halten werde.
2. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser Gerichtshof lehnte die Behandlung der Beschwerde ab und trat sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab (Beschluß vom 5. Dezember 1994, B 706/94).
Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren macht die Beschwerde der Sache nach Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend und begehrt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen "Rechtswidrigkeit".
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Gemäß § 11 Abs. 1 FrG ist ein Sichtvermerk ungültig zu erklären, wenn nachträglich Tatsachen bekannt werden oder eintreten, welche die Versagung des Sichtvermerkes (§ 10 Abs. 1 und 2) rechtfertigen würden.
Nach § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG ist die Erteilung eines Sichtvermerkes zu versagen, wenn der Aufenthalt des Sichtvermerkswerbers die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde.
2.1. Im Grunde des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG kommt es nicht auf das Vorliegen rechtskräftiger gerichtlicher Verurteilungen an; wesentlich für die Verwirklichung dieses Tatbestandes ist vielmehr, ob das (gesamte) Verhalten des Sichtvermerkswerbers die Annahme rechtfertigt, sein Aufenthalt gefährde die (oder zumindest eines der) in dieser Bestimmung genannten Rechtsgüter (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 30. September 1993, Zl. 93/18/0347). Im Hinblick auf den klaren Wortlaut des § 11 Abs. 1 FrG ist die Heranziehung von der Behörde im Zeitpunkt der seinerzeitigen Erteilung des Sichtvermerkes bereits bekannten Tatsachen als Grund für die Ungültigerklärung des Sichtvermerkes unzulässig.
2.2. Indem die belangte Behörde bei Anwendung des § 11 Abs. 1 iVm § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG entscheidend auf das Vorliegen von insgesamt fünf rechtskräftigen gerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers abstellte, verkannte sie die oben dargestellte Rechtslage in jeder Hinsicht. Nach dieser durfte sie für die Frage, ob im Beschwerdefall der von ihr ins Auge gefaßte gesetzliche Tatbestand als verwirklicht anzusehen ist, allein das konkrete, der Verurteilung vom 13. Dezember 1993 zugrunde liegende Fehlverhalten des Beschwerdeführers heranziehen. Dieses (wie im übrigen vom Beschwerdeführer in seiner Stellungnahme vom 20. Jänner 1994 gefordert) zu ermitteln und festzustellen, unterließ"die belangte Behörde aufgrund ihrer verfehlten Ansicht vom Inhalt der hier maßgeblichen Rechtsnormen.
3. Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben, ohne daß es noch eines Eingehens auf die von der belangten Behörde vorgenommene Interessenabwägung bedurfte (wobei aber im grundsätzlichen doch angemerkt sei, daß - anders als für die Frage der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes - für die Gewichtung der maßgeblichen öffentlichen Interessen auf das sämtlichen gerichtlichen Verurteilungen zugrunde liegende Fehlverhalten des Beschwerdeführers Bedacht genommen werden durfte).
4. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Die Abweisung des Mehrbegehrens beruht darauf, daß die Zuerkennung von Umsatzsteuer neben dem pauschalierten Schriftsatzaufwandersatz (in dem die Umsatzsteuer bereits enthalten ist) im Gesetz nicht vorgesehen ist.
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