VwGH 95/11/0308

VwGH95/11/030822.2.1996

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Neumeister, über die Beschwerde des M in B, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in B, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 8. Juni 1995, Zl. 11-39 Wo 13-94, betreffend vorübergehende Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §52;
KFG 1967 §67 Abs2;
KFG 1967 §73 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
AVG §52;
KFG 1967 §67 Abs2;
KFG 1967 §73 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 74 Abs. 1 KFG 1967 die Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppen A bis C und E bis G für die Dauer der geistigen und körperlichen Nichteignung vorübergehend entzogen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Der angefochtene Bescheid stützt sich auf das Gutachten der ärztlichen Amtssachverständigen vom 8. März 1995 und deren ergänzendes Gutachten vom 19. Mai 1995. Im Gutachten vom 8. März 1995 wird auf die Vorgeschichte Bezug genommen und darauf hingewiesen, daß der Beschwerdeführer im Befund einer verkehrspsychologischen Untersuchungsstelle vom Dezember 1992 als nicht geeignet zum Lenken von Kraftfahrzeugen erachtet worden sei, weil sich eine wesentliche Verminderung der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit und der Bereitschaft zur Verkehrsanpassung ergeben habe. Weitere verkehrspsychologische Befunde vom November 1993 und April 1994 hätten keine Verbesserungen gezeigt. Im besonderen sei im April 1994 festgestellt worden, daß das Reaktionsverhalten deutlich außerhalb der Norm gelegen sei und die Beobachtungsfähigkeit, die sensomotorische Koordination und die Konzentrationsfähigkeit eingeschränkt seien. Sehr ähnlich seien die Befundergebnisse vom November 1993, wo auch wesentliche Einschränkungen der psychomotorischen Leistung in allen vom Gesetz aufgezählten Bereichen der Leistungsfähigkeit festgestellt worden seien. Beide Tests, die von unterschiedlichen Untersuchungsanstalten vorgenommen worden seien, zeigten auch, daß verkehrsauffälliges Verhalten in erhöhtem Ausmaß zu erwarten sei, da auf Grund der psychischen Alkoholdisposition erhöhte Risikobereitschaft im Straßenverkehr gegeben sei. Beim Beschwerdeführer sei, offenbar durch jahrelangen Alkoholmißbrauch zumindest mitbedingt, die kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit so wesentlich beeinträchtigt, daß Fehlreaktionen und gefährliches Verhalten im Straßenverkehr in überhöhtem Ausmaß befürchtet werden müßten. Darüber hinaus sei die Bereitschaft zur Verkehrsanpassung deutlich vermindert, was - gegenüber dem Durchschnitt - ein erhöhtes Risiko von neuerlichen Alkoholfahrten bedinge. Er sei daher aus ärztlicher Sicht zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppen A, B, C, E und F körperlich und geistig nicht geeignet.

In einem ergänzenden Gutachten vom 19. Mai 1995 führte die ärztliche Amtssachverständige aus, zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppe G seien die kraftfahrspezifischen Leistungen im Hinblick auf die geringere Geschwindigkeit dieser Fahrzeuge knapp ausreichend. Die Bereitschaft zur Verkehrsanpassung müsse jedoch generell in ausreichender Weise gegeben sein, sodaß der Beschwerdeführer auch zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppe G geistig nicht geeignet sei.

Die belangte Behörde bezeichnete das ärztliche Sachverständigengutachten als schlüssig und nachvollziehbar und führte aus, ein vom Beschwerdeführer vorgelegter Arztbrief der neurologischen Abteilung des Landeskrankenhauses B vom 11. Juli 1994, nach dessen Inhalt er psychisch klar orientiert und unauffällig sei, sei nicht "anzuerkennen", weil das genannte Landeskrankenhaus keine verkehrspsychologische Untersuchungsstelle sei. Die vom Beschwerdeführer beantragte Durchführung einer Beobachtungsfahrt sei entbehrlich, weil diese nicht geeignet sei, festgestellte Mängel der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit zu widerlegen.

Bei der Beurteilung der Beschwerde war davon auszugehen, daß gemäß § 74 Abs. 1 KFG 1967 die Lenkerberechtigung vorübergehend zu entziehen ist, wenn ihr Besitzer nicht mehr im Sinne des § 66 verkehrszuverlässig, nicht mehr geistig oder körperlich geeignet oder nicht mehr fachlich befähigt ist, ein Kraftfahrzeug zu lenken, und anzunehmen ist, daß nach Ablauf von nicht mehr als 18 Monaten die Gründe für die Entziehung nicht mehr gegeben sind. Hiebei finden die Bestimmungen des § 73 sinngemäß Anwendung.

Voraussetzung für eine (bloß) vorübergehende Entziehung der Lenkerberechtigung ist zufolge dieser Gesetzesstelle die Annahme, daß nach Ablauf von nicht mehr als 18 Monaten die Gründe für die Entziehung nicht mehr gegeben sind. Welche Gründe für die belangte Behörde maßgebend waren, diese Annahme für gerechtfertigt zu halten, ist mangels diesbezüglicher Ausführungen im angefochtenen Bescheid nicht erkennbar, doch brauchte darauf nicht näher eingegangen zu werden, weil dieser Begründungsmangel zu keiner Verletzung von Rechten des Beschwerdeführers geführt hat.

Bestehen Bedenken, ob die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkerberechtigung noch gegeben sind - dazu gehört nach § 64 Abs. 2 KFG 1967 auch die geistige und körperliche Eignung -, so ist gemäß § 75 Abs. 1 leg. cit. unverzüglich ein Ermittlungsverfahren einzuleiten. Gemäß § 75 Abs. 2 leg. cit. ist vor der Entziehung der Lenkerberechtigung wegen mangelnder geistiger oder körperlicher Eignung ein neuerliches ärztliches Gutachten gemäß § 67 Abs. 2 einzuholen. Nach dieser Gesetzesstelle darf das ärztliche Gutachten im Zeitpunkt der Entscheidung nicht älter als ein Jahr sein. Stützt sich ein Gutachten in entscheidenden Punkten auf Unterlagen, die bereits vor mehr als einem Jahr vor der Erlassung des angefochtenen Bescheides zustande gekommen sind, so wird damit der genannten Vorschrift nicht Genüge getan (siehe das hg. Erkenntnis vom 29. Mai 1990, Zl. 89/11/0185, mwN).

Der angefochtene Bescheid wurde mit seiner Zustellung an den Beschwerdeführer am 26. Juni 1995 erlassen. Im Zeitpunkt der Bescheiderlassung waren somit die verkehrspsychologischen Befunde vom Dezember 1992, November 1993 und April 1994, auf die sich die amtsärztliche Sachverständige und - dieser folgend - die belangte Behörde in entscheidender Weise stützten, älter als ein Jahr, weshalb die belangte Behörde schon aus diesem Grund das auf diesen Befunden basierende Gutachten der amtsärztlichen Sachverständigen ihrer Entscheidung nicht mehr hätte zugrundelegen dürfen.

Da somit der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt einer Ergänzung bedarf und Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Die Abweisung des Mehrbegehrens erfolgte, weil der Pauschalbetrag für Schriftsatzaufwand nach dieser Verordnung S 12.500,-- (und nicht wie verzeichnet S 15.000,--) beträgt und in diesem Pauschalbetrag die Umsatzsteuer bereits enthalten ist.

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