VwGH 95/08/0189

VwGH95/08/018930.5.2001

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Novak und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde der G in W, vertreten durch Dr. Peter Gatternig, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Renngasse 9, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 11. Jänner 1995, Zl. MA 12-8804/83, betreffend Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfes, zu Recht erkannt:

Normen

ABGB §140 Abs3;
SHG Wr 1973 §10 Abs1;
SHG Wr 1973 §8 Abs1;
ABGB §140 Abs3;
SHG Wr 1973 §10 Abs1;
SHG Wr 1973 §8 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt Wien hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 20. Dezember 1994 wurde durch den Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 12-Sozialamt, die der Beschwerdeführerin zuletzt mit Bescheid vom 8. Jänner 1990 zuerkannte monatliche Geldleistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes unter Berufung auf die §§ 8, 12 und 13 des Wiener Sozialhilfegesetzes (Wr. SHG) von Amts wegen neu bemessen und ab 1. Jänner 1995 auf die Dauer unveränderter Verhältnisse mit monatlich S 5.440,-- festgesetzt.

Nach der Begründung ergebe sich die Neubemessung auf Grund geänderter Einkommens- und Familienverhältnisse. Die Richtsatzerhöhung ab 1. Jänner 1995 sei unter Berücksichtigung der Miete durchgeführt worden; das Pflegegeld der am 18. Juli 1963 geborenen Tochter der Beschwerdeführerin in Höhe von S 3.688,-- sei als Einkommen der Beschwerdeführerin in Abzug gebracht worden.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung wandte sich die Beschwerdeführerin ausschließlich gegen die Anrechnung des Pflegegeldes ihrer Tochter als Einkommen. Nach den Bestimmungen des Wiener Pflegegeldgesetzes unterliege des Pflegegeld nicht der Einkommensteuer. Nach einem Erlass des Bundesministeriums für Finanzen vom 29. April 1994 sei das Pflegegeld, das für die Pflege naher Angehöriger von diesen beansprucht werde, nicht als Einkommen zu betrachten und unterliege daher auch nicht der Einkommensteuer.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Berufung keine Folge gegeben.

In der Begründung erwiderte die belangte Behörde auf das Berufungsvorbringen der Beschwerdeführerin, der steuerrechtliche Einkommensbegriff liefere keine Anhaltspunkte dafür, wie der Begriff des Einkommens in § 10 Wr. SHG auszulegen sei. Nach Lehre und Rechtsprechung sei von einem umfassenden Einkommensbegriff auszugehen, der grundsätzlich alle Einkünfte des Hilfe Suchenden umfasse, gleichgültig aus welchem Titel diese ihm zufließen würden (Hinweis auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 21. Mai 1986, Zl. 85/11/0236). Es komme auch nicht darauf an, von wem dieses Einkommen stamme, ob es bloß einmalig oder regelmäßig, mit oder ohne Gegenleistung gewährt werde, ob es aus selbstständiger oder unselbstständiger Tätigkeit stamme bzw. der Steuer- oder Sozialversicherungspflicht unterliege. Nach dem Wiener Sozialhilfegesetz sei Hilfe nur insoweit zu gewähren, als das Einkommen und das verwertbare Vermögen des Hilfe Suchenden nicht ausreichten, um den Lebensbedarf zu sichern.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Die Beschwerdeführerin wendet sich - wie bereits im Verwaltungsverfahren - ausschließlich gegen die Anrechnung des ihrer Tochter gewährten Pflegegeldes. Das Pflegegeld habe nach § 1 des Wiener Pflegegeldgesetzes den Zweck, in Form eines Beitrages pflegebedingte Mehraufwendungen pauschaliert abzugelten, um pflegebedürftigen Personen so weit wie möglich die notwendige Betreuung und Hilfe zu sichern sowie die Möglichkeit zu verbessern, ein selbst bestimmtes, bedürfnisorientiertes Leben zu führen. Bezugsberechtigt sei daher schon nach dem Wortlaut des Gesetzes ausschließlich die pflegebedürftige Person. Durch den Umstand, dass die Beschwerdeführerin ihre Tochter pflege, erhalte sie eine geringere Leistung, als sie ihr zustünde, wenn sie bei Arbeitsunfähigkeit allein lebte. Es sei rechtlich völlig verfehlt, einen eigenen Anspruch eines Anspruchsberechtigten deshalb zu kürzen, weil ein anderer, zufällig mit ihm im gemeinsamen Haushalt lebender Familienangehöriger ebenfalls einen eigenständigen Anspruch habe. Nachdem weder in ihrem Anspruch noch im Anspruch ihrer Tochter Leistungen für einen Familienangehörigen enthalten seien, könne für eine Leistung an diesen Familienangehörigen auch kein Abzug durchgeführt werden. Die Beschwerdeführerin habe sich schon bald nach der Geburt ihrer Tochter ausschließlich um diese gekümmert, um ihr einen Aufenthalt in einem Heim zu ersparen, der überdies den Staat wesentlich mehr kosten würde. Die von der belangten Behörde vorgenommene Auslegung des Sozialhilfegesetzes würde bedeuten, dass die Beschwerdeführerin einen Teil des Einkommens ihrer Tochter für sich ausgeben müsste. Die von der belangten Behörde zitierte Entscheidung sei auf den Beschwerdefall nicht anzuwenden. Dieses Erkenntnis habe einen Fall betroffen, in dem eine Kriegsopferrente, die der Beschwerdeführer selbst erhalten habe, auf dessen Sozialhilfe angerechnet worden sei.

Nach § 8 Abs. 1 Wr. SHG hat Anspruch auf Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfes nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen, wer den Lebensbedarf für sich und die mit ihm in Familiengemeinschaft lebenden unterhaltsberechtigten Angehörigen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln beschaffen kann und ihn auch nicht von anderen Personen oder Einrichtungen erhält.

Nach § 10 Abs. 1 Wr. SHG ist Hilfe nur insoweit zu gewähren, als das Einkommen und das verwertbare Vermögen des Hilfe Suchenden nicht ausreichen, um den Lebensbedarf (§ 11) zu sichern.

Zur Anrechnung des Pflegegeldes auf den Richtsatz der Mutter hat der Verwaltungsgerichtshof in einem vergleichbaren Fall nach dem Salzburger Sozialhilfegesetz im Wesentlichen die Auffassung vertreten, dass das Pflegegeld des Kindes nicht schon deshalb auf den Richtsatz der Hilfe Suchenden anzurechnen ist, weil es mit ihr im gemeinsamen Haushalt wohnt und unterhaltsberechtigt ist. Das Pflegegeld ist aber der Hilfe Suchenden deshalb als Einkommen anzurechnen, weil sie - auf Kosten ihrer sonst bestehenden Verdienstmöglichkeiten - gerade jene Pflegeleistungen erbringt, zu deren Abdeckung (zweckgebunden) das Pflegegeld dient. Der Unterhaltsanspruch des Kindes gemäß § 140 Abs. 3 ABGB vermindert sich im Umfang eigener Einkünfte, sodass das Kind die notwendige Mehrbetreuung oder deren Kosten - soweit sie durch die pflegebezogene Geldleistung abgegolten sind - von der Mutter nicht mehr unter dem Titel der Unterhaltspflicht fordern kann. Ist aber die Mutter nicht mehr zur unentgeltlichen Erbringung dieser Betreuungsleistung verpflichtet, dann kann sie von ihrem Kind auch die Abführung der pflegebezogenen Geldleistung als Entschädigung für die von ihr erbrachten Betreuungsleistungen fordern (vgl. das Erkenntnis vom 21. April 1998, Zl. 97/08/0510, mit Hinweis auf Vorjudikatur).

Die grundsätzliche Anrechnung von Pflegegeld ist im Beschwerdefall daher nicht zu beanstanden.

Nach dem zitierten Erkenntnis ist das Pflegegeld allerdings unter Abzug jener Teile anzurechnen, die für den Zukauf pflegebezogener Leistungen und Waren aufgewendet werden müssen - ein diesbezügliches Vorbringen ist von der Beschwerdeführerin weder im Verwaltungsverfahren noch in der Beschwerde erstattet worden - oder von Gesetzes wegen im Besonderen dem Verbrauch zu Gunsten des Pflegebedürftigen gewidmet sind. Dazu zählt das Taschengeld des Pflegebedürftigen. Daher wäre jedenfalls der im betreffenden Pflegegeldgesetz für Taschengeld vorgesehen Freibetrag vor Anrechnung des Pflegegeldes von diesem in Abzug zu bringen gewesen.

Da die belangte Behörde dies übersehen hat, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit; dieser war daher gemäß § 42 Abs.2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Von der beantragten mündlichen Verhandlung war gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG abzusehen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 30. Mai 2001

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