VwGH 95/08/0152

VwGH95/08/015230.9.1997

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Novak, Dr. Sulyok und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde des E in W, vertreten durch Dr. Andreas Ladstätter, Rechtsanwalt in Wien I, Riemergasse 6/8, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 22. März 1995, Zl. MA 15-II-P 12/94, betreffend Beitragshaftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG (mitbeteiligte Partei: Wiener Gebietskrankenkasse, Wien X, Wienerbergstraße 15-19), zu Recht erkannt:

Normen

ASVG §67 Abs10 idF 1989/642;
ASVG §67 Abs10;
AVG §37;
AVG §45 Abs2;
BAO §80 Abs1 impl;
BAO §9 Abs1 impl;
GewO 1973 §39 Abs2 idF 1993/029;
GewO 1973 §9 Abs1 idF 1993/029;
ASVG §67 Abs10 idF 1989/642;
ASVG §67 Abs10;
AVG §37;
AVG §45 Abs2;
BAO §80 Abs1 impl;
BAO §9 Abs1 impl;
GewO 1973 §39 Abs2 idF 1993/029;
GewO 1973 §9 Abs1 idF 1993/029;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- und der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 20. Jänner 1994 sprach die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse aus, der Beschwerdeführer sei "als Geschäftsführer" gemäß § 67 Abs. 10 ASVG im Zusammenhang mit § 83 ASVG verpflichtet, der Mitbeteiligten die auf dem Beitragskonto einer näher bezeichneten Kommanditgesellschaft (KG) rückständigen Sozialversicherungsbeiträge samt Nebengebühren (Verzugszinsen berechnet bis 14. Jänner 1994) im Betrag von S 476.492,11 zuzüglich Verzugszinsen seit 15. Jänner 1994, berechnet von S 385.276,33 binnen 14 Tagen zu zahlen.

Begründend wurde ausgeführt, die im angeschlossenen (Beitragszeiträume vom Juni 1992 bis Februar 1993 betreffenden) Rückstandsausweis ausgewiesenen Beiträge samt Nebengebühren hätten nicht eingebracht werden können. Der Beschwerdeführer sei "als Geschäftsführer zur Vertretung des Beitragsschuldners berufen" und habe es schuldhaft unterlassen, dafür zu sorgen, daß die Beiträge ordnungsgemäß entrichtet werden.

In dem von seinem Rechtsvertreter eingebrachten Einspruch gegen diesen Bescheid führte der Beschwerdeführer aus, er sei Geschäftsführer der GesmbH, die ihrerseits die alleinige persönlich haftende Gesellschafterin der Beitragsschuldnerin sei. Als Geschäftsführer der Komplementär-GesmbH hafte er nach dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. Februar 1990, Zlen. 89/08/0276, 0277, 0354, 0355, nicht für die Beitragsschulden der KG. Diese Haftung sei aber auch deshalb nicht gegeben, weil über das Vermögen der KG "im März 1993" das Ausgleichsverfahren eröffnet worden sei, welches "später" in einen Konkurs gemündet sei. Zum "Fälligkeitszeitpunkt der Vorschreibungen 1/93 und 2/93" sei er daher "aus gesetzlichen Verpflichtungen nicht berechtigt" gewesen, Zahlungen aus den Mitteln der KG zu leisten.

In ihrer Stellungnahme zu diesem Einspruch führte die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse aus, die zitierte Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes sei durch die 48. ASVG-Novelle überholt, die Beitragsabrechnungen Jänner und Februar 1993 seien Ende des jeweiligen Monates fällig gewesen und das Ausgleichsverfahren sei erst am 12. März 1993 eröffnet worden. Die Uneinbringlichkeit der Beiträge ergebe sich aus einem Schreiben des Masseverwalters vom 3. Jänner 1994.

Dem hielt der Beschwerdeführer in einer schriftlichen Stellungnahme vom 24. Oktober 1994 entgegen, die Änderung des § 67 Abs. 10 ASVG durch die 48. Novelle habe nicht dazu geführt, daß der Geschäftsführer einer Komplementär-GesmbH für die Beitragsschulden der KG hafte. Darüber hinaus werde geltend gemacht, daß eine Ungleichbehandlung von Gläubigern nicht stattgefunden habe und keinerlei schuldhafte Verletzung von Pflichten durch den Beschwerdeführer vorliege. Von der Anberaumung einer Verhandlung könne abgesehen werden.

Nachdem der Beschwerdeführer die Verhandlung vom 4. November 1994 unbesucht gelassen hatte, wurde ihm aufgrund telefonischen Ersuchens seines Rechtsvertreters unter Übermittlung einer Musteraufstellung Gelegenheit gegeben, den Gleichbehandlungsnachweis zu erbringen. Die hiefür gesetzten Fristen ließ der Beschwerdeführer ungenützt verstreichen.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Einspruch als unbegründet ab und bestätigte den Bescheid vom 20. Jänner 1994.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof - nach Vorlage der Akten durch die belangte Behörde und Erstattung von Gegenschriften durch die belangte Behörde und die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse - erwogen hat:

1. Der Beschwerdeführer macht geltend, als Geschäftsführer der Komplementär-GesmbH hafte er nicht für die Beitragsschulden der KG, und beruft sich für diese Rechtsansicht auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. Februar 1990, Zlen. 89/08/0276, 0277, 0354, 0355. Durch die 48. ASVG-Novelle sei § 67 Abs. 10 ASVG "nicht so weit abgeändert" worden, daß diese Judikatur ihre Gültigkeit verloren hätte. Als "mittelbarer Vertreter" unterliege der Beschwerdeführer nach wie vor nicht den Bestimmungen des § 67 Abs. 10 ASVG, welche "nur die zur Vertretung berufenen Personen bzw. deren gesetzliche Vertreter unter Haftungssanktionen" stellten.

Diesen Ausführungen ist nicht zu folgen. In dem zitierten Erkenntnis ging der Verwaltungsgerichtshof ausdrücklich davon aus, daß der Geschäftsführer der Komplementär-GesmbH auch zur Vertretung der KG "berufen" sei. Er verneinte dessen Haftung für die Beitragsschulden der KG nicht wegen der "Mittelbarkeit" dieser Vertretung, sondern deshalb, weil im § 67 Abs. 10 ASVG in der Fassung vor der 48. Novelle, BGBl. Nr. 642/1989, die Personenhandelsgesellschaften unter den Beitragsschuldnern, deren Vertreter die Haftung treffe, nicht angeführt waren. Da "juristische Personen" im Gesetzestext genannt waren, war nur die Frage zu behandeln, ob auch den Vertreter einer juristischen Person, die zwar nicht Beitragsschuldner, aber Komplementär einer Beitragsschuldnerin sei, die Haftung treffe. Der Verwaltungsgerichtshof schloß sich der damals von der belangten Behörde vertretenen Auffassung an, daß dies nicht der Fall sei, "weil unter den juristischen bzw. natürlichen Personen, deren zur Vertretung berufene Personen bzw. gesetzliche Vertreter nach § 67 Abs. 10 ASVG eine Haftung treffen soll, nur die Beitragsschuldner und nicht auch Personen zu verstehen sind, die ihrerseits wiederum Vertreter des Beitragsschuldners sind".

Bei Beachtung dieser - in der Veröffentlichung der Entscheidung im Anwaltsblatt 1991, 108 der redaktionellen Bearbeitung zum Opfer gefallenen - Grundaussagen des Erkenntnisses und der sie stützenden Hinweise darauf, daß § 67 Abs. 10 ASVG in der Fassung vor der 48. Novelle keine dem § 81 Abs. 1 BAO entsprechende Bestimmung enthalten, die 48. Novelle in dieser Hinsicht aber eine Änderung herbeigeführt habe, konnte der Entscheidung nicht entnommen werden, auch § 67 Abs. 10 ASVG in der Fassung der 48. Novelle schließe Geschäftsführer einer Komplementär-GesmbH von der Haftung aus, obwohl die zur Vertretung von Personenhandelsgesellschaften "berufenen Personen" in die Regelung seither einbezogen sind.

Die gegenteilige und im vorliegenden Fall vom Beschwerdeführer

geteilte Meinung von Arnold (Anwaltsblatt 1991, 109), die vom

Verwaltungsgerichtshof zu § 67 Abs. 10 ASVG in der Fassung vor

der 48. Novelle vertretene Rechtsansicht "dürfte ... auch auf

die Neufassung ... durch die 48. ASVG-Novelle zutreffen", ist

daher nicht richtig. Seit dem Inkrafttreten der

48. ASVG-Novelle am 1. Jänner 1990 haften Geschäftsführer einer

Komplementär-GesmbH für die Beitragsschulden einer KG aus den

gleichen Gründen, aus denen ihre Haftung im Abgabenrecht zu

bejahen ist (vgl. dazu die Erkenntnisse vom 18. April 1979,

Slg. Nr. 5370/F, und vom 10. Juni 1980, Slg. Nr. 5494/F, und

eine Mehrzahl daran anschließender Erkenntnisse; aus jüngerer

Zeit etwa das Erkenntnis vom 24. Jänner 1996, Zl. 94/13/0069).

2. Die Grundvoraussetzung der Ausfallshaftung nach § 67 Abs. 10 ASVG ist die Uneinbringlichkeit der betreffenden Beiträge beim Primärschuldner, wobei auch in dieser Hinsicht auf die Rechtsprechung zu den abgabenrechtlichen Haftungsnormen zurückgegriffen werden kann (vgl. dazu etwa das Erkenntnis vom 22. März 1994, Zlen. 93/08/0210, 0211, Slg. Nr. 14021/A). Der Beschwerdeführer macht geltend, über das Einkommen der KG sei zwar der Anschlußkonkurs eröffnet worden, doch stehe damit noch nicht fest, daß mit keiner Quote zu rechnen sei. Die (bei der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse am 4. Jänner 1994 eingelangte) Auskunft des Masseverwalters, wonach "voraussichtlich mit keiner Quote für die Konkursgläubiger gerechnet werden" könne, sei unverbindlich und ohne Rechtsfolgen. Sie sei dem Beschwerdeführer unter Umgehung des rechtlichen Gehörs auch nicht zur Kenntnis gebracht worden und bewirke die Mangelhaftigkeit der Sachverhaltsfeststellung im Rahmen eines sekundären Verfahrensmangels.

Mit diesen Ausführungen zeigt der Beschwerdeführer eine Rechtswidrigkeit (nur) deshalb nicht auf, weil er der Feststellung der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse im Bescheid vom 20. Jänner 1994, die im Rückstandsausweis angeführten Beiträge samt Nebengebühren hätten nicht eingebracht werden können, im Einspruchsverfahren nicht die Behauptung entgegenstellte, diese Verbindlichkeiten könnten - im Konkurs der KG oder, wie hinzuzufügen ist, bei der Komplementär-GesmbH - doch hereingebracht werden. Unter diesen Umständen war es nicht rechtswidrig, wenn die belangte Behörde von der gänzlichen Uneinbringlichkeit ausging (vgl. dazu die Erkenntnisse vom 12. April 1994, Zlen. 93/08/0259 bis 0261, und vom 20. Februar 1996, Zl. 95/08/0251).

3. Der Beschwerdeführer meint weiters, als Geschäftsführer der Komplementär-GesmbH hafte er nur, wenn zuvor die Komplementär-GesmbH selbst in Anspruch genommen worden sei. Erst wenn eine derartige Inanspruchnahme ergebnislos geblieben sei, könne von einer Uneinbringlichkeit gesprochen werden.

In diesem Zusammenhang macht der Beschwerdeführer nicht geltend, die Beiträge seien - entgegen der im erstinstanzlichen Bescheid allgemein getroffenen und vom Beschwerdeführer unbekämpft gelassenen Feststellung, die Beiträge hätten nicht hereingebracht werden können - bei der Komplementär-Gesellschaft einbringlich (was angesichts des Verhaltens im Einspruchsverfahren auch eine unbeachtliche Neuerung wäre). Ist diese Einbringlichkeit nicht gegeben, so bedarf es aber auch nicht des sinnlosen Formalaktes einer "Inanspruchnahme" der Komplementär-Gesellschaft, um die Haftung ihres Geschäftsführers herbeizuführen (vgl. dazu aus der abgabenrechtlichen Judikatur zuletzt das Erkenntnis vom 24. Jänner 1996, Zl. 94/13/0069, mwN).

4. Unberechtigt ist auch das Beschwerdeargument, der Beschwerdeführer sei aufgrund der Ausgleichseröffnung nicht mehr berechtigt gewesen, die Beiträge für Jänner und Februar 1993 zu entrichten. Nach der - insoweit unstrittigen - Aktenlage wurde das Ausgleichsverfahren am 12. März 1993 und der Anschlußkonkurs am 23. September 1993 eröffnet. Durch die Eröffnung des Ausgleichsverfahrens trat in der Pflicht des Beschwerdeführers, für die Entrichtung der Beiträge zu sorgen, im vorliegenden Fall keine Änderung ein (vgl. etwa das Erkenntnis vom 17. Dezember 1991, Zl. 90/08/0052, mwN). Das Argument des Beschwerdeführers zielt auch nur darauf ab, daß "gerade eine derartige Leistung eine Ungleichbehandlung von Gläubigern nach sich gezogen hätte".

Damit übersieht der Beschwerdeführer, daß ihn die Haftung nicht deshalb trifft, weil er nicht für die vollständige Entrichtung der Beiträge gesorgt habe. Nur das Unterbleiben selbst einer anteiligen, dem Gebot der Gleichbehandlung der Gläubiger entsprechenden Entrichtung der Beiträge führt zur Haftung des Beschwerdeführers, wobei sich die Haftung mangels Darlegung konkreter, auf den Haftungszeitraum bezogener Berechnungsgrößen durch den haftungspflichtigen Vertreter des Beitragsschuldners allerdings auf die gesamten offenen Beitragsverbindlichkeiten erstreckt (vgl. dazu etwa das Erkenntnis vom 12. April 1994, Zl. 93/08/0232, und zuletzt das Erkenntnis vom 17. Oktober 1996, Zl. 96/08/0099).

5. Was die Erbringung des Gleichbehandlungsnachweises anlangt, so macht der Beschwerdeführer (in den Punkten 4. bis 6. der Beschwerde) in allgemein gehaltener Form geltend, er habe die vorhandenen Mittel "nicht nur anteilig verwendet", sondern die Beitragsschulden "sogar besser behandelt", eine Anfechtung anderer Zahlungen sei im Konkurs nicht erfolgt und es dürfe nicht "a priori" davon ausgegangen werden, daß eine Ungleichbehandlung stattgefunden habe. Vielmehr sei dem Beitragspflichtigen (gemeint: Haftungspflichtigen) die Beweislast der Gleichbehandlung erst aufzuerlegen, wenn durch Verfahrensergebnisse indiziert sei, daß Mittel zur Begleichung zur Verfügung gestanden seien und damit andere Verbindlichkeiten beglichen oder besser behandelt worden seien oder "zumindest eine dieser beiden Voraussetzungen" gegeben sei.

Hiezu genügt ein Hinweis auf die ständige Rechtsprechung, wonach nicht die Behörde das Ausreichen der Mittel zur Beitragsentrichtung, sondern der zur Haftung herangezogene Geschäftsführer das Fehlen ausreichender Mittel zu beweisen und konkret darzutun hat, daß er die Beitragsforderungen bei der Verfügung über die vorhandenen Mittel nicht benachteiligt habe (vgl. dazu etwa die Erkenntnisse vom 19. Februar 1991, Zl. 90/08/0008, vom 22. Juni 1993, Zl. 93/08/0011, und vom 12. April 1994, Zlen. 93/08/0259 bis 0261). Dieser Grundsatz findet zwar eine Grenze, wo sich schon aus dem Akteninhalt deutliche Hinweise darauf ergeben, daß dem Haftungspflichtigen ab einem feststellbaren Zeitpunkt keine Mittel mehr zur Verfügung standen (vgl. dazu aus der abgabenrechtlichen Judikatur das Erkenntnis vom 26. Juni 1989, Zlen. 88/15/0065, 89/15/0037, u.a.), doch zeigt der Beschwerdeführer nicht auf, daß dies hier der Fall gewesen wäre. Wenn der Beschwerdeführer die ihm eingeräumte Frist für die Erbringung des Gleichbehandlungsnachweises verstreichen ließ, ohne konkrete Berechnungsgrundlagen vorzulegen (oder unter Angabe tauglicher Gründe um eine Erstreckung der Frist anzusuchen), so durfte die Behörde daher annehmen, daß er seinen beitragsrechtlichen Pflichten schuldhaft nicht nachgekommen war, und seine Haftung für die Beitragsschulden aussprechen (vgl. zuletzt etwa das Erkenntnis vom 17. Oktober 1996, Zl. 96/08/0099).

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

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