VwGH 95/06/0244

VwGH95/06/02447.11.1996

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten und Dr. Köhler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. König, über die Beschwerde der AW und des EW, beide in F, vertreten durch Dr. L, Rechtsanwalt in B, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Bregenz vom 13. Oktober 1995, Zl. I-2-8/1995, betreffend Baubewilligung (mitbeteiligte Parteien: 1. RL und PL in H, vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in D; 2. Gemeinde F, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §42;
BauG Vlbg 1972 §30;
BauRallg;
AVG §42;
BauG Vlbg 1972 §30;
BauRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Vorarlberg hat den Beschwerdeführern insgesamt Aufwendungen in der Höhe von S 13.160,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Schriftsatz vom 15. Juli 1995 wurde von den Beschwerdeführern ein Ansuchen um Erteilung der Baubewilligung für die Erhöhung des Dachstuhles ihres Hauses (Nr. 5) in der Reihenhausanlage F um ca. 50 cm gestellt. In diesem Ansuchen wurde die beantragte Baumaßnahme wie folgt umschrieben:

"Zu dem schlichten Baukörper schlagen wir eine Hochziehung unserer Trennmauer im Sinne einer Feuerschutzmauer vor. Die beiden Dachflächen würden dann an die Mauer anstoßen. Aus funktionalen Gründen sollte die Mauer 10 cm höher als die Oberkante der erhöhten Dacheindeckung sein. Die Verkleidung könnte mit demselben Blech, wie bereits die Kamineinfassungen ausgeführt wurden, vorgenommen werden."

Dem Antrag war eine Ost-, Süd- und Westansicht der Reihenhausanlage beigelegt.

Mit Schriftsatz vom 30. Juli 1995 wurde von den Beschwerdeführern eine Alternative zur eingereichten Ausführung mittels Feuerschutzmauer vorgelegt:

"Alternativausführung:

Das Mauerwerk wird um zwei Ziegelreihen, maximal 50 cm

erhöht.

Die Dachlattung wird über die Haustrennwand von Nr. 5 (Richtung Westen zu Haus 6) geführt, die Blechschürze an der Firstwand hochgezogen und mit einem Stirnbrett abgeschlossen.

Aus der Vogelperspektive ist nur eine unterbrochene Ziegeleindeckung ersichtlich."

Mit Schreiben vom 14. August 1995 nahmen die Erstmitbeteiligten zu der beabsichtigten Dacherhöhung der Beschwerdeführer wie folgt Stellung:

"Zu oben erwähnten Ansuchen von Frau AW bezüglich der Dacherhöhung möchten wir ihnen hiemit mitteilen, daß wir als unmittelbare Nachbarn gegen eine Erhöhung sind."

Diese Stellungnahme der Erstmitbeteiligten wurde in der Verhandlung vom 18. August 1995 vor der erstinstanzlichen Behörde verlesen.

Mit Bescheid des Bürgermeisters der zweitmitbeteiligten Partei vom 24. August 1995 wurde die beantragte Baubewilligung gemäß § 22 Abs. 1 Vbg. Baugesetz versagt. Die beantragte Abstandsnachsicht wurde gemäß § 6 Abs. 9 Baugesetz abgelehnt.

Der dagegen erhobenen Berufung der Beschwerdeführer wurde mit Bescheid der Gemeindevertretung vom 19. September 1995 Folge gegeben und die Baubewilligung gemäß §§ 31 und 32 Vbg. Baugesetz nach Maßgabe des im Ermittlungsverfahren festgestellten Sachverhaltes sowie der Planunterlagen, die einen wesentlichen Bestandteil des Bescheides bilden, die Baubewilligung für die Dacherhöhung unter Vorschreibung von Auflagen erteilt. Mit einem Genehmigungsvermerk von diesem Tag wurde die mit Schriftsatz vom 30. Juli 1995 vorgelegte Südansicht der Häuser 5 und 6, die auf der Rückseite dieser Ansicht befindliche Ansicht vom Norden, auf der die beabsichtigte Dachlattung und Erhöhung des Daches des Hauses 5 gegenüber dem Haus 6 näher dargestellt wurde, weiters die Ansichten Ost und West und die offensichtlich mit Schriftsatz vom 15. Juli 1995 vorgelegte Südansicht betreffend die Häuser 5 bis 7 versehen.

Der dagegen erhobenen Vorstellung der Erstmitbeteiligten wurde mit dem angefochtenen Bescheid Folge gegeben, der Berufungsbescheid vom 19. September 1995 aufgehoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Gemeinde F zurückverwiesen. Gemäß § 37 AVG sei es Zweck des Ermittlungsverfahrens, den für die Erledigung maßgeblichen Sachverhalt festzustellen und den Parteien Gelegenheit zur Geltendmachung ihrer Rechte und rechtlichen Interessen zu geben. Wie im Sachverhalt des Bescheides festgestellt worden sei, seien von den Beschwerdeführern zwei Baueingaben zur Erhöhung des Dachstuhls bei der Gemeinde eingebracht worden, welche eine völlig unterschiedliche Ausführung der baulichen Änderung vorsehen. Im Falle der Ersteingabe sei eine Hochziehung der Trennmauer derart vorgesehen, daß beide Dachflächen an die Mauer anstoßen. Die Mauer sollte 10 cm höher als die Oberkante der erhöhten Dacheindeckung der Bauwerber ausgeführt werden. Diese Mauererhöhung sollte mit einer Blechumkleidung versehen werden. Im Falle der zweiten Eingabe sei eine Erhöhung des Mauerwerks "um zwei Ziegelreihen" (welche sich aus der Ersteingabe insgesamt auch ergeben habe) beantragt worden, die Ausführung der baulichen Änderung sollte jedoch völlig anders erfolgen. Die Trennmauer sollte nicht über die Oberkante der Dacheindeckung der Beschwerdeführer hochgezogen werden und die Dachlattung über die Trennwand in Richtung des Daches der Erstmitbeteiligten geführt werden. Dies führe im Endzustand dazu, daß Gebäudebestandteile über die Grundstücksgrenze, welche in der Mitte der Trennwand (Feuerschutzmauer) verlaufe, über das an der Trennmauer anstoßende Dach der Beschwerdeführer ragten. Die Baubehörden hätten es unterlassen, klarzustellen, welche Eingabe ihrem Verfahren zugrundeliege. Im Bescheid vom 24. August 1995 sei lediglich auf die Plan- und Beschreibungsunterlagen verwiesen worden, welche jedoch unterschiedliche Inhalte hätten. Die im Bauakt erliegenden Planunterlagen, die mit den Genehmigungsvermerken zum Bescheid vom 19. September 1995 versehen worden seien, würden sowohl den Erstantrag (Ost-, Süd- und Westansicht der Reihenhausanlage, undatiert) als auch den Zweitantrag (Südansicht mit nördlichem Dachdetail von Haus 5 und Haus 6, datiert mit 30. Juli 1995) umfassen. Damit liege dem Bauverfahren ein wesentlicher Verfahrensmangel zugrunde, da der maßgebliche, dem Ermittlungsverfahren (einschließlich der Bauverhandlung) sowie der Entscheidung zugrundeliegende Sachverhalt nicht festgestellt worden sei. Dieser Verfahrensmangel sei auch deshalb wesentlich, da Nachbarrechte berührt würden. Die beiden Vorhaben würden unterschiedliche Abstandsflächenverhältnisse nach § 6 Baugesetz ergeben. Die Parteistellung von Nachbarn im Bauverfahren sei zwar beschränkt, sie erstrecke sich nach § 30 Abs. 1 lit. b Baugesetz jedoch auf die Abstandsvorschriften des § 6, insoweit diese den Schutz der Nachbarn aus Rücksichten des Brandschutzes, der Gesundheit, insbesondere Belichtung, Luft und Lärm, beträfen. Es könne dahingestellt bleiben, ob die Erstmitbeteiligten überhaupt eine wirksame Einwendung in der erstinstanzlichen Bauverhandlung erhoben hätten, da die Vorstellungswerber ihre Nachbarrechte mangels Feststellung des maßgeblichen, zur Entscheidung anstehenden Sachverhaltes, nicht hätten wahrnehmen können. Die Erstmitbeteiligten seien daher in Rechten verletzt worden, der Vorstellung sei daher Folge zu geben. Die Baubehörde werde nach Abklärung des maßgeblichen Sachverhaltes, erforderlicher Ergänzungen der Projektunterlagen mit Vorlage eines der Baueingabeverordnung entsprechenden Abstandsflächenplanes und unter Wahrung des Parteiengehörs eine neue Bauverhandlung auszuschreiben haben. Bei der neuen Planunterlage werde darauf Bedacht zu nehmen sein, daß aufgrund der angestrebten Erhöhung des Dachraumes und der bereits im Rohbau sichtbaren beiden, durch die Baubewilligung vom 30. Dezember 1994 nicht erfaßten, ostseitigen Fenster, dieser zu einem "Dachgeschoß" nach § 2 der Baubemessungsverordnung geworden sei. Im Ermittlungsverfahren werde auf die Prüfung der Voraussetzung des § 6 Abs. 9 Baugesetz Bedacht zu nehmen sein.

In der dagegen erhobenen Beschwerde wird die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und die Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und - wie die Erstmitbeteiligten - eine Gegenschrift samt kostenpflichtiger Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

In der vorliegenden Beschwerdesache ist von maßgeblicher Bedeutung, ob die verfahrensgegenständliche Aufhebung der Baubewilligung aufgrund wirksam erhobener Einwendungen der Erstmitbeteiligten in diesem Bauverfahren erfolgte.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist das Mitspracherecht des Nachbarn im Baubewilligungsverfahren in zweifacher Weise beschränkt: Es besteht einerseits nur insoweit, als dem Nachbarn nach den in Betracht kommenden baurechtlichen Vorschriften subjektiv-öffentliche Rechte zukommen, und andererseits nur in jenem Umfang, in dem der Nachbar solche Rechte im Verfahren durch die rechtzeitige Erhebung entsprechender Einwendungen wirksam geltend gemacht hat (vgl. das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Dezember 1980, Slg. Nr. 10.317/A, u. v.a.).

Gemäß § 30 Vbg. Baugesetz, LGBl. Nr. 39/1972, ist über Einwendungen, die sich auf Rechte stützen, die u.a. durch § 6 begründet werden, insoweit er den Schutz der Nachbarn aus Rücksichten des Brandschutzes und der Gesundheit, insbesondere Belichtung, Luft und Lärm, betrifft, in der Erledigung über den Bauantrag abzusprechen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist im nachbarrechtlichen Verfahren die Prüfungsbefugnis der Berufungsbehörde, der Gemeindeaufsichtsbehörde und auch des Verwaltungsgerichtshofes auf jene Rechte beschränkt, die mit den Einwendungen im Zusammenhang stehen, welche bei der von der Baubehörde erster Instanz durchgeführten mündlichen Verhandlung vorgebracht wurden (vgl. u.a. die hg. Erkenntnisse vom 11. Oktober 1965, Slg. Nr. 6777/A, und vom 12. September 1966, Slg. Nr. 6980/A). Voraussetzung dafür ist allerdings, daß der Nachbar zur mündlichen Verhandlung ordnungsgemäß unter Hinweis auf die Präklusionsfolgen gemäß § 42 AVG geladen und der Gegenstand des Bauverfahrens nicht geändert wurde. Von einer Änderung des beantragten Bauvorhabens in der mündlichen Verhandlung kann im vorliegenden Fall keine Rede sein. Die von der belangten Behörde - ohne entsprechendes Vorbringen der Erstmitbeteiligten im Verfahren - relevierte Unklarheit, welche Ausführung der beantragten Dacherhöhung Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahren gewesen sei, ist deshalb nicht beachtlich, weil der aus der Sicht des Nachbarn maßgebliche Gegenstand des Bauvorhabens, nämlich die Dacherhöhung, aus dem ersten Antrag allein bzw. dem ersten Antrag im Zusammenhalt mit der alternativen Ausführung hervorging. Die beiden im Zusammenhang stehenden Bauansuchen waren im übrigen im Zusammenhalt so zu deuten, daß das Bauansuchen betreffend die Dacherhöhung vom 15. Juli 1995 in der mit Schriftsatz vom 30. Juli 1995 abgeänderten Form Gegenstand des Bauverfahrens war. Ganz in diesem Sinne war für die Berufungsbehörde das Ansuchen in der Fassung vom 30. Juli 1995 maßgeblich. Dies ergibt sich aus den mit den entsprechenden Genehmigungsvermerken versehenen Planunterlagen (vor allem der Südansicht der Häuser 5 und 6 mit dem nördlichen Dachdetail dieser beiden Häuser auf der Rückseite, datiert mit 30. Juli 1995). Die ebenfalls genehmigte Ost-, Süd- und Westansicht der Häuser 5 bis 7 der Reihenhausanlage des Erstantrages stehen mit den vorgenannten Planunterlagen in keinem Widerspruch bzw. würde ein allenfalls angenommener Widerspruch auf Grund der gleichfalls genehmigten, die konkrete Ausführung betreffende Südansicht samt nördlichem Dachteil ausgeräumt. Hinzu kommt, daß die Ladung zur Verhandlung am 3. August 1995 zum Ansuchen u.a. der Erstbeschwerdeführerin betreffend die Dacherhöhung der bewilligten Reihenhausanlage auf den Grundstücken Nr. 796/13, 796/16, 796/17, KG F, nach dem vorgelegten Projekt erfolgte. Auf die Pläne, die während der Amtsstunden aufliegen, wurde dabei verwiesen. In diesem Zeitpunkt lag das Projekt der Beschwerdeführer bereits in der abgeänderten Form der Behörde vor.

Zu klären ist daher die weitere Frage, ob die Erstmitbeteiligten eine Einwendung im Sinne des § 30 Vbg. Baugesetz erhoben haben. Eine dem Gesetz entsprechende Einwendung liegt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dann vor, wenn der Nachbar die Verletzung eines subjektiven Rechtes geltend macht. Dem Begriff der Einwendung ist die Behauptung einer Rechtsverletzung mit bezug auf ein bestimmtes Recht, d.h. die Geltendmachung der Verletzung eines konkreten subjektiven Rechtes immanent (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom 12. Mai 1959, Slg. Nr. 4.966/A). Ein allgemein gehaltener Protest eines Nachbarn gegen ein Bauvorhaben oder die Äußerung, der Bauführung nicht zuzustimmen, kann in diesem Sinne nicht als Einwendung qualifiziert werden (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 22. September 1967, Slg. Nr. 7179/A, und vom 26. Mai 1983, Zl. 82/06/0193, BauSlg. Nr. 59). Wenn nun die Erstmitbeteiligten im erstinstanzlichen Verfahren zum Ausdruck gebracht haben, daß sie "gegen die Erhöhung" des Nachbargebäudes seien, so haben sie nicht die Verletzung in einem subjektiv-öffentlichen Recht geltend gemacht und somit keine Einwendung im dargelegten Sinne erhoben. Die Prüfungsbefugnis der Gemeindebehörde im nachbarrechtlichen Verfahren ist aber - wie bereits dargelegt - auf jene Rechte beschränkt, die mit wirksam erhobenen Einwendungen bis zu der bzw. bei der von der Baubehörde erster Instanz durchgeführten mündlichen Verhandlung vorgebracht wurden. Im Hinblick auf diese eingeschränkte Prüfungsbefugnis der Gemeindeaufsichtsbehörde im vorliegenden Fall erweist sich die verfahrensgegenständliche Aufhebung der im Bauverfahren erteilten Baubewilligung an die Beschwerdeführer als rechtswidrig. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte