VwGH 95/01/0477

VwGH95/01/047730.4.1997

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Bachler und Dr. Rigler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des M in K, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 25. August 1995, Zl. 4.332.370/10-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §1 Z1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der "Jugosl. Föderation", der am 17. Dezember 1991 in das Bundesgebiet eingereist ist, hat den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 14. Februar 1992, mit dem sein Asylantrag abgewiesen worden war, mit Berufung bekämpft.

Nach der mit hg. Erkenntnis vom 5. Oktober 1994, Zl. 93/01/1007, ausgesprochenen, auf die mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 1. Juli 1994, G 92, 93/94, erfolgte Aufhebung des Wortes "offenkundig" in § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 gestützten Aufhebung ihres über diese Berufung ergangenen Bescheides vom 30. März 1993 wies die belangte Behörde mit Bescheid vom 25. August 1995 die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG neuerlich ab.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Der Beschwerdeführer hat bei seiner Ersteinvernahme durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich am 20. Dezember 1991 angegeben, er sei Angehöriger der albanischen Minderheit im Kosovo und Mitglied der Liberalen Demokratischen Partei. Er habe nach Beendigung seines Studiums kein Abschlußzeugnis bekommen und auch keine Arbeit gefunden. Er habe mehrfach an antiserbischen Demonstrationen teilgenommen, sei aber nie von der Polizei verhaftet oder einvernommen worden, weil er immer weggelaufen sei. Am 12. Dezember 1991 seien mehrere Milizangehörige in sein Haus gekommen, um ihn ohne Einberufungsbefehl mitzunehmen und der "JNA" (Jugoslawische Volksarmee) zu übergeben. Er sei aber geflüchtet und werde deshalb von den Militärbehörden gesucht. Serben und Kroaten seien ihm fremd, sodaß er, wenn er schon kämpfen solle, für sich und seine Angehörigen kämpfen würde, niemals aber für eine fremde Macht wie die Serben oder die serbische Armee. Er habe sich daher zur Flucht entschlossen.

In seiner Berufung machte der Beschwerdeführer geltend, ein Leben in Freiheit und unter Wahrung der Menschenrechte sei im Kosovo nicht mehr möglich gewesen, weil "die serbische Nationalität" ständig versuche, die Eigenständigkeit und die Freiheitsbestrebungen der albanischen Minderheit zu unterdrücken. Er habe unter den allgemein schlechten Bedingungen besonders gelitten, weil er als Jurist und Angehöriger der intellektuellen Schichte konkret gegen Ungerechtigkeiten aufgetreten sei. Seine mit der serbischen Politik nicht konformen Ansichten seien immer wieder Anlaß von Konflikten gewesen. Unter der Mithilfe des Beschwerdeführers seien im Jahr 1988 eine Demonstration, wobei etwa

20.000 Studenten an drei Tagen auf die Straße gegangen seien, und ein Streik organisiert worden. Auf Grund dieser Ereignisse sei der Beschwerdeführer den Behörden bekannt gewesen, weshalb er immer wieder zu Verhören aufs Polizeirevier kommen und sich stundenlangen Befragungen unterziehen habe müssen; er habe auch einige Tage im Gefängnis verbringen müssen. Als Höhepunkt der Repressionen habe man ihm das weitere Studieren an allen Universitäten Jugoslawiens verboten, was durch ein nachzureichendes Schriftstück belegt werde (dieses Schriftstück wurde in der Folge in Kopie mit einer nicht beglaubigten Übersetzung der Behörde vorgelegt). Es sei ihm jegliche Arbeitsmöglichkeit verwehrt worden, sodaß er den Lebensunterhalt seiner Familie durch Gelegenheitsarbeiten habe bestreiten müssen. Seine Befragung durch die Behörde erster Instanz sei in serbischer Sprache erfolgt, und es habe für ihn keine Möglichkeit gegeben, die Gründe seiner Flucht in seiner Muttersprache zu erklären.

In einer im fortgesetzten Verfahren beigebrachten Berufungsergänzung verwies der Beschwerdeführer hinsichtlich der Geltendmachung "einfacher Verfahrensmängel" auf seine Angaben in der gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 30. März 1993 erhobenen Verwaltungsgerichtshofbeschwerde. Auch für den Fall, daß die "jugoslawische Föderation" derzeit nicht an Kampfhandlungen teilnehme, bestehe doch jederzeit die Möglichkeit des Wiedereintrittes in den Krieg. Darüber hinaus drohe ihm wegen der Wehrdienstverweigerung strengste, asylrelevante Bestrafung. Das Original des Schreibens der Universität von Kosovo könne er nicht mehr vorlegen, weil er dieses im Jahre 1993 einem Mitarbeiter der Caritas, der dort nun nicht mehr beschäftigt sei, übergeben habe, der es aber verlegt und nicht mehr gefunden habe.

Die belangte Behörde hat die Abweisung der Berufung des Beschwerdeführers insbesondere damit begründet, daß die Einberufung zum Militärdienst bzw. die Verweigerung, diesen abzuleisten, nur dann als asylbegründende Tatsache angesehen werden könne, wenn die Einberufung in Verfolgungsmotivation aus z. B. ethnischen oder religiösen Gründen erfolgt wäre. Solches habe der Beschwerdeführer aber nicht glaubhaft gemacht.

Der belangten Behörde ist zunächst insoweit beizupflichten, als die Verweigerung der Ableistung des Militärdienstes - sei es durch Nichtbefolgung eines Einberufungsbefehls, sei es durch Desertion - nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für sich allein nicht die Anerkennung eines Asylwerbers als Flüchtling rechtfertigt. Der Verwaltungsgerichtshof geht allerdings von einer asylrechtlich relevanten Furcht vor Verfolgung in solchen Fällen aus, in denen die Einberufung aus einem der in § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 (übereinstimmend mit Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) angeführten Gründe erfolgt, in denen damit gerechnet werden müßte, daß ein Asylwerber hinsichtlich seiner Behandlung oder seines Einsatzes während des Militärdienstes aus diesen Gründen im Vergleich zu Angehörigen anderer Gruppierungen in erheblicher, die Intensität einer Verfolgung erreichender Weise benachteiligt würde, oder in denen davon auszugehen ist, daß eine dem Asylwerber wegen Wehrdienstverweigerung drohende Strafe aus diesen Gründen gegen diesen schwerer als gegenüber anderen Staatsangehörigen verhängt würde (vgl. insbesondere das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 29. Juni 1994, Zl. 93/01/0377, Slg. Nr. 14.089/A). Anders als in dem Fall, der dem angeführten Erkenntnis des verstärkten Senates zugrunde lag, hat der Beschwerdeführer bei seiner Ersteinvernahme keine Ausführungen, die auf das Vorliegen von in der Aufforderung, sich zum Militärdienst zu melden, liegender Verfolgung im Sinne obiger Judikatur hindeuten würden, gemacht und insbesondere aus seiner Zugehörigkeit zur albanischen Volksgruppe nicht abgeleitet, er müsse wegen dieser Volkszugehörigkeit Verfolgung während der Ableistung des Militärdienstes befürchten. Auch in der Beschwerde stellt er lediglich den Inhalt des Erkenntnisses des verstärkten Senates dar, ohne aber auszuführen, in welcher Weise die dort enthaltenen grundsätzlichen Überlegungen auf seinen Fall anwendbar sein sollten.

Soweit der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang auf die Verfügung des Verwaltungsgerichtshofes vom 8. Februar 1994, Zl. 93/01/0377, hinweist - in dieser Verfügung waren Überlegungen zur Asylrelevanz von Einberufungen zum Militärdienst, in dessen Rahmen von der Staatengemeinschaft mißbilligte Akte gesetzt werden sollten, enthalten - und geltend macht, es handle sich bei dieser Verfügung um "die jüngste Entwicklung in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes", welche zu berücksichtigen sei, ist ihm entgegenzuhalten, daß es sich bei dieser "Entscheidung" bloß um eine Berichterverfügung handelte, mit der den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens die maßgebenden Gründe für die Annahme eines Verstärkungsgrundes gemäß § 13 Abs. 1 Z. 1 VwGG bekanntgegeben wurden. Die darin vertretene Rechtsansicht hat aber im abschließenden bereits angeführten Erkenntnis vom 29. Juni 1994 keinen Niederschlag gefunden.

Wenn der Beschwerdeführer weiters geltend macht, "laut UNHCR-Handbuch" sei ein Deserteur bzw. Wehrdienstverweigerer unter dort näher angeführten Voraussetzungen als Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention anzusehen, ist ihm entgegenzuhalten, daß er einerseits keine näheren Umstände dargetan hat, aus denen auf ihn die dort genannten Voraussetzungen zutreffen sollten, und daß andererseits dem "Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft", herausgegeben vom Amt des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge, 1979, keine normative Kraft zukommt, weshalb dessen Inhalt rechtlich nicht verbindlich ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 8. November 1995, Zl. 95/01/0070).

Soweit der Beschwerdeführer der belangten Behörde vorwirft, sie habe seine Teilnahme an Demonstrationen lediglich dahin gewürdigt, daß Beschränkungen des Versammlungsrechtes oder der Abhaltung von Demonstrationen keinen Fluchtgrund darstellten, und es unterlassen, darauf Bedacht zu nehmen, daß der Beschwerdeführer mit seiner Teilnahme an einer Demonstration seine politische Meinung zum Ausdruck gebracht habe, ist ihm entgegenzuhalten, daß er bei seiner Erstbefragung - das Ergebnis des Ermittlungsverfahren erster Instanz ist gemäß § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991 in der Regel der Berufungsentscheidung zugrunde zu legen - ausdrücklich angegeben hat, nie im Zusammenhang mit Demonstrationen verhaftet oder einvernommen worden zu sein, und auch keine sonstigen Umstände angeführt hat, die dafür sprächen, daß den Behörden seines Heimatlandes seine Teilnahme an Demonstrationen bekannt geworden sein könnte. Unter Zugrundelegung der Angaben des Beschwerdeführers bei seiner Ersteinvernahme konnte die belangte Behörde somit zu Recht davon ausgehen, daß der Beschwerdeführer auf Grund seiner Teilnahme an Demonstrationen nicht mit behördlicher Verfolgung rechnen mußte.

Der Beschwerdeführer erblickt darin, daß er nicht unter Mitwirkung eines gerichtlich beeideten bzw. eines diesem durch entsprechende Beeidigung gleichgestellten Dolmetschers für seine Muttersprache vernommen worden sei, einen Verfahrensmangel. Entgegen dieser Auffassung ist im Asylgesetz 1991 die Beiziehung eines Amtsdolmetschers nicht verpflichtend vorgesehen. Gemäß § 18 Abs. 1 Asylgesetz 1991 reicht die Beiziehung eines Dolmetschers - also auch eines solchen, der nicht die Funktion eines Amtsdolmetschers innehat - für eine dem Asylwerber ausreichend verständliche Sprache aus. Der Beschwerdeführer hat bei seiner Einvernahme als für ihn verständliche Fremdsprache Serbokroatisch angegeben und wurde unter Beiziehung eines Dolmetschers auch in dieser Sprache vernommen, ohne zu erkennen zu geben, daß es ihm nicht möglich sei, diese Sprache zu verstehen oder sich darin hinreichend deutlich ausdrücken zu können. In seiner Berufung und in der Berufungsergänzung hat der Beschwerdeführer zwar den Umstand, nicht in seiner Muttersprache vernommen worden zu sein, geltend gemacht, aber nicht behauptet, die darin enthaltenen, über sein erstinstanzliches Vorbringen hinausgehenden Ausführungen bereits im Verfahren erster Instanz vorgebracht zu haben. Insoweit unterliegt er mit der erstmals in der Beschwerde aufgestellten Behauptung, bereits im erstinstanzlichen Verfahren von Verhaftungen berichtet zu haben, dem gemäß § 41 Abs. 1 VwGG im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltenden Neuerungsverbot. Es ist dem Beschwerdeführer somit weder im Verwaltungsverfahren noch in der Beschwerde gelungen, die Relevanz des von ihm insoweit gerügten Verfahrensmangels darzutun.

Soweit der Beschwerdeführer der belangten Behörde vorwirft, sie wäre der ihr aufgegebenen Ermittlungspflicht nicht nachgekommen, ist festzuhalten, daß der für den Umfang der Ermittlungspflicht maßgebliche § 16 Abs. 1 Asylgesetz 1991 wohl bestimmt, daß die Asylbehörden in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen durch Fragestellung oder in anderer geeigneter Weise darauf hinzuwirken haben, daß die für die Entscheidung erheblichen Angaben über die zur Begründung des Asylantrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Bescheinigungsmittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Bescheinigungsmittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Asylantrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Bescheinigungsmittel auch von Amts wegen beizuschaffen. Diese Gesetzesstelle, die eine Konkretisierung der aus § 37 AVG in Verbindung mit § 39 Abs. 2 AVG hervorgehenden Verpflichtung der Verwaltungsbehörden, den für die Erledigung der Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt von Amts wegen vollständig zu ermitteln und festzustellen, darstellt, begründet aber keine über den Rahmen der angeführten Vorschriften hinausgehende Ermittlungspflicht. Nur im Fall hinreichend deutlicher Hinweise im Vorbringen eines Asylwerbers auf einen Sachverhalt, der für die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne der Flüchtlingskonvention in Frage kommt, hat die Behörde gemäß § 16 Abs. 1 Asylgesetz 1991 in geeigneter Weise auf eine Konkretisierung der Angaben des Asylwerbers zu dringen. Aus dieser Gesetzesstelle kann aber keine Verpflichtung der Behörde abgeleitet werden, Asylgründe, die der Asylwerber gar nicht behauptet hat, zu ermitteln (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. November 1992, Zlen. 92/01/0800-0803). Da im Beschwerdefall über die bereits oben behandelten Angaben hinausgehende, hinreichend deutliche Hinweise auf das Vorliegen weiterer Gründe im Sinne der Flüchtlingskonvention im Vorbringen des Beschwerdeführer vor der Behörde erster Instanz nicht enthalten waren, war die belangte Behörde, da auch sonst ein für die Entscheidung wesentlicher Mangel des Ermittlungsverfahrens der Behörde erster Instanz nicht hervorgekommen und vom Beschwerdeführer insoweit weder in seiner Berufung noch in der Berufungsergänzung geltend gemacht wurde, nicht verpflichtet, gemäß § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 die Ergänzung oder Wiederholung dieses Verfahrens anzuordnen.

Da die belangte Behörde somit zu Recht die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers verneint hat, konnte eine Auseinandersetzung damit, ob sie auch zu Recht vom Vorliegen des Ausschließungsgrundes der Erlangung von Verfolgungssicherheit gemäß § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 ausgegangen ist, unterbleiben.

Der Verwaltungsgerichtshof teilt die vom Beschwerdeführer gegen § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 (in der Fassung der Kundmachung BGBl. Nr. 610/1994) vorgebrachten Bedenken, daß diese Bestimmung unklar sei, nicht, weshalb seiner Anregung, diese Gesetzesstelle beim Verfassungsgerichtshof auf ihre Verfassungsgemäßheit prüfen zu lassen, nicht gefolgt wurde.

Die sich sohin als unbegründet erweisende Beschwerde war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte